Programm: Linkspartei strebt Sozialismus an - schmeisst die neoliberalen Sozis raus

Programm der Partei DIE LINKE

III. Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert

Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte, sondern eine Etappe der Menschheitsentwicklung, in der sich zwar viele Hoffnungen der Aufklärung erfüllten und eine enorme Steigerung der menschlichen Produktivkräfte stattfand, die aber auch massenhafte Verelendung, Völkermord und unvorstellbare Kriege über die Menschheit brachte. Heute, da der Kapitalismus zu einem globalen System geworden ist, treibt sein Raubbau an Mensch und Natur in eine globale, die menschliche Zivilisation bedrohende Krise. Wir sind davon überzeugt, dass den vielfachen Krisenszenarien nur durch Überwindung des kapitalistischen Ausbeutungssystems, Veränderung der Produktions- und Lebensweise, durch globale Solidarität, die Überwindung des Geschlechtergegensatzes, die Demokratisierung aller Lebensbereiche und eine Veränderung des Verhältnisses von Mensch und Natur entgegengewirkt werden kann. Der Kapitalismus kann überwunden werden, wenn es gelingt, Mehrheiten zu gewinnen für einen Aufbruch zu einer anderen Art zu arbeiten und zu leben.

Der erste große Versuch im 20. Jahrhundert, eine nichtkapitalistische Ordnung aufzubauen, ist an mangelnder Demokratie, Überzentralisation und ökonomischer Ineffizienz gescheitert. Unter Pervertierung der sozialistischen Idee wurden Verbrechen begangen. Dies verpflichtet uns, unser Verständnis von Sozialismus neu zu bestimmen. Wir wollen einen demokratischen Sozialismus, der den gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen und Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts gerecht wird.

Für Rosa Luxemburg endet Gleichheit ohne Freiheit in Unterdrückung, und Freiheit ohne Gleichheit führt zu Ausbeutung. Wir streben eine sozialistische Gesellschaft an, in der jeder Mensch in Freiheit sein Leben selbst bestimmen und es im Zusammenleben in einer solidarischen Gesellschaft verwirklichen kann.

Die Überwindung der Dominanz kapitalistischen Eigentums in der Wirtschaft und ein sozialer Rechtsstaat sind dafür die wichtigsten Grundlagen. Alle Menschen sollen am Reichtum teilhaben können. Der sozial gleiche Zugang jedes Menschen zu den Bedingungen eines freien Lebens und die Demokratisierung aller Lebensbereiche gehören zusammen. Sozialismus und Demokratie sind untrennbar. Wir wollen eine andere Art von wirtschaftlicher Entwicklung und wissenschaftlich-technischem Fortschritt, um die natürliche Umwelt zu bewahren und den nachfolgenden Generationen eine verbesserte Welt zu hinterlassen. Wir wollen, dass Rechtsstaat und Sozialstaat eine Einheit bilden, und streiten für eine weltweite Ordnung, die durch Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit geprägt ist. So kann ein gutes Leben gestaltet, eine soziale Demokratie hergestellt und erweitert werden.

Wir stehen mit unserem Kampf um gesellschaftliche Alternativen jenseits der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise nicht allein. Unterschiedlichste Kräfte und verschiedene Bewegungen sind davon überzeugt, dass eine andere Welt möglich ist: eine Welt ohne Krieg, Ausbeutung, Fremdbestimmung und ökologische Zerstörung. Sie suchen, wie in Lateinamerika, nach neuen Wegen für eine nichtkapitalistische Entwicklung und fordern nicht nur unsere Solidarität, sondern auch unsere Lernbereitschaft. In den Ländern des globalen Südens entwickeln sich neue Formen des Eigentums und der Kooperation, die wichtige Akzente gegen den Neoliberalismus setzen. DIE LINKE beobachtet mit großem Interesse das Modell der ALBA-Staaten, die eine solidarische ökonomische Zusammenarbeit vereinbart haben. Die Kompliziertheit der Probleme und Ausgangsbedingungen verbietet jeden Anspruch auf eine führende Rolle des einen oder anderen Landes, dieser oder jener Bewegung oder einer einzelnen Partei.

Heute besteht die Möglichkeit, jedem Menschen ein Leben in sozialer Sicherheit und Würde zu gewährleisten. Not und Elend können überall auf der Welt überwunden werden.

Wir streben eine neue, gerechte Verteilung der Erwerbsarbeit und der anderen gesellschaftlich notwendigen Arbeiten an. Wir wollen, dass alle Menschen am gesellschaftlich organisierten Arbeitsprozess mitwirken, gleichberechtigt gesellschaftliche Entwicklung und Kultur mitgestalten und demokratische Entscheidungsprozesse beeinflussen können. Deshalb streiten wir für ein öffentliches Bildungssystem, das niemanden ausgrenzt, sondern alle bestmöglich fördert und in die Lage versetzt, ihren eigenen Berufs- und Lebensweg selbstständig zu gestalten. Bildung darf nicht darauf beschränkt bleiben, Menschen zu befähigen, sich in vorgegebene Strukturen einzupassen. Ziel von Bildung muss es sein, Menschen in die Lage zu versetzen, die Welt zu verändern, soziale, ökologische und demokratische Reformen zu entwickeln und umzusetzen. Wir wollen Solidarität und gemeinsames, forschendes Lernen als Leitlinien in der Bildung verankern und damit die Grundlage für gemeinsame gesellschaftliche Veränderungen schaffen. Wir wollen die Klassengesellschaft überwinden. Die neue und bessere Ordnung, die der demokratische Sozialismus erstrebt, ist eine von Klassenschranken befreite Gesellschaft.

DIE LINKE lässt sich von dem Ziel leiten, dass alle Menschen, unabhängig davon, in welcher Region der Erde sie leben, selbstbestimmt, in Würde und Solidarität leben können. Diesem Ziel liegt ein Menschenbild zugrunde, das von der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte ausgeht und lediglich eine Begründung braucht: Weil ich ein Mensch bin. Es greift Marx‘ Vision im Kommunistischen Manifest auf: "An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." Diese Vision setzt die Abschaffung von Kriegen, den Stopp der Zerstörungen unserer Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen ebenso voraus wie die Beseitigung von Ausbeutung und Unterdrückung, von Diskriminierung, von Hunger, Armut und Unterentwicklung. Sie wird nur über den Weg einer umfassenden Demokratisierung aller Lebensbereiche möglich. Sie ist Utopie und Realismus zugleich. Unser Ziel eines demokratischen Sozialismus im 21. Jahrhundert ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft, in der alle Menschen menschenwürdig leben können.

Demokratischer Sozialismus orientiert sich an den Werten der Freiheit, Gleichheit, Solidarität, an Frieden und sozial-ökologischer Nachhaltigkeit. Diese bestimmen auch die Mittel auf dem Weg zu einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft. Demokratischer Sozialismus fördert die Entfaltung der zivilisatorischen Entwicklungspotenziale der Gesellschaft und zielt auf grundlegende Veränderungen der herrschenden Eigentums-, Verfügungs- und Machtverhältnisse. Er verbindet Protest und Widerstand, den Einsatz für soziale Verbesserungen und linke Reformprojekte unter den gegebenen Verhältnissen und die Überschreitung der Grenzen des Kapitalismus zu einem großen Prozess gesellschaftlicher Umgestaltung, der das 21. Jahrhundert bestimmen wird. Er knüpft an ökonomische Entwicklungen an, die bereits heute über kapitalistische Produktionsformen hinausweisen.

DIE LINKE kämpft in einem großen transformatorischen Prozess gesellschaftlicher Umgestaltung für den demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Dieser Prozess wird von vielen kleinen und großen Reformschritten, von Brüchen und Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe gekennzeichnet sein. Demokratischer Sozialismus ist immer auch eine demokratische Bewegung zur Befreiung der Menschen von jeglichen Unterdrückungsverhältnissen.

Konterrevolution in Ungarn aus sozialistischer Sicht

Kurt Gossweiler: Die Konterrevolution in Ungarn

ungarnDie Konterrevolution in Ungarn verlief durchaus nicht so reibungslos, wie sich das die Verschwörer in Belgrad und Moskau vorstellten. Erst nachdem sämtliche Kommunisten aus der Parteispitze entfernt worden waren und eine „Sozialdemokratisierung“ durchgeführt worden war, gelang es den Antikommunisten, den Sozialismus in Ungarn zu beseitigen. Dabei hatte der Weiße Terror bereits 1956 schon fürchterliche Ausmaße angenommen: Kommunisten wurden verfolgt und öffentlich gelyncht. Mit akribischer Genauigkeit dokumentier hier Dr.Kurt Gossweiler die Ereignisse in Ungarn… 

Mátyás Rákosi, Vorsitzender der Partei der Ungarischen Werktätigen.

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Mitbegründer der Kommunistischen Partei Ungarns und führend an der Ungarischen Räteregierung von 1919 beteiligt, dafür vom faschistischen Horthy-Regime nach seiner Rückkehr aus der österreichischen Emigration nach Ungarn 1926 verhaftet und zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, auf Intervention der Sowjetunion unter der Bedingung der sofortigen Ausreise in die Sowjetunion 1940 nach vierzehnjähriger Haft freigelassen.

Mit dem Kampf und dem Schicksal Rákosis und seiner Partei werde ich mich im folgenden ausführlich beschäftigen, weil sie exemplarisch sind für die Bedingungen, denen die kommunistische Bewegung insgesamt seit 1953 ausgesetzt war, und weil ohne die Kenntnis dieser Rahmenbedingungen auch die Entwicklung in der DDR und deren schließlicher Untergang nicht zu verstehen sind.

Rákosi war wohl der von den Revisionisten meist gehaßte und meistverleumdete Parteiführer der Länder der Volksdemokratie, und das mit gutem Grund, scheiterten doch selbst nach dem XX. Parteitag die KPdSU zunächst noch alle ihre Versuche, die Partei und das Land auf die Tito-Linie zu führen, an seinem unbeirrbaren Festhalten an der marxistisch-leninistischen Orientierung der Politik der Partei.

Hochverratsprozesse in Ungarn, Bulgarien und in der ČSSR

Mit besondere Wut erfüllte alle Feinde des Sozialismus der im September 1949 in Budapest durchgeführte Prozeß gegen László Rajk und andere, – der erste der drei großen Prozesse, die in den volksdemokratischen Ländern Ungarn, Bulgarien und Tschechoslowakei gegen führende Partei- und Staatsfunktionäre wegen Hochverrats und Vorbereitung des Sturzes der sozialistischen Ordnung durchgeführt wurden. Diese Prozesse haben eine Vorgeschichte, in deren Mittelpunkt die Änderung der Politik der Führer der kommunistischen Partei Jugoslawiens gegenüber der Sowjetunion und den volksdemokratischen Ländern steht. Bis in das Jahr 1948 hinein galt in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern, und auch bei uns, der damaligen Sowjetischen Besatzungszone, Jugoslawien als ein Land, das auf dem Wege zur Errichtung einer sozialistischen Ordnung am weitesten vorangekommen war und der Sowjetunion am nächsten stand.[1]

Die verräterische Abkehr Titos vom Sozialismus

Aber Ende 1947 – Anfang 1948 nahm die Führungsgruppe der KP Jugoslawiens eine verhängnisvolle Änderung ihres bisherigen Kurses vor. Diese Änderung lief darauf hinaus, im sozialistischen Lager ein zweites, ein Gegenzentrum gegen die Sowjetunion zu bilden – mit Jugoslawien als Hegemon. Das Ganze wurde begründet mit der Notwendigkeit, die Balkanländer zu einer Föderation zusammenzuschließen. Tito nutzte dabei den Umstand aus, daß die kommunistischen Parteien der Balkanländer schon zu Zeiten der Kommunistischen Internationale der imperialistischen Politik des Gegeneinanderhetzens der Balkanvölker die Forderung nach einem solidarischen Zusammenschluss in einer Balkanföderation entgegen gestellt hatten. Deshalb stimmte zunächst auch Georgi Dimitroff dem Vorschlag der Tito-Führung zu, nach dem Sieg über die Faschisten und nach der Verjagung der reaktionären Regierungen der Balkanstaaten nun die alte Idee der Balkanföderation zu verwirklichen. Als jedoch erkennbar wurde, daß hinter Titos Vorschlag die Absicht der Angliederung Bulgariens als Teilrepublik an Jugoslawien und die Schaffung eines antisowjetischen Zentrums steckte, nahm Dimitroff seine Zustimmung zurück und sprach sich gegen dieses Projekt aus.

