Linke Vize-Fraktionschefin Wagenknecht gegen Rot-Rot-Grün im Bund 

Trotz des rot-rot-grünen Landes-Bündnisses in Thüringen und der brandenburgischen Linksregierung lehnt die stellvertretende Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, eine Koalition mit der Gabriel-SPD für 2017 auf Bundesebene klar ab.

 

Gregor Gysi hatte sich für Sondierungen für ein solches Bündnis innerhalb einer zu schaffenden Arbeitsgruppe ausgesprochen.

Er hatte aber auch schon deutlich gemacht,  dass die SPD in der momentanen Verfassung eben kein möglicher Koalitionspartner für die Linken sei. Gysi sah aber  in der Frage der Vermögensumverteilung und weniger in Friedensfragen das größte Problem solcher Sondierungen. Das blendet der Tagesspiegel in einem aktuellen Bericht leider aus.

SPD und Grüne haben den Vorschlag des Linksfraktionschefs bereits zurückgewiesen. Auch Wagenknecht lehnt ihn ab: "Gespräche wären dann sinnvoll, wenn die SPD zu ihren Wurzeln zurückkehrt und sich entscheidet, wieder sozialdemokratische Politik zu machen", sagte sie. "Das hieße dann: Ja zu besseren Renten und Vermögenssteuer, Nein zu TTIP und prekären Jobs, nach außen Rückkehr zur Entspannungspolitik."

Die stellvertretende Fraktionschefin hält den Vorstoß Gysis außerdem für verfrüht. "Ich glaube, man überfordert die SPD, wenn man ihr zweieinhalb Jahre vor der nächsten Wahl ein öffentliches Bekenntnis zu einer anderen Regierung abverlangt."

 

Die SPD hatte sich nach der letzten Bundestagswahl grundsätzlich  für eine Koalition mit der Linken auf Bundesebene geöffnet.

Solange SPD- Chef  Gabriel für die gleiche Politik steht wie Kanzlerin Angela Merkel, bringt ein Wechsel im Kanzleramt der Bevölkerung wenig, und solange sind irgendwelche Arbeitsgruppen zu Rot-Rot-Grün relativ sinnlos“, sagte Wagenknecht der Deutschen Presse-Agentur.

Die Linke-Politikerin kritisierte auch die Form, in der Gysi SPD und Grünen das Angebot zu ernsthaften Gesprächen über eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene unterbreitet hat. 

„Wenn man Gespräche will, ist es sicher nicht der aussichtsreichste Weg, sie über die Presse zu organisieren.“ Gysi hatte sich in einem Anfang Januar veröffentlichten Interview für die Bildung einer Gesprächsrunde von SPD, Linke und Grünenausgesprochen.

Dafür sollten die Parteivorsitzenden Personen benennen, die das gesamte politische Spektrum ihrer Parteien repräsentierten. „Wir müssen ausloten, wo wir uns inhaltlich annähern können“, sagte Gysi. (dpa)

 

 

 

Es wählt nicht Schäuble, es wählen die Griechen

Rede von Alexis Tsprias, Vorsitzender von SYRIZA, zur Eröffnung des Wahlkampfes in Griechenland

Liebe Genossinnen und Genossen, es gibt kritische Momente in der Geschichte der Menschen und der Völker. Und wir alle wissen, dass wir solch einen Moment erleben. Einen Moment, der die Zukunft des Landes über viele Jahre bestimmen wird. Einen historischen Moment. Über solche Momente sagt unser Dichter Manolis Anagnostakis: Wie Nägel müssen die Worte einschlagen, damit sie nicht vom Winde verweht werden. Mit Entschlossenheit, Konsequenz und Verantwortungsbewusstsein. Daher werden uns nicht vom Wind der Meinungsumfragen treiben lassen. Noch von den unfairen und unmoralischen Angriffen unserer Gegner. Noch von den Provokationen aller Art gegen uns. Noch von den Drohgebärden der falschen Freunde Griechenlands in den europäischen Laboratorien der Austerität. Wir werden kollektiv debattieren und entscheiden, einzig und allein danach gerichtet, dass wir nur eine Möglichkeit haben: zu gewinnen. Den großen Sieg unseres Volkes bei den kommenden Wahlen zu sichern. Einen Sieg, der so sicher ist, wie wir hier anwesend sind. Sofern wir alle zusammen, vereint und entschlossen, konsequent und umfassend, mit Herz und Verstand unseren Kampf führen, von Haus zu Haus. Von Stadt zu Stadt. Und von Dorf zu Dorf. Darüber debattieren wir heute. Und diese Entscheidungen werden wir heute treffen. Um unseren Wahlsieg so breit wie möglich, so unbestreitbar und so klar wie möglich zu gestalten. Und um uns gleichzeitig erneut unserem nicht verhandelbarem Programm zu verpflichten. Indem wir der gesellschaftlichen Tragödie sowie dem Alptraum der Austerität und des Autoritarismus ein Ende setzen. Indem wir der Barbarei ein Ende setzen. Aber auch indem wir das Messer tief bis auf die Wurzeln der Korruption, der institutionellen Verflechtung und der provokanten Ungerechtigkeit ansetzen. Aus diesem Grund ist es nicht übertrieben zu behaupten, dass auf dem heutigen Parteitag nicht nur SYRIZA-Mitglieder anwesend sind. Auf unserem heutigen Parteitag ist ganz Griechenland anwesend. Natürlich nicht das Griechenland der Memoranden und jener, die deren Diktate nachplappern. Sondern jenes Griechenland, das für eine bessere Zukunft kämpft. Das Griechenland der Armut und der Würde, das sich nicht fatalistisch seinem Schicksal beugt, sondern sich bemüht, es zu verändern. Das Griechenland, das Gerechtigkeit fordert. Das Griechenland, das beharrlich Widerstand leistet. Das Griechenland der Hoffnung. Das Griechenland der Demokratie, das Parteigrenzen und konstruierte Ängste überwindet, um seine Rechte einzufordern. Dieses Griechenland weist uns alle in die richtige Richtung. Und es fordert, dass wir verantwortungsvoll, entschlossen, tapfer, effektiv und vereint dem großen Anliegen seiner Befreiung von der Autokratie der Memoranden dienen.

Liebe Genossinnen und Genossen, wir sagen und hören oft, dass niemand ein Volk aufhalten kann, das entschlossen ist, seine Rechte einzufordern. Und das stimmt. Aber ich glaube, wir sollten noch etwas hinzufügen: Ebenso müssen jene, die sich verpflichtet haben, ein solches Volk zu führen, nicht nur über den Mut sondern auch über den erforderlichen Verstand verfügen, um gegen einen skrupellosen Gegner anzutreten. Und wir wissen, wie skrupellos unser Gegner ist. Nicht nur die angeschlagene Regierung Samaras. Sondern ebenso das gealterte, schuldbeladene und unverbesserliche Machtsystem, das Griechenland in ein Land der Willkür verwandelt hat. Das Information in Angstpropaganda verwandelt hat. Das die Demokratie in eine Maschinerie zur Verabschiedung von Notverordnungen verwandelt hat. Und das die nationale Souveränität auf eine leere Hülle reduziert hat. Der Wahlkampf hat vor ein paar Tagen genauso begonnen, so wie er 2012 geendet hatte. Herr Samaras versteckt sich vor dem Licht der Öffentlichkeit und beschwört Geister. Er lässt die Angst von den Toten auferstehen. Er lässt den Grexit von den Toten auferstehen. Er lässt den Bankrott von den Toten auferstehen. Der Premierminister selbst führt ohne den geringsten Respekt vor seinem Amt diesen Tanz der Zombies an. Mit allen möglichen Lügen als Hintergrundmusik. Und schaut euch an, wie weit er dabei geht. Er benutzt das Wort WAHRHEIT in einer Lügenkampagne. Wann hat denn Herr Samaras die Wahrheit gesagt und wann hat er gelogen? Sagte er die Wahrheit, als er das Memorandum verurteilte? Oder als er es bewarb und umsetzte? Sagte er die Wahrheit, als er sich im letzten Wahlkampf verpflichtete, über 18 Punkte zu verhandeln? Oder als er als Premierminister genau das Gegenteil tat? Sagte er die Wahrheit, als er propagierte, dass Griechenland den Weg der Stabilität und des Wachstums eingeschlagen habe? Oder jetzt, wenn er klagt, dass sich Griechenland am Rand des Abgrunds befindet? Die Antwort auf diese Fragen ist, dass Herr Samaras immer die Wahrheit sagt. Weil seine einzige Wahrheit der Erhalt der Macht ist. Und zwar einer Macht im Dienste jener Interessen, die Griechenland als Pachtgrundstück und Kolonie wollen. Einer Macht, die alles Alte, Abgenutzte und Ausbeuterische reproduziert. Einer Macht, welche die Gesellschaft zerstört und die altbekannten Reichen noch reicher macht. Vorgestern hat er sogar das geheime Programm von SYRIZA entdeckt! Um den Zombie des Staatsbankrotts wiederzubeleben. Er sollte unser Programm zumindest lesen. Um zu sehen, was die Road Map der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit beinhaltet, die wir vorschlagen. Und welchen Weg Griechenland nach den Wahlen einschlagen wird. Aber lassen wir Herrn Samaras sich mit seinen Zombies beschäftigen, während wir nicht einfach nur eine neue Seite aufschlagen. Sondern ein ganz neues Buch. Diese Leute stehen auf der Seite der Zombies und wir auf der Seite des Lebens, der Hoffnung und der Zukunft dieses Landes. Sie stehen auf der Seite einer schmerzhaften Vergangenheit, wir auf der Seite einer hoffnungsvollen Zukunft.

Liebe Genossinnen und Genossen, wir wissen, dass die kommenden Tage erschöpfend aber auch hoffnungsfroh sein werden. Eine Feier der Freiheit und der Demokratie, die am 25. Januar ihren Höhepunkt erreichen wird. Denn, was auch immer sie tun, wir sind in der Lage, damit fertigzuwerden. 2015 ist nicht 2012. Die Zukunft hat bereits begonnen. Arbeitnehmer, Arbeitslose und Rentner, die jungen Menschen, die Selbstständigen ebenso wie die kleinen und mittelständischen Unternehmer und die Landwirte haben die Entscheidung getroffen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Und wir sagen es ihnen erneut von diesem Saal aus: SYRIZA seid ihr alle. SYRIZA streckt allen, die wollen, dass das Land den heutigen Alptraum loswird, die Hand entgegen. Unabhängig von der Partei, die sie bis gestern wählten. Unabhängig von den offenen Fragen und Zweifeln, die sie eventuell haben. Die sie berechtigterweise haben. Wir wollen aber niemanden, der einfach hinter uns steht. Wir wollen nicht, dass das Volk uns folgt, wir wollen es aktiv an unserer Seite. Ebenso wie wir all jene an unserer Seite wollen, die mit dem sozialen Rettungsprogramm einverstanden sind. Lasst uns den Kampf gemeinsam führen. Lasst uns die Verantwortung teilen. Lasst uns den Sieg zum Triumph gestalten.

Liebe Genossinnen und Genossen, in diesem Saal sind nicht nur die Erwartungen Griechenlands omnipräsent. Omnipräsent ist auch die Hoffnung des demokratischen Europas auf Wandel. Weil am 25. Januar das demokratische Europa an Griechenland anknüpfen wird. An uns anknüpfen wird die gesellschaftliche Mehrheit, die gegen Austerität ist. Die sich bewusst ist, dass Europa nicht von der Linken gefährdet wird, sondern von der Politik von Frau Merkel. Vom Neoliberalismus und seinen Folgen: von der wirtschaftlichen Spaltung zwischen Nord und Süd, der Arbeitslosigkeit und dem sozialen Abstieg breiter Gesellschaftsschichten und der Mittelklasse. Vom Aufschwung des Rechtspopulismus und des Faschismus. Am 25. Januar findet die notwendige Wende in Europa hier in Griechenland ihren Anfang. Und unser Wahlsieg wird Ende des Jahres auch zum Sieg des spanischen Volkes. Mit Podemos und Izquierda Unida an der Regierung. Und ein Jahr später zu einem Sieg des irischen Volkes. Mit der Sinn Féin von Gerry Adams. Und schrittweise wird daraus eine Angelegenheit von immer mehr Menschen werden. Das griechische Volk wird mit seiner Stimmabgabe für SYRIZA ein positives Beispiel fortschrittlicher Entwicklungen in Europa geben. Und wir sind nicht mehr die Einzigen, die das behaupten. Die europäische Presse berichtet ebenfalls davon. Selbst die Financial Times interpretieren die politischen Entwicklungen in Griechenland als Botschaft für einen notwendigen Politikwechsel und die Beendigung der Austerität in Europa. Der Spiegel erkennt an, dass SYRIZA eine politische Kraft mit der realistischen und gerechten Forderung des Erlasses der griechischen Staatsschulden ist. Und dies sind lediglich zwei beispielhaft genannte Artikel, die den Stimmungswechsel aufzeigen. Aber es sind nicht nur die Medien. Es ist auch eine Reihe von Erklärungen europäischen Amtsträger, welche der Panikmache für den Tag danach den Wind aus den Segeln nehmen. Nur Herr Samaras, die inländischen miteinander verflochtenen Interessenskreise und ihre medialen und politischen Sprachrohre beteuern und propagieren, SYRIZA sei eine Bedrohung für Europa. Die Neutralitätsbekundungen einer Reihe von Vertretern der europäischen Führung zeigen, dass allen bewusst wird, dass der Wandel in Griechenland am Kommen ist, um sich in Europa auszubreiten. SYRIZA ist Europa im Wandel. Herr Samaras im Gegenteil ist die Nachhut von Herrn Schäuble in einem Europa der Austerität, das sich im Rückzug befindet. Aber am 25. Januar wählt nicht Herr Schäuble. Es wählen die Griechen. Sehr zum Unglück von Herrn Samaras.

Liebe Genossinnen und Genossen, am 25. Januar stehen sich nicht nur zwei Alternativen für die Gegenwart und die Zukunft Griechenlands in Europa gegenüber. Es messen sich zwei Welten. Auf der einen Seite steht die alte politische Welt, die abdankt. Die Protagonisten des Verfalls und der Krise, die Nea Dimokratia und die PASOK, danken ab, nachdem sie das Land versenkt haben, nachdem sie Korruption, institutionelle Verflechtung und Kleptokratie geschürt haben.

  • Sie gehen, nachdem sie den Gläubigern und der Troika die Schlüssel des Landes überreicht haben. Weil sie niemals verhandelt haben!
  • Sie gehen und lassen in etwa die halbe Bevölkerung des Landes, d.h. 6,3 Millionen unserer Mitmenschen, in Armut hinter sich.
  • Sie gehen, nachdem sie fast ein Drittel der Arbeitnehmerschaft der Arbeitslosigkeit und 71% der Arbeitslosen der Langzeitarbeitslosigkeit überlassen haben.
  • Sie gehen, nachdem sie mit der berühmten E-Mail von Herrn Samaras der Troika neue Lohn- und Rentenkürzungen, Erhöhungen der Mehrwertsteuersätze für Medikamente, Lebensmittel, Strom und Wasser, sowie die Abschaffung der Solidaritätsbeihilfe für Rentner (EKAS) ab 2015 für ca. 320.000 Niedrigrentner zugesichert haben.

Aber nach der enthüllenden Erklärung der Vertreterin der Nea Dimokratia, dass Herr Samaras diese vereinbarten Maßnahmen im Falle seiner Wiederwahl sofort vor das Parlament bringen wird, müssen wir die Dinge beim Namen nennen. Es handelt sich nicht um eine E-Mail von Finanzminister Chardouvelis. Es handelt sich um eine E-Mail von Herrn Samaras. Und die E-Mail von Herrn Samaras ist das gemeinsame Regierungsprogramm der Nea Dimokratia und der Troika. Sie ist das neue Memorandum. Sie bedeutet eine noch härtere Austerität auf dem Boden der akkumulierten Einkommenskürzungen und der Überbesteuerung sechs ganzer Jahre. Das ist die Wahrheit, welche die Nea Dimokratia glaubt, vor dem griechischen Volk verheimlichen zu können. Aber im Gegensatz zu 2012 gibt es heute keine geheime Agenda. Sie können nicht verheimlichen, dass sie bereits neue harte Sparmaßnahmen vereinbart haben. Und, noch schlimmer, dass sie den sofortigen Beginn eines Pogroms in Form der Zwangsversteigerung von Hauptwohnungen sofort nach den Wahlen vereinbart und akzeptiert haben, falls sie wiedergewählt werden. Große Pakete von Wohungsbau- und -kaufkrediten werden bereits von den Systembanken an so genannte Distress Funds weiterverkauft. An die so genannten Geier der Märkte, die sich bereit machen, sich auf die Hauptwohnungen von Tagelöhnern, von Familien, von denjenigen, die um ihre Existenz kämpfen, die ihr Heim mit Hypotheken belastet haben, zu stürzen. Und dies, weil die Regierungsmehrheit bereits zwei Mal im Parlament Gesetzesänderungen von SYRIZA abgelehnt hat, welche die Übertragung der Darlehen der einfachen Leute an diese Geier verbieten würden. Daher ist es keine Übertreibung zu behaupten: Früher drohte die Propaganda damit, dass die Kommunisten kommen werden, um uns unsere Häuser wegzunehmen. Heute werden die Häuser der Bevölkerung weder von den Kommunisten noch von den Linken bedroht. Die Häuser der Bevölkerung werden von den Banken, den neuen Memoranden und von Herrn Samaras bedroht, der dies bereits akzeptiert und unterzeichnet hat. Aber nun weiß es unser Volk und wird sich nicht hinters Licht führen lassen. Am 26. Januar wird es der nationalen Erniedrigung und der humanitären Krise ein definitives Ende bereiten. Es wird dem Irrsinn der Memoranden ein Ende bereiten. Durch die Stimmabgabe für SYRIZA. Durch eine Regierung des Volkes mit absoluter Mehrheit. Durch eine SYRIZA-Regierung mit absoluter Mehrheit. Indem der Weg für den Wiederaufbau von Entwicklung und Produktion, für die kulturelle Wiedergeburt unseres Vaterlandes geebnet wird. Mit dem "Programm von Thessaloniki" gewährleisten wir finanzielle Sicherheit und würdige Lebensverhältnisse für jede Griechin und jeden Griechen. Durch eine intensive Verhandlung der Schuldenfrage gewährleisten wir eine tatsächlich gleichwertige Teilnahme unseres Landes an der Eurozone, ohne die Austerität, die nicht durch die europäischen Verträge auferlegt wird und die dem Land so viel Leid zugefügt hat. Deswegen ist das Dilemma am 25. Januar eindeutig: Memorandum oder SYRIZA. Unterwerfung oder Verhandlung. Austerität oder Wachstum. Und die Antwort unseres Volkes wird SYRIZA lauten, eine Regierung der sozialen Rettung für Würde, Gerechtigkeit und Demokratie.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, unsere Gegner bezichtigen uns, wir würden nach einem Bruch mit unseren Partern in der Eurozone trachten, gar einen solchen planen. Wonach wir streben, was wir jedoch planen, ist ein Bruch mit der Barbarei. Ein Bruch mit dem Irrsinn und den Fehlern. Diese Politik kann nicht weitergeführt werden. Und das sagen nicht nur wir Linke. Alle wissen es. Selbst unsere Partner. Weder die Staatsschulden sind nachhaltig, noch ist die heutige Politik nachhaltig. Deswegen werden wir diese Politik ändern. Wir werden dem wirtschaftlichen und sozialen Irrsinn der Memoranden und der Austerität ein Ende setzen. Und dies ist Sache des griechischen Volkes und niemandes sonst. Wir werden den Kampf für die Befreiung Griechenlands von der Zwangsjacke der Schuldenlast führen. Indem wir in ehrlichen aber entschlossenen Verhandlungen mit den Interessen unseres Volkes als unüberschreitbarer roter Linie den Erlass des größten Teils der Schulden fordern. Denn die Schulden sind nicht einfach untragbar. Es ist objektiv unmöglich, sie abzubezahlen. Es kann nicht sein, dass Griechenland neue Schulden aufnimmt, bloß um alte Schulden zurückzuzahlen. Es ist objektiv notwendig, diesem katastrophalen Teufelskreis ein Ende zu setzen. Damit Griechenland endlich den Weg des Wachstums einschlägt. Der Einzige, der dies nicht anerkennt, ist Herr Samaras. Er ist der Einzige in ganz Europa, der darauf besteht, dass die Schulden nachhaltig seien. Und auf diese Art und Weise OBJEKTIV den Standpunkt des Landes unterminiert. Um nicht einzugestehen, dass sein Programm gescheitert ist. Dass die Austerität ein Ende finden muss, dass es gesellschaftlich und wirtschaftlich notwendig ist, dass sie beendet wird. Wir bestehen darauf, dass die Austerität ein katastrophaler Irrsinn ist. Und dass zur Abzahlung der Schulden eine mutige Umstrukturierung erforderlich ist. Und in Bezug darauf kann kein ernstzunehmender Analyst in ganz Europa eine andere Meinung vertreten. Niemand kann es leugnen! Auf der Grundlage dieser einfachen und realistischen Thesen erklären wir Folgendes:

Erstens: Wir lehnen die Logik der wirklichkeitsfremden Primärüberschüsse ab, welche nichts als ein anderer Name für Austerität sind. Welche nichts als Austerität selbst sind. Und wir bleiben standhaft in unserem Streben nach ausgeglichenen Primärhaushalten sowie der Notwendigkeit, das Programm öffentlicher Investitionen aus der Berechnung des Defizits auszunehmen.

Zweitens: Wir streben nach einem Übereinkommen über Entwicklungsinstrumente, die zum Gesamtwachstum beitragen werden, das alle Bürger betrifft.

Drittens: Wir werden das Bankensystem im Rahmen der EZB schützen und für die Einlagen der griechischen Bürger bürgen.

Viertens: Wir werden im Rahmen der Europäischen Union und der europäischen Institutionen über ein neues, realistisches Übereinkommen über die Bedienung der Schulden und das Wachstum der Realwirtschaft mit folgenden Zielen verhandeln, von denen alle Seiten profitieren werden:

  • Den Erlass des größten Teils des nominellen Schuldenbetrags, damit die Schulden nachhaltig werden, und zwar nach einer Methode, welche den Völkern Europas keinen Schaden zufügt, sondern anhand kollektiver europäischer Mechanismen. Dies ist 1953 für Deutschland geschehen. 2015 soll es auch für Griechenland erfolgen.
  • Eine "Wachstumsklausel" für die Tilgung der Schulden, damit diese durch Wachstum und nicht durch den Haushaltsüberschuss erfolgt.
  • Eine tilgungsfreie Zeit, d.h. ein Moratorium für die Bedienung der Schulden zur unmittelbaren Einsparung von Ressourcen für Wachstum und zur Wiederbelebung der Wirtschaft.
  • Die Ausnahme des Programms öffentlicher Investitionen von den Beschränkungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts für einen gewissen Zeitraum.
  • Ein Abkommen über einen "europäischen New Deal" mit öffentlichen Investitionen für Wachstum.
  • Eine quantitative Lockerung der Bedingungen durch den Direktkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. Wir hoffen, dass dies bei der Sitzung des EZB-Rates am 22. Januar beschlossen wird.

Liebe Genossinnen und Genossen, eir hören in letzter Zeit die Behauptung, eine SYRIZA-Regierung sei angeblich durch die Unterschrift von Herrn Samaras im Namen der "Kontinuität des Staates" gebunden. Daher, behaupten diejenigen, die diese Behauptung in Umlauf bringen, seien uns die Hände gebunden. Die Kontinuität des Staates und das Beharren auf einer objektiv ausweglosen und gesellschaftlich katastrophalen Politik sind jedoch zwei völlig verschiedene Sachen. Lasst uns also Folgendes klarstellen: Am 25. Januar findet die durch Rechtswidrigkeit und Autoritarismus geprägte Unterwerfung ihr Ende. Alle sollten sich dessen bewusst sein. Und eine Verhandlung wird stattfinden! Und dabei wird ein Übereinkommen erreicht werden! Und das Memorandum samt Troika wird der Vergangenheit angehören! Wenn selbst die deutsche Regierung ihre nationalen Interessen über die gemeinsam vereinbarte Obergrenze von 6% für den Handelsüberschuss stellt und dagegen verstößt, ist es undenkbar, dass eine SYRIZA-Regierung dazu aufgerufen wird, politische Maßnahmen zu akzeptieren, die sie seit 2010 ablehnt, nachdem sie genau mit dem Mandat gewählt wird, diese abzuschaffen.

Liebe Genossinnen und Genossen, as Regierungsprogramm von SYRIZA ist umfassend und umsetzungsbereit. Es ist das "Programm von Thessaloniki", der Nationale Plan für den Wiederaufbau, der unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen umgesetzt wird. Es ist ein detailliert ausgearbeitetes Programm mit genau berechneten Kosten zur Bewältigung der tiefen Wunden des Memorandums und zur Wiederbelebung der Wirtschaft unter Bedingungen eines ausgeglichenen Haushalts. Es ist ein Programm, das keine neuen Defizite sondern Bedingungen für den sozialen Wiederaufbau und einen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung schaffen wird. Unser Programm umfasst die tatsächlichen fortschrittlichen Reformen, welche die Gesellschaft benötigt, nicht die neoliberalen Gegenreformen des Wirtschafts- und Sozialabbaus.

Das "Programm von Thessaloniki" umfasst die folgenden vier grundlegenden Säulen zur Umkehrung des Sozial- und Wirtschaftsabbaus, zum wirtschaftlichen Aufschwung und zur Überwindung der Krise:

  1. Unser Programm zur Bewältigung der humanitären Krise;
  2. Sofortige Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft;
  3. Den Nationalen Plan zur Schaffung von Arbeitsplätzen;
  4. Reformen zur institutionellen und demokratischen Umgestaltung der öffentlichen Verwaltung.

1. Unser Programm zur sofortigen Bewältigung der humanitären Krise und zur Unterstützung der Niedrigrentner umfasst:

  • kostenfreie Stromversorgung und Lebensmittelgutscheine für mindestens dreihunderttausend Haushalte,
  • ein Programm zur Sicherung von Wohnraum,
  • eine 13. Monatsrente für Niedrigrentner mit einer Rente von unter € 700,
  • kostenfreie medizinische und medikamentöse Versorgung,
  • eine Sonderkarte zur Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln,
  • die Abschaffung der Sondersteuer auf Heizöl.

2. Die zweite Säule umfasst Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft. Ihr Ziel ist die Stützung kleiner und mittelständischer Unternehmen, ebenso wie die Steigerung der öffentlichen Einnahmen durch eine Regulierung von Zahlungsrückständen. Die Regelungen der Regierung Samaras zur gleichen Angelegenheit sind jämmerlich gescheitert. Bezeichnend ist, dass von 1,7 Mio. Schuldnern der Versicherungskassen bis heute gerade mal 3.000 Anträge gestellt wurden. Und das liegt daran, dass die Regulierung der Regierung so viele Voraussetzungen stellt, dass sie sich in der Praxis von selbst aufhebt. Zur gleichen Zeit haben die Zahlungsrückstände an die Staatskasse € 70 Mrd. bei Weitem überstiegen. Allein im November 2014 sind die Zahlungsrückstände um € 1,6 Mrd. gestiegen, um mehr als je zuvor.

  • Der Vorschlag von SYRIZA über die Einrichtung regionaler Sonderausschüsse zum außergerichtlichen Vergleich ist daher nicht nur aktuell, sondern unausweichlich, damit die Schulden an die Staatskasse und die Versicherungskassen sofort eingenommen werden.
  • Die Raten der Rückzahlung werden 30% des Jahreseinkommens des jeweiligen Schuldners nicht überschreiten.
  • Zuschläge und Geldstrafen werden 30% des ursprünglich geschuldeten Kapitals nicht überschreiten.
  • Denjenigen, die an der Regulierung teilnehmen, wird sofort eine steuerliche und versicherungstechnische Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt.
  • Die Pfändung und strafrechtliche Verfolgung gegen alle, die an der Regulierung teilnehmen, wird sofort eingestellt und für jene, die erwiesenermaßen über ein Nulleinkommen verfügen, ausgesetzt.
  • Das verfassungswidrige gerichtliche Schnellverfahren wegen Schulden an die Staatskasse wird abgeschafft.
  • Das Fallbeil der Einheitlichen Immobiliensteuer (ENFIA) wird abgeschafft und es wird eine sozial gerechte Großgrundsteuer eingeführt.
  • Die Steuerfreigrenze wird auf € 12.000 für alle festgesetzt.
  • Wir werden eine öffentliche Entwicklungsbank und Spezialbanken für kleine und mittelständische Unternehmer und Landwirte gründen.
  • Und schließlich werden wir das Programm der Neuen Seisachtheia zur Regulierung notleidender Darlehen in Gang setzen.

Die Regulierung der notleidenden Darlehen ist eine Frage von zentraler Bedeutung für die Wiederbelebung der Wirtschaft. Denn es handelt sich um die Bewältigung von Privatschulden an Banken, die nicht nur die Schuldner in den wirtschaftlichen Ruin treiben, sondern gleichzeitig Liquiditätsprobleme in der Realwirtschaft schaffen. Auf der Internationalen Ausstellung von Thessaloniki haben wir die Grundsätze unseres Vorschlags zur Bewältigung des Problems vorgestellt. Wir werden eine öffentliche zwischengeschaltete Stelle zur Verwaltung von Privatschulden einrichten, d.h. nicht in Form einer "Bad Bank", sondern im Gegenteil als Verwalter von fälligen Schulden jeglicher Art an Banken und als Prüfer der Banken in Bezug auf die Einhaltung der vereinbarten Regulierung. Wir werden diese Stelle einrichten, um die gerechte und gleichberechtigte Behandlung aller Darlehensnehmer zu gewährleisten. Im Gegensatz zur Regierung Samaras, welche die überschuldeten Unternehmen per Gesetz an die Banken ausgeliefert hat, die sie nun einseitig unter Zwangsverwaltung (d.h. unter ein spezielles Konkurs- und Abwicklungsverfahren) stellen können, werden wir eine schnell anzuwendende Lösung ohne langwierige bürokratische Verfahren umsetzen. Es handelt sich um eine Lösung, die Beschäftigung sicherstellen und auf die Weiterführung des Betriebs der Unternehmen abzielen wird, damit eine oligopolistische Konzentration auf dem Markt vermieden wird. Ferner streben wir nach einer Lösung, die - abgesehen von Ausnahmen für besondere Entwicklungsziele - nicht aus staatlichen Mitteln finanziert wird. Wir werden die Übernahme notleidender Darlehen durch internationale Fonds verbieten, die es sich zum Ziel gesetzt haben, auf dem Rücken der griechischen Bürger und der griechischen Wirtschaft zu spekulieren. In Bezug auf die Frage der Zwangsversteigerung von Wohnraum übernehmen wir folgende Verpflichtungen: Mit SYRIZA an der Regierung werden die Griechen und Griechinnen unbesorgt in ihren Wohnungen schlafen können. Wir werden Zwangsversteigerungen von Hauptwohnungen aussetzen. Wir werden nicht zulassen, dass die Banken die Hauptwohnungen der Mittelklasse und der Arbeitnehmer berühren. Punkt aus!

3. Die dritte Säule unseres Plans umfasst Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Unterstützung der Arbeitnehmerschaft und die Stärkung ihrer Verhandlungskraft ist eine der zentralen politischen Säulen des Programms von SYRIZA. Wir werden die Willkür der Arbeitgeber beenden. In Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsorganisation werden wir das Arbeitsrecht wiederherstellen, das die unter dem Memorandum verabschiedeten Gesetze abgeschafft haben. Wir sind konsequent in der Verpflichtung, die wir übernommen haben, für:

  • Wiedererhöhung des Mindestlohns auf € 751 für alle,
  • Wiederherstellung der Tarifverträge und Wiedereinführung ihrer dreijährigen Laufzeit, der Erweiterbarkeit ihrer Gültigkeit auf die gesamte jeweilige Branche, ihrer Nachwirkung und der Schlichtung,
  • Abschaffung der Regelungen über Massenentlassungen,
  • Umsetzung des Plans zur sofortigen Schaffung von 300.000 Arbeitsplätzen im Privatsektor, im öffentlichen Sektor sowie im Sektor der Sozialwirtschaft.

4. Die vierte Säule umfasst Interventionen zum institutionellen und demokratischen Wiederaufbau des Staates. SYRIZA ist nicht für den klientelistischen Staat verantwortlich, den die Parteien geschaffen haben, die das Land regiert und zerstört haben. Wir kennen die pathogenen Zustände der öffentlichen Verwaltung! Wir bestehen aber darauf, dass die Regierungen des Memorandums nichts getan haben, um diese zu verändern. Ganz im Gegenteil befindet sich heute die griechische öffentliche Verwaltung kurz vor dem Zusammenbruch. Im Rahmen des Programms für ihre Neugestaltung legen wir einen integrierten Plan für ihre demokratische Reform und Rationalisierung vor.

  • Wir werden die Struktur der Regierung (durch Zusammenlegung von Ministerien und Abschaffung von Regierungsorganen) zur besseren Koordination und Planung des Wiederaufbaus der Produktion verändern. In der SYRIZA-Regierung sind nur zehn Ministerien vorgesehen. Wir werden nicht über einen dekorativen Ministerrat, sondern über ein starkes kollektives Organ der politischen Planung und Koordination verfügen.
  • Wir werden die zahlreichen Regierungsorgane abschaffen, die als Gewächshaus für die Korruption und zur Vertuschung politischer Verantwortung dienen.
  • Wir werden den öffentlichen Sektor von den Scharen von Beratern und abgeordneten Beamten entlasten und die Büros der Minister, Generalsekretäre und Behördenleiter aus den Reihen der Beamten besetzen.
  • Wir werden die unter dem Memorandum verabschiedete Gesetzgebung über das Beamtendisziplinarrecht abschaffen.
  • Wir werden das Institut der Suspendierung im Rahmen der Mobilität zur Rationalisierung der Personalverteilung zwischen Behörden und Ministerien abschaffen.
  • Wir werden die verfassungswidrig Entlassenen rehabilitieren.
  • Wir werden das verfassungswidrige Gesetz über die Beurteilung von Beamten abschaffen. Die Beurteilung von Beamten und Behörden wird anhand objektiver Indikatoren erfolgen.

Wir wissen, dass das Hauptproblem der Bürger in der Bürokratie, den Verzögerungen bei der Bearbeitung ihrer Anliegen und der Vielzahl an Rechtsvorschriften liegt; all dies ist in Wirklichkeit eine Methode der Machtausübung und des Erhalts der Korruption. Anders ausgedrückt, sind es die Verfahren der öffentlichen Verwaltung. Aus diesem Grund:

  • Werden wir zur Bekämpfung der Kleinkorruption den physischen Kontakt zwischen Verwaltung und Verwalteten beschränken.
  • Wir werden die Bürgerservicezentren (KEP) aufwerten, indem wir sie in Mehrzweckzentren im Dienste der Bürger und der Unternehmen umgestalten und in allen öffentlichen Diensten Bürgerserviceabteilungen einrichten.
  • Wir werden für jeden Bürger eine elektronische Karte mit allen erforderlichen Informationen für seine Rechtsgeschäfte mit der öffentlichen Verwaltung einführen.
  • Wir werden das Übermaß an erforderlichen Belegen für die Ausstellung von Baugenehmigungen und Betriebsgenehmigungen für Geschäfte abschaffen.
  • Anstelle der präventiven Kontrolle werden wir eine repressive Kontrolle einführen.
  • Wir werden einen dem Parlament unterstehenden Sonderdienst zur Kodifizierung der Gesetzgebung einrichten.

Wir werden das Verflechtungsdreieck zwischen politischen Parteien, Wirtschaftsoligarchie und Banken aufbrechen. In Bezug auf die politischen Parteien verpflichtet sich SYRIZA:

  • Den Rahmen für Bankenkredite an Parteien umzugestalten, indem wir eine Kreditobergrenze einführen, langfristige Kredite verbieten und eine Kreditvergabe über einen kleinen Teil der staatlichen Finanzierung allgemein verbieten.
  • Umfassende Kontrolle und Transparenz bei den Finanzen der Parteien zu fördern.

In Bezug auf die Medien:

  • Werden wir umgehend jene Gesetzesvorschriften aktivieren, die es der griechischen Zentralbank oder den zuständigen Staatsanwaltschaften erlauben, Kontrollen über die Herkunft der Finanzierung von Informationsunternehmen durchzuführen, und die für alle Aktiengesellschaften gelten und vorsehen, dass ein Verluste erwirtschaftendes Unternehmen nicht unbegrenzt betrieben werden kann, ohne rekapitalisiert zu werden.
  • Wir werden die Betriebsgenehmigungen für Medien von Grund auf neu ausschreiben.

Im Bereich der öffentlichen Verträge wird die SYRIZA-Regierung den einschlägigen institutionellen Rahmen unter Beachtung der europäischen Gesetzgebung überarbeiten.

  • Wir werden die Institute der gesellschaftlichen Kontrolle, der Transparenz und der Öffentlichkeit in allen Phasen stärken.
  • Wir werden die Bedingungen für die Planung und Ausführung öffentlicher Verträge strenger gestalten.
  • Wir werden einen objektiven und transparenten institutionellen Rahmen für öffentliche Ausschreibungen erarbeiten.
  • Wir werden Pro-Forma-Ausschreibungen ein Ende setzen!

Und schließlich wird SYRIZA für Gerechtigkeit sorgen: Wir werden die Unterlagen- und Datenerfassung über laufende oder in den letzten fünf Jahren abgehaltene problematische Ausschreibungen systematisch gestalten.

  • Wir werden die umgehende Wiedergutmachung eventueller Vermögens- oder sonstiger Schäden der Staatskasse in Fällen "sündiger" Verträge sicherstellen.
  • Wir werden die verfassungswidrigen und einer Demokratie unwürdigen Vorschriften abschaffen, die den Vorständen des Finanzstabilitätsfonds (TChS) und des Fonds zur Verwaltung des Privatvermögens des Staates (TAIPED) Immunität gewähren. Diese Immunität ist das Schuldgeständnis des Establishments des Memorandums und seiner Würdenträger, die der griechischen Staatskasse bewusst Schaden zugefügt haben.

Wir vergessen das nicht. Wir werden es nicht vergessen!

SYRIZA wird der Unglaubwürdigkeit, der Rechtswidrigkeit, den Verwaltungsmissständen, der Korruption und der Dekadenz ein Ende setzen! Und hierfür ist eine Umstrukturierung und Stärkung der Kontrollmechanismen erforderlich. Das ist unsere Botschaft, hört gut zu: Einhaltung der Legalität überall. Achtung des Rechtsstaats überall. Die Party ist vorbei!

Wir werden alle Kontrollmechanismen in ein einheitliches, dem Premierminister direkt unterstehendes Amt zusammenführen.

In dieser Richtung werden die ersten Maßnahmen von SYRIZA in Folgendem bestehen:

  1. In der Stärkung und Unterstützung des Amts für Wirtschaftskriminalitätsbekämpfung und des Amts für Arbeitsinspektion, damit in der Privatwirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung die Legalität eingehalten wird, aber auch damit der Arbeitsmarkt von Praktiken der zügellosen Ausbeutung und der nicht versicherten Arbeit bereinigt wird.
  2. In der Unterstützung des erfolgreichen Beginns der Bekämpfung von Geldwäsche.
  3. In der Reaktivierung des Ausschusses für Vermögenserklärungen.

Mit einer SYRIZA-Regierung werden alle Rechenschaft darüber geben müssen, woher ihr Geld stammt.

Liebe Genossinnen und Genossen, SYRIZA kommt nicht, um ein korruptes und bankrottes Machtsystem zu erben.

Wir kommen, um es umzustürzen. Wir kommen nicht, um Machtstrukturen und -vorrechte einzunehmen, sondