Snowdon: Mit der Operation "Auroragold" knackte NSA weltweit Telekommunikationsnetze   

Der US-Auslandsgeheimdienst National Security Agency kann angeblich nach Belieben Mobilfunknetze weltweit abhören und Daten sammeln. Das geht laut The Intercept aus Unterlagen des Whistleblowers Edward Snowden hervor, die ein bisher unbekanntes Programm namens Auroragold beschreiben. Es erlaubt der NSA offenbar, Sicherheitslücken auszunutzen, die wiederum das Ausspähen von Telefonaten und Textnachrichten ermöglichen.

Auch der Krieg gegen Libyen soll mit einer umfassenden Infiltration des NSA in die Tele-Kommunikation des Landes vorbereitet und gestartet worden sein, berichtet "Democracy Now" aus den USA.  

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The latest disclosures from National Security Agency whistleblower Edward Snowden have revealed the National Security Agency has spied on communications among employees of major cellphone network operators in order to identify vulnerabilities in the phone networks. According to The Intercept, documents from Snowden reveal a covert operation called AURORAGOLD which involved monitoring more than 1,200 email accounts associated with the firms. In one case, just before the U.S. intervention in Libya, the NSA helped a U.S. military intelligence unit hack into Libya’s cellphone networks using information obtained by spying on company employees. ( Democracy Now). 

One of the prime targets monitored under the AURORAGOLD program is the London-headquartered trade group, the GSM Association, or the GSMA, which represents the interests of more than 800 major cellphone, software, and internet companies from 220 countries.

The GSMA’s members include U.S.-based companies such as Verizon, AT&T, Sprint, Microsoft, Facebook, Intel, Cisco, and Oracle, as well as large international firms including Sony, Nokia, Samsung, Ericsson, and Vodafone.

The trade organization brings together its members for regular meetings at which new technologies and policies are discussed among various “working groups.” The Snowden files reveal that the NSA specifically targeted the GSMA’s working groups for surveillance.

Claire Cranton, a spokeswoman for the GSMA, said that the group would not respond to details uncovered by The Intercept until its lawyers had studied the documents related to the spying. schreibt The Intercept.

PRISM: die NSA hört mit (Bild: ZDNet.de)

Dem Bericht zufolge ist das Programm schon seit Jahren aktiv. Die NSA soll sogar in der Lage sein, neue “Sicherheitslücken” bei Mobilfunkanbietern einzurichten, um an Daten aus deren Netzen zu kommen. Zudem überwacht der US-Geheimdienst angeblich NSA 1200 E-Mail-Konten der großen Netzbetreiber.

Das wichtigste Ziel sei allerdings die in Großbritannien ansässige GSM Association (GSMA), heißt es in dem Bericht. Dem Branchenverband, der unter anderem Richtlinien für vorhandene und neue Mobiltechnologien und auch für die Sicherheit von Mobilfunknetzen aufstellt, gehören unter anderem AT&T, Cisco, Microsoft, Samsung und Vodafone an.

Die NSA interessiert sich vor allem für technische Dokumente der GSMA wie Roaming-Abkommen, die es Nutzern erlauben, ihre Geräte auch im Ausland zu nutzen. Diese IR.21 genannten Dokumente beschreiben neben neuen Technologien auch die von den Carriern benutzten Verschlüsselungsmethoden.

Wie schon bei früheren Enthüllungen über die Aktivitäten der NSA teilte auch diesmal ein Sprecher lediglich mit, der Geheimdienst arbeite im Rahmen der rechtlichen Grenzen. Daten sammle die NSA ungeachtet der “technischen Mittel, die ausländische Ziele nutzen, oder der Mittel, mit denen diese Ziele versuchen, ihre Kommunikation zu verbergen”, heißt es in einer E-Mail des NSA-Sprechers Vanee Vines. Terroristen, Waffenhändler und andere ausländische Ziele seien oftmals auf dieselben Kommunikationsmittel angewiesen wie normale Menschen. Um Bedrohungen vorherzusagen und zu erkennen, versuche die NSA, die Kommunikation von gültigen ausländischen Zielen abzufangen.

Laut The Intercept ist bei der NSA ein Team von Spezialisten namens “Wireless Portfolio Management Office” für Auroragold zuständig. Seinem Logo zufolge hat es drei Ziele: vorhersagen, planen und verhindern.

Der Bericht liefert auch Details zum Umfang von Auroragold. Demnach verfügt die NSA über technische Unterlagen von rund 70 Prozent der Mobilfunkanbieter weltweit. In Nordafrika soll der Anteil bei nahezu 100 Prozent liegen und in China bei rund 75 Prozent. In den USA sei der Anteil allerdings sehr gering.

Zuletzt hatte die NSA versucht, die Wogen zu glätten und die Kommunikation mit den Relekommunikations-Riesen transparenter zu gestalten. NSA-Direktor Michael Rogers sagte, er stimme zwar nicht immer mit der Haltung der Technikfirmen über die Praktiken seiner Behörde überein, verstehe aber ihre Sichtweise. Eine gegenseitige Diffamierung im Rahmen der Diskussion sei nicht von Vorteil, sagte Rogers auf einer Veranstaltung der Stanford University. “Vernünftige Menschen können unterschiedlicher Meinung sein über das, was angemessen ist oder nicht.”