Der Versuch der Vereinnahmung Albaniens

Umso mehr drängte die Belgrader Führung jetzt – im Frühjahr 1948 – darauf, daß der andere, kleinere und – wie sie meinte –, leicht zu vereinnahmende Nachbar Albanien sich Jugoslawien anschloß.[2] Die Belgrader Führer konnten damit umso eher rechnen, als sie in der Führung der albanischen Partei Vertrauensleute wußten, – wie den Organisationssekretär des ZK der albanischen Partei und Innenminister Koci Xoxe und andere –, die auf Titos Weisung hin auch einen Staatsstreich in Tirana unternehmen würden, falls anders das Ziel nicht zu erreichen sein sollte. Dazu kam es indessen nicht, weil die Kritik des Informationsbüros an der Politik der KP Jugoslawiens vom Juni 1948 Tito zur Zurückhaltung zwang, zum anderen diese Kritik auch zur Aufdeckung der Machenschaften der Verbündeten Titos in der albanischen Führung beitrug. Sie führte schließlich zur Verhaftung Koci Xoxes und seiner Mitverschwörer und der Eröffnung eines Gerichtsprozesses gegen sie, der vom 11. Mai bis zum 10. Juni 1949 in Tirana durchgeführt wurde und mit einem Todesurteil für Koci Xoxe sowie Freiheitsstrafen von 5 bis zu 20 Jahren für die vier anderen Angeklagten abgeschlossen wurde.[3]

Die parallelen Geheimoperationen der CIA

Es ist übrigens bemerkenswert, dass ungefähr im gleichen Zeitraum, in dem die Belgrader Führung ihren neuen antisowjetischen Kurs verschärfte, in den USA der „Nationale Sicherheitsrat“ die Direktive 10/2 vom 18. Juni 1948 erließ, die zum Inhalt die Ausdehnung verdeckter Aktionen der CIA auch auf das Ausland hatte; in dieser Direktive hieß es u.a.:

„Unter dem in dieser Direktive verwendeten Terminus ´geheime Operation´ sind alle Aktivitäten … zu verstehen, die von dieser Regierung gegen feindliche ausländische Staaten oder Gruppen oder zur Unterstützung befreundeter ausländischer Staaten oder Gruppen geleistet oder gefördert werden, die jedoch so geplant und geleitet werden, dass nach außen hin ihr Urheber – die Regierung der USA – auf keine Weise in Erscheinung tritt und im Falle ihrer Aufdeckung die Regierung der USA völlig glaubwürdig jede Verantwortlichkeit für sie plausibel leugnen kann.“
Als „geheime Aktivitäten“ wurden genannt: Propaganda, Wirtschaftskrieg, direkte Präventivhandlungen einschließlich Sabotage…, Wühlarbeit gegen feindliche Staaten, einschließlich Hilfe für die illegalen Widerstandsbewegungen im Untergrund, für Guerillas sowie die Unterstützung von antikommunistischen Elementen in bedrohten Ländern der freien Welt.“ [4]

Eine Verschwörung zum Sturz der ungarischen Regierung

Was im Rajk-Prozeß aufgedeckt wurde, ging sicher zu einem erheblichen Teil schon auf das Konto der Arbeit dieser Direktive. Dazu gehört vor allem der Plan zum Sturz der bestehenden Regierung, in dem László Rajk, dem ungarischen Außenminister, von seinen jugoslawischen und amerikanischen „Beratern“ die Hauptrolle zugedacht war. Über diesen Plan und seine Väter sagte der ehemalige Leiter der Kaderabteilung der Kommunistischen Partei Ungarns, Tibor Szönyi:

„Der Plan der Verschwörung zum Sturz der ungarischen volksdemokratischen Regierungssystems diente selbstverständlich den Interessen derjenigen, die den Plan ausgearbeitet hatten, die die intellektuellen Urheber des Planes waren, das heißt, die Verschwörung war ein Teil der gemeinsamen amerikanischen und jugoslawischen Pläne. … Wir erhielten ein konkretes Versprechen in Bezug auf eine wirtschaftliche, finanzielle Hilfe Ungarns von Seiten der Vereinigten Staaten, nach Ausführung des Putsches; ferner … würden die Vereinigten Staaten Ungarns Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen … unterstützen.“

Auf die Frage des Gerichtsvorsitzenden, welche wesentlichen Änderungen für den Fall des Gelingens der Verschwörung in der Innen- und Außenpolitik vorgesehen gewesen seien, gab Szönyi zur Antwort:

„In erster Reihe die Bildung einer neuen Regierung. Wir planten ferner, die politische Struktur des Landes in dem Sinne zu ändern, wie das Rajk mit den führenden jugoslawischen Politikern besprochen hatte und wir hätten dazu die jugoslawische innenpolitische Lage als Vorbild genommen, das heißt eine Änderung, welche die Rolle der Parteien, in erster Reihe der Partei der Ungarischen Werktätigen im politischen Leben des Landes in den Hintergrund hätte drängen sollen, und an Stelle dieser hätte eine Volksfront mit verbreiterter Grundlage treten müssen, als eine Organisation, die das politische Leben des Landes lenkt. Die Verbreiterung wäre in dem Sinne geschehen, dass wir dem Kulakentum innerhalb der Volksfront zu politischer Vertretung verholfen hätten. Auf wirtschaftlichem Gebiet war in erster Reihe davon die Rede, dass wir stufenweise – freilich nicht auf einmal – alle wichtigen Errungenschaften der Volksdemokratie von neuem vernichten, das heißt die Fabriken, die Banken, die Bergwerke den Kapitalisten zurückgeben, die Errungenschaften der Bodenverteilung teilweise vernichten sollten. In der taktischen Ausführung des Planes dachten wir freilich nicht daran, alles mit einem Schlag zu verwirklichen, sondern stufenweise, langsam, der Lage entsprechend. Ähnliche langsame, progressive Änderungen wurden auch in außenpolitischer Hinsicht geplant. Unsere Zielsetzung, Ungarn von der Seite der Sowjetunion und der befreundeten Volksdemokratien an die Seite der Vereinigten Staaten zu stellen, wollten wir auch stufenweise, langsam ausführen.“ [5]

Sehr ungewöhnliche Geständnisse

Die Anklagen wie auch die Geständnisse der Angeklagten waren so ungeheuerlich und ungewöhnlich, daß es verständlich erscheint, wenn die späteren Behauptungen und Erklärungen, die Anklagen seien zu Unrecht erfolgt und die Angeklagten zu Unrecht verfolgt worden, ihre Geständnisse seien durch Folter, Drogen und falsche Versprechungen erpresst und erschlichen worden, ja, wenn sogar solch absurde Behauptungen, die Drehbücher für die Aussagen und Geständnisse der Angeklagten seien in Moskau von Stalin und Berija entworfen worden und hätten dann von den Angeklagten auswendig gelernt und in den Verhören vorgetragen werden müssen, Glauben fanden und sogar mit einer gewissen Erleichterung darüber aufgenommen wurden, daß die Angeklagten ehrliche Kommunisten geblieben und unfähig gewesen waren, die ihnen zur Last gelegten Verbrechen zu begehen. Allerdings mußte man dafür nun für möglich halten, daß Rákosi und alle anderen für diese Prozesse Verantwortlichen noch viel schlimmere Ungeheuer waren, als den nunmehr Rehabilitierten je zugeschrieben war.

Wo liegt die historische Wahrheit?

Man muß sich einmal vorstellen, was es für eine politische Bewegung bedeuten muß, wenn ihren Anhängern heute eine Gruppe ihrer Führer als Verräter und Verbrecher, morgen ihnen jedoch die gleichen Führer als quasi Heilige, die von den denkbar schlimmsten Verbrechern, nämlich ihren gestrigen Richtern, unter erfundenen Beschuldigungen grundlos ermordet wurden. Das alles machte die kommunistische Bewegung in den wenigen Jahren zwischen 1949 und 1956 durch! Eine Bewegung, die daran nicht zugrunde geht, muß einen sehr gesunden Organismus haben und zur Vertretung der Lebensinteressen der Klassen, deren politisches Führungsorgan sie ist, trotz alledem als unentbehrlich empfunden werden. Aber unvermeidlich stellen sich viele die Frage: Wie kann man sich da noch zurechtfinden? Wer lügt? Wo ist die Wahrheit? Die Antwort ist: Die Wahrheit ist nur in den geschichtlichen Tatsachen zu finden, sogar dann, wenn Beweisdokumente noch fehlen. Die geschichtlichen Tatsachen aber besagen: Das, was Rajk und Komplizen als ihre Absicht vorgeworfen und wofür sie – bevor sie diese in die Tat umsetzen konnten – verurteilt wurden, das wurde nach der Rehabilitierung Rajks und seiner Mitangeklagten von anderen Führern der ungarischen Partei gleich zweimal nun tatsächlich begangen: zum ersten Male von Imre Nagy im Herbst 1956, zum zweiten Male von Gyula Horn ab 1989.

Die opportunistischen Abweichungen des Imre Nagy

Wer war Imre Nagy? Als eine Auswirkung der Veränderungen in der Leitung der KPdSU nach dem Tode Stalins wurde am 27./28. Juni 1953 das Politbüro der Partei der Ungarischen Werktätigen erweitert; die wichtigste Veränderung war die Aufnahme Imre Nagys in dieses Gremium. [6] Am 2. Juli wurde auch die ungarische Regierung umgebildet und Imre Nagy als Ministerpräsident an ihre Spitze gestellt. [7] Aber auf einem ZK-Plenum am 2.-4. März 1955 wurde scharfe Kritik an seiner Amtsführung geübt. Das Plenum faßte einen Beschluß „Über die politische Lage und die Aufgaben der Partei“, in dem u.a. gesagt wurde, Nagy habe die Beschlüsse des Juni-Plenums von 1953 im opportunistischen und antimarxistischen Sinne entstellt.

„Von einer Hebung des Lebensstandards sprechen und zur gleichen Zeit nicht für die Gewährleistung der hierfür notwendigen ökonomischen Voraussetzungen sorgen, sind in Wirklichkeit billige Demagogie und Irreführung des Volkes. … Wer versichert, daß die Hauptmasse der Klein- und Mittelbauern als Einzelbauern einen gewissen Wohlstand erzielen kann, dass unsere aus Hunderttausenden Einzelbauern bestehende Landwirtschaft gedeihen und zu einer fortgeschrittenen Landwirtschaft werden kann, ohne dass die Produktionsgenossenschaften entwickelt werden, betrügt die werktätigen Bauern. … Die größer gewordene rechte, opportunistische Abweichung zeigte sich auch in der Unterschätzung der führenden Rolle der Partei. Einige negierten die Rolle der Partei in der Vaterländischen Volksfront. … Mit diesen rechten Anschauungen wollte man im Grunde die marxistisch-leninistische Lehre von der Diktatur des Proletariats einer Revision unterziehen. Das wichtigste in der volksdemokratischen Ordnung ist die unbedingte Gewährleistung der führenden und richtunggebenden Rolle der revolutionären Partei der Arbeiterklasse. Ohne Gewährleistung dieser Rolle gibt es keine Volksdemokratie! … Die rechten Anschauungen in unserer Partei und in unserem Staat sind so gefährlich geworden, weil Genosse Imre Nagy in seinen Reden und Artikeln diese antimarxistischen Ansichten unterstützt, ja mehr noch, sie am eifrigsten predigt. … Ein Hauptmerkmal der rechten Linie des Genossen Imre Nagy zeigte sich darin, dass er die von der Partei erzielten großartigen Siege leugnete und unterschätzte und die Erfolge regelmäßig verschwieg. … Die rechten Elemente außerhalb und innerhalb der Partei betrachteten diesen Artikel (Imre Nagys vom 20. Oktober 1954) als Signal und begannen die richtige Politik der Partei zerstörend anzugreifen. Solche Erscheinungen gab es in den Redaktionen vieler Zeitungen sowie auf dem Gebiet der Literatur. … Genosse Nagy und einige andere Genossen haben mit billigen demagogischen Versprechungen in der Presse … die Arbeiterklasse mitunter irregeführt, … sich den rückständigsten Schichten der Arbeiter angepasst und dadurch gewisse Elemente der Zersetzung in die Arbeiterklasse hineingetragen.“ [8]

Auf dem darauf folgenden Plenum des ZK der Partei der Ungarischen Werktätigen wurde Imre Nagy aus dem Politbüro und dem ZK der Partei ausgeschlossen und aller Funktionen enthoben, die er im Auftrag der Partei ausübte, also auch als Ministerpräsident. Das war im April 1955.

