Linken-Chef Riexinger wirft CDU und AfD in Sachen "Pegida" geistige Brandstiftung vor

Riexinger: Etablierte machen Rassismus salonfähig

Rassismus

Deutschland brennt 

Über 20 Jahre nach der »Das Boot ist voll«-Kampagne: Neonazis zünden erneut Asylunterkünfte an, eine migrantenfeindliche Bewegung erobert die Straße. Die Politik buhlt um die Rechten

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, hat der Rechtspartei AfD und der Union eine Politik der »geistigen Brandstiftung« vorgeworfen. »Da zeichnet sich ein deutlicher Rechtsruck ab«, sagte er der »Leipziger Volkszeitung« mit Blick auf die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Bayern und die »Pegida«-Aufmärsche. Die AfD stehe »Pegida ohnehin näher als dem Grundgesetz und Bernd Lucke ist ein geistiger Brandstifter mit Biedermanngesicht.« Aber auch die Union »bricht ein weiteres Tabu nach rechts, indem sie offen Verständnis für fremdenfeindliche Demonstrationen äußert«, sagte Riexinger.

 

Diese Art der Politik habe »schon einmal nach Lichtenhagen und noch weiter geführt«. In einem politischen Klima, »wo etablierte Parteien Rassismus salonfähig machen, fühlen sich rechte Gewaltbanden ermutigt«, so der Linkenpolitiker laut einer Vorabmeldung der Zeitung. Im August 1992 war es in Rostock-Lichtenhagen zu einem Pogrom gegen Asylbewerber gekommen.

Auch der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat der CSU vorgeworfen, in den letzten Monaten mit wiederholten populistischen Vorstößen - von der Kritik am angeblichen Sozialtourismus bis zu Überlegungen zu einer Deutsch-Pflicht für Migranten - zu einer Verschärfung des Meinungsklimas beigetragen zu haben. Der »Neuen Osnabrücker Zeitung« sagte er, die CSU müsse auf ihrem Parteitag am Wochenende klären, wie weit sie sich von der Rechtspartei AfD und den Pegida-Bündnissen an den rechten Rand der Republik treiben lassen wolle. »Der mutmaßlich rechtsextreme Hintergrund der Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Vorra sollte die CSU wirklich wachschütteln«, so Hofreiter. Rechtspopulistische Signale würden immer gern von denen aufgenommen, die dumpf rechtsradikal und menschverachtend handelten. Den CSU-Spitzen müsse es »langsam dämmern«, dass beim Wettlauf um dumpfe Parolen gegen Integration und Zuwanderung alle verlören - am allermeisten die, die auf Unterstützung angewiesen seien.

Derweil hatte in einer repräsentativen Umfrage für den Sender N24 ein Drittel der Bundesbürger erklärt, sie seien der Auffassung, dass die Pegida-Aufmärsche mehrheitlich von Rechtsradikalen besucht werden. 43 Prozent der Deutschen glauben, dass sich hinter den Teilnehmern vor allem »über die Ausbreitung des Islams besorgte Bürger« befinden. 89 Prozent der Befragten erwarten, dass die Bundesregierung auf eine »gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa« drängt. 70 Prozent der Deutschen wollen auch die Außengrenzen der EU besser kontrollieren lassen. Nur 35 Prozent der Deutschen sind dafür, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Allerdings sprechen sich auch 65 Prozent der Deutschen dafür aus, bei uns aufgenommene Flüchtlinge besser als bisher zu betreuen.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat die Initiatoren der Pegida-Bewegung als »üble Nationalisten« bezeichnet. Gegenüber dem Magazin »Focus« sagte der Sozialdemokrat, »die nutzen die Angst vor islamistischem Terror dazu, ihre kruden rassistischen Thesen wieder salonfähig zu machen«. Wenn wie in Dresden zehntausend Menschen zu den rassistischen Aufmärschen zusammenkommen, »macht einen das nachdenklich«, so Oppermann weiter. »Die Bürger, die mitlaufen, ohne genau zu wissen, wem sie da folgen, kann man im direkten Gespräch davon überzeugen, dass viele ihrer Ängste unbegründet sind.« 