Linker Bodo Ramelow wird im  2. Wahlgang Ministerpräsident von Thüringen 

Thüringen: Ramelow als Ministerpräsident vereidigt

Zum ersten Mal ist ein Linker Ministerpräsident in einem deutschen Bundesland.

Dazu mußte er bis zur Selbstverleugnung gehen und die DDR  als Unrechtsstaat bezeichnen, was er so in toto mit Sicherheit nicht wahr . Da half auch wenig, die Unrechtsstaatlichkeit der alten BRD z. B. in der Form der Benennung der Berufsverbote gegen Linke in den 70 er Jahren der alten BRD zu thematisieren. Es bleibt ein Makel.

Allerdings wurde Bodo Ramelow erst im 2. Wahlgang  zum Ministerpräsidenten in Thüringen gewählt. Es gibt also auf jeden Fall ein U-Boot, was bei einer Ein-Stimmen-Mehrheit sich im Verlauf der Legislarurperiode als problematisch oder sogar als zersetzend erweisen könnte.   

Der Kandidat von Rot-Rot-Grün für die Regierungsspitze hat im zweiten Wahlgang 46 Ja-Stimmen erreicht. Im ersten war er gescheitert. 43 Abgeordnete stimmten mit Nein.

Die Landesvorsitzende der Linkspartei in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, sagte MDR THÜRINGEN nach der Wahl Ramelows: "Heute ist ein großartiger Tag." Der zweite Wahlgang habe gezeigt, "dass Rot-Rot-Grün steht. Jetzt können wir endlich gestalten und soziale demokratische Politik machen". Dass Ramelow im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit verfehlt habe, sei "kein Denkzettel" gewesen. Es zeige aber, dass "wir uns in der Koalition in den kommenden fünf Jahren immer wieder neu verständigen müssen". Der SPD-Landesvorsitzende Andreas Bausewein sagte MDR THÜRINGEN, die Koalition werde eine "konsensorientierte Politik" machen. Er hoffe, dass in den kommenden Wochen und Monaten "medial abgerüstet" werde und dass die Zahl der Kritiker sinke. Bausewein zeigte sich überzeugt, dass seine Partei aus dem neuen Regierungsbündnis gestärkt hervorgehen werde.

 

CDU-Fraktionschef Mike Mohring sagte hingegen MDR THÜRINGEN, Rot-Rot-Grün sei "wackelig gestartet" und habe keine Zukunft. Dass die CDU keinen Gegenkandidaten zu Ramelow aufgestellt hat, sei eine Entscheidung der Parteispitze "bis hinauf auf die Bundesebene" gewesen. 

Er dankte in seiner ersten Rede nach der Wahl auch jenen, die ihn nicht gewählt haben und bat um Entschuldigung für das angebliche DDR-Unrecht. Am systemischen Kniefall gegenüber den Parteien der neoliberalen Einheitsfront hält er also insofern  fest.   

Sozialismus als politisches Ziel gemäß Parteiprogramm der Linken steht nicht auf der Agenda. Es soll bei sozialen Reformen innerhalb des kapitalistischen Systems bleiben, was schon mal das Parteiprogramm der Linkspartei konterkarriert  und ad absurdum führt. 

Am Abend vor der Wahl hatten in Erfurt 2.000 Menschen gegen das rot-rot-grüne Bündnis demonstriert.

Vor der Wahl hatte beispielsweise der rechtspopulistische TV Sender ntv schon den "Bodo-Mörder" gesucht.  Letztendlich wurde er aber nicht gefunden . Aber der erste Wahlgang zeigt, dass die Koalition auf wackligen Beinen steht. 

Schließlich sagt Ramelow in seiner ersten Rede als Ministerpräsident, in den letzten Wochen habe er viel über einen "historischen Moment" heute gelesen. Der wahre historische Moment sei aber vor 25 Jahren gewesen. Damals wurde "der Prozess eingeleitet, der es möglich gemacht hat, dass ich heute hier stehen kann. Er bittet um eine faire politische Auseinandersetzung. Nur ware diese 25 Jahre Restauration des Kapitalismus eben nicht durchweg positiv zu sehen. Das zeigten zuletzt die faschistoiden Demos von tausenden Menschen in Dresden gegen Islamisierung, die  es in der DDR Zeit nicht gegeben hatte. Rassisten trauen sich nach 25 Jahren wieder  offen auf die Straßen und Faschismus ist wieder erlaubt und salongähig.

Auch die NSU-Nazi-Morde zeigten, das der Faschismus seit 1990 in Ostdeutschland wieder erstarkt war. Und die Verwicklung des Verfassungsschutzes in die NSU-Morde hätte für eine echte Unrechtsstaatsdebatte zum Anlass genommen werden können. Diese Chance wurde vertan. Statt Auflösung  des Verfassungsschutzes geht es nur noch um dessen Reformierung. Abschaffung von Spitzelwesen als Lehre aus der Geschichte geht anders.  