Chruschtschow unterstützt die verräterische Politik Titows

Aber schon im Mai trat ein Ereignis ein, das den künftigen Sturz Rákosis und den Wiederaufstieg Imre Nagys vorherbestimmte; es war dies Chruschtschows Erklärung gegenüber Tito aus Anlass des Besuches einer sowjetischen Delegation, – worüber weiter unten ausführlicher zu sprechen sein wird -, daß alle gegen Tito erhobenen Vorwürfe sich nach gründlicher Prüfung als unberechtigt und Erfindung von Feinden, von Agenten des Imperialismus, erwiesen hätten. Sofort nutzte Tito dies aus, um Druck auf alle anderen kommunistischen Parteien auszuüben, auch ihrerseits alle Vorwürfe gegen ihn und seine Partei zurückzunehmen.

„Am 27. Juli forderte er in einer Rede in Karlovac, dass auch die Führer in Ungarn und in der Tschechoslowakei ihre gegenüber Jugoslawien begangenen Fehler bekennen, so wie dies die sowjetischen Führer anlässlich des Besuches der sowjetischen Staatsmänner in Jugoslawien getan hätten. Er verlangte hierbei insbesondere eine Revision der seinerzeitigen Prozesse gegen Rajk…in Budapest, gegen Trajtscho Kostoff…in Sofia und gegen Rudolf Slansky und Vladimir Clementis in Prag…. Tito sagte u.a.: „Wir bedauern, daß es im Osten in einigen unserer Nachbarstaaten immer noch Leute gibt, denen diese Normalisierung nicht gefällt. … Stattdessen intrigieren sie hinter den Kulissen gegen uns … und versuchen überall, uns Steine in den Weg zu legen… Vor allem in Ungarn gibt es Leute, die so reden. Aber wir sind überzeugt, dass sie … die Erfüllung dessen, was wir wollen und was die Sowjetführer in Belgrad erklärten und gegenwärtig auch ausführen, nicht verhindern können… Auch in der Tschechoslowakei gibt es Leute, die Mühe haben,… ihre Fehler zu bekennen… Diese und ähnliche Leute werden ihre Fehler gegenüber unserem Lande auf die eine oder andere Weise bekennen müssen.“ [9]

Der reaktionäre Petöfi-Klub

Dieser Druck aus Belgrad beeindruckte die ungarischen Genossen nicht und brachte sie nicht davon ab, ihren Kampf gegen die Tito-Sympathisanten weiterzuführen, die vor allem in den Reihen der Schriftsteller zu finden waren, die sich als ein organisatorisches Zentrum einen Club schufen, dem sie den Namen des populären ungarischen Schriftstellers Petöfi gaben. Im Dezember 1955 faßte das ZK der Partei der Ungarischen Werktätigen einen Beschluß mit der Überschrift:

„Die rechten Fehler im literarischen Leben Ungarns überwinden“, in dem es u.a. hieß: „Einige Schriftsteller, auch Parteimitglieder,… haben die Perspektive des Sozialismus verloren. … Pessimismus und Verzweiflung haben von ihnen Besitz ergriffen. … All das legen sie als etwas ´Neues´, als einen Sieg über den Schematismus dar. … Einige Schriftsteller … haben den Beschluss des März-Plenums des ZK (gegen Imre Nagy) abgelehnt oder sich auch nur nach außen hin einverstanden erklärt… Der rechte Opportunismus kommt zur Zeit in den gefährlichsten, offensten und organisiertesten Formen in der Literatur zum Ausdruck.“ [10]

Der Druck der Revisionisten auf die ungarische KP

Dann aber kam im Februar 1956 der XX. Parteitag, auf dem Stalin verdammt und Tito gefeiert wurde. Rákosi versuchte dennoch, die antirevisionistische Linie der Partei beizubehalten. Auf einem ZK-Plenum im März erklärte er noch: „Unsere rechten Elemente erhoffen sich vom XX. Parteitag, daß er sie rechtfertigen werde. Jetzt ist für jedermann klar, dass sich diese Hoffnungen nicht erfüllt haben.“ Er sollte sehr schnell erfahren, daß dies eine große Fehleinschätzung war. Chruschtschow und Tito übten nun konzertiert einen immer stärkeren Druck auf andere Parteien, vor allem aber auf die ungarische Partei aus. Nur zwei Wochen nach dieser optimistischen Einschätzung sah sich Rakosi gezwungen, auf einer Sitzung des Parteiaktivs in einer ungarischen Stadt zu erklären, der Rajk-Prozeß sei überprüft worden; das Ergebnis sei die Feststellung, dass der Prozeß eine feindliche Provokation und unberechtigt gewesen sei. Das oberste Gericht habe Rajk und die mit ihm Verurteilten rehabilitiert.

Wie Mátyás Rákosi „abgeschossen“ wurde…

Rákosi hatte damit den ersten Schritt der von außen erzwungenen Selbstdemontage getan. Am 19. Mai 1956 mußte er vor dem Budapester Parteiaktiv in einem Referat „Über die Lage und die Aufgaben im Lichte des XX. Parteitages“ den nächsten Schritt mit einer „selbstkritischen“ Einschätzung seiner Arbeit und seines Verhaltens „zu bestimmten Fragen“ tun und gleichzeitig ausgerechnet am ungarischen Beispiel „nachweisen“, dass Stalins These von der Verschärfung des Klassenkampfes mit wachsenden Erfolgen – die gerade in Ungarn durch die Offensive des Revisionismus seit 1953 und verstärkt seit dem XX. Parteitag ihre nachdrückliche Bestätigung fand! – „falsch und schädlich“ sei. Chruschtschow und Tito verstärkten nun den Druck in Richtung Budapest, um den verhaßten Rakosi endlich vom Stuhl des 1. Sekretärs zu stoßen, damit der Weg für Imre Nagy frei werde. Tito reiste am 6. Juni nach Moskau, einen Tag später traf das sowjetische Politbüromitglied Suslow, der sich von einem „Stalinisten“ zu einem treuen Chruschtschow-Gefolgsmann entwickelt hatte, in Budapest ein. Die Auswirkungen zeigten sich auf dem nächsten ZK-Plenum der ungarischen Partei am 18. Juli 1956. Rákosis Stellvertreter Ernő Gerő verlas auf diesem Plenum einen Brief Mátyás Rákosis, in dem dieser bat, ihn von der Funktion als 1. Sekretär wegen „Fehlern in der Arbeit und Krankheit“ zu entbinden.

Die ungarischen Kommunisten versuchten sich zu wehren

Aber Tito und Chruschtschow waren damit unerwarteter Weise noch nicht am Ziel. Das ZK-Plenum wählte nämlich nicht ihren Kandidaten Imre Nagy zum Nachfolger Rakosis, sondern den nach Rakosi meistgehaßten Mann, Ernő Gerő. Der mußte, dem Zwang der Umstände gehorchend, auf diesem Plenum zwar erklären:

„Wir beabsichtigen, einen Brief an den Bund der Kommunisten zu senden, in dem wir feststellen: ´Wir bedauern tief, was geschehen ist. Wir ziehen unsere Verleumdungen zurück, mit denen wir in der gespannten internationalen Lage die Föderative Volksrepublik Jugoslawien und ihre Leiter bedachten. Wir schlagen vor, Verhandlungen zu beginnen…´“

Aber das konnte an dem Entschluß der beiden, ihn auch den Weg Rakosis gehen zu lassen, nichts ändern. Zunächst erzwangen sie auf dem nächsten ZK-Plenum der PdUW am 18.-21. Juli 1956 eine Erweiterung des ZK und des Politbüros [11] durch Aufnahme von jetzt rehabilitierten Tito-Sympathisanten, – zu denen auch Kadar gehörte –, womit die bisherige Mehrheit der Anti-Revisionisten in beiden Parteigremien gebrochen war. Und dann gingen sie gemeinsam an die Vorbereitung des letzten Schrittes, des Sturzes Gerős und der Rückkehr Imre Nagys in die Führungspositionen in Partei und Staat.

Die Verschwörung von Tito und Chruschtschow

Vom 19. bis zum 27. September verbrachte Chruschtschow seinen „Urlaub“ in Jugoslawien, am 25. September war er Gast Titos auf der Insel Brioni. Am 28. September revanchierte sich Chruschtschow als Gastgeber für Tito auf der Krim. Sie bereiteten sich beide auf die Verhandlungen mit Gerö vor, die dort am 2. Oktober 1956 stattfanden. Worum es bei diesen Gesprächen in Jugoslawien und auf der Krim ging, das hat Tito in einer Rede, die er am 11. November 1956 in Pula hielt, durchblicken lassen. Natürlich konnte er nicht die volle Wahrheit ausbreiten, vor allem durfte die wahre Rolle Chruschtschows nicht offen dargelegt werden. Aber es wird dennoch deutlich genug, daß bei diesen Gesprächen darüber beraten wurde, wer in den anderen sozialistischen Ländern tragbar sei und wer – vor allem in Ungarn – auf jeden Fall weg müsse.

Die Einmischung Titos in ungarische Angelegenheiten

Natürlich konnte gerade Tito, der immer jede Kritik aus anderen Parteien an seiner Politik als „Einmischung“ in die inneren Angelegenheiten seines Landes scharf zurückgewiesen hatte, das nicht offen zugeben. Deshalb formulierte er:

„Als dort – in Ungarn – die Unzufriedenheit auch in den Reihen der Kommunisten immer stärker auszubrechen begann, und als sie forderten, Rakosi solle gehen, da … waren die sowjetischen Genossen damit einverstanden, ihn abzusetzen. Aber sie machten den Fehler, nicht zuzulassen, dass auch Gerö und die sonstigen Anhänger Rakosis … abgesetzt würden.“

Es ging also eingestandenermaßen um die Erzwingung der Absetzung Gerös von außen! Offenbar hatte es um diese Zeit in der sowjetischen Führung auch noch ernsthaften Widerstand gegen Titos und Chruschtschows Forderungen gegeben, denn Tito sagte in der gleichen Rede:

„Aber wir haben das nicht so tragisch genommen, denn wir haben gesehen, dass das nicht die Haltung der gesamten Sowjetführung ist, sondern nur eines Teils. … Wir haben gesehen, dass diese Haltung von den Leuten aufgezwungen wurde, die ziemlich stark auf den Stalinschen Positionen standen und auch heute noch immer stehen, dass es aber noch immer die Möglichkeit gibt, dass in der Führung der Sowjetunion in einer inneren Evolution die Elemente siegen, die für eine kraftvollere und schnellere Entwicklung in Richtung auf eine Demokratisierung sind… Aus gewissen Anzeichen, aber auch aus den Gesprächen haben wir gesehen, dass diese Elemente nicht schwach, sondern stark sind.“ [12]

Der bewaffnete Putsch in Ungarn

budapest-konterrevolutionUm endlich in Ungarn ans Ziel – die Vertreibung Gerös von der Parteispitze und zugleich Hegedüs als Ministerpräsidenten – zu gelangen, griff man nun zu dem Mittel, das bereits in den Planungen Rajks als äußerstes Mittel vorgesehen war – zur Entfesselung des bewaffneten Aufstandes. In Polen und Ungarn hatte die vom XX. Parteitag der KPdSU ausgelöste „Entstalinisierungs“- und Rehabilitierungswelle im Laufe des Jahres 1956 antikommunistische und nationalistische Kräfte innerhalb und außerhalb der Partei zu immer offeneren Vorstößen ermuntert. In Ungarn begannen, inszeniert von Intellektuellen-Kreisen, die sich ja im so genannten „Petöfi-Klub“ ihr Zentrum geschaffen hatten, am 21. Oktober 1956 Studentenunruhen, denen sich auch Arbeiterdemonstrationen anschlossen, vor allem aber antikommunistischer Mob. Die Unruhen wurden zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei, zum bewaffneten Aufstand und zur Jagd auf und Lynchmorden an Kommunisten, Staats- und Parteifunktionären eskaliert. Damit waren die Verhältnisse geschaffen, die ermöglichten, die schon im Rajk-Prozeß enthüllten Zielsetzungen im stufenweisen Vorangehen zu verwirklichen.

