Menorandum: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine kritisierten die EU bereits 2007 als neoliberal  
 
Gregor Gysi, Oskar Lafontaine
Berlin, Januar 2007
 
Die enge Zusammenarbeit in den Europäischen Gemeinschaften
und in der Europäischen Union hat den Völkern
der beteiligten Staaten unschätzbare Vorteile gebracht.
Zwischen Jahrhunderte lang verfeindeten Staaten stiftete
die Europäische Union Frieden. Kriege zwischen Mitgliedern
der EU erscheinen ausgeschlossen. Der zusätzliche
Zuwachs an Wohlfahrt und Wohlstand in den beteiligten
Ländern hat über lange Zeit das Leben aller Beteiligten
erheblich erleichtert. Der Binnenmarkt, der Wegfall von
Kontrollen an Binnengrenzen brachten bis weit in
die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts
erhebliche Vorteile für Bürgerinnen und Bürger.
Die Linke will den Weg der europäischen Integration
weitergehen. Wir bereiten eine Verfassungskonferenz
der Europäischen Linken im März 2007 in Berlin vor.
Die Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag hat
Ecksteine für eine Verfassung der Europäischen Union
erarbeitet.
 
 
Wir stellen sie mit diesem Memorandum
zur Diskussion.
 
Mit der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen
Akte 1987 und dem Vertrag von Maastricht schwenkte
die Gemeinschaft auf einen fatalen Kurs des neoliberalen
Markt-Rigorismus, der Herrschaft der Wirtschaft über
die Politik. Mit den Entscheidungen von Lissabon wurde
dieser Kurs weiter instrumentalisiert. Der wirtschaftspolitische
Schwenk führte jedoch in der Gemeinschaft die Europäische Union aus der Sackgasse führen nicht zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen.
 
Massenarbeitslosigkeit nahm zu, Wachstumsraten schrumpften erheblich, die Einkommen der Oberschichten wuchsen weit überproportional, die Realeinkommen der abhängig Beschäftigten verloren an Wert.
 
Der Anteil der Einkommen aus abhängiger Arbeit
nahm zugunsten der Einkommen aus Unternehmertätigkeit
und Vermögen erheblich ab.
 
Die Lissabon-Strategie  begünstigt die Umverteilung von unten nach oben, von einkommensschwach zu einkommensstark. Mit der permanenten Drohung der Abwanderung von einem
EU-Land zum nächsten machte die in supranationalen
Verbänden in Brüssel organisierte Wirtschaftslobby Druck
auf die Regierungen, die Besteuerung hoher Gewinne und
Einkommen, die Verfügbarkeit öffentlicher Güter,
Sozialleistungen und die Umweltstandards abzusenken.
Zugleich wurde die Einführung von sozialen, steuerlichen
und ökologischen Mindeststandards durch die EU von
den Unternehmerverbänden der EU be- und verhindert.
 
Die Erweiterung der EU wird, weil Mindeststandards fehlen
oder nicht realisiert werden, zu üblem Lohn-, Steuer- und
Sozialdumping missbraucht.
 
Mit der Einführung des EURO, die zu erheblichen Erleichterungen
im grenzüberschreitenden Verkehr für Wirtschaft,
für Bürgerinnen und Bürger führte, geht im Zusammenhang
mit dem Statut der EZB eine Verselbständigung der Geldund
Währungspolitik einher, die zuvor in keinem Mitgliedsstaat
der Gemeinschaft zulässig war. Finanzvermögen
und Spekulation werden begünstigt. Mit ihrer einseitigen
Ausrichtung auf die Währungsstabilität beeinträchtigt
die EZB Wachstum und Beschäftigung im Euroland.
 
 
Sie macht – weitgehend unkontrolliert – sogar handwerkliche
Fehler. Die zu dieser Einseitigkeit der EZB-Entscheidungen
führende Autonomie ist Hauptursache
für die gegenüber den USA zurückbleibende Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung in der EU.
 
Die Verselbständigung der Geld und Währungspolitik gegenüber demokratisch bestellten Parlamenten und Regierungen folgt dem Machtzuwachs der Akteure auf den Weltfinanzmärkten:
 
Von den 50 weltweit führenden Großbanken und Versicherungen stammen 29 aus Ländern der Europäischen Union. Sie nehmen als mächtige Akteure auf den Währungs- und Finanzmärkten
wesentlichen Einfluss auf die gegenüber gewählten
Verfassungsorganen autonomen Entscheidungen der EZB.
 
Die EU dient der Friedensstiftung in Europa. Die Integration
der Staaten und Völker Europas bedurfte keiner Bewaffnung
der europäischen Institutionen. Seit Maastricht
jedoch beschreitet die EU im Geleitzug mit den USA einen
verhängnisvollen Weg der Militarisierung der Außenund
Sicherheitspolitik. Dies belegen der Aufbau der
»battlegroups«, die Errichtung einer Rüstungsagentur in der
EU und der bewaffnete EU-Einsatz in Bosnien-Herzegowina,
im Kosovo und Kongo. In Brüssel verselbständigt sich eine
für die Bürgerinnen und Bürger undurchschaubare EUBürokratie.
Der dominierende Einfluss der Wirtschaftsverbände
auf die EU-Bürokratie und die ihr folgende Kommission
ist eine Wurzel des demokratischen Defizits der
Europäischen Union. Willensbildung und Entscheidungsfindung
im Europäischen Rat, im Ministerrat, in der
Kommission sind nicht nur wegen der begrenzten
Kompetenzen des Europäischen Parlaments intransparent
und anonym.
 
Die EU ist von funktionierender Demokratie weit
entfernt. Die mangelnde Nähe zu den Regierten
begünstigt die diskrete Einflussnahme von machtvoll
organisierten Interessenten.
 
Undurchsichtige Willensbildung und Anonymität der
Entscheidung entfremden die Bürger und Bürgerinnen
der Europäischen Union. Die schweigende Zustimmung
der Bevölkerung zur europäischen Einigung wich Ängsten
vor zunehmender Fremdbestimmung. Die Militarisierung
der Politik führt zu Besorgnissen. Die Forderung
marktradikaler, interessengeleiteter Technokraten in
Brüssel nach immer neuen Lohnkürzungen und weiterem
Sozialabbau bei sprunghaft ansteigender Arbeitslosigkeit
schüren bei immer mehr Bürgerinnen und Bürgern
Ängste um Einkommen und Existenz.
Der von den Regierungen vorgelegte Verfassungsvertrag
vom 29. Oktober 2004 hat die Besorgnisse der Menschen
weiter genährt. Er begründet keine Zuversicht.
 
Der Verfassungsvertrag steht eher für Stillstand. Der
Vertragsentwurf
verfestigt die seit Ende der 80er Jahre
sichtbaren Fehlentwicklungen:
Der Vertrag verpflichtet die Politik der EU stärker
und breiter als je zuvor auf das neoliberale Dogma
»einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb«
(Artikel III-177, 178 und 185), begünstigt EU-weiten Sozial-
abbau und Steuersenkungswettlauf, er verweigert eine
Sozialunion.
 
Die Regierungen und die Mitglieder im Verfassungskonvent
waren ausreichend gewarnt. In Anhörungen
des Konvents wiesen Vertreterinnen und Vertreter der
Zivilgesellschaft immer wieder auf weite Lücken im
Verfassungsvertrag hin. Aber »eine Vertiefung des EUIntegrationsprojektes
in den Bereichen der Umwelt-,
vor allem aber in der Sozialpolitik … das von vielen Bürgern
… erwartete, eindeutige und unmissverständlich
kontinentale Bekenntnis zu den konkreten Zielen einer sozialen
Marktwirtschaft sowie zu den Chancen und Grenzen
der Liberalisierungspolitik blieb aus.« So eine Feststellung
der Stiftung Wissenschaft und Politik, die regelmäßig
die deutsche Bundesregierung berät.
 