Sozialabbau, Arbeitsplatzverlust und prekäre Verhältnisse gehören seit  25 Jahren ebenfalls zum Alltag vieler Ostdeutscher - das ist kein Grund zum Jubeln. Und es ist fraglich,  inwiefern Bodo Ramelow und sein Team etwas ändern wird. Neoliberale Schuldenbremse und Co. lassen da nicht nur Gutes erwarten.  

 

  

 

ARD hetzt pro CDU gegen Wahlgang in Thüringen und gegen Bodo Ramelow 

Hofft man so den Wahlgang zugunsten der CDU und der AfD und gegen Rot-Rot-Grün und den  Wählerwillen doch noch beeinflußen zu können ? 

Will man verhindern, dass erstmals ein Linker in der Tradition der KPD und der SED Ministerpräsident in einem deutschen Bundesland wird?

Obwohl sich Ramelow bis zur Selbstverleugnung von der eigenen Geschichte und der DDR  distanziert hatte, spricht die ARD von mangelnder Geschichtsaufarbeitung der Linkspartei in diesem Kontext. Dreister kan man die Wahrheit kaum noch verzerren.  Die Stasi der DDR wird  trotzdem thematisiert und eine Mini-Demo wird medial aufgeblasen. 

Es wird die DDR Vergangenheit der Linken thematisiert - die DDR Vergangenheit der pro SED orientierten CDU, die seit 24 Jahren regiert, wird völlig einseitig ausgeblendet . Da wird auch nicht erwähnt, dass der sächische CDU Ministerpeäsident Tillich Kontakte zur SED in DDR Zeiten hatte. 

Man thematisiert ein mögliches scheitern von Rot-Rot-Grün in Wahlgängen, was man bei Landtagswahlen ohne Linkem- Beteiligungen nicht machen würde . Da werden knappe Mehrheiten gerne kleingeredet.

Auch die Demo von wenigen hundert gegnern dieser neue Regierung wird thematisiert . Handelte es sich u eine SPD oder CDU Regierung ohne Liken-Beteiligung würde man diese Gegendemos am Vorabend der Abstimmungen in den Landtagen nicht einmal erwähnen . Hier macht sich die ARD zum CDU Parteifunk.   

Es wird eindimensional die Linkspartei verteufelt . 

Auch die Kooperationsbereitschaft der CDU in Thüringen mit Rechtspopulisten der AfD wird nicht kritisch hinterfragt.  CDU Chef Mohring hatte so eine Kooperation mit den Rechtspopulisten befürwortet. 

Gleichzeitig lügt die ARD bezüglich Frankreich . Es wird Antisemirismus in  Frankreich zurecht kritisiert. Gleichzeitig wird unterschlagen dass selbst die Nazis von Le Pen  und  der Front Nationale in Frankreich den Antisemitismus ablegen und den Rassismus  durch Islamfeindlichkeit ersetzen. Die Zuschauer werden in eine irreale Scheinwelt geführt, die im realen Frankreich so einseitig garnicht existiert . Die Islamfeinflichkeit ist das Hauptproblem der französischen Gesellschaft. Das soll der deutsche TV-Konsument aber nicht erfahren.  Das passt nicht in die Strategie von CDU-Ideologen ,  die  einseitig parteipolitisch nicht nur das  ZDF fest im Griff zu haben scheinen.

 

 

Bodo Ramelows Kniefall von Erfurt: Am Anfang steht der Verrat an der Geschichte des Sozialismus in D  - Der Preis könnte zu hoch gewesen sein 

Der Preis für den Posten des Ministerpräsidenten der Linkspartei ist der Verrat an der Geschichte der eigenen Partei und an der Geschichte des Sozialismus im Lande - die Deligitimierung des berechtigten Sozialismusversuches auf deutschem Boden mit der antikommuistischen Nazi-Kategorie eines angeblichen "DDR-Unrechtsstaates". Besonders die Grünen hatten darauf gepocht und bei Nicht-Erklärung durch die Linkspartei mit dem Platzen der Koalitionskonstruktion gedroht.

Fast angekommen: Bodo Ramelow, voraussichtlich neuer Ministerpräsident Thüringens, präsentiert am 4.12. den von SPD, Grünen und Linkspartei unterzeichneten Koalitionsvertrag. Er enthält die Aussage, »die DDR war eine Diktatur, keine Rechtsstaat«

"Unrechtsstaat" - Nachdruck aus der Jungen Welt 

Bodos Thüringer Kniefall

Wer mitmachen will, darf die DDR nicht mögen. Niemand hat das besser kapiert als die Funktionäre der Linkspartei. Heute stellt sich Bodo Ramelow im Thüringer Landtag zur Wahl zum Ministerpräsidenten