Nach einem Brand in einem nahezu bezugsfertigen Wohnheim für Flüchtlinge in der mittelfränkischen Ortschaft Vorra ermittelt der Staatsschutz wegen des Verdachts auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund, teilte ein Polizeisprecher am Freitag mit. Dieser liegt nahe, haben doch mutmaßliche Neonazis mit Rechtschreibschwäche ein Bekenntnis hinterlassen: An einem der benachbarten Gebäude wurden Hakenkreuze und der aufgesprühte Satz »Kein Asylat (sic!) in Vorra« entdeckt.

Nach der Tat flammt Empörung auf. Im Bayerischen Rundfunk sprach Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Freitag von einem »schrecklichen Ereignis«. Der Ministerpräsident des Freistaates, Horst Seehofer (CSU), bezeichnete die mutmaßliche Brandstiftung als »schändliche Tat«. Die Bundesregierung ließ ebenfalls ihren Unmut ausrichten, auch wenn die Bezugnahme auf »Gläubige« weit hergeholt scheint: »Ich kann im Namen der Kanzlerin sagen, dass es keine Hetze gegen Gläubige – welcher Religion auch immer - geben darf«, zitierte Reuters die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Freitag.

Dies könnte man als Zynismus bezeichnen. Oder als politische Arbeitsteilung. Denn das gesellschaftliche Klima hat sich in den letzten Jahren weit nach rechts verschoben, und die Politik der Bundesregierung hat daran keinen geringen Anteil. Dieselben Kräfte, die alles getan haben, um das Asylrecht einzuschränken, die gegen eine »Willkommenskultur« für »Salafisten« wettern, die »Sondereinheiten« gegen »kriminelle Migranten« fordern und die die wenigen Flüchtlinge, die hier bleiben dürfen, in ghettoähnlichen Anlagen bevorzugt in sozialen Brennpunkten kasernieren, üben sich nun in Entrüstung, wenn Neonazis ihre Propaganda von der »Asylantenschwemme« beim Wort nehmen. Eine Parallele tut sich auf: Anfang der neunziger Jahre, nach dem Ende der »Wende«-Euphorie, führte eine konzertierte Medienkampagne unter dem Stichwort »das Boot ist voll« zu einer Serie schrecklicher Brandanschläge, darunter die tödlichen Attentate von Mölln und Solingen und die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. Die Politik nahm diese Ausschreitungen wiederum zum Anlass, das Asylrecht bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln. Diese selbsterfüllende Prophezeiung scheint sich dieser Tage zu wiederholen.

Denn der Anschlag in Mittelfranken ist nicht der einzige. In einem Flüchtlingscamp in Hannover brach in der Nacht zu Donnerstag ein Feuer aus. »Die Ermittler schließen Brandstiftung nicht aus«, so die Hannoversche Allgemeine. Am 18. August war es zu einem Anschlag auf ein Wohnheim in Scheeßel/Niedersachsen gekommen. Dabei kam ein Mann ums Leben. Nur drei Tage später brannte ein Heim für Flüchtlinge und Obdachlose in Haren im Emsland komplett aus, fünf Menschen erlitten eine Rauchvergiftung.

 

Gleichzeitig wüten bundesweit »besorgte Bürger« gegen Aufnahmeeinrichtungen, wächst in Dresden und anderswo eine Art neuer Massenbewegung heran: Die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (PEGIDA) sorgen sich weniger um den Islam, dafür mehr um Migranten im allgemeinen. Wieder buhlt die Politik um den »spontanen Volkszorn«, der doch erst durch Bild und Welt (»Niedrige Abschiebezahl lockt Flüchtlinge an«) generiert wurde. Ob PEGIDA von der CDU oder der AfD eingemeindet werden wird, ist noch nicht entschieden. Doch dass dieser medial erzeugte »Protest« über die Straße schlussendlich in den Parlamenten landen wird, scheint ausgemacht. Leidtragende der Entsolidarisierung sind, wie immer, die Ärmsten der Armen.

nd/mit