Militarisierung und Rüstung werden für die ehemals
friedensstiftende Europäische Union in Verfassungsrang
gehoben, sie werden zur Pflicht für die Organe der EU.
Die für die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger in
einer Demokratie unverzichtbare und konstituierende
materielle und soziale Sicherung, die gewachsene
Verfügbarkeit öffentlicher Güter wird der Privatisierung,
der Profitmaximierung der Märkte ausgeliefert.
Folgerichtig verfestigt der Vertrag die institutionellen
Mängel der Union an Demokratie und Bürgerinnenund
Bürgerbeteiligung statt ihnen abzuhelfen.
Der Vertrag ist mit den ablehnenden Volksabstim-
mungen in Frankreich und den Niederlanden gescheitert.
Der deutsche Bundespräsident hat mit Rücksicht auf
eine beim Bundesverfassungsgericht anhängige Klage
die Ratifikation unterbrochen.
 
Die Gemeinschaft steckt in einer tiefen Krise. In weiteren
Mitgliedstaaten, die den Ratifikationsprozess abgebrochen
haben, ist eine Ablehnung zu erwarten. Damit ist das
Erfordernis der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten der
EU nicht erfüllt. Versuche, den abgelehnten Verfassungsvertrag
ohne wesentliche Änderungen, Präzisierungen
und Ergänzungen erneut zur Abstimmung zu stellen,
sind juristisch zweifelhaft, für Demokraten unzulässig
und politisch gefährlich. Die Suche nach Wegen
zur Fortsetzung des alten Kurses ohne Beteiligung
der Bürgerinnen und Bürger führen in die Irre.
Wer diesen antidemokratischen Weg geht, verspielt
noch mehr Vertrauen und wird die Union nicht
aus der Sackgasse führen.
Die Europäische Union der Bürgerinnen und Bürger
darf keine technokratischen Verfahren zur Umgehung
des Mehrheitswillens hinnehmen. Sie braucht einen
konsequenten Neuanfang, sie muss die neoliberale
Fehlentwicklung
stoppen, um das Vertrauen der
Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedsstaaten
zurück zu gewinnen.
 
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Die Linke in Europa erarbeitet Grundlagen für einen
neuen Verfassungsvertrag, der diesem Namen entspricht.
Wir legen Ecksteine für einen demokratischen, freiheitlichen,
sozialen und Frieden sichernden Verfassungsvertrag
als Diskussionsentwurf vor:
Die Linke will die Europäische Union als einen politischen,
ökonomischen, sozialen und ökologischen Verbund von
staatlich organisierten Völkern. Der Verbund folgt demokratischen Prinzipien.
 