Der Revisionist Kádár gelangt an die Macht

Die erste Stufe war die Umbildung der Regierung am 24. Oktober 1956: Imre Nagy wurde zum Ministerpräsidenten ernannt, der bisherige Ministerpräsident Hegedüs zu seinem Stellvertreter degradiert. Am 25. Oktober wurde Ernő Gerő vom ZK der Partei der Ungarischen Werktätigen abgesetzt und János Kádár zum neuen 1. Sekretär gewählt. Der Aufstand hatte das erste von den Nagy-Leuten anvisierte Ziel erreicht: die Eroberung der Führung in Partei und Staat. Aber das ungehinderte Wüten des weißen Terrors gefährdete die Durchführung des Stufenplanes des allmählichen, „legalen“ Übergangs zur bürgerlichen Republik, beschwor die Gefahr eines radikalen „Rückschlages“, gestützt auf die Sowjet-Truppen im Lande, herauf.

Die reaktionäre Regierung verhängt den Ausnahmezustand

Deshalb verhängte die neue Regierung nun den Ausnahmezustand und rief sogar die Sowjettruppen zu Hilfe zur „Wiederherstellung der Ruhe“ im Lande. Am 30. Oktober zogen sich dann die Sowjettruppen auf die Forderung Imre Nagys hin aus Budapest wieder zurück. Am nächsten Tage, am 31. Oktober, nachdem schon mehrere Stufen bis zur fast völligen Wiederherstellung eines bürgerlichen Ungarn bewältigt worden waren, hielt Nagy vor dem auf dem Parlamentsplatz versammelten Volk eine Rede, in der er ausführte:

„Wir haben die Bande Rákosi-Gerő vertrieben. Diese Bande hat versucht, mich zu beschmutzen; sie hat erklärt, ich hätte die sowjetische Intervention verlangt. Das ist falsch. Im Gegenteil: Ich war es, der den sofortigen Abzug der sowjetischen Truppen verlangt hat. Heute beginnt die Konferenz über die Abschaffung des Warschauer Paktes und über den Abzug der Russen aus unserem Lande.“
Vor Journalisten erklärte er dann danach: „Wir haben die Möglichkeit, den Warschauer Pakt auszulöschen. Es kann sein, dass Ungarn zu einem neutralen Kern in Mitteleuropa wird. Wir müssen uns auf die materielle Hilfe des Auslandes stützen.“ [13] Kennen wir diese Melodie nicht schon aus den Aussagen Szönyis?

Eine neue konterrevolutionäre Regierung in Ungarn

Aber wir haben vorgegriffen: nach der Eroberung der Führungspositionen in Partei und Regierung am 24. Oktober war erst einmal die nächste, zweite Stufe zu nehmen: Die Bildung einer neuen ungarischen Regierung, der erstmals auch zwei bürgerliche Minister, ehemalige Funktionäre der konterrevolutionären Partei der kleinen Landwirte, angehörten. Das geschah am 27. Oktober. Als eine weitere, dritte Stufe kann die Bildung eines „Sechserkomitees“ durch das ZK am 28. Oktober betrachtet werden, dessen Bildung praktisch die Ausschaltung des ZK und der Mitgliedschaft bei der weiteren Festlegung der Politik der Partei bedeutete. Vorsitzender dieses exklusiven Komitees war János Kádár, und natürlich gehörte ihm auch Imre Nagy an. Gelegentlich der Gründung des Sechserkomitees äußerte Nagy, es sei nicht wahr, dass das, was sich in Ungarn ereigne, eine Konterrevolution sei. Es sei das vielmehr „eine demokratische Bewegung, die unsere ganze Nation erfaßt hat, um unsere Unabhängigkeit zu sichern.“

Die angebliche „Rückkehr zur Demokratie“

Eine vierte, große Stufe wurde am 30. Oktober mit der Bildung des „engeren Kabinetts“ innerhalb der Regierung genommen, denn sie bedeutete den Übergang zu einer bürgerlichen Koalitionsregierung aus Vertretern von vier Parteien: der Partei der Ungarischen Werktätigen, der wieder zugelassenen Partei der kleinen Landwirte, der Nationalen Bauernpartei und der wieder gegründeten Sozialdemokratischen Partei. Kádár erklärte als 1. Sekretär der Partei der Ungarischen Werktätigen aus diesem Anlass, die Wiederzulassung der bisher verbotenen Parteien und die Abhaltung freier Wahlen bedeute eine „Rückkehr zur Demokratie“.

„Er forderte die Mitglieder seiner Partei auf, mit den Freiheitskämpfern zusammenzuarbeiten“ [14] – also mit den Henkern seiner Genossen! Noch am 3. November wüteten diese „Freiheitskämpfer“ so, dass Radio Budapest sich veranlaßt sah, die Bevölkerung aufzufordern, „mit den summarischen Hinrichtungen aufzuhören“ und daran „zu erinnern“, „daß niemand ohne vorherige gerichtliche Verurteilung hingerichtet oder ins Gefängnis gesteckt werden dürfe.“ In der Pressemitteilung heißt es dazu weiter: „Es war berichtet worden, dass von den Aufständischen auf Mitglieder der Sicherheitspolizei und kommunistische Führer Jagd gemacht werde und dass hierbei Personen gelyncht oder eingekerkert wurden.“ [15]

Der Austritt Ungarns aus dem Warschauer Vertrag

Nächste Stufe: Am 1. November 1956 gab Nagy bekannt, „daß Ungarn mit sofortiger Wirkung den Warschauer Pakt kündigt und die Neutralität Ungarns proklamiert“. Zugleich richtete er ein Schreiben an den Generalsekretär der UNO, in dem er diesem mitteilte, er habe den sowjetischen Botschafter Andropow zu sich gerufen und ihm erklärt, daß die ungarische Regierung den Warschauer Pakt aufkündigt, die Neutralität Ungarns proklamiert und sich an die Vereinten Nationen wendet, um die Hilfe der vier Großmächte zur Verteidigung seiner Neutralität zu erlangen. Er gab gleichzeitig bekannt, daß er selbst das Außenministerium übernehme, „um eine entsprechende Politik hinsichtlich des Warschauer Paktes zu gewährleisten.“ [16] Damit hatte er nicht nur die Durchführung des Plans seines Vorgängers Rajk, sondern auch dessen Amt als Außenminister übernommen.

Die „Sozialdemokratisierung“ Ungarns

Einen Tag später, am 2. November, tagte die Leitung der Partei der Ungarischen Werktätigen und gründete sich – da es ja nun wieder eine legale sozialdemokratische Partei im Lande gab – um; sie nannte sich nunmehr „Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei“ (USAP). Ihrem Vorstand gehörten außer János Kádár auch Imre Nagy und andere Mitglieder der Führung der bisherigen Partei der Ungarischen Werktätigen an. Danach nahm Kádár in einer Radioansprache eine sehr widersprüchliche Haltung ein. Zum einen bekräftigte er den revisionistischen Grundkurs der Verteufelung der Rákosi-Führung mit den Worten:

„Unsere Partei bricht für immer mit den Verbrechen der Vergangenheit und wird gegen alle die Ehre und die Unabhängigkeit Ungarns verteidigen.“ Das war eine Bekräftigung der Nagy-Erklärung über den Austritt aus dem Warschauer Pakt und über die Neutralität Ungarns. Er fuhr fort: „Die ungarische Jugend“ – damit waren die Studenten gemeint, die den Aufstand begannen! – „hat nicht ihr Blut vergossen,“ – im Kampf gegen die bewaffneten Kräfte der Volksrepublik Ungarn! – „um die Tyrannei von Rákosi durch die Tyrannei einer Gegenrevolution zu ersetzen. Wir haben nicht gekämpft, damit aus den Händen der Arbeiterklasse die Bergwerke und die Fabriken und aus den Händen der Bauernschaft der ihnen zugeteilte Boden wieder genommen werden. Wir wollen nicht wieder in die Sklaverei des alten Regimes der feudalen Herrenklasse fallen.“ Mit Bezug auf die schon am Vortage durch Radio bekannt gegebene Nachricht, dass neue Einheiten der Sowjetarmee nach Ungarn verlagert worden seien, sagte Kadar, „es bestehe die Gefahr, daß die Intervention einer ausländischen Macht unserem Land das Schicksal Koreas bereitet.“ [17]

Der Weiße Terror in Ungarn verschärft sich

Diese insgesamt vieldeutige Erklärung läßt darauf schließen, daß sich Kádár und andere nun auch auf die Möglichkeit einstellen, daß die von ihnen als Regierungsmitglieder mitgetragene Politik Nagys doch noch am Eingreifen der Sowjetunion scheitert und deshalb eine Rückzugsstellung vorbereitet werden mußte. Denn inzwischen hatte, nach der Proklamation des Austritts aus dem Warschauer Pakt, der weiße Terror eine bisher ungekannte Steigerung erfahren. Am 2. November berichtete der Reuter-Korrespondent:

„Seit gestern herrscht Menschenjagd in den Straßen von Budapest.“ Systematisch wurden Menschen „gehetzt, gejagt und wie Hunde erschlagen, an Laternen und Balkons aufgehängt. Szenen, die an die Wiederkehr der ´Weißen´ in Ungarn von 1919 erinnern, spielen sich im ganzen Lande ab.“ [18]

Nie in meinem Leben werde ich diese Tage anfangs November 1956 vergessen, in denen ich zusammen mit meinen Genossen und Kollegen Tag für Tag im Radio mit Entsetzen und ungläubigem Zorn die Schreckensnachrichten über die Kommunistenjagd und die Mordorgien der weißen Banden in Budapest verfolgte und wir uns immer wieder fragten: Wie ist es nur möglich, daß dies alles geschehen kann, obwohl die Panzer der Roten Armee im Lande stehen? Wie kann man sich das früher ganz und gar Unmögliche erklären, daß die Armee der Sowjetunion Gewehr bei Fuß zusieht, wie Kommunisten von weißen Banditen gelyncht und aufgehängt werden? Wann werden sie denn dem endlich Einhalt gebieten?

Ein Strafprozeß gegen die eigenen Komplizen

Am 4. November 1956 – unverständlich spät! – war es endlich so weit: Die Sowjetarmee griff ein und zerschlug alle Hoffnungen der Nagy und ihrer Hintermänner in Belgrad, Washington und Bonn und wo sonst noch immer. Offenbar in Absprache mit sowjetischen Stellen hatte János Kádár am gleichen 4. November sich von Nagy abgesetzt und von Szolnok aus eine „revolutionäre Gegenregierung“ ausgerufen, der er als Ministerpräsident vorstand. [19] Imre Nagy und einige andere seiner Minister und Anhänger offenbarten nun auch noch ganz unzweideutig, in wessen Interesse und Auftrag sie gehandelt hatten, indem sie in die jugoslawische Botschaft flüchteten. Von dort aus wollten sie nach Jugoslawien ausreisen. Aber der Bus, in dem sie am 22. November die Reise antraten, landete statt in Belgrad in Bukarest. [20] Erst 1958 lieferte die rumänische Regierung Nagy den ungarischen Behörden aus, und nun erhielt auch er – wie seinerzeit Rajk – seinen Prozess, diesmal aber nicht unter Máyás Rákosi als Parteichef, sondern unter seinem ehemaligen Mitverschworenen, János Kádár – der ihm gerne geholfen hätte, aber nicht helfen konnte, wollte er seine eigene Stellung an der Spitze der Partei und der Regierung nicht gefährden. [21] Der Prozeß wurde am 6. Februar 1958 eröffnet als „Strafprozess Imre Nagy und Komplizen“, und wurde am 15. Juni mit dem Todesurteil gegen Nagy und weitere drei Angeklagte und Freiheitsstrafen von 5 Jahren bis lebenslänglich gegen weitere fünf Angeklagte beendet.