Ekkehard Lieberam 

Derzeit scheint sich eine alte Erkenntnis im Freistaat Thüringen auf besondere und auf erschreckende Weise zu bestätigen. Regierungsbeteiligungen linker Parteien in Ländern mit einer stabilen Machtkonstellation zu Gunsten des Kapitals machen die zu bildende Regierung oft ein wenig besser, die betreffende Partei aber auf jeden Fall schlechter. Die Inthronisierung eines neuen Landeskabinetts unter Bodo Ramelow kann, wenn sie denn heute im Landtag gelingt (und wenn die ökonomisch und politisch Mächtigen es nicht alsbald kippen), einige wichtige soziale und politische Verbesserungen erreichen. Diese Regierung des Freistaates wird aber gewiss die seit Ende September deutlich gewordene Kluft zwischen führenden Politikern der Linkspartei sowie Mitgliedern und Anhängern in Sachen DDR vor allem im Osten verschärfen. Nicht unbeachtet bleiben darf jedoch, dass sich bei der Mitgliederabstimmung der Linkspartei in Thüringen nur sechs Prozent nicht für die Koalitionsvereinbarung mit SPD und Grünen ausgesprochen haben. Bei der Abstimmung über die »Eckpunkte des Koalitionsvertrages« hatte man allerdings, wie auf Nachfrage gesagt wurde, den Text der Präambel »vergessen«. Gerade darin sind nun aber die fraglichen Aussagen zur DDR enthalten.

Erst verteidigt, dann kriminalisiert

Der Konflikt zwischen Politikern der Linkspartei, die nun zum großen Angriff auf die Rechtmäßigkeit der DDR aufrufen und einer Anhängerschaft, die in ihrer großen Mehrheit ihre Organisation bisher als Verteidigerin der Legitimität der DDR ansahen und schätzten, hat das Potential für eine anhaltende Parteikrise. Die Politiker signalisieren Anpassung. Wähler und Mitglieder sind in ihrer großen Mehrheit irritiert oder empört über die Bereitschaft, ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal im Interesse von Regierungstauglichkeit zu entsorgen.

Am 23. September 2014, beim zweiten Sondierungsgespräch nach der Landtagswahl am 14. September, zwischen SPD, Grünen und Linkspartei, stimmten vier Vertreter letzterer (Bodo Ramelow, Susanne Hennig-Wellsow, Steffen Dittes und Birgit Keller) der Einschätzung, die DDR sei ein »Unrechtsstaat« zu, außerdem weiteren herabsetzenden Formulierungen. Bereits infolge von Gesprächen im Jahre 2009 hatte es ein ähnliches Papier gegeben, das die Passage enthielt, nicht mit Organisationen zusammenzuarbeiten, »die das DDR-Unrecht relativieren wollen«. Im Koalitionsvertrag vom 20. November 2014, geschlossen »zwischen den Parteien ie Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen für die 6. Wahlperiode des Thüringer Landtages«, findet sich fast all das wieder: Der DDR fehlte »durch unfreie Wahlen bereits die strukturelle demokratische Legitimation staatlichen Handelns«. Weil »jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der DDR ihr Ende haben konnte, wenn einer der kleinen und großen Mächtigen es so wollte, weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat.« Es gehe nun »um eine konsequente und schonungslose Aufarbeitung der Alltagsdiktatur«, um die »unerträgliche Einflussnahme in alle Bereiche des Lebens in der DDR durch den von der SED geführten Staat«. Inquisitionstribunale als »Bildung zur Demokratie«? Die für den Bereich Aufarbeitung der DDR in der Erfurter Staatskanzlei zuständigen Grünen (!) werden das sicher versuchen.

Die Parteivorsitzende Katja Kipping war mit der Charakterisierung der DDR als Unrechtsstaat nach wenigen Tagen sehr einverstanden. Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke sagte dazu nein. Der Kochef Bernd Riexinger stellte sich erst einen Monat später »voll und ganz« hinter diese »Formulierung«. Fraktionschef Gregor Gysi nahm sie mit Vorbehalt hin. Dietmar Bartsch und Roland Claus verloren in der Bundestagsdebatte zum »Tag der Deutschen Einheit« am 8. November kein Wort darüber. Der Parteivorstand bekundete in seiner Sitzung vom 18./19. November Verständnis für die »unterschiedlichen Bewertungen«. Zuvor hatten sich Kipping, Riexinger und Gysi mit einer gemeinsamen Erklärung vom 8. November nicht nur für »begangenes Unrecht« entschuldigt, sondern gleich für die ganze DDR. Dem Staat und seinem »Handeln (habe) durch die Abwesenheit freier Wahlen die demokratische Legitimation« gefehlt. Die »politische Willkür« habe »jederzeit Recht und Gerechtigkeit ersetzen« können. Sahra Wagenknecht fiel dazu und nach den »Pöbeleien von Biermann im Bundestag und dem begeisterten Applaus, den ihm einige Linke-Abgeordnete gespendet haben«, nur das »schöne Zitat« von Erich Kästner ein: »Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.« Auf Initiative des Geschäftsführers Matthias Höhn fasste dann am 29. November der Parteivorstand noch einen Beschluss, der – ohne zwar die Diffamierung und Delegitimierung der DDR als »Unrechtsstaat« zu wiederholen – die »Demütigung« der Verfechter einer abgewogenen Bewertung der DDR fortsetzte; unter anderem auch deshalb weil darin nicht ein Wort darüber verloren wurde, welche Leistungen in der DDR erbracht wurden. 26 stimmten für den Antrag, sieben enthielten sich der Stimme, sechs stimmten dagegen. Die sechs legten ein eigenes Minderheitenvotum vor, in dem sie für eine »sachliche und vernünftige Analyse der Vergangenheit« plädierten.