Er ist gerichtet auf Frieden und
Wohlergehen der Völker, der europäischen wie aller
anderen. Zu den verfassungsrechtlich verankerten
Werten und Zielen der EU gehören untrennbar die
Sozialstaatlichkeit und die Schaffung einer Sozialunion,
in der hohe Standards gelten. Die EU wird nach den
Grundsätzen der Subsidiarität tätig. Die Mitgliedstaaten
behalten einen Grundbestand souveräner Rechte.
Die Linke will eine Verfassung der EU mit verbindlichen
Grundrechten. Die bislang rechtlich nicht verbindliche
Charta der Grundrechte muss präzisiert und um
soziale und ökologische Rechte ergänzt werden.
Die Grundrechte müssen für die Bürgerinnen und
Bürger einklagbar sein. Das Recht auf menschen-
würdige und Existenz sichernde Arbeit und das Recht
auf soziale Sicherheit, das Recht auf Schutz vor Armut
und sozialer Ausgrenzung muss von Verfassung
wegen gewährleistet sein.
Ecksteine der Linken
für die Verfassung der Union
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Die Linke will das Eigentum schützen und zugleich ähnlich
dem deutschen Grundgesetz regeln, dass Eigentum auch
verpflichtet. Die Verfügung über das Eigentum und seine
Nutzung muss auch sozialen Belangen, dem Umweltschutz
und anderen Erfordernissen des Gemeinwohls entsprechen.
Die Verfassung schützt das Grundrecht auf Kollektivverhandlungen
und Kollektivmaßnahmen, es enthält
künftig ausdrücklich das Recht zum politischen Streik
(Generalstreik).
Die Linke will, dass bei Konflikten zwischen dem Grundrechtsschutz
nach der Charta und den Verfassungen der
Mitgliedstaaten der jeweils höhere Rechtsstandard gilt.
Damit wird sichergestellt, dass die Grundrechte der
nationalen Verfassungen der Mitgliedsstaaten durch die
EU-Verfassung nicht eingeschränkt werden können; auch
der umgekehrte Weg wird ausgeschlossen.
Die Linke will Verfassungsbestimmungen mit grundlegenden
Aussagen zu den Politikbereichen der EU.
Bei diesem hohen Anspruch haben die meisten Bestimmungen
des Teils III des abgelehnten Verfassungsvertrags
und die aus sich heraus unverständlichen Protokolle
und Anhänge in einer Verfassung nichts zu suchen.
Die Verfassung ist Ausdruck demokratischer Selbstbestimmung
der Bürgerinnen und Bürger. Sie darf
einen zumutbaren Umfang nicht überschreiten, muss
klar und verständlich sein, um technokratisch manipulierter
Interpretation widerstehen zu können.
Die Linke will eine Verfassung mit einem besonderen
Kapitel über eine zu schaffende Sozialunion.
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Die Linke will eine Sozialunion, die menschenwürdige
und Existenz sichernde Arbeitsplätze, eine Angleichung
auskömmlicher sozialer Standards anstrebt und einen
Wettlauf von Lohn- und Sozialdumping zwischen den
Ländern und Regionen Europas verhindert.
Die Linke will eine Verfassung, die die Union und die
Mitgliedsstaaten auf die Förderung von Wohlfahrt und
Wohlstand verpflichtet. Union und Mitgliedsstaaten haben
eine gleichgewichtige gesamtwirtschaftliche Entwicklung
anzustreben. Wirtschafts-, Finanz-, Budget-, Steuer-,
Geld-, Währungs- und Außenwirtschaftspolitik sind
so abzustimmen, dass sie bei stetigem, angemessenem,
qualitativem Wirtschaftswachstum nach strengen
ökologischen Kriterien, zugleich zu Vollbeschäftigung,
Stabilität des Preisniveaus und außenwirtschaftlichem
Gleichgewicht der Union beitragen. Wirtschaftswachstum
in der Gemeinschaft und in den Mitgliedsstaaten ist
angemessen, wenn das Potential der Erwerbstätigen
bei Stabilität des Preisniveaus ausgeschöpft wird. Alle
Organe und Institutionen der EU, auch die Europäische
Zentralbank, sind auf diese Ziele zur Abstimmung ihrer
Politik mit den Entscheidungsträgern verpflichtet.
Die Zentralbank unterliegt, wie alle Organe der
Gemeinschaft, demokratischer Kontrolle.
Der bestehende Stabilitäts- und Wachstumspakt
entspricht nicht der Zielsetzung einer gleichgewichtigen
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, er sieht einseitig
nur finanzpolitische Verpflichtungen mit der Wirkung
der Dämpfung von Nachfrage und Konjunktur in den
Mitgliedsstaaten vor. Deshalb müssen Gemeinschaft
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und Mitgliedsstaaten auf eine symmetrische Fiskal-
politik verpflichtet werden, die ein gesamtwirtschaft-
liches Gleichgewicht in der Gemeinschaft und in den
Mitgliedsstaaten
anstrebt, also Expansion und
Dämpfung ermöglicht.
Die Linke will keinen Verfassungsrang für interessengeleitete
Paradigmen des Zeitgeistes wie die im gescheiterten
Vertrag zum Verfassungsgrundsatz erhobene
»offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb«.
Die Verfassung muss wirtschaftspolitisch neutral und
gegenüber einer gemischt-wirtschaftlichen Ordnung
mit einem bedeutenden öffentlichen Sektor, sowie
künftigen Erkenntnissen der Wissenschaft und politischen
Entwicklungen offen sein. Sie wird grundlegende demokratische
Veränderungen nicht ausschließen, soweit
sie sich im Rahmen der Grundrechte halten.
Die Linke will eine Verfassung der Union, die Privateigentum
schützt und zugleich auch verpflichtet, sie überlässt
die nähere Bestimmung der Eigentumsordnung den
Mitgliedsstaaten. Keine Bestimmung der Verfassung oder
des sonstigen Gemeinschaftsrechts darf so ausgelegt
werden, als schließe sie eine begrenzte und entschädigungspflichtige
Überführung einzelner Wirtschaftsbereiche
in nationale Gemeineigentumsformen aus,
oder als erzwinge sie die Privatisierung bestehenden
Gemeineigentums,
öffentlicher Unternehmen und
von Einrichtungen der Daseinsvorsorge.
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dpa
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Die Verfassung kann zulassen, dass Kommission, Rat
und EU-Parlament Leitlinien für eine nachhaltige wirtschaftliche
und soziale Entwicklung der Union erarbeiten.
Die Organe der Gemeinschaft werden verpflichtet,
ein Währungssystem anzustreben, welches das
außenwirtschaftliche
Gleichgewicht der Union stützt
und Spekulation gegen Währungen weitgehend ausschließt.
Die Öffnung der Außengrenzen der Union für
Waren, Dienstleistungen, Geld- und Kapitalströme muss
auch Mindeststandards der Besteuerung, des sozialen
Schutzes der Bürgerinnen und Bürger sowie des
Schutzes der Umwelt in Drittländern dienen.
Die Verfassung muss die Gemeinschaft auf ein
Wettbewerbsrecht und eine Steuerpolitik verpflichten,
die Mindeststandards im EU-Binnenmarkt schützen.
Fairer Wettbewerb zwischen Unternehmen im EU-Binnenmarkt
für Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital
sowie die Niederlassung im EU-Binnenmarkt bedürfen
verfassungsrechtlicher Verpflichtungen zu steuerlicher,
sozialer und ökologischer Absicherung, wenn sie dauerhaft
zur Steigerung von Wohlstand und Wohlfahrt in den Staaten
der Union beitragen sollen. Dumping führt zur Zerstörung,
Verdrängung und Verlagerung von Unternehmen und
Arbeitsplätzen bei Absenkung der Lohnniveaus, der
Umweltstandards und des sozialstaatlichen Niveaus in der
Gemeinschaft und in den Mitgliedsländern insgesamt.
Die Linke will die Europäische Union als einen Raum
der Freiheit und des Rechts. Die Verfassung muss
Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
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in allen Mitgliedsstaaten gewährleisten. Die Linke will
Bewegungsfreiheit ohne Grenzkontrollen und gleichen
Rechtsschutz für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger.
Zugleich ist dieser Raum offen für Asylsuchende, Menschen
in Not und für näher zu bestimmende Immigration.
Zur
Stärkung der demokratischen Kultur in der Union wird ein
dreistufiges Verfahren der Volksgesetzgebung
mit Bürgerinitiative,
Bürgerbegehren und Volksentscheid entwickelt,
das überwindliche Hürden enthält.
Die Linke will den zivilen Charakter der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik der Union festschreiben.
Die Union soll für die Demokratisierung und Stärkung
der Vereinten Nationen eintreten und deren Charta
achten. Sie wirkt mit den Vereinten Nationen und ihren
Spezial- und Regionalorganisationen bei der Sicherung
des Friedens und der Förderung nachhaltiger Entwicklung
und einer gerechten Weltwirtschaftsordnung zusammen.
Allgemein verbindliches Völkerrecht genießt Vorrang
vor EU-Recht. Angriffskriege werden in Übereinstimmung
mit dem Völkerrecht für verfassungswidrig, verbrecherisch
und strafbar erklärt.
Die Linke will eine EU, die ihre Ziele mit friedlichen und
zivilen Mitteln verfolgt. Dazu wird ein ziviler Europäischer
Friedensdienst aufgebaut. Der Aufbau eigener europäischer
Streitkräfte kann solange nicht einmal erwogen
werden, wie nationale Streitkräfte nicht zeitgleich
abgeschafft
werden, die europäischen Streitkräfte nicht
ausschließlich der Selbstverteidigung dienen und einem
strikten Aggressionsverbot unterliegen.
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Die Union fördert die Abrüstung von konventionellen
und Massenvernichtungswaffen in den Mitgliedsstaaten
im Rahmen der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit
in Europa und auf globaler Ebene unter
wirksamer Kontrolle. Zur Verfolgung dieser Ziele wird die
Europäische Verteidigungsagentur in eine Europäische
Agentur für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Konversion
umgewandelt, zu deren Zielen auch der Abbau nationaler
Streitkräfte gehört. Die Aufgaben werden durch den
Europäischen Rat und das Europäische Parlament
bestimmt. Die Mitgliedstaaten, die Atomwaffen besitzen,
unternehmen besonders wirksame Schritte zur atomaren
Abrüstung und zu deren Kontrolle.
Aktionen und Missionen der EU auf dem Gebiet der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind ziviler
Natur, darunter Maßnahmen der Konfliktvorbeugung und
Friedensbewahrung, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze,
sowie Maßnahmen zur Hilfe nach Konflikten,
die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
beschlossen werden.
Das Recht einzelner oder mehrerer Mitgliedsstaaten der
Union auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung
nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen im Falle
eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebietes eines
Mitgliedsstaates, entsprechende Bündnisverpflichtungen
und der neutrale Status von Mitgliedsstaaten bleiben
unberührt.
Beschlüsse des Europäischen Rates und des Ministerrates
zu Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheits- und
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Verteidigungspolitik werden einstimmig gefasst und
bedürfen der Zustimmung des Europäischen Parlaments.
Die Linke will eine Europäische Union mit den Kompetenzen,
die zur Erreichung ihrer Ziele zwingend notwendig
sind und die ihr ausdrücklich von den Mitgliedsstaaten
übertragen wurden. Der Vorrang der Zuständigkeit der
Mitgliedsstaaten und der nationalen Parlamente muss
in der Verfassung verankert werden. Die Verfassung muss
die Verantwortlichkeiten von Mitgliedsstaaten und Union
eindeutig und stringent regeln, um der schleichenden
technokratisch initiierten Kompetenzverlagerung zur
EU-Kommission entgegenzuwirken. Subsidiarität wird
prinzipiell gesichert.
Die Linke will ein demokratisches Europa. Sie will kein
Europa der Kommissionen und Kabinette, der Technokraten.
Die Rechte des Europäischen Parlaments gegenüber
den anderen Organen der EU bei der Gesetzgebung
und bei anderen Entscheidungsverfahren sind auszubauen.
Das Parlament und der Rat müssen neben der
Kommission das Recht zur Gesetzesinitiative erhalten.
Das Mitspracherecht des Parlaments muss alle Bereiche
der Tätigkeit der Union umfassen.
Das Europäische Parlament soll zukünftig nach einem
EU-weit einheitlichen Gesetz nach dem Verhältniswahlrecht
gewählt werden. Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger
mit ständigem Wohnsitz in der EU sind wahlberechtigt.
Das Beschlussverfahren im Europäischen Rat und im
Ministerrat muss die Integration auf gleichberechtigter,
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demokratischer und solidarischer Grundlage befördern.
Im Europäischen Rat gilt das Konsensprinzip. Der Ministerrat
muss Konsensbeschlüsse anstreben. Qualifizierte
Mehrheit wird neu definiert: Sie muss selbstverständlich
die Bevölkerungszahl beachten, nicht überbetonen und
durch ausgewogene Regelungen Minoritäten schützen.
Fälle, in denen mit qualifizierter Mehrheit entschieden
wird, sind verfassungsrechtlich zu begrenzen.
Eine Vermehrung dieser Fälle muss strengen Kriterien
unterliegen.
Die Linke will, dass der alternative Verfassungsvertrag
demokratisch, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts
der Völker und der souveränen Gleichheit der
Staaten zustande kommt. Unterschiedliche Wege führen
zum Ziel. Es kann die Bildung einer verfassungsgebenden
Versammlung erwogen werden, die aus zwei Kammern
besteht. Das 2009 zu wählende Europäische Parlament
könnte sich als erste Kammer konstituieren. Die Zweite
Kammer bestünde aus Vertretern der Regierungen
und der Parlamente der Mitgliedstaaten nach dem
Prinzip der Gleichheit der Staaten. Der Verfassungstext
wird unter breiter Teilnahme der Öffentlichkeit ausgearbeitet
und allen Bürgerinnen und Bürgern vorgelegt.
Es findet in allen Mitgliedstaaten am selben Tag und
nach denselben Regeln eine Volksabstimmung
über den Text statt.
Das Verfahren der Verfassungsgebung und der Verfassungsannahme
muss angepasst werden, wenn nicht alle
Mitgliedsstaaten an der Verfassungsgebung teilnehmen
oder die Verfassung nicht innerhalb eines Jahres ratifizieren.
Eine demokratische, freiheitliche, soziale und Frieden
sichernde Union soll dann nicht an wenigen Einzelgängern
scheitern.
Die Linke will ein Europa, das die Menschen ermutigt,
sie will keine Union, die sie ängstigt und den politischen
und wirtschaftlichen Interessen mächtiger, global
agierender Minderheiten ausliefert.
Die Bausteine der Linken für die Verfassung helfen,
die Bürgerinnen und Bürger in Europa wieder zu gewinnen
für eine Europäische Union mit unverwechselbarem
Gesicht, fest verankert in den Werten der Demokratie,
der Freiheit, des Rechts und der Solidarität.
»Das haben wir nun in vielen Verfassungen,
das dort schöne Worte stehen, die leider nicht
mit Leben erfüllt sind. Wenn wir die Praxis der EU
nehmen und uns dann die Artikel im vorliegenden
EU-Verfassungstext ins Gedächtnis rufen, in denen es
heißt, die EU sei eine offene Marktwirtschaft mit freiem
Wettbewerb, dann sind die edlen Worte im Vorspann der
Verfassung ad absurdum geführt. Für die Bürger ist das
ohnehin zweitrangig. Sie wollen wissen, ob es mit dem
Lohn- und Sozialdumping weitergeht oder nicht.«
Oskar Lafontaine
Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: 030/22 751170, Fax: 030/22 756 128
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
V.i.S.d.P. Ulrich Maurer, MdB
Parlamentarischer Geschäftsführer
Mehr Informationen zu unseren parlamentarischen
Initiativen finden Sie unter: www.linksfraktion.de
www.linksfraktion.de