Die Vollendung der Konterrevolution

Nachdem so auch der zweite Versuch der Durchführung des Programms gescheitert war, dessen Umrisse im Rajk-Prozeß enthüllt worden waren, ergab sich erst nach vier Jahrzehnten, 1989/90, die Gelegenheit zum dritten, diesmal – dank Gorbatschow – erfolgreichen Versuch zu dessen Vollendung. Wiederum fanden sich „gestandene Kommunisten“, die ihr ganzes politisches Leben „im Dienste der Partei“ verbracht hatten, die sich jetzt mit Eifer der Beseitigung der Volksrepublik Ungarn und ihrer Umwandlung in das heutige kapitalistische Ungarn widmeten und auch mit sichtlichem Vergnügen dabei halfen, die sozialistische Ordnung in anderen Ländern, wie z.B. der DDR, zu untergraben und zum Einsturz zu bringen. Es genügt, an den damaligen ungarischen Außenminister Gyula Horn zu erinnern, der sich in diesem Jahr des 10. „Jubiläums“ der Grenzöffnung zu Österreich, die er am 27. Juni 1989 gemeinsam mit dem österreichischen Außenminister Mock vollbracht hatte, feiern ließ, und der als Ministerpräsident des „neuen“, in Wahrheit alten, kapitalistischen Ungarn, der er zeitweilig war, das Land so regierte, daß man meinen konnte, er benutze das Rajksche Drehbuch der Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung als Vorlage.

Das Urteil der Geschichte

Die Geschichte selbst hat also die Anklagen im Rajk-Prozeß als begründet, die Rehabilitierung der Verurteilten dagegen als konterrevolutionäre Geschichtslügen offenbart, deren Wirkung auf die Massen die nachträgliche Durchführung des Programms der Rajk und Komplizen ermöglichen sollte und zum Unglück des ungarischen Volkes schließlich auch ermöglicht hat. Wer wissen will, wohin die nach dem XX. Parteitag und erneut nach dem Sieg der Konterrevolution von 1989/90 Rehabilitierten das Land führen wollten, der sehe sich an, wohin die Rehabilitierer es geführt haben!

[1] A.Y. Wyschinski, stellv. Außenminister der UdSSR, im Sommer 1948 über die Beziehungen Jugoslawiens zur Sowjetunion: „Nach dem Sieg über Hitlerdeutschland wurden zwischen der Sowjetunion und Jugoslawiens die brüderlichsten Beziehungen hergestellt, es wurden wichtige Beschlüsse gefasst, Jugoslawien wirtschaftlich, militärisch und politisch in der internationalen Arena zu helfen, das wir als einen unserer treuesten und ideologischen Verbündeten betrachteten.“ Zitiert in: Enver Xoxha, Die Titoisten, Tirana 1983, S. 587.
[2] Ausführlich dazu: Enver Hoxha, Die Titoisten, S. 301-556.
[3] Ausführlich dazu: Ebenda, S. 557-632.
[4] Zitiert aus: Klaus Steiniger, Tops und Flops. Die Geschäfte der USA-Geheimdienste, Berlin 1998, S. 38f. (Hervorhebungen von mir, K.G.)
[5] Zitiert aus: Laszlo Rejk und Komplizen vor dem Volksgericht, Berlin 1949, S. 193, 195 ff
[6] Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie!, Nr. 27/1953. Im Sender „SFB“ wurde am 15.6.1983 in einer Sendung berichtet, Chrustschow habe von Rakosi die Ernennung Imre Nagys zum Ministerpräsidenten verlangt.
[7] Für dauerhaften Frieden,… Nr. 28/1953
[8] Für dauerhaften Frieden,…, Nr. 10/1955
[9] Archiv der Gegenwart, S. 5292
[10] Für dauerhaften Frieden…, Nr. 50/1955
[11] Neues Deutschland v. 24.7.1956
[12] Archiv der Gegenwart, S. 6106
[13] Archiv der Gegenwart vom 4. November 1956, S. 6069
[14] Ebenda, S. 6068
[15] Ebenda, S. 6070. Zur Konterrevolution in Ungarn siehe auch die vier Hefte des Informationsbüros des Ministerrates der Ungarischen Volksrepublik: Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn; ferner: Die konterrevolutionäre Verschwörung von Imre Nagy und Komplizen. Dieser vom gleichen Büro herausgegebene Band enthält einen großen Teil der Materialien des Prozesses gegen Imre Nagy.
[16] Archiv der Gegenwart, S. 6069
[17] ebenda
[18] Hans Adler, Zwischen Kairo und Budapest. Die Geschichte einer Verschwörung. Berlin 1957, S. 84f.
[19] Archiv der Gegenwart, S. 6071
[20] Die jugoslawische Version der Entführung Nagys und der mit ihm in die jugoslawische Botschaft Geflüchteten und der jugoslawische Protest ist im „Archiv der Gegenwart“, S. 6117f. Wiedergegeben.
[21] Im Deutschlandfunk wurde am 16.6.1983 in der Frühsendung 8.30 Uhr behauptet, Kadar habe sich vergeblich darum bemüht, das Todesurteil gegen Nagy zu verhindern.

Quelle: http://kurt-gossweiler.de/?p=759

pdfimages  Die Konterrevolution in Ungarn

Siehe auch: Die blutige Fratze der Konterrevolution

Wahlumfrage: CDU/AfD mit 46 % vor Rot-Rot-Grün mit 44 Prozent

Mehrheit der Deutschen eher für Neoliberalismus, Rechtspopulismus und Rassenkampf statt für sozialistischen Klassenkampf einer Linksregierung

Großdeutschland-Ideologie ist eine gemeinsame  Schnittmenge der völkischen Ideologie von CDU und AfD - da wächst zusammen...

Laut einer Emnid-Umfrage würde das  Lager der politischen Rechten zusammen auf 46 % kommen, während Rot-Rot-Grün zusammen nur auf  44 % kämen.

Die FDP schrammt an der 5 % Linie entlang.

Würde sie die 5-Prozent-Hürde verfehlen, hätten CDU (33 %) udb afD (13  %) zusammen eine mehrheit als Rechtsfront-Regierung.

  • Die Linke erreicht laut Emnid 10 Prozent, die SPD 23 Prozent und die Grünen 11 Prozent.
  • Die Union steigt auf 33 Prozent, die FDP verliert einen Punkt auf 5 Prozent, und die AfD bliebt bei 13 Prozent.

Rot-Rot-Grün hätte auch bei weitgehenden Zugeständnissen der Linken zu neoliberalen Sozialabbau-Politik, zur Sparpüolitik und zu pro imperialistisch-transatlantischen  Kriegspolitik-Positionen  und beim Mittragen von Rüstungsexporten in alle Welt keine Mehrheit.

Diese Politik der anbiederung hat die Linkspartei schon auf 10 % gerdrückt, während eine Fundamentaloppositionsposition im Bundestag  einen großen Teil der 13 % AfD Wähler hätten gewonnen werden könnern . So suchten sie sich  wegen der Anbiederung der Linkspartei an die SPD auch im Osten eine andere  und antilinke systemkritische Partei.

Somit wurde die Rechte nicht nur durch Systemmedien gestärkt, dier die AfD gr0ß geschrieben udn salonfähig gemacht haben, sondern auch durch eine neoliberal entartete Linke, die sich in Regierungen mit der SPD bisher immer programmatisch absolut unterworfen und sogar neoliberale Privatisierungen der SPD in Regierungen mitgetrasgen hatte.   

Beschlüße der Bundestagsfraktion der Linkspartei, die nicht im Einklang mit der Programmatik der Bundespartei stehe und Hartz IV auf  dem Niveau von 560 €uro Grundsicherung befürworten, tragen nicht zur Stärkung de Glaubwürdigkeit einer sozialistische und anti- neoliberalehn sowie systemkritischen  udn anti-imperialistischen Linken bei. Das stärkt leider nur die AfD noch weiter.

Diskussionen über CDU/AfD Kooperationen gibt es schon lange Zeit. Da wächst als Rechtsfront zusammen, was zusammen gehört. Der völkische, ultranationalistisch-großdeutsche und rassistische Flügel war immer ein Bestandteil der Union.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch empfahl dagegen bei „Spiegel Online“, die AfD als künftigen Koalitionspartner der Union in Erwägung zu ziehen. Zur Begründung sagte Willsch, dass es mit der AfD eine größere Übereinstimmung gebe als beispielsweise mit SPD oder Grünen.

Wir müssen für künftige Koalitionen nüchtern darauf blicken, mit wem wir die größten Schnittmengen haben: mit der SPD, mit den Grünen oder mit der AfD? Da sehe ich die größten Schnittmengen mit der AfD“, sagte Willsch. Als Beispiel nannte er die Europapolitik, wo Union und AfD gleichermaßen für eine unabhängige Zentralbank und für die soziale Marktwirtschaft eintreten würden.

Auch Unions-Fraktionsvize Georg Nüsslein (CSU) riet dazu, sich mit der AfD zumindest inhaltlich auseinanderzusetzen. „Man sollte die AfD nicht einfach in die rechtspopulistische Ecke drängen“, sagte er „Spiegel Online“. „Es kann durchaus sein, dass sie die FDP dauerhaft ersetzt.“

 

Ceta Abkommen mit Kanada zum  Glück gescheitert

Eilmeldung vorab

Quelle Politik und Zeitgeschehen

Bundespräsident- Kandidat:War SPD Außenminister Steinmeier ein Folterknecht oder Kumpane des CIA der USA ?

Wer Folter befürwortet oder hinnimmt, foltert mit

Auch Linken-Chef Riexinger bezeichnet Steinmeier als unwählbar. Damit  dürfte Rot Rot-Grün 2017 gestorben sein

SPD Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel schlägt Frank Walter Steinmeier als Bundespräsidenten-Kandidaten vor.

Doch der SPD Spitzenpolitiker galt schon mal als möglicher Folterknecht des kriegerischen  Bush-Regimes der USA  bzw. als jemand, der als deutscher Außenminister und als  Verantwortlicher für den BND - Geheimdienstes diese Folter deckte oder billigend in Kauf nahm.

Die Planung von US-Geheimgefängnissen in Marokko, Rumänien und in einer Stadt im ehemaligen Ostblock wurde laut „New York Times” von einer CIA-Versorgungsbasis in Frankfurt am Main aus koordiniert.

Über Flughäfen und US-Militärbasen in Deutschland wurden CIA-Folterflüge und Gefangenentransporte durchgeführt. Beispielsweise, so „Die Zeit”, ist Abu Omar 2003 aus Italien über die US-Airbase in Ramstein nach Ägypten verschleppt worden.

Der BND, das BKA und das BfV waren nach Medienberichten auf diversen Ebenen am System der US-Geheimgefängnisse beteiligt. Die Behörden haben Namen mutmaßlicher Terroristen und weiteres durch Abhörmaßnahmen gewonnenes Material an die CIA weitergegeben. Das BKA hat, so Schäuble im Bundestag, in Guantánamo und Syrien Befragungen durchgeführt. Bundeswehrsoldaten der KSK bewachten US-Geheimgefängnisse in Afghanistan. Über die Situation in den Lagern waren sie informiert. Sie beteiligten sich laut Murat Kurnaz auch an den Misshandlungen der Internierten.

Auch deutsche Geheimdienste profitieren von Folter, meint der ehemalige deutsche Geheimdienst-Insider Fritzsche.

Bei allem Entsetzen über die Details, die jetzt über die Foltermethoden der CIA bekannt werden: Es ist zu bewundern, wie die politischen Eliten der USA diese Missstände aufdecken und damit beginnen, sie aufzuarbeiten.( Leider nur zum Schein, sie machten danach weiter wie zuvor, Red.)  Aber welche Folgen sollte der Bericht des Senate Intelligence Committee für die Arbeit von Nachrichtendiensten haben, auch für die der deutschen?

Wieder einmal bewahrheitet sich, dass der Einsatz von Folter nicht nur unsere Werte verrät, sie liefert auch keine Erkenntnisse, weil die Opfer ihren Peinigern alles sagen, was die hören wollen. Aber waren fehlende Informationen je das Hauptproblem von Geheimdiensten? War der Grund für gefährliche Wissenslücken nicht vielmehr schlechtes Informationsmanagement? Nach 9/11 hat eine Kommission des US-Kongresses die Versäumnisse der amerikanischen Dienste untersucht. Es wurde klar, dass es vor allem Mängel in der Zusammenarbeit der Dienste und bei der Auswertung vorhandener Informationen gab. Trotz dieses klaren Fazits gab es keine gründlichen Reformen. Stattdessen wurde der verheerende Weg der Repression beschritten.