Der Sozialismusversuch

In der Endphase der DDR und nach der Vereinigung gab es jeweils eine intensive Diskussion in der SED, dann in der PDS um die Bewertung des untergegangenen Staates. Die Akzente und Leitbegriffe dieser Diskussion änderten sich dabei.

Zunächst sahen Exponenten der »sich reformierenden« SED noch eine Chance für eine demokratisch-sozialistische Erneuerung der DDR. Gefordert wurde die Beseitigung autoritärer und diktatorischer politischer Strukturen. »Stalinismus« lautete der verquere Begriff im Referat von Michael Schumann auf dem Dezember-Parteitag 1989, auf dem sich die SED in SED-PDS umbenannt hatte. Angesichts der politischen Kräfteverhältnisse war diesem Konzept nur ein kurzes Leben beschieden, seine Realisierung gänzlich irreal. In der DDR nahmen westdeutsche Politiker, Banken und Konzerne das Heft in die Hand. Sie ging nach einem dreiviertel Jahr als Staat unter, mutierte zum »Beitrittsgebiet« und erhielt in Paragraph 17 des Einigungsvertrags das Etikett »SED-Unrechtsregime«. Der damalige Justizminister Klaus Kinkel (FDP) bezeichnete sie kurz zuvor auf dem 41. Richtertag im September 1991 »als in weiten Teilen genauso unmenschlich und schrecklich (…) wie das faschistische Deutschland« und verlangte von der Justiz, »das SED-System zu delegitimieren«. Alsbald war die Rede von der DDR als Unrechtsstaat und als totalitärer Diktatur. Die mit beiden Begriffen einhergehende Kriminalisierung hatte besonders die Funktion, den Ostdeutschen den aufrechten Gang zu nehmen und fortan alles zu rechtfertigen, was an Vereinigungsunrecht über sie kam: die Verscherbelung des Volkseigentums, die Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, das Rentenunrecht für »Staatsnähe«, die strafrechtliche Verfolgung von DDR-Politikern, das Prinzip »Rückübertragung vor Entschädigung« bei Grundstücken.

Die PDS stand vor der Situation, entweder mitzumachen oder dagegenzuhalten. Mitmachen wäre ihr Untergang als »Ostpartei« gewesen. Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des PDS-Parteiprogramms vom Januar 1993 übernahm Uwe-Jens Heuer, rechtspolitischer Sprecher der Bundestagsgruppe PDS/Linke Liste, die Aufgabe, den Entwurf zum Abschnitt Realsozialismus zu formulieren. In der entsprechenden Arbeitsgruppe wirkte auch der Autor dieser Zeilen mit. Weil die Kampfbegriffe »Unrechtsstaat« und »totalitäre Diktatur« auf die pauschale Abwertung der DDR abzielten, verwarf Heuer sie von vornherein. Den innerhalb der PDS zirkulierenden Begriff des »Stalinismus« lehnte er aus dem gleichen Grund ab. Er legte fünf Thesen vor, jeweils eingeleitet mit einer Frage. Deren erste drei lauteten unter der Überschrift: »Das Scheitern des Sozialismusversuchs und seine Konsequenzen«: »Waren die realsozialistischen Gesellschaften ein Sozialismusversuch oder nicht?« »Ist das Scheitern dieses Versuchs eine Niederlage, ein Sieg des historischen Fortschritts in Gestalt einer nachholenden Revolution o. ä. m.?« »Was waren die inneren und äußeren Ursachen für dieses Scheitern? Welche dieser Ursachen waren letztlich entscheidend?«

Die Antworten: Es war kein Sieg, sondern eine Niederlage, eine welthistorische Niederlage im Kampf um eine sozialistische Gesellschaftsordnung. Es war ein Sozialismusversuch und nicht etwa Stalinismus. Dieser Versuch war legitim. Er fand unter schwierigen geschichtlichen Umständen statt. Er war nicht von vornherein chancenlos. Mit dem Begriff des Sozialismusversuchs treten wir im Rahmen unserer Aufarbeitung ihrer Geschichte als Sozialisten für eine differenzierte und gerechte Bewertung der DDR ein.