NSU- Erst verbrennen Akten und dann Zeugen 

Von Wolf Wetzel
 

Erst verbrennen Akten, dann Zeugen

Wenn staatliche Stellen Täterwissen haben, vor dessen Offenlegung sich Behörden mehr fürchten als der NSU, muss man genau hinschauen. Wolf Wetzel hat das gemacht und stellt Fragen, die bisher niemand beantworten möchte.

Bis heute halten Ermittler und Staatsanwaltschaft daran fest, dass der Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn 2007 von den beiden toten NSU-Mitgliedern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt „ohne Mithilfe ortskundiger Dritter“ verübt wurde.

 

Das tun sie, obwohl kein einziger Beweis für deren direkte Tatbeteiligung vorgelegt werden kann. Fakt hingegen ist, dass die Spuren und Hinweise, die es zuhauf gibt, zu anderen/weiteren neonazistischen Tätern führen.

Warum wird seit sechs Jahren diesen Spuren nicht gefolgt? Will man Täter schützen, die noch leben? Muss man sie schützen, weil diese Täter Verbindungen zu staatlichen Behörden bloßlegen, die unter allen Umständen geheim gehalten werden müssen?

Auf welche Gratwanderung begeben sich Ermittlungsbehörden, wenn staatliche Stellen Täterwissen haben, vor dessen Offenlegung sich staatliche Behörden mehr fürchten als der NSU?

Und welche institutionellen Spannungen nimmt man in Kauf, wenn die Aufklärung des Mordanschlages auf Polizisten zum Schutz ›höherer Interessen‹ verhindert wird?

Erst verbrennen Akten, dann Zeugen


Am 16. September 2013 leiht sich Florian Heilig das Auto seines Vaters. Er hat einen Termin um 17 Uhr beim Landeskriminalamt in Stuttgart. Dort soll er weitere Aussagen zum Mordfall Heilbronn machen. Er wohnt im Landkreis Heilbronn und fährt über die Autobahn nach Stuttgart. Er legt ca. 50 Kilometer zurück, ist fast am Ziel, in Stuttgart-Cannstatt. Anstatt die eineinhalb Kilometer zum LKA in der Taubenstraße 85 zu fahren, hält er auf dem Cannstatter Wasen an, „auf der Zufahrt zum dortigen Campingplatz – einem Ort, an dem sich die der Zwickauer Terrorzelle zugerechneten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aufgehalten hatten.“ (Kontext/Thomas Moser vom25.09.2013).


Florian Heilig verbrennt im Auto. Der Zeuge ist tot.Dort parkt er sein Auto. Wohin er geht, ist bislang unbekannt. Ebenso unklar ist, wie lange die Unterbrechung dauerte. Florian Heilig kehrt zurück zu seinem Auto. Zeugen zufolge kam es zu einer Explosion, „kurz nachdem der Mann nahe dem Cannstatter Wasen in Stuttgart in sein Auto eingestiegen war. Erst danach habe das Fahrzeug Feuer gefangen und sei ausgebrannt, sagen diese Zeugen.“ (Berliner Zeitung vom 1.10.2013)

Die BILD-Zeitung veröffentlichte ein Tatortbild: Auf diesem sieht man Umrisse einer Gestalt, nach hinten gebeugt, fast überstreckt. Der Körper ist eng an die Rückenlehne des Fahrersitzes gepresst. Eine Körperhaltung, die ein Toter einnimmt, wenn er von Gurten gehalten wird. Ob diese Annahme berechtigt ist, ist leicht zu überprüfen: Nicht nur der Fotograf, auch Feuerwehr und Polizei sind in Besitz zahlreicher Tatortfotos, die auch den Augenblick festhalten, als das Brandauto von der Feuerwehr gelöscht worden war.

Nach Angaben von Thomas Ulmer, Pressesprecher der Stuttgarter Polizei, fanden die Ermittler einen geschmolzenen Plastikbehälter. „Der Brandschutt wird auf Rückstände von Brandbeschleuniger untersucht“, sagt Ulmer. Das Ergebnis der Untersuchung stehe noch aus.

So langwierig eine Spurensuche und vor allem eine Spurenauswertung auch – normalerweise – ist: Der Pressesprecher im Innenministerium Rüdiger Felber hat schon das Ergebnis: „Wie bei jedem anderen Suizid wurde auch hier gewissenhaft geprüft, ob eine Fremdeinwirkung vorliegen könnte. Das ist eindeutig zu verneinen.“

Auch das Motiv ist schnell erkannt: Florian H. habe „wegen Beziehungsproblemen“ Selbstmord begangen.

Im Rahmen dieser Recherche bat ich die Pressstelle der Polizei darum, Tatortfotos zur Verfügung zu stellen. Das wurde aus „datenschutzrechtlichen Gründen“ abgelehnt.

Zugleich bat ich darum, die Behauptung zu belegen, dass Florian H. „Beziehungsprobleme“ hatte, die ihn in den Selbstmord getrieben haben sollen. Alle Anfragen und Fragen blieben bis heute unbeantwortet.

Auch die Feuerwehr Stuttgart bat ich darum, Fotos zuzusenden, die das Auto nach dem Löschen des Brandes zeigen, mit der Bitte, mir mitzuteilen, in welcher Lage sie den Toten vorfanden, bevor sie aus dem Auto herausgenommen wurde. Die Feuerwehr verwies auf die Polizei.

Damit schließt sich der Kreis des Schweigens.

Sind das nicht genug Gründe, an der Selbstmordthese zu zweifeln? Ist es nicht Aufgabe von Ermittlungsbehörden, gegenüber Behörden misstrauisch zu sein, die jahrelang und fortgesetzt Beweismittel unterschlagen und vernichtet, Falschaussagen gemacht haben und Spuren für irrelevant erklärt hatten, die heißer nicht sein konnten (wie die 1998 gefundene Garagenliste in Jena z.B.)?

Man muss kein Tatort-Fan sein, um über zahlreiche Ungereimtheiten zu stolpern, denen erst nachgegangen werden müsste, bevor man ein Ermittlungsergebnis festschreibt.

Warum handelt Florian Heilig erst genau wie ein Zeuge, der zu einem Vorladungstermin erscheinen will, um im letzten Moment aus Liebeskummer Selbstmord zu begehen?

Welchen Grund hatte die Unterbrechung auf dem Cannstatter Wasen?

Warum hält er direkt vor dem Campingplatz, wo auch NSU-Mitglieder 2007 ihren Campingwagen abgestellt hatten?

Was hat die Auswertung der Handydaten von Florian Heilig ergeben? Wen hat er angerufen, mit wem hatte er Kontakt?

Wenn die Zeugenaussagen zutreffen, dann liegt der Verdacht nahe, dass Florian Heilig nicht Selbstmord begangen hat, sondern Opfer eines (zwischenzeitlich) manipulierten Autos geworden ist. Wenn es stimmt, dass Florian Heilig angeschnallt war, als sich die Explosion ereignete, dann wollte Florian Heilig nicht sterben, sondern seine Fahrt fortsetzen.

Bis heute haben weder Polizei noch Staatsanwaltschaft einen einzigen Beleg für das ins Feld geführte Selbstmordmotiv vorgelegt. Ein sehr massives Indiz dafür, dass das Selbstmordmotiv erfunden ist, liefert die Mutter von Florian Heilig. Sie kommentierte dem Kontext-Beitrag ›Ungeklärter Todesfall‹ vom 25.9.2013 wie folgt:

Legislative, Judikative, Exekutive, ausführende Gewaltteilung des Staates, dies habe ich mehrmals in der Schule und in all meinen Weiterbildungen gelernt. Inzwischen haben diese Formen einen sehr negativen Beigeschmack. Florian war ein sehr lebenslustiger und kritischer Mensch. Er hatte so viele Träume Wünsche und Ziele. Wer ihn gekannt hat, geht nicht von einem Suizid aus.“ (Heike Heilig, 06.10.2013 14:29)

Wenn staatliche Stellen Täterwissen haben, vor dessen Offenlegung sich Behörden mehr fürchten als der NSU, muss man genau hinschauen. Wolf Wetzel hat das gemacht und stellt Fragen, die bisher niemand beantworten möchte.

 
Der erste Satz klingt merkwürdig abstrakt. Vielleicht wollte sie damit andeuten, dass sich ihr Sohn im Ausstiegsprogramm ›Big Rex‹ für Rechtsextreme befand, etwas, was sie so nicht sagen wollte oder durfte. Dass genau dies der Fall war, bestätigte jetzt auch das Innenministerium. Damit machte sich Florian Heilig viele Feinde: nicht nur unter Neonazis, sondern auch in Kreisen von „Legislative, Judikative, Exekutive“, die an der Legende vom Zwickauer Terrortrio genauso festhalten, wie an der Behauptung, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Schützen in Heilbronn waren.
 

Dank der Südwest Presse vom 15.10.2013 wissen wir noch mehr: Die Aussagen, die Florian Heilig im Rahmen seiner Vernehmung machen wollte, drehten sich nicht ganz allgemein um „rechtsextremistische Strukturen“ in Baden-Württemberg, wie die Ermittlungsbehörden in ihrer Pressemitteilung suggerieren wollten:

Das ist nur die halbe Wahrheit, wie sich nun herausstellt. Die SÜDWEST PRESSE hatte Einsicht in geheime Dokumente der Sonderkommission ›Parkplatz‹, die nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter (2007) in Heilbronn eingerichtet wurde. Demnach vertraute sich Florian H. 2011 Mitschülern einer Krankenpflegeschule an: Er wisse, wer die Polizistin getötet hat.“

Ein Freund aus dem persönlichen Umfeld, der dabei half, dass Florian Heilig Kontakt zum Aussteigerprogramm ›Big Rex‹ für Neonazis bekam, offenbarte gegenüber der Südwest Presse auch das Gefühl, das ihn beschlich, als er vom ›Selbstmord‹ erfahren hatte:

„Mein erstes Gefühl sagte mir, jetzt haben sie ihn doch noch gekriegt.“ (Südwest Presse vom 15.10.2013)

Sicherlich gibt es Selbstmorde. Aber es gibt auch ›Selbstmorde‹, die sich vor allem jene herbeiwünschen, die berechtigte Angst vor dem haben, wofür sich die Lebenden entschieden hatten, nämlich Aussagen zu machen. Wie ein Uwe Barschel zum Beispiel, der öffentlich angekündigt hatte, umfänglich auszupacken und dann Selbstmord begangen hat oder Heinz Lembke, Neonazi und Gladio-Mitglied, der Aussagen zu dem neonazistischen Mordanschlag auf das Oktoberfest in München 1980 machen wollte und sich tags zuvor in der Zelle erhängte …

Obwohl weder Ort und Zeit, noch die erklärte Absicht des Opfers einen Selbstmord plausibel machen, ist das Ermittlungsergebnis der Polizei in Stein gemeißelt. Ein Ergebnis, das so schnell feststeht wie bei den vorangegangenen NSU-Morden, bei denen in atemberaubender Geschwindigkeit, also faktenfrei, ausgeschlossen wurde, dass es sich um neonazistische Mordanschläge handelte.

Florian Heilig ist ein Neonazi und den Ermittlungsbehörden seit Langem bekannt. Bereits im Januar 2012 hat er Aussagen gemacht. In dieser Vernehmung gab er an, dass es neben dem NSU noch eine weitere neonazistische Terrorgruppe gibt. Ihr Name: ›Neoschutzstaffel‹ (NSS): „Diese NSS sei von H. als ›zweite radikalste Gruppe‹ neben dem NSU bezeichnet worden. Den Aussagen des Zeugen zufolge hätten sich auch Aktivisten beider Gruppierungen einmal in Öhringen, etwa 25 Kilometer östlich von Heilbronn gelegen, getroffen.“ (s.o.)

Dass diese Verbindungen nicht aus der Luft gegriffen sind, belegt auch eine sichergestellte SMS auf dem Handy von Beate Zschäpe: „Im Oktober 2011 erhielt Zschäpe eine SMS von einem Handy, das in Stuttgart zugelassen war. Ein Mitläufer der rechten Szene soll ein gemeinsames Treffen von NSU und einer Gruppierung namens ›Neoschutzstaffel‹ (NSS) in Öhringen erwähnt haben.“ (Moser/Kontext vom 28.8.2013)

Die Ermittlungsbehörden wollen diese Aussagen als zu vage und nicht verifizierbar eingeordnet haben. Wenn man weiß, dass dieselben Ermittlungsbehörden dreizehn Jahre zahlreiche Spuren für wertlos und irrelevant erklärten, weil sie ihre ›Aufklärung‹ störten, kann und muss man auch in diesem Fall von einer gewollten Irreführung ausgehen.