 

Mich als ehemaligen Insider erschreckt es, wie sehr die sogenannten "verschärften Verhörmethoden" dem Anspruch eines guten Nachrichtendienstes widersprechen, nämlich mit intelligenten Mitteln, guten Quellen und Urteilsvermögen wichtige Geheimnisse zu erfahren und daraus resultierende Gefahren zu erkennen. Es gäbe im Übrigen klügere Ansätze, dem islamistischen Terrorismus den Nährboden zu entziehen, statt ihm neue Generationen von Dschihadisten zuzutreiben – etwa gezielte Entwicklungshilfe, die Ausbildung perspektivloser Jugendlicher, die Unterstützung moderater islamischer Gruppen.

Angesichts dessen, was wir heute über die Praxis der CIA, aber auch der NSA wissen, mag man sich fragen, ob die Tätigkeit eines Nachrichtendienstes überhaupt mit demokratischen Werten vereinbar ist. Schon die reine Spionage, also das Gewinnen von Informationen mithilfe von Agenten, erfordert Maßnahmen zum Schutz von Quellen, die von Fall zu Fall hinterfragt werden müssen – etwa, wenn ein Nachrichtendienst einen Verbrecher als Quelle führt. Die technische Aufklärung, also das Erfassen von Telekommunikation, läuft Gefahr, die Privatsphäre unbeteiligter Personen zu verletzen. Ich selbst habe Mitte der neunziger Jahre mit Wissen des Kanzleramts Journalisten nach ihren Informanten ausgeforscht.

Darüber hinaus gibt es Situationen, in denen eine Regierung ihren Nachrichtendienst gebraucht – missbraucht? –, um politische Ziele durchzusetzen, etwa den Sturz einer unliebsamen Regierung oder die Unterstützung von oppositionellen Gruppen. Auch hierbei werden Menschenrechte verletzt und wird gegen den politischen Verstand gesündigt.

Dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) bleiben – dank der Begrenzung seiner Aufgaben auf die reine Informationsbeschaffung – einige dieser Dilemmata erspart. Aber auch für ihn stellt sich die Frage: Soll er Informationen annehmen, die möglicherweise durch Folter gewonnen wurden? Informationen arabischer Staatssicherheitsdienste etwa, solche des russischen Geheimdienstes – oder der CIA? Soll er solche Angebote verweigern, auch wenn sie helfen könnten, Terroranschläge in Deutschland zu verhindern?

Es gibt hierauf nur eine Antwort: Die Verantwortlichen im Nachrichtendienst – und je nach Schwere des Falles ihre politischen Auftraggeber – müssen abwägen, ob die Fragwürdigkeit einer Methode so schwer wiegt, dass die Annahme einer Information unvertretbar ist. Diese Abwägungen müssen Verschiedenes berücksichtigen: den Charakter des liefernden Dienstes, welche Angaben er über die Art und Weise macht, auf die er die Information gewann, welchen Wert frühere, vergleichbare Informationen hatten, was der liefernde Dienst mit der Information bezweckt und wie konkret die berichtete Gefahr ist.

Ja, der BND nimmt auch Informationen von Staaten an, die foltern. Das kann man ihm allein aber schlecht vorwerfen. Wenn ein Geheimdienst die Wahl zwischen zwei Übeln hat (von Folter zu profitieren oder eine Terrorgefahr in Kauf zu nehmen), wird er sich kaum für die Terrorgefahr entscheiden. Das wissen auch die Politiker, denen wir Bericht erstatten und die uns kontrollieren sollen. Es ist daher die Politik, die gefordert ist, hier klare Grenzen zu ziehen – und in der Außenpolitik auf das Ende von Folter hinzuarbeiten.

Volker Foertsch leitete von 1989 bis 1995 die Abteilung "Beschaffung" des BND

 

Der aus Syrien stammende, in Hamburg aufgewachsene Mohammed Haydar Zammar, deutscher Staatsangehöriger seit 1982, wurde im Jahr 2002 in einem syrischen Gefängnis von deutschen Beamten fünfzehn Stunden lang vernommen. Zuvor war er „drei Tage lang auf die Befragung im Interesse einer konstruktiven Haltung vorbereitet” worden (so teilte das der Fallführer des syrischen Geheimdienstes den deutschen Vernehmungsbeamten mit). Die deutschen Beamten nutzten die Gesprächssituation, die andere durch Folter erzwungen haben, aus und fuhren mit der Befragung fort (Prantl 2008, S. 157f).

Khaled el Masri, im Libanon geboren und seit 1994 deutscher Staatsbürger, wurde in Mazedonien verschleppt, vier Monate ohne Anklage in einem Geheimgefängnis in Kabul festgehalten. Am Ende der Gefangenschaft wurde el Masri von einem deutschsprachigen Mann vernommen, der sich als „Sam” vorstellte. Dieser begleitete ihn am 28. Mai 2004 auf dem Rückflug nach Albanien, wo er schließlich an der albanisch-mazedonischen Grenze ausgesetzt wurde. El Masri ist sich sicher, dass es sich bei „Sam” um einen deutschen BND-Beamten handelt (Prantl 2008, S. 158f).

Die Verwendung von unter Folter gewonnenen Erkenntnissen wurde vom ehemaligen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verteidigt.

Deutschland ist beteiligt
Nachfolgende Chronik ist dem empfehlenswerten Buch von Murat Kurnaz "Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo" entnommen. Sie dokumentiert die Mitverantwortung deutscher Stellen, von der Bundesregierung, über Geheimdienste bis zur Eliteeinheit KSK der Bundeswehr, an dem Schicksal von Murat Kurnaz.

3. Oktober 2001:
Wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September fliegt der 19-jährige Murat Kurnaz von Frankfurt nach Karatschi in Pakistan. Zeugen geben an, Kurnaz wolle vermutlich zum Kampf gegen die Amerikaner nach Afghanistan reisen. Er bleibt in den folgenden Wochen in Pakistan.

7.Oktober 2001:
Beginn des Afghanistan-Krieges. US-Streitkräfte bombardieren Stellungen der Taliban sowie Ausbildungscamps der Al Qaida.

11. Oktober 2001:
Die Bremer Staatsanwaltschaft leitet gegen Kurnaz und drei weitere Personen ein Verfahren «wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung» ein. In ihrer Verzweiflung belastet vor allem seine Mutter den verschollenen Sohn: Er habe sich verändert, sich einen Bart wachsen lassen, vermutlich beeinflusst vom Vorbeter einer Moschee. Der Prediger wird abgehört, ohne dass Kontakte mit Kurnaz festgestellt werden. Ein Ausbilder zitiert ungenannte Mitschüler von Kurnaz, denen zufolge er angekündigt habe, nach Afghanistan reisen zu wollen.

1. Dezember 2001:
Kurnaz wird nahe Peschawar an einem Auto-Checkpoint festgenommen, nach tagelangem Aufenthalt in verschiedenen pakistanischen Gefängnissen an die US -Streitkräfte übergeben, die ihn nach Afghanistan verschleppen und dort im US-Geheimgefängnis Kandahar internieren und foltern. Bei seiner Festnahme in Pakistan war Kurnaz auf dem Weg zum Flughafen. Er wollte zurück nach Deutschland.

15. Dezember 2001:
Ein Vorauskommando der deutschen Eliteeinheit KSK trifft in Afghanistan ein. Zu den Aufgaben der KSK-Soldaten gehört die Bewachung des US-Geheimgefängnisses in Kandahar, wo Kurnaz gefoltert wird.

9. Januar 2002:
Der Bundesnachrichtendienst (BND) teilt dem Bundeskanzleramt mit, dass Kurnaz einen türkischen Pass hat und im südafghanischen Kandahar festgehalten wird. Dass auf dem US-Stützpunkt ein Terrorverdächtiger aus Deutschland interniert ist, wissen auch die deutschen KSK-Soldaten.

11. Januar 2002:
Erster Gefangenentransfer von Afghanistan nach Guantana-mo. Laut US-Vizepräsident Dick Cheney sollen dort künftig «die Schlimmsten der Schlimmen» interniert werden.

18. Januar 2002:
Das Bundeskriminalamt (BKA) übergibt der US-Bundespolizei FBI Informationen über Kurnaz. Es handelt sich dabei um Erkenntnisse des LKA Bremen aus dem Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

20. Januar 2002:
Die US-Regierung veröffentlicht Fotos aus Guantanamo. Sie zeigen gedemütigte Gefangene in Ketten, mit Ohrenschützern und geschwärzten Brillen. Das Lager liegt auf einem US-Militärstützpunkt auf Kuba, nach Ansicht des Pentagons haben US-Gerichte hier nichts zu sagen. Die USA verweigern den Gefangenen den Status als Kriegsgefangene, bezeichnen sie als «unrechtmäßige Kämpfer» und provozieren damit internationalen Protest.

23. Januar 2002:
Laut einem BND-Bericht befindet sich Kurnaz noch in Afghanistan, seine «Verbringung nach Guantanamo» werde jedoch «vorbereitet». Weiter heißt es in der Geheimdienst-Depesche: Es gebe ein «Angebot» der USA, «M. K. zu sprechen und zu befragen».

28. Januar 2002:
Mehrere Medien berichten, dass Kurnaz sich in Afghanistan in amerikanischer Haft befindet. Das Stigma vom «Bremer Taliban» ist geboren.

29. Januar 2002:
Im Bundeskanzleramt tagt unter Vorsitz von Frank-Walter Steinmeier die sogenannte Präsidentenrunde. Teilnehmer dieser exklusiven Runde sind in der Regel neben Steinmeier und dessen Geheimdienstkoordinator die Chefs des BKA, des BND und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sowie die Staatssekretäre des Auswärtigen Amtes, Bundesinnenministeriums und des Justizministeriums. Die Präsidentenrunde kommt überein, das Angebot der USA anzunehmen und Kurnaz in Guantanamo von deutschen Beamten vernehmen zu lassen.

Inzwischen wurde enthüllt, dass die Zurückweisung des US-Angebots von den obersten Ebenen der SPD/Grünen-Regierung ausging und bereits 2002 diskutiert wurde – auf Sitzungen der so genannten „Präsidentenrunde“, der Chefs von VS, BND (Bundesnachrichtendienst), BKA (Bundeskriminalamt) u. a., unter der Führung des jetzigen SPD-Außenministers Steinmeier (damals Chef des Bundeskanzleramts in der Schröder-Regierung). Diese Runde war sich sehr bewusst über ihre Handlungen und deren mögliche Folgen. Dies geht aus einem VS-Bericht vom Oktober 2002 hervor, wo nachgefragt wird, ob die Regierung wirklich „dokumentieren möchte, dass alles versucht wurde, seine Rückkehr zu verhindern“. Selbst nachdem die eigenen Geheimdienste zu dem Schluss gekommen waren, dass Kurnaz „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ keine Verbindung zu Terroristen hat (Beurteilung der BND-Agenten nach einem Verhör im Oktober 2002 in Guantánamo), und selbst nachdem ein US-Richter zu demselben Schluss gekommen war und die Freilassung von Kurnaz zusammen mit anderen Guantánamo-Häftlingen im Januar 2005 anordnete – selbst dann versuchte die Regierung noch immer, ihm etwas anzuhängen oder seine Rückkehr nach Hause doch irgendwie zu verhindern. So bemerkt ein Memo des Auswärtigen Amts im Oktober 2005: Das Bundesinnenministerium und der VS „hoffen jetzt, von US-Seite weitere Informationen gegen K. zu bekommen, die den Verdacht der Unterstützung im internationalen Terrorismus erhärten“. Von Steinmeier selbst ist zu hören, dass er wieder so handeln würde. Er  erweist sich hier als unbelehrbar. Er verteidigt somit  auch im nachhinein Unrechtsstaatlichkeit und hat sich damit disqualifiziert,  erster Mann im Staate zu werden.

30. Januar 2002:
Laut einem internen Vermerk erörtern BND-Präsident August Hanning und Joschka Fischers Staatssekretär Günter Pleuger, ob ein Vertreter des Auswärtigen Amtes mit zur Kurnaz-Vernehmung nach Guantanamo reist: Eine «Entscheidung von BM Fischer hierzu» stehe noch aus, heißt es in einer Mail.

31. Januar 2002:
Bundeskanzler Gerhard Schröder fliegt nach Washington. Beim Staatsbesuch im Weißen Haus spricht er den Fall Murat Kurnaz nicht an. Im Vorfeld wurde erwogen, sich in der Sache direkt an George Bush zu wenden. Aber die Beziehungen zu den USA will man nicht belasten.