Das Parteiprogramms von 1993 bekräftigte im Abschnitt mit der Überschrift »Das Scheitern des sozialistischen Versuchs« diese Positionen: »Zum Sozialismusversuch in der DDR gehören wertvolle Ergebnisse und Erfahrungen im Kampf um soziale Gerechtigkeit, um die Bestimmung der Ziele der Produktion im Interesse des werktätigen Volkes, um ein solidarisches Gemeinwesen auf deutschem Boden. Es gab jedoch auch Fehler, Irrtümer, Versäumnisse und selbst Verbrechen. (…) Die DDR war einer Bedrohungs- und Konfrontationspolitik ausgesetzt (…) Der Sozialismus in Osteuropa war nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. (…) Für die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Deutschlands wie auch für die Politik demokratischer Sozialistinnen und Sozialisten in diesem Land ist es ebenso wichtig, sich mit den Defiziten der DDR-Gesellschaft auseinanderzusetzen, wie die Berechtigung und Rechtmäßigkeit einer über den Kapitalismus hinausgehenden Entwicklung auf deutschem Boden zu verteidigen.«

Im geltenden Erfurter Programm der Linkspartei von 2011 wird der Begriff »Sozialismusversuch« beibehalten. Darin wird auf positive und negative Erfahrungen der Menschen im Osten Deutschlands hingewiesen. Das Programm bleibt bei dem Prinzip der abgewogenen Einschätzung der DDR. Gesprochen wird auch vom »Bruch mit dem Stalinismus«. Die Geschichte der DDR und der SED jedoch auf Stalinismus zu verkürzen sei »unhistorisch und unwahr«.

Diskussionen mit Politikern auf Anpassungskurs können zu keinem Konsens führen. »Was in einem Programm nicht verboten ist, ist erlaubt«, sagte kürzlich Susanne Hennig-Wellsow in Erfurt auf meine Feststellung, dass das Konstrukt vom »Unrechtsstaat« dem geltenden Grundsatzprogramm von Erfurt widerspreche. Der Begriff »Unrechtsstaat« und die Entschuldigung für die DDR als »erlaubte« Ergänzung des Programms? Offensichtlich nicht, aber was nützt das, wenn die Deutungshoheit nicht bei denen liegt, die Anpassung verweigern.

Eine begriffliche Waffe

Begriffe erleben häufig eine komplizierte Karriere. Der Rechtswissenschaftler Gustav Radbruch sah in dem des »Unrechtsstaates« 1946 einen richtigen Ansatz zur Kennzeichnung der Menschheits- und Kriegsverbrechen des Nazifaschismus. Gegenüber der sperrigen Bezeichnung »totalitäre Diktatur« hat es nun jene andere in den Rang einer offiziösen Bezeichnung der DDR geschafft, nicht zuletzt auch als Formel zur Gleichsetzung von Nazistaat und DDR. Sie ist der Gesslerhut, um eine Wendung von Günter Gaus aufzugreifen, den jeder zu »grüßen« hat, der über die DDR spricht. Wer aber »Unrechtsstaat« sagt und die Sprüche aus Thüringen akzeptiert, denkt an der wirklichen Geschichte der DDR vorbei.

In der Linken hat dies den Zweck, mit Vorstellungen Schluss zu machen, dass die DDR ein Objekt sozialistischer Gesellschaftsgestaltung ist. Sie soll von nun an durch die Brille antikommunistischer Totalkritik betrachtet werden. »Unrechtsstaat« hat eine vielgestaltige Bedeutung. Es ist eine Mehrzweckwaffe, mit deren Hilfe verschiedene politische Ziele verfolgt werden. Damit ist geradezu eine Kriminalisierung der DDR verlangt, widerständiges Denken und Handeln soll so bekämpft werden: einst im Zusammenhang mit dem Vereinigungsunrecht, heute beim Kampf gegen das Unrecht des Kapitalismus und dessen Klassenrecht. Horror vor einer »neuen DDR« lähmt das bloße Nachdenken über eine sozialistische Alternative. Es bleibt keinerlei Raum für eine historische Einschätzung der DDR, für die Analyse ihrer Widersprüchlichkeit, »ihres individuellen, gesellschaftlichen und politischen Daseins« (so der DDR-Jurist und Verfassungsrichter Karl-Heinz Schöneburg), für die Beachtung der objektiven und subjektiven Umstände ihrer Geschichte.

Der Begriff »Unrechtsstaat« verallgemeinert das von antikommunistischen Vorbehalten geprägte Alltagsdenken der großen Mehrheit der Westdeutschen über die DDR und er richtet sich gegen das Alltagsdenken der Mehrheit der Ostdeutschen. Er ist ein Schimpfwort. Er sanktioniert die absurdesten Lügen über die DDR. Er steht, wie die verschiedenen Papiere aus Thüringen zeigen, für ein Horrorbild von Halb- und Unwahrheiten über die DDR.

Siege in den geschichtlichen Auseinandersetzungen sind immer nur dann komplett, wenn sich die Unterlegenen den politisch-ideologischen Leit- und Feindbildern der Sieger unterwerfen. Die meisten Ostdeutschen tun das bis heute nicht. Die Linke in Thüringen schafft Abhilfe. Wieder einmal spielen sich Politiker als Historiker auf. Darüber, dass kein einziger prominenter Historiker aus den Reihen der eigenen Partei ihnen zur Seite tritt und angesehene Geschichtswissenschaftler wie Günter Benser vehement widersprechen, wird kaum berichtet.

Bezeichnend ist, dass die Papiere aus Thüringen Formulierungen enthalten, die ähnlich wie die Beschuldigungen im Verbotsverfahren gegen die KPD Anfang der fünfziger Jahre lauten und bei der Strafverfolgung bzw. bei Berufsverboten gegen Kommunisten und Verfechter eines Dialogs mit der DDR eine Rolle spielten. Das Vorgehen wurde damals mit dem Argument gerechtfertigt, die Betreffenden wollten ja eine »Gewalt- und Willkürherrschaft« wie in der DDR errichten.

Die Kehrseite der Akzeptanz des Begriffes »Unrechtsstaat« DDR ist die Verbeugung vor dem Rechtsstaat BRD. An die Stelle des Kampfes um den Rechtsstaat im Interesse der abhängig Arbeitenden und Benachteiligten gegen die permanente Verletzung von dessen Verfassung (Hartz IV trotz Sozialstaatsgebot des Artikels 20, Vereinigung entgegen Artikel 146, Kriegsvorbereitung und Kriegsführung trotz Artikel 26 des Grundgesetzes) tritt die Verklärung des Klassenstaates BRD als Rechtsstaat an und für sich.

Rechtsstaatliche Grundsätze

Rechtsstaat ist im Gegensatz zum »Unrechtsstaat« ein juristischer Begriff. Die DDR hat ihn bis 1988 abgelehnt, vor allem weil sie die gerichtliche Überprüfbarkeit aller staatlichen Handlungen ablehnte. Einzelne Rechtswissenschaftler wie Karl Bönninger aus Leipzig und Roland Meister aus Jena haben sich als Verfechter eines sozialistischen Rechtsstaates verstanden. Im Marxschen Konzept der politischen Herrschaftsform nach dem Vorbild der Pariser Kommune war kein Platz für das Prinzip der Gewaltenteilung. Diktatorische Formen der Machtausübung in der DDR fanden ihre Rechtfertigung in der Bedrohung durch den politischen Gegner. Autoritäre Strukturen, so die Ablehnung von Verfassungs- und Verwaltungsgerichten, dienten auch bürokratischen Interessen. Die Abkopplung vom rechtsstaatlichen Erbe negierte den Umstand, dass staatliche Machtapparate im sich entwickelnden Sozialismus der DDR in ihrer Bedeutung noch zunahmen und eine entschiedene Kontrolle nötig war. Unbestreitbar ist jedoch, dass es in der DDR wichtige rechtsstaatliche Grundsätze und eine Rechtsordnung gab, die bei zukünftigen Sozialismusversuchen Beachtung verdienen.

Die Behauptung, in der DDR sei Willkür üblich gewesen, in ihr habe jeder Mächtige Recht und Gerechtigkeit außer Kraft setzen und andere drangsalieren können, ist schlicht unwahr. Wer so etwas zu Papier bringt, hat keine Ahnung vom Leben in der DDR, von dem bürgernahen Recht in zahlreichen Bereichen, von den zum Teil sogar weitaus besseren Möglichkeiten, »Mächtigen« (etwa dem Betriebsdirektor, dem Chef des Kreisbauamtes, dem Bürgermeister usw.) Paroli zu bieten: vor allem mittels des Arbeitsrechts und des Eingabenrechts. In der DDR gab es jährlich etwa eine Million Beschwerden bzw. Eingaben. Es galten strenge Regeln der Bearbeitung. 80 bis 90 Prozent wurden zugunsten der Bürgerinnen und Bürger entschieden. Insofern existierten natürlich subjektive Rechte des Bürgers gegen den Staat und gegen die »Mächtigen«. Mitbestimmungsrechte der Werktätigen in den Betrieben, Einrichtungen und in der Rechtspflege waren sogar weitaus umfassender als in der BRD. Die Kriminalität war rückläufig. In einem Halbjahr werden heute allein in Brandenburg etwa so viele Straftaten verübt wie einst in der gesamten DDR in einem Jahr.

Natürlich gab es in der DDR vielfältiges Unrecht. Aber nunmehr über 22 Jahre lang konnten Rechtsverletzungen angezeigt und strafrechtlich verfolgt werden. Sogar alle Verjährungsfristen wurden aufgehoben. Herausgekommen ist bei 105.000 Ermittlungsverfahren die Verurteilung von 48 Personen zu Freiheitsstrafen, darunter viele Urteile (wie die gegen Egon Krenz und Heinz Kessler), obwohl Gesetze der DDR überhaupt nicht verletzt worden waren. Immer wieder ist von furchtbaren Verbrechen der Stasi die Rede, auch in der Linken. Allerdings konnten nur 143 Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit überhaupt angeklagt werden. »Acht wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, die in sieben Fällen zur Bewährung ausgesetzt wurden.« (so der Anwalt Friedrich Wolff)

Angst vor der Erinnerung

Der wohl wichtigste Schwachpunkt der Unrechtsstaatsdebatte bleibt aus gutem Grund außen vor: Die Diffamierung der DDR findet im Alltagsdenken der Ostdeutschen kaum Zustimmung. Jeder kann sich an Hand der Meinungsumfragen zur DDR seit 25 Jahren über die sich wandelnde politische Erinnerung an sie, zu Unrecht und Unrechtsstaat, zu Recht, Rechtsstaat und Gerechtigkeit informieren. Eine Erinnerung, die bestimmt ist von Drangsalierung, Repression und Ungerechtigkeiten, ist das nicht. (Wobei nur noch etwa 60 Prozent der Ostdeutschen tatsächlich Erfahrungen mit dem politischen Leben in der DDR haben). Die DDR-Bevölkerung hat ihr gesellschaftliches und politisches Leben sehr wohl ständig mit dem der BRD verglichen, nicht mit dem Naziregime. Der Bezeuchnung Unrechtsstaat stimmen nach der jüngsten Umfrage von Emnid (veröffentlicht am 5. Oktober 2014) 72 Prozent der Westdeutschen zu, aber nur 30 Prozent der Ostdeutschen.