Selbstverständlich wissen die Ermittler heute mehr denn je: Würde ein Zeuge, ein nicht mehr aus der Welt zu schaffender Beweis belegen, dass der NSU noch nie aus drei Mitgliedern bestand, dass der Mordanschlag auf die Polizisten in Heilbronn von weiteren Neonazis begangen wurde, würde nicht nur die Fiktion vom ›Zwickauer Terrortrio‹ in sich zusammenstürzen, sondern auch die Anklage im Münchner NSU-Prozess.

Die Angst vor den wahren Tätern des Mordanschlages in Heilbronn 2007
Wie bereits erwähnt, weist kein einziges Indiz auf eine direkte Beteiligung von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hin. Das wissen alle beteiligten Behörden. Will man diese Irreführung durchsetzen, müssen alle anderen Indizien, die zu anderen, weiteren neonazistischen Tätern führen, beseitigt bzw. entwertet werden.

Zweifelsfrei kann man diese Strategie am Beispiel der zahlreichen Phantombilder nachweisen, die mithilfe des schwer verletzten Polizisten Martin Arnold und anderer Zeugen erstellt wurden.

Kein einziges Phantombild ähnelt den bekannten NSU-Mitgliedern. Das ist kein Geheimnis. Schlimm, um nicht zu sagen suizidal wäre es jedoch, wenn man mit diesen Phantombildern nach den wahren Tätern fahnden würde. Genau dies wurde von der Staatsanwaltschaft unterbunden. Warum?

Niemand verzichtet ohne Not auf Hilfsmittel, die einen Mordanschlag aufklären können – schon gar nicht, wenn es um Polizisten geht. Wenn man davon vorsätzlich keinen Gebrauch macht, weiß man um das Ergebnis. Und genau dies ist im Fall der Phantombilder geschehen.

In Heilbronn, rund um die Theresienwiese gab es nicht nur das besagte Polizeiauto, x-Täter und eine Anzahl von ZeugInnen. Trotz vorsätzlicher Falschaussagen des Innenministeriums, zu Tatzeit wären keine V-Leute in Tatortnähe gewesen, ist der Stand heute ein ganz anderer:

Offenbar wimmelte es am Mordtag nur so von V-Leuten in Heilbronn. Insgesamt haben sich mindestens fünf Informanten von Polizei und Verfassungsschutz sowie mindestens ein LfV-Führer um den bis heute ungeklärten Mordfall herum bewegt.“ (Moser/Kontext vom 25.9.2013/Ausgabe 130)

„Ein Zeuge, der kurz nach den Schüssen auf die zwei Beamten in Heilbronn einen blutverschmierten Mann gesehen hat, war ein V-Mann der Polizeidirektion Heilbronn. (…) Der Zeuge hielt sich wenige Hundert Meter vom Tatort Theresienwiese auf. Er gab an, ein Mann sei direkt vor ihm in ein Auto mit laufendem Motor gesprungen. Der rechte Arm des Mannes soll voller Blutflecken gewesen sein. Auch auf seinem T-Shirt soll vorne rechts Blut zu sehen gewesen sein. Der Fahrer des Autos soll ›dawei, dawei‹ gerufen haben (Russisch für ›schnell, schnell‹). Das Auto sei mit quietschenden Reifen davongefahren. Der Zeuge meldete sich am selben Tag bei der Polizei. Die erstellte zwei Tage später ein Phantombild. Es ist Bild 9 der insgesamt 14 Fahndungsbilder, die Kontext in der Ausgabe 120 Mitte Juli 2013 veröffentlichte.“ (s.o.)

Der V-Mann der Polizei wird als ›V-Person 1749‹ geführt.

„Neben VP 1749 gab es zwei weitere V-Personen der Heilbronner Polizei, die zeitlich und räumlich in der Nähe des Tatorts gewesen sein müssen. (…) Aus dem Umfeld des baden-württembergischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) erfährt Kontext, dass eines der Phantombilder einem früheren Informanten verblüffend ähnlich sehe. Es ist das Phantombild Nummer 8. Es zeigt einen Mann, der etwa eine Stunde vor dem Anschlag zusammen mit drei anderen Männern am Rand des Festplatzes Theresienwiese im Gras saß. Das Innenministerium will Fragen dazu nicht beantworten. Einsätze einzelner Vertrauenspersonen würden ›grundsätzlich weder bestätigt noch dementiert‹ werden.“ (s.o.)

Das Phantombild Nr. 8 dürfte der Polizei bzw. dem Verfassungsschutz also alles andere als unbekannt vorkommen, zum einen als polizeibekannter führender Neonazi, zum anderen als V-Mann: Es ähnelt in hohem Maße Alexander Neidlein.

Eine weitere vertrauenswürdige Quelle hat zudem Informationen darüber, dass es eine „Anbindung an den BND/Bundesnachrichtendienst“ gab/gibt.

Alexander Neidlein stammt aus Crailsheim. In den 90er Jahren war er Söldner der faschistischen kroatischen HOS Miliz in Bosnien. Nach diesem Aufenthalt hatte er enge Kontakte zu führenden KKK Mitgliedern in Südafrika. Wegen zweifachen Mordversuchs an südafrikanische Polizeibeamte saß er in Auslieferungshaft. Ein für Geheimdienste idealer Zeitpunkt, einen Faschisten anzuwerben. Von 1998 bis 2000 war er ›Stützpunktleiter‹ der Jungen Nationaldemokraten/JN im baden-württembergischen Schwäbisch Hall/Ostalb. 2003 wurde er zum Landesvorsitzenden der JN, 2004 zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der JN gewählt … kurzum eine neonazistische Bilderbuchkarriere.

Ob sich das Phantombild Nr. 8 mit dem heutigen NPD-Funktionär Alexander Neidlein deckt, ob sich dieser Neonazis mit drei weiteren Kameraden am Mordtag auf der Theresienwiese aufgehalten hat, ob das Ganze mit einer V-Mann-Tätigkeit einherging, werden am aller wenigsten die Ermittlungstätigkeiten der zuständigen Behörden ergeben.

http://www.migazin.de/2013/10/21/nsu-erst-akten-zeugen/2/

http://internetz-zeitung.eu/index.php/blog/item/1409-inside-job-vs-spitzel-andreas-t-war-oft-in-der-n%C3%A4he-der-nsu-attentats-orte

 

Gregor Gysi will Fracking grundsätzlich verbieten - Kommentar des Tages 

Ensprechend äussert sich der Fraktionschef der Linksfraktion heute auf Facebook: 

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht vor, Fracking in Deutschland weiter erforschen zu lassen. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks schließt "wissenschaftlich fundierte Probebohrungen" nicht aus. Beim Fracking wird eine mit giftigen Chemikalien versetzte Flüssigkeit unter hohem Druck in die Tiefe gepumpt, um das gastragende Gestein aufzubrechen. In den USA wird Fracking seit 2005 großflächig eingesetzt und verursachte seitdem zahlreiche Unfälle wie Trinkwasservergiftungen, Explosionen und Erdstöße. Fracking ist mit unverantwortlichen Risiken für Bevölkerung und Umwelt, insbesondere für das Trinkwasser, verbunden. Fracking in Deutschland muss gesetzlich verboten werden. Die Erschließung neuer Energieressourcen muss alle Technologien kategorisch ausschließen, die Menschen und Umwelt Schaden zufügen können. Anstatt erforschen zu lassen, wie giftige Chemikalien ins Erdreich gepumpt werden, sollte die Bundesregierung schleunigst die sichere Endlagerung des Atommülls regeln.

 

 

 
Ralph T. Niemeyer kandidiert für das Europaparlament 
 
Presseerklärung
 
des Kandidaten für die Liste der Partei DIE LINKE zur Europawahl 2014 Ralph Niemeyer
 
Der ehemalige Bundestagskandidat der Partei DIE LINKE im Wahlkreis 26 (Friesland, Wilhelmshaven, Wittmund), der Dokumentarfilmer Ralph Niemeyer hat sich für die Liste der Europawahl von den Bürgerrechtsgruppen „Occupy Deutsche Bank“ (Frankfurt am Main) und „Grundgesetzschutz“ (Berlin) vorschlagen lassen.
 
 
Weitere außerparteiliche Unterstützer sind unter anderem Ralph Boes (anti Hartz IV-Aktivist), Inge Hannemann („Job-Center-Rebellin“), Annette Ludwig (Blockupy Aktivistin, Frankfurt), Anna Seliger (LiLaLu, München) und Michael Haferkorn (StopWatchingUs! – Aktivist, Berlin). Niemeyer gehörte bei der Bundestagswahl 2013 zu den Direktkandidaten, die im Westen die 5% - Hürde überwunden hatten.
 
 
Mit 5.1% der Erst- und 5.0% der Zweitstimmen war das Ergebnis im Wahlkreis 26 das fünfbeste für DIE LINKE in Niedersachsen und lag bundesweit im oberen Drittel der Ergebnisse der Partei.
 
Niemeyer erklärte am 31. Januar 2014: „Wir sind EU-kritisch aber Europa-freundlich, denn gerade die Entsendung von Professor Hartz als Berater von Präsident Hollande für die französischen ‚Arbeitsmarktreformen‘ zeigt doch ebenso wie die bevorstehenden Eurocorps-Einsätze in Rohstoffkriegen, daß eine Rückkehr zu nationalstaatlicher Politik Augenwischerei ist.
 
Gegen europaweit agierende Lobbyisten kommen wir nur gemeinsam an.
 
Wir LINKE verteidigen das Grundgesetz und werden den außerparlamentarischen Widerstand intensivieren, insbesondere nachdem die EU Kommission die in Hamburg in Form eines ‚Gefahrengebietes‘ erprobte Verhängung des Notstandes zur Strategie für den ‚Kampf gegen Linksradikalismus‘ als EU-Richtlinie vorgeschlagen hat.
 
Und natürlich werden wir weiterhin parlamentarisch gegen jede Bankenrettungsmaßnahme und Austeritätspolitik Front machen, weil diese die Reichen reicher und die Armen ärmer macht.
 
Die Internationale Solidarität für die wir eintreten ist die für die Menschen und nicht wie die von Bundesregierung und EU Kommission verordnete Förderung der Finanzmafia und deren Schattenbankensystem, welches die Privatisierung der letzten Filetstücke der öffentlichen Daseinsvorsorge erpresst.“
 
Hier der vollständige Bewerbungstext:
 
http://www.ralph-niemeyer-fuer-ein-rotes-land.de/files/downloads/Bewerbung%20zur%20Wahl%20des%20Europaeischen%20Parlamentes%202014%20Ralph%20Niemeyer.pdf
 
http://norbertwiersbin.de/ralph-t-niemeyer-wir-mussen-fur-ein-soziales-europa-kampfen/
 
Desweiteren wird im Europawahlkampf die folgenden Filmbeiträge zur Aufklärung über die Hintergründe der Finanz- und Wirtschaftskrise bei Veranstaltungen eingesetzt:
 
http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/1835.eu-phemismen.html
 
http://www.youtube.com/watch?v=fkangm0QXuk&feature=youtu.be
 
Zu den im Bundestagswahlkampf von der Springer-Presse erhobenen Vorwürfe sagt Niemeyer:
 
„Ich habe soeben die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Oldenburg erhalten. Alle Vorwürfe wurden über ein halbes Jahr lang geprüft und sind nun vom Tisch. In der Schweiz wurde ich rechtsgültig ohne wenn und aber freigesprochen. Die Hetzkampagne gegen mich kurz vor der Bundestagswahl sollte das Ergebnis verfälschen und ist, da sich alle Anschuldigungen als falsch herausgestellt haben, als Anschlag auf die demokratische Willensbildung der Wählerinnen und Wähler zu sehen. Ich frage mich, was in diesem Land los ist, daß Leute wie Professor Hartz Karriere als Präsidentenberater machen können oder Uli Hoeneß von den Medien in einer Weise behandelt wird, daß sich bei der Bevölkerung im kollektiven Bewußtsein eine Art Opfer-Nimbus festsetzt, zugleich aber freie Journalisten, die undercover gegen Finanzmafia und korrupte Politikstrukturen recherchieren immer wieder mit Dreck beworfen werden können, der bei genauem Hinsehen keiner strafrechtlichen Überprüfung standhält. Regimekritiker werden in Diktaturen als politische Gefangene weggesperrt, bei uns in der freiheitlichen Demokratie gibt es aber auch die ‚Mollathisierung‘ und Falschbeschuldigung wie ja auch Julian Assange erfahren mußte.“
 
http://www.spiegelfechter.com/wordpress/127855/anti-linke-kampagne-das-welt-investigativteam-buddelt-im-matsch
Hier der Freispruch aus der Schweiz. Er wurde vor dem Obergericht des Kantons Zürich am 04. November 2013 rechtgültig und somit unwiderruflich:
 
http://www.ralph-niemeyer-fuer-ein-rotes-land.de/files/downloads/Freispruch.pdf
 
hier der Einstellungsbescheid aus Oldenburg, es ist ein "kleiner" Freispruch, die bestmögliche Einstellungsform. http://www.ralph-niemeyer-fuer-ein-rotes-land.de/files/downloads/Staatsanwaltschaft%20Oldenburg.pdf
 
http://www.ralph-niemeyer-fuer-ein-rotes-land.de/files/downloads/Landgericht_Hamburg.pdf
 
http://www.ralph-niemeyer-fuer-ein-rotes-land.de/files/downloads/persoenliche-erklaerung.pdf
 
Biographisches:
http://www.ralph-niemeyer-fuer-ein-rotes-land.de/files/downloads/Biographisches.pdf
 
Für Rückfragen bitte und Interviewanfragen bitte eine kurze eMail – Nachricht senden an:
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Die EU - militaristisch, neoliberal, undemokratisch

 

DIE LINKE vor dem Europa-Parteitag

Lucy Redler 


Beim Europa-Parteitag der LINKEN am 15./16. Februar sollen Programm und Kandidatenliste für den Europa-Wahlkampf beschlossen werden. Im Vorfeld des Parteitags beschäftigt die Partei die von Fraktionschef Gregor Gysi aufgeworfene Frage, ob die im Programmentwurf des Parteivorstands getroffene Feststellung, die EU sei militaristisch, weithin undemokratisch und neoliberal, aufrechterhalten werden soll. Hinter der Auseinandersetzung steht der Versuch der „Reformer“ um Gregor Gysi und Stefan Liebich, die Partei fit für Regierungsbündnisse mit SPD und Grünen zu machen.

Bei dem SPD-Parteitag in Leipzigim November vergangenen Jahres wurden Bedingungen für ein mögliches Bündnis mit der LINKEN in Zukunft beschlossen. Aufgezählt wurde unter anderem eine „verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik“ durch DIE LINKE. DIE LINKE, so die SPD, müsse zudem Abschied nehmen von ihren massiven Vorbehalten gegen die NATO.


Die Reaktion von Gysi kam prompt: Die EU-kritischen Positionen müssten geschliffen und die bisherige Forderung der LINKEN nach einem Austritt Deutschlandsaus den militärischen Strukturen der NATO gestrichen werden. Ähnliche Angriffe gibt es derzeit von denselben Kräften auf die klare Antikriegsposition der Partei. So ließ Liebich vor Kurzem verlautbaren, er könne sich Militäreinsätze nach Kapitel VII der UN-Charta vorstellen.

Die EU und ihr Charakter

Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion zu betrachten, ob die EU neoliberal, undemokratisch und militaristisch sei. Dass die Politik der EU, die gerade in Südeuropa Lohndumping, Privatisierung und Sparpakete vorantreibt, neoliberal ist, kann niemand bezweifeln. Und selbst wenn aufgrund einer drohenden Deflation die Wirtschaftspolitik in Zukunft leicht geändert werden sollte, wird auch diese Politik primär im Interesse des Kapitals sein.

Dass sie undemokratisch ist, wird allein dadurch deutlich, dass das Europäische Parlament weder eigene Gesetzesentwürfe beschließen darf noch wirklichen Einfluss auf die Politik der nicht gewählten EU-Kommission hat. Nicht vergessen werden sollte die Auseinandersetzung um den Versuch des damaligen griechischen Präsidenten Georgios Papandreou im Jahr 2011, ein Referendum über das Euro-“Rettungspaket“ abzuhalten. Er wurde von den EU-Chefs genötigt, die Abstimmung des griechischen Volks wieder abzusagen. So dreht sich die fast akademische anmutende Debatte in der LINKEN vor allem um die Charakterisierung der EU als „militaristisch“. Die Parteilinke sollte den Inhalt der Aussage verteidigen.

An alle, die es vergessen haben oder es vergessen wollen: Der Lissabon-Vertrag enthält ein Aufrüstungsgebot. Bei einem der letzten EU-Gipfel wurde über eine bessere Rüstungskooperation und höhere Rüstungsausgaben verhandelt. Ende Januar beschlossen die EU-Außenminister einen militärischen Einsatz in Zentralafrika. Im Programmentwurf wird zu Recht ausgeführt:„Mit 'zivil-militärischer Kooperation' und 'vernetzter Sicherheit' wird die Militarisierung der Außenpolitik nur verschleiert.“ Die für viele Menschen unverständlichen Abkürzungen GASP, GSVP und Frontex stehen für Militarisierung und Abschottung der EU durch polizeiliche Maßnahmen. Nach dem grausamen Tod von mehr als 300 Flüchtlingen vor der Küste Lampedusas im Oktober 2013 war die Reaktion der EU nicht etwa, die Kriterien zur Aufnahme von Flüchtlingen zu lockern, sondern diese zu verschärfen! Mit dem Beschluss des Eurosur-Programms wurde die Abschottung der Grenzen Europas durch Hightech-Überwachung optimiert.

Die Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping haben nun verlauten lassen, dass der Parteitag die Passagen aus der Präambel streichen sollte. Das sollte von der Parteilinken deutlich zurück gewiesen werden.

Geschichte der EU

 

Aber warum betreiben die Regierenden innerhalb der EU heute eine neoliberale, undemokratische, militaristische Politik? Sind sie einfach schlechte Politiker? Oder hat es etwas mit dem Charakter der EU zu tun?

Oftmals wird in deutschen Schulen und Universitäten das Märchen verbreitet, die EU sei gegründet worden, um Frieden nach Europa zu bringen. Die Realität sieht anders aus: Die Gründung der Vorläufer der EU trugen nicht etwa den Namen „Europäische Friedensgemeinschaft“, sondern „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS), „Europäische Atomgemeinschaft“ (EURATOM) und „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG).

Und dies war und ist Programm. Seit der Gründung der EWG im Jahr 1957 steht diese Art der„europäischen Einigung“ im Interesse der Erhöhung der Profite der europäischen Kapitalistenklassen. Einerseits sollten durch die Schaffung eines europäischen Binnenmarkts die europäischen Staaten gegenüber den Konkurrenten in USA und Asien gestärkt, andererseits die dominante Stellung der deutschen und französischen Herrschenden innerhalb Europas gesichert und ausgebaut werden (und gleichzeitig versuchte Frankreich die Rolle Deutschlands zu beschränken). In diesem Interesse kam es zur EU-Osterweiterung, zur Einführung des Euro, zur Bildung einer EU-Interventionsarmee und der EU-Verfassung. Diese „europäische Einigung“ führte auch dazu, dass sich Regierungen einzelner Länder bei der Einführung von Sozialkürzungen unter dem Deckmantel der EU verstecken konnten. Aus all diesen Gründen ist die Abgabe von Souveränität von nationalen Parlamenten an die EU kein demokratischer Fortschritt im Interesse der europäischen Arbeiterklasse, sondern ein Rückfall. Wie soll die griechische Arbeitslose oder der französische Kleinbauer sich gegen EU-Richtlinien wehren? Die EU-Bürokratie: kaum erreichbar. Das EU-Parlament: noch nicht mal ein zahnloser Tiger, eher eine zahnlose Katze.

Rosa Luxemburg führte vor 100 Jahren aus, dass sich zwei Kapitalisten freiwillig nur zusammentun, um einem Dritten das Fell über die Ohren zu ziehen. Genau das geschah: Die EU ist ein Projekt europäischer Kapitalistenklassen unter Führung des deutschen und französischen Imperialismus.

Reform der EU?

 

Die Position der LINKEN muss sein, die EU abzulehnen und deutlich zu machen, dass ein Europa der arbeitenden und erwerbslosen Bevölkerung nicht gleich EU ist. Bernd Riexinger versucht einen Kompromiss zu finden und argumentiert dafür, die EU-Politik zu kritisieren und die EU zugleich als „positiven Gestaltungsspielraum“ zu betrachten. Dadurch werden Illusionen geschürt, die EU könne zu einer sozialen und friedlichen Institution im Interesse der Menschheit reformiert werden. Doch es ist kein Zufall, dass die EU undemokratisch und neoliberal und militaristisch ist. Es ist ihr Wesen.

Eine Ablehnung der EU von links hat nichts gemein mit der Position von Rechtspopulisten, die den Nationalstaat gegenüber der EU stärken wollen. Die Alternative zur EU ist nicht der bürgerliche Nationalstaat, sondern die Vereinigung von arbeitenden und erwerbslosen Menschen europaweit und die Bildung einer sozialistischen Staatengemeinschaft in Europa. DIE LINKE steht an der Seite der Beschäftigten, Erwerbslosen und RentnerInnen: in Deutschland, in Europa und weltweit. DIE LINKE sollte offensiv vertreten: Wir wollen ein Europa der Lohnabhängigen statt einer EU der Banken und Konzerne. Wir wollen ein Europa, in dem die Bedürfnisse von Millionen von Menschen und der Natur Gewicht haben und nicht eine EU im Interesse von Angela Merkel, Francois Hollande, Siemens und der Deutschen Bank.

Wir wollen ein Europa, in der Bevölkerungen nicht im Namen des Schuldenabbaus unterjocht werden. Ein demokratisches, friedliches, sozialistisches Europa kann nur von unten erwachsen und erkämpft werden durch gemeinsamen europaweiten Widerstand. Es kann nicht mit den EU-Verantwortlichen ausgehandelt, sondern nur gegen diese, ihre Verfassungen, ihre Interventionsarmee, ihre Lobbyorganisationen, ihre nationalen Armeen und ihr kapitalistisches System durchgesetzt werden.

Wenn Banken und Großkonzerne verstaatlicht, Schulden gestrichen, die EU-Verträge aufgelöst, gute Löhne für alle ermöglicht werden, die Wirtschaft auf demokratischer Planung statt kapitalistischen Chaos beruht, dann kann Europa zu einem Gestaltungsspielraum für Millionen Menschen werden. Nur durch einen positiven Bezug auf ein solches Europa und gegen diese EU kann DIE LINKE sich von dem neoliberalen Kartell von SPD, CDU/CSU und Grünen abheben und zugleich einem Erstarken von rechtspopulistischen Positionen wie der „Alternative für Deutschland“ (AfD) den Boden entziehen. Es ist zudem die beste Antwort darauf, den Regierungsambitionen mit SPD und Grünen von Mitgliedern der eigenen Partei in die Schranken zu verweisen.

Zuerst erschienen auf: sozialismus.info

http://www.antikapitalistische-linke.de/article/761.eu.html