1. Februar 2002:
Rabiye Kurnaz schreibt an das Auswärtige Amt. Die Mutter von Murat Kurnaz bittet um Auskunft über ihren Sohn. Die Polizei informiert sie über den bevorstehenden Transfer ihres Sohnes nach Guantanamo. In verzweifelter Sorge sucht sie Hilfe bei amnesty international und der evangelischen Kirche.

2. Februar 2002:
US-Militärs fliegen Kurnaz nach Guantanamo.

8. Februar 2002:
Außenminister Joschka Fischer beantwortet persönlich einen Brief der besorgten Eltern von Kurnaz - und weist deutsche Diplomaten an, sich um eine konsularische Vertretung von Kurnaz zu bemühen. Die deutsche Botschaft in Washington bittet US-Behörden um Auskunft zu Kurnaz.

15. Februar 2002:
Der Generalbundesanwalt lehnt ab, das Bremer Ermittlungsverfahren gegen Kurnaz zu übernehmen. Begründung: Es wurde kein «einschlägiges Beweismaterial» gefunden, das ein Verfahren wegen Bildung «einer terroristischen Vereinigung» rechtfertigt.

20. Februar 2002:
Der Präsident des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Walter Wilhelm, schreibt einen Vermerk, Kurnaz habe Verbindungen ins terroristische Milieu. Der Vermerk wird an das BfV weitergegeben. Derweil vernimmt die Bremer Polizei weitere Freunde, Bekannte von Kurnaz, auch Mitschüler, die ihn nicht mögen. Die meisten schließen aus, dass er nach Afghanistan in den Kampf wollte. Einem Vermerk des LKA zufolge findet sich im Umfeld von Kurnaz «keine direkte Aussage, wonach dieser in Afghanistan gegen die Amerikaner kämpfen wollte».

14. März 2002:
In einer Plenardebatte kritisiert Außenminister Fischer die USA wegen des Gefangenenlagers in Guantanamo.

28. April 2002:
Mit rund 300 anderen Gefangenen wird Murat Kurnaz von Camp X-Ray ins neuerbaute Camp Delta verlegt.

27. Mai 2002:
Der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Docke übernimmt das Mandat für Murat Kurnaz und informiert von nun an regelmäßig die Medien über die Entwicklung.

9. Juli 2002:
Nachdem bislang mehrere US-Angebote, Kurnaz in Guantanamo zu befragen, vertagt wurden, stimmt die Präsidentenrunde im Kanzleramt nun einer Befragung durch deutsche Geheimdienstbeamte zu. Ermittler vom Bundeskriminalamt (BKA) dürfen nicht mit in den rechtsfreien Raum Guantanamo. Deutsche und amerikanische Behörden tauschen seit Monaten Erkenntnisse über Kurnaz aus.

17. Juli 2002:
Anwalt Bernhard Docke schreibt an Bundesaußenminister Fischer: «Die Situation ist besorgniserregend: Anwälte erhalten bislang keinen Zutritt, etwaige strafrechtliche Vorwürfe wurden bislang nicht konkretisiert. Meines Wissens wurden von amerikanischer Seite bislang keinerlei Angaben über die zeitliche Perspektive der Gefangennahme, die Klärung des Status der Gefangenen sowie die verbindliche Anwendung der Mindeststandards des humanitären Völkerrechts gemäß der Genfer Konvention gemacht.» Im Antwortschreiben des Ministeriums steht, was seit Monaten bekannt ist: «Auf erneute Anfrage bei den amerikanischen Behörden wurde uns jetzt erstmals bestätigt, dass Herr Kurnaz tatsächlich in Guantanamo festgehalten wird.» Das Ministerium verweist auf die Problematik der Staatsangehörigkeit von Murat Kurnaz.

9. September 2002:
Nach Besuchen in Guantanamo zeigt sich das Internationale Rote Kreuz (IKRK) öffentlich besorgt um die psychische Gesundheit der Gefangenen.

22. September 2002:
Bundestagswahl in Deutschland: Die Koalition der rot-grünen Regierung gewinnt mit hauchdünner Mehrheit. Ausschlaggebend war das plakative Nein von Kanzler Schröder zu den Kriegsplänen von US-Präsident Bush im Irak, das zu schweren Verstimmungen zwischen den Washington und Berlin führt. Schröder bleibt Kanzler, Steinmeier Chef des Kanzleramts, Fischer Außenminister und Schily Innenminister.

23./24. September 2002:
Zwei Mitarbeiter des BND und einer des Verfassungsschutzes verhören Kurnaz insgesamt 12 Stunden, unter Kontrolle der CIA. Nach dem Verhör spricht der Mann vom Verfassungsschutz mit einem CIA-Stabsoffizier - und notiert, dass «nach Einschätzung des US-Partnerdiensts ein nicht unerheblicher Teil der dort Internierten nicht dem terroristischen Milieu zuzurechnen ist». Es gäbe Signale direkt aus dem Pentagon, dass Murat Kurnaz «bereits in naher Zukunft» freikommen könnte. In Notizen des mitgereisten Verfassungsschützers heißt es allerdings auch: «Vor dem Hintergrund der möglicherweise bald erfolgenden Freilassung des Kurnaz ist zu klären, ob Deutschland eine Rückkehr des türkischen Staatsbürgers überhaupt wünscht und gegebenenfalls zumindest bei dem zu erwartenden Medieninteresse dokumentieren möchte, dass alles versucht wurde, seine Rückkehr zu verhindern.»

26. September 2002:
BND kabelt nach Berlin: «USA sehen die Unschuld von Murat Kurnaz als erwiesen an. Er soll in etwa sechs bis acht Wochen entlassen werden. Die deutschen Behörden werden vorab informiert, sodass eine Freilassung als von deutscher Seite erwirkt dargestellt werden kann.» Es gibt Überlegungen, Murat Kurnaz nach seiner Rückkehr als V-Mann in der Islamistenszene einzusetzen.

8. Oktober 2002:
Im Kanzleramt geht ein Bericht des BND zu den Verhören in Guantanamo ein. Danach bestehen laut Auskunft eines CIA-Mitarbeiters «gute Chancen», dass Kurnaz zusammen mit weiteren Gefangenen bereits im November freikommen könnte. In der Präsidentenrunde kommen die Chefs der Sicherheitsbehörden überein, Kurnaz nicht als V-Mann einsetzen zu wollen.

13. Oktober 2002:
Die Bremer Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen Kurnaz vorläufig ein.

27. Oktober 2002:
In Guantanamo werden die ersten Gefangenen entlassen und zurück in ihre Heimatländer gebracht. Es handelt sich um drei Afghanen und einen Pakistani. Sie berichten in internationalen Medien von Isolationszellen und brutaler Behandlung.

29. Oktober 2002:
Bei der Präsidentenrunde im Kanzleramt wird unter der Leitung von Kanzleramtschef Steinmeier über eine «Nachfrage der USA» beraten, ob Kurnaz nach Deutschland oder in die Türkei abgeschoben werden solle. BND-Präsident Hanning plädiert für eine Abschiebung in die Türkei und eine Einreisesperre für Deutschland. Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau, Innenstaatssekretär Claus-Henning Schaper und die anderen Mitglieder der Runde stimmen zu.

30. Oktober 2002:
Im Bundesinnenministerium wird auf Weisung von Staatssekretär Schaper ein Strategiepapier entwickelt, wie man die Wiedereinreise von Kurnaz verhindern kann, falls ihn die USA doch nach Deutschland abschieben wollen. «Bitte an die amerikanische Seite, den Pass zur Verfügung zu stellen», heißt es in dem Papier, «damit die Aufenthaltsgenehmigung physikalisch ungültig gemacht werden kann.»

8. November 2002:
Das Bundesamt für Verfassungsschutz informiert die CIA: Im Falle der Freilassung von Kurnaz bestehe der «ausdrückliche Wunsch», dass er nicht nach Deutschland zurückkehre.

9. November 2002:
Bei der CIA stoße die Entscheidung der Bundesregierung, Kurnaz nicht nach Deutschland zu lassen, auf Unverständnis, wie aus einem internen BND-Vermerk hervorgeht. Die «Freilassung sei wegen seiner nicht feststellbaren Schuld sowie als Zeichen der guten Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden geplant gewesen». Die US-Seite vermute, die Bundesregierung wolle ihre Härte im Kampf gegen den Terrorismus demonstrieren. Allerdings habe eine andere Entscheidung «im Interesse der USA» gelegen.

Dezember 2002:
Die Leitung des Bundeskriminalamts (BKA) ist mit dem Ergebnis des Verhörs von Murat Kurnaz durch BND und Verfassungsschutz nicht zufrieden. Im BKA überlegt man, eigene Beamte nach Guantanamo zu schicken, um Kurnaz noch einmal zu vernehmen. Schriftlich fragt das BKA deshalb bei den US-Behörden an, ob sie Murat Kurnaz wirklich freilassen wollen.

24. Februar 2003:
Mitteilung der CIA an deutsche Behörden: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne eine Verlegung von Kurnaz nicht garantiert werden. Später strengen US-Militärs zwei Verfahren gegen Kurnaz an und bemühen sich bei der Staatsanwaltschaft Bremen vergeblich um Akteneinsicht.

Oktober 2003:
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries besucht ihren amerikanischen Amtskollegen John Ashcroft. Obwohl dabei über Guantanamo und die internationale Kritik gesprochen wird, kommt es nicht zu einem Austausch über den Fall Murat Kurnaz.

12. November 2003:
Rechtsanwalt Docke schreibt Außenminister Fischer: «Die Familie meines Mandanten ist im hohen Maße besorgt um sein weiteres Schicksal. Seit Mai letzten Jahres kam keine Post mehr von ihm.» Nach mehreren Erinnerungsschreiben erhält Docke zwei Monate später Antwort. «Aufgrund der Staatsangehörigkeit von Herrn Kurnaz konnten ihn türkische Regierungsvertreter besuchen. Aus diesen Kontakten und anderen Hinweisen haben wir den Eindruck gewonnen, dass es ihm den Umständen entsprechend gesundheitlich gut geht.»

19. November 2003:
Außenminister Fischer spricht den Fall Kurnaz ohne Erfolg bei seinem US-Kollegen Colin Powell an. Tage später veröffentlicht der «Spiegel» Details zum bisher unbekannten Verhör von Kurnaz durch deutsche Geheimdienstler im Herbst 2002.

Anfang April 2004:
Murat Kurnaz wird erneut verhört. Er glaubt in seinem Vernehmer einen der drei Deutschen wiederzuerkennen, die ihn bereits im September 2002 verhörten. Die drei deutschen Beamten streiten später in einer «dienstlichen Erklärung» gegenüber dem Kanzleramt ab, nochmals in Guantanamo gewesen zu sein.

12. Mai 2004:
Die Stadt Bremen stellt formal fest, dass Kurnaz' Aufenthaltsrecht seit Mai 2002 erloschen ist. In einem Gerichtsurteil erklärt das Verwaltungsgericht Bremen diese Entscheidung später für unrechtmäßig.

28. Juni 2004:
Der Supreme Court, das höchste amerikanische Verfassungsgericht, gesteht allen Gefangenen in Guantanamo das Recht zu, bei amerikanischen Gerichten Klage gegen ihre Inhaftierung einzureichen. Das Gefangenenlager auf Kuba fällt unter die Gerichtsbarkeit der US-Bundesgerichte.

2. Juli 2004:
Rabiye Kurnaz reicht im Namen ihres Sohnes eine Klage auf Haftprüfung ein. Sie macht geltend, dass Murat Kurnaz' Inhaftierung eine Verletzung von amerikanischem Verfassungsrecht, der Genfer Konvention und des übrigen Völkerrechts darstellt. 63 andere Häftlinge reichen ähnliche Klageschriften ein.

Im August 2004:
Die Behörden in Bremen erklären, vermutlich auf Betreiben des Innenministeriums, die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung von Murat Kurnaz für erloschen.

30. September 2004:
Murat Kurnaz kommt in Guantanamo vor ein «Combatant Status Review Tribunal» (CSRT). Seit mehreren Wochen werden solche Militärtribunale abgehalten, um die Gefangenen einzustufen - in Scheinverfahren, die Juristen weltweit kritisieren. Alle Häftlinge, die einen Antrag auf Haftprüfung eingereicht hatten, werden vom CSRT als «feindliche Kämpfer» eingestuft.

8. Oktober 2004:
Nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA vom Sommer, die den Guantanamo-Insassen den Klageweg vor amerikanischen Gerichten gewährt, besucht US-Anwalt Baher Azmy erstmals Kurnaz auf Kuba. Es ist der erste von mehreren Besuchen des Jura-Professors aus New Jersey.

1. Dezember 2004:
Bei einer mündlichen Anhörung vor US-Bundesrichterin Joyce Hens Green in Fragen der Zulassung oder Abweisung der Häftlingsklagen konstruiert die Richterin hypothetische Fälle. Damit soll geklärt werden, wann jemand als «feindlicher Kämpfer» einzustufen wäre. Erstens: «Eine kleine alte Dame in der Schweiz, die Schecks für eine Organisation ausstellt, von der sie annimmt, dass es sich um eine wohltätige Organisation für Waisenkinder in Afghanistan handelt, die aber in der Tat eine Tarnorganisation zur Finanzierung von Aktivitäten von Al Qaida ist.» Zweitens: «Eine Person, die einem Sohn eines Mitglieds von Al Qaida Englisch beibringt.» Drittens: «Ein Journalist, der den Aufenthaltsort von Osama Bin Laden kennt, sich aber weigert, diesen preiszugeben, um seine Quelle zu schützen.» Laut Aussage der US-Regierung wären in allen drei Fällen die entsprechenden Personen als «feindliche Kämpfer» einzustufen und somit eine Inhaftierung in Guantanamo gerechtfertigt.

31. Januar 2005:
Die US-Bundesrichterin Joyce Hens Green urteilt, dass die Inhaftierungen in Guantanamo gegen die US-Verfassung verstoßen. In der Urteilsbegründung wird der Fall Kurnaz hervorgehoben, da gegen ihn auch nach Einschätzung der deutschen Regierung keine brauchbaren Beweise vorlägen.

9. März 2005:
Nachdem der amerikanische Anwalt von Kurnaz seinen Mandanten erneut in Guantanamo gesprochen hat, berichtet Baher Azmy in Deutschland bei einer Pressekonferenz über «physische, seelische und sexuelle» Folter, die Kurnaz in US-Gewahrsam erlebt habe. Tage später reisen Azmy, Anwalt Bernhard Docke und die Familie von Kurnaz in die Türkei. Dort hat die Polizei die Ankunft von Murat Kurnaz aus Guantanamo angekündigt - doch die Angaben erweisen sich als falsch.

14. Oktober 2005:
Weil ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes Anfang Oktober im US-Justizministerium und mit einem Vertreter des Nationalen Sicherheitsrats über den Fall Murat Kurnaz spricht, notiert ein Beamter des Bundeskanzleramts: «Wenn die Botschaft Interesse an MK bekundet, muss doch auf US-Seite der Eindruck entstehen, wir wollten ihn zurückhaben. Scheint mir etwas unkoordiniert zu verlaufen.»

26. Oktober 2005:
In einem Aktenvermerk des Auswärtigen Amts heißt es: «Die Frage der Zulassung der Wiedereinreise von Kurnaz war laut Bundesinnenministerium und dem Chef des Bundeskanzleramts bereits mehrfach Gegenstand der nachrichtendienstlichen Lage. Dort sei auch mit dem Auswärtigen Amt Übereinstimmung erzielt worden, eine Wiedereinreise des K. nicht zuzulassen.» Die Sicherheitsbehörden hofften, «von US-Seite weitere Informationen gegen Kurnaz zu bekommen, die den Verdacht der Unterstützung des internationalen Terrorismus erhärten». Kanzleramtschef Steinmeier, so der Vermerk, sei gegen die Wiedereinreise von Murat Kurnaz.

22. November 2005:
Angela Merkel wird vom Deutschen Bundestag zur Bundeskanzlerin gewählt. Frank-Walter Steinmeier wird Außenminister, August Hanning Staatssekretär im Innenministerium. Ernst Uhrlau, zuvor Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, folgt auf Hanning als Präsident des BND. Der neue Innenminister Wolfgang Schäuble bestätigt öffentlich die Arbeit des deutschen Geheimdiensts in Guantanamo.

30. November 2005:
Urteil des Bremer Landesgerichts: Murat Kurnaz hat seine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland nicht verloren. Die deutsche Botschaft in Washington erhält daraufhin eine E-Mail des Auswärtigen Amtes: «Das Bundesinnenministerium legt intern und vertraulich Wert auf die Feststellung, dass dies nicht bedeute, dass man Kurnaz hier deshalb nun unbedingt gerne haben würde.»

16. Dezember 2005:
Die Bremer Innenbehörde will nach Abstimmung mit dem Bundesinnenministerium eine mögliche Wiedereinreise von Kurnaz verhindern. Dafür soll Belastungsmaterial gesammelt werden. Der Bremer LfV-Chef Wilhelm schreibt einen neuen Vermerk mit alten, teils widerlegten Anschuldigungen, wonach Kurnaz «nach seiner Einreise in Pakistan aktiv den Kampf der Taliban/Al Qaida in Afghanistan» unterstützt habe.

19. Dezember 2005:
Bernhard Docke schreibt an Angela Merkel und erinnert die Bundeskanzlerin daran, dass «Herr Kurnaz seit nunmehr vier Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen in Guantanamo festgehalten» wird. «Ich habe das Auswärtige Amt in der Vergangenheit mehrfach gebeten, gegenüber den USA auf ein faires Verfahren, bzw. für den Fall, dass keine Anklage erhoben werden soll, auf Freilassung zu drängen», schreibt Docke. «Andere europäische Länder haben sich für ihre Staatsangehörigen in Guantanamo eingesetzt und eine Freilassung erreicht.»

13. Januar 2006:
Die neue Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt sich bei ihrem Antrittsbesuch im Weißen Haus bei US-Präsident George Bush für eine Freilassung von Kurnaz ein. Tage zuvor hat sie in einem Interview öffentlich Guantanamo kritisiert: «Es müssen Mittel und Wege für einen anderen Umgang mit den Gefangenen gefunden werden. »

17. Januar 2006:
Die Präsidentenrunde im Bundeskanzleramt entscheidet, da eine mögliche Einreise von Kurnaz akzeptiert werden soll.

29. Juni 2006:
Urteil des Supreme Court: Die Militärtribunale auf Guantanamo sind illegal.

13. Juli 2006:
Bundeskanzlerin Merkel und US-Präsident Bush sprechen in Stralsund erneut über den Fall Kurnaz. Im Hintergrund laufen seit Monaten komplizierte Verhandlungen zwischen amerikanischen und deutschen Vertretern über dessen Freilassung.

24. August 2006:
Kurnaz wird freigelassen und in Fesseln zum US -Luftwaffenstützpunkt im pfälzischen Ramstein ausgeflogen. Von da an wird er noch bis Dezember 2006 vom Verfassungsschutz beobachtet. Erkenntnisse dafür, dass er durch die Jahre im Lager an der Seite terrorverdächtiger Gefangener radikalisiert wurde, gibt es nach Angaben von Verfassungsschützern nicht.

5. Oktober 2006:
Dem «Stern» gibt Kurnaz sein erstes Interview nach seiner Freilassung. Darin schildert er seine mehr als vierjährige Haft in Guantanamo. Er spricht zudem Misshandlungen durch deutsche KSK-Soldaten Afghanistan und eine zweite Vernehmung durch einen deutschen Beamten in Guantanamo an. Recherchen des «Stern» untermauern die Aussage von Kurnaz. In Bremen stellt die Staatsanwaltschaft wenig später das nach seiner Rückkehr wiedereröffnete Ermittlungsverfahren gegen Kurnaz ein, da sich kein hinreichender Tatverdacht ergeben hat.

18. Oktober 2006:
Die Bundesregierung gibt zu, dass deutsche Soldaten der Eliteeinheit KSK in Afghanistan Kontakt mit dem entführten Murat Kurnaz hatten. Geschlagen hätten diese den Deutschtürken jedoch nicht. Der Verteidigungsausschuss des Bundestages hat sich wegen der Vorwürfe als Untersuchungsausschuss konstituiert.

19. Oktober 2006:
Die Bundesregierung stimmt auf Drängen der Opposition zu, dass der BND-Ausschuss seinen Untersuchungsauftrag erweitert und sich um die Rolle der rot-grünen Regierung im Fall Kurnaz kümmert.

22. November 2006:
Murat Kurnaz sagt vor dem CIA-Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments aus. Er wiederholt seine Misshandlungsvorwürfe gegen zwei KSK-Soldaten der Bundeswehr, die ihn zu Beginn seiner Gefangenschaft in einem Lager im afghanischen Kandahar schlugen.

14. Dezember 2006:
Ein Bericht des «Stern» enthüllt, wie die rot-grüne Bundesregierung eine frühzeitige Rückkehr von Kurnaz aus Guantanamo verhinderte. Deutlich wird so erstmals die Rolle von Außenminister Steinmeier (in seiner früheren Funktion als Kanzleramtschef), BND-Präsident Uhrlau (Ex-Geheimdienstkoordinator) und Innenstaatssekretär Hanning (Ex-BND-Chef).

8. Januar 2007:
Die Tübinger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei KSK-Elitesoldaten wegen gefährlicher Körperverletzung.

17./18. Januar 2007:
Murat Kurnaz sagt vor den Ausschüssen im Deutschen Bundestag aus. Im Verteidigungsausschuss soll geklärt werden, ob KSK-Soldaten ihn misshandelt haben. Der BND-Untersuchungsausschuss prüft unter anderem, «welche Bemühungen im Fall M. K. von der Bundesregierung unternommen wurden, um M. K. Hilfe zu leisten und seine Freilassung zu erreichen. Insbesondere soll geklärt werden, ob und welche Angebote es von US-amerikanischen Stellen für seine Freilassung gegeben hat, ob sie von deutscher Seite abgelehnt wurden oder ungenutzt blieben, wenn ja, aus welchen Gründen. Geklärt werden soll in diesem Zusammenhang, welche deutschen Stellen des Bundes an einer solchen Entscheidung beteiligt waren und wer die Verantwortung dafür trägt». Zahlreiche Abgeordnete zeigen sich von den Schilderungen des Gefangenenlagers in Guantanamo erschüttert.

18. Januar 2007:
Das ARD-Magazin «Monitor» enthüllt, wie die Bundesregierung noch im Oktober 2005 eine mögliche Wiedereinreise von Murat Kurnaz verhindern wollte. «Süddeutsche Zeitung» und «Stern» veröffentlichen in den folgenden Wochen weitere Details, die Außenminister Steinmeier in Bedrängnis bringen.

23. Januar 2007:
Der CIA-Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments legt seinen Abschlussbericht vor. Darin werden die Folterungen Murat Kurnaz' festgehalten und seine zweifache Befragung durch Deutsche in den Jahren 2002 und 2004. Der Bericht stellt fest, dass «die Geheimdienste der Vereinigten Staaten und Deutschlands bereits im Jahre 2002 zu der Schlussfolgerung gelangt sind, dass Murat Kurnaz keine Verbindung zu Al Qaida oder zu den Taliban unterhielt und dass er keine terroristische Bedrohung darstellt». Für Aufsehen sorgt die Aussage: «Vertraulichen institutionellen Informationen zufolge hat die deutsche Regierung das Angebot der Vereinigten Staaten aus dem Jahre 2002, Murat Kurnaz aus Guantanamo freizulassen, nicht angenommen.»

24. Januar 2007:
Außenminister Steinmeier nimmt Stellung zum Fall Murat Kurnaz: «Es besteht Grund zu der Annahme, dass Kurnaz nach Pakistan gereist ist, um von dort aus an der Seite der Taliban in Afghanistan gegen die USA zu kämpfen.» Es ist der Beginn einer Diffamierungskampagne der SPD, in der sich auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder und der frühere Bundesinnenminister Otto Schily in Interviews zu Wort melden und Murat Kurnaz mit längst widerlegten Behauptungen schwer beschuldigen. Murat Kurnaz wird dadurch in der Öffentlichkeit erneut als «Gefährder» stigmatisiert. Offensichtlich soll so die Entscheidung gerechtfertigt werden, im Herbst 2002 nicht auf die Offerte der USA eingegangen zu sein und damit das Schicksal von Murat Kurnaz besiegelt zu haben.

Quellen:
Murat Kurnaz (2007). Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo. Berlin: rowohlt
Heribert Prantl (2008). Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht. München: Drömer