Die Vielzahl der in den letzten zwanzig Jahren beschlossenen verfassungswidrigen Gesetze hat Zuwachs bekommen, und dieser wird sich wohl in die weit über hundert Gesetze einreihen, die vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert wurden.
Kaum ein anderes Gesetz verstieß bisher so massiv gegen Grundgesetz und die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen.
Grundgesetz
Artikel 3 (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Nach dem vorliegenden Mindestlohngesetz sind einzelne Gruppen vor dem Gesetz nicht gleich. Entgegen § 1 des Gesetzes, wonach der Mindestlohn jeder und jedem mindestens zu zahlen ist, gilt dies nicht für Langzeiterwerbslose (über 1 Jahr erwerbslos), unter 18-jährige ohne Berufsausbildung, Zeitungsausträger und Saisonarbeiter. Bis 2017 sind auch noch einzelne Branchen ausgenommen.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen
Artikel 23
1. Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende
Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.
2. Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Wird in Deutschland, wie leider auch in fast allen anderen Ländern der Welt, gegen Artikel 23 Punkt 1 verstoßen, indem es kein einklagbares Recht auf Arbeit gibt, so werden Menschen, denen dieses Menschenrecht vorenthalten wird, durch dieses Gesetz zusätzlich mit dem Verstoß gegen Artikel 23 Punkt 2 dafür bestraft, dass man ihnen Artikel 23 Punkt 1 vorenthält. Welch eine Perversion?
Es war in der heutigen Debatte im Bundestag nahezu unerträglich, wie sich die regierenden Parteien CDU/CSU und SPD gegenseitig stolz auf die Schultern klopften für diesen Verfassungsbruch. Leider stimmten auch die Grünen für diesen Schweizer Käse.
Wieder einmal stand DIE LINKE alleine im Bundestag mit ihrer Ablehnung eines Gesetzes, das die Gesellschaft spaltet wie kaum ein anderes, weil es eine soziale Schicht pauschal aus der Gesellschaft ausschließt. Ebenso alleine wie bei ihren vielfachen Gesetzesinitiativen der Vergangenheit zur Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns. Die SPD, die heute von einem historischen Erfolg schwadroniert, hat, obwohl in der Opposition, ohne Ausnahme gemeinsam mit den Regierungsparteien dagegen gestimmt. Selbst dann, als ein Antrag exakt einem Aufruf der SPD entsprach.
[Anmerkung: Der bisherige Teil des Artikels entstand bereits während der Bundestagsdebatte. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass DIE LINKE diese Diskriminierung einzelner Gruppen nicht einstimmig ablehnen würde. Leider hat sich die Fraktion jedoch lediglich enthalten. Ich habe diese Passage dennoch nicht geändert, weil ich hiermit verdeutlichen will, dass nur eine Ablehnung einer konsequenten Haltung der LINKEN entsprochen hätte. Um zu verdeutlichen, was diese Nichtablehnung bedeutet, sei ein Alternativszenario dargelegt: Die Regierung legt ein Mindestlohngesetz vor, wonach jede und jeder mindestens 12 Euro als Lohn erhalten muss, mit Ausnahme von Frauen. Hätte hier auch nur ein Abgeordneter der LINKEN nicht mit NEIN gestimmt, so wäre ein Sturm der Entrüstung über ihn hinweg gefegt und Rufe nach Parteiausschluss wären laut geworden. Gibt es eine qualitative Differenzierung bei Ungleichbehandlung und Ausgrenzung einzelner Gruppen in unserer Gesellschaft? Oder hatte ich Recht mit meiner vorsichtig kritischen Einschätzung zur Entwicklung der Partei gegenüber ihrer Haltung zu Erwerbslosen?]
Was hat dieses Gesetz für Auswirkungen auf den Niedrig- und Armutslohnsektor?
Zunächst ist festzuhalten, dass der DGB bereits vor fünf Jahren in einer Studie feststellte, dass Entgelte unter 10,40 €/Std. Niedriglöhne und unter 8,67 €/Std. Armutslöhne sind. Man braucht kein Rechenkünstler zu sein, um festzustellen, dass eine solche Mindestlohngrenze kaum vor Armut trotz Erwerbsarbeit schützt.
Aber aufgrund der Ausnahmeregelungen, insbesondere bei den Erwerbslosen wird selbst dieses Ziel nur marginal erreicht. Dazu muss man sich nur einmal vor Augen führen, warum „Unternehmer“ ihren Mitarbeitern Löhne von zum Teil weit unter 8,50 € zahlen. Es gibt zwei Motivationen hierfür: Die erste Gruppe will nicht mehr zahlen, weil sie sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen oder möglichst hohe Gewinne erzielen möchte. Die zweite Gruppe kann nicht mehr zahlen, weil ihr Geschäftsmodell eigentlich nicht ausreicht, um ein Unternehmen zu führen, in dem man faire Löhne zahlen kann. Beide Gruppen werden alles tun, um den Status Quo für sich aufrecht zu erhalten. Und mit diesem Gesetz wird es ihnen leicht gemacht.
Warum sollten die beschriebenen Unternehmergruppen freiwillig einen höheren Lohn zahlen, wenn ihnen die Möglichkeit geboten wird, weiter Hungerlöhne zu zahlen. Da wird lieber der 24jährige Ungelernte gegen einen 17jährigen ausgetauscht und die jetzt zu 5,64 € Beschäftigten gegen Langzeiterwerbslose, die dann alle 6 Monate ausgetauscht werden, statt ihnen 3 € mehr zu zahlen. Dies wird nicht in allen Fällen möglich sein, jedoch entsteht dann durch dieses Gesetz die Situation, dass der eine Mitarbeiter nun 8,50 € erhält, während sein neuer Kollege neben ihm die gleiche Arbeit für 5,64 € erledigen muss.
Wie eingangs beschrieben, wird dieses Gesetz kaum einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten, doch ist aus Erfahrung zu befürchten, dass sich dieses erst in mehreren Jahren damit beschäftigen kann, da es keinerlei Mehrheiten für eine Normenkontrollklage gibt.
Dieser Tag ist kein zu bejubelnder historischer, sondern ein Tag der Schande für den Bundestag.
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