Noch Ende 1989, Anfang 1990, als die DDR von einer tiefen politischen Krise erfasst war, sprachen sich bei Umfragen zwischen 55 und 83 Prozent für die Bewahrung der DDR als souveränen Staat aus. Im Januar 1990 waren lediglich 23 Prozent für einen kapitalistischen Weg. Nach einer Untersuchung der Adenauer-Stiftung hielten 1991 33 Prozent der Ostdeutschen die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik für ungerecht, 2005 waren es 68 Prozent. Eine Emnid-Umfrage von 2009 zum Thema »Die DDR – ein Unrechtsstaat« ergab, dass von den Ostdeutschen 49 Prozent an der DDR mehr gute als schlechte Seiten und acht Prozent nur gute Seiten sahen. Die Angst vor der DDR muss bei den Regierenden in diesem Lande sehr groß sein, wenn sie noch 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges, nunmehr gemeinsam mit Politikern der Linken, die DDR-Debatte so führen wollen, als ob wir auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges befänden.

Ekkehard Lieberam

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nobelpreisträger Krugman: Deutsche Top-Wirtschaft und Politik zerstört Europa 

"Europa steuert in Zeitlupe auf das Desaster zu, und schuld ist nicht die Peripherie, sondern Deutschland", wettert Krugman in der "New York Times".

 

Zwar stehe außer Frage, dass sich einige Länder wie Griechenland nicht regelkonform verhalten hätten. Aber das wirkliche Problem Europas seien nicht die griechischen Schulden oder die italienischen Altlasten: "Wenn es ein Land gibt, das aus der bisherigen Krise nichts gelernt hat, dann ist das Deutschland."

Krugman befürchtet ein Deflation im Euro-Raum, die an Japans Wirtschaft erinnere. Deutscher Exportüberschuß ist Gift für Europa 

Die Politik von Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hält er für desaströs. Die Forderung Berlins nach mehr Wettbewerbsfähigkeit solle eigentlich nur davon ablenken, dass die deutsche Industrie zulasten der anderen Mitgliedsstaaten immense Exportüberschüsse erwirtschaftet. Er spricht bewusst von einer "Beggar thy neighbour"-Politik, ein Begriff aus der Großen Depression der 1930er-Jahre.

Doch so verliert die Wirtschaft in Südeuropa weiter an Boden und irgendwann fehlen die Gelder diese Waren in Nord- und Mitteleuropa zu kaufen und das führt dann auch  zur Stagnation der deutschen Wirtschaft und zu einem möglichen massiven Einbruch beim Export. Wichtig ist auch die Stärkung der Binnenachfrage im Lande, damit die Massenkaufkraft steigt. 

Damals hatten die Länder versucht, ihre eigene Wirtschaft über Exporte zulasten der anderen Staaten aus der Krise zu holen.

Krugman ist mit dieser Meinung nicht alleine. Gerade unter ausländischen Ökonomen sorgt die harte deutsche Haltung gegenüber den europäischen Nachbarn immer wieder für Kopfschütteln. Einig sind sich die Experten auch darin, dass es Europa weitaus besser gehen würde, wenn Deutschland sich statt um die Staatsfinanzen der anderen eher darum kümmern würde, die eigenen hohen Exportüberschüsse abzubauen.

"Die Euro-Zone sieht sich größeren Herausforderungen gegenüber als Japan zu Beginn der verlorenen Dekaden", meint etwa Jacques Cailloux, Chefökonom Europa bei Nomura. Die von Deutschland verordnete Austeritätspolitik mache es praktisch unmöglich, dass der Staat die Nachfrageausfälle der Privatwirtschaft kompensiert. "Europa hat keinerlei Vorkehrungen getroffen, um sich gegen eine mögliche Deflation zu schützen."

Andere Spitzenökonomen wie der Citi-Chefökonom Willem Buiter sehen die Euro-Zone auf eine jahrelange Stagnation zusteuern, wenn sich nichts Wesentliches am Kurs ändere.

"Was wir momentan beobachten, ist die zerstörerische Kraft schlechter Ideen", warnt der Nobelpreisträger. Auch der  Rest Europas habe in den fatalen Sermon vom Sparen selbst in schlechten Zeiten schließlich längst mit eingestimmt. "Man muss sich schon fragen, wann Europa endlich der Realität ins Auge blickt", schreibt Krugman. Und meint damit auch – endlich auf einen wie ihn hören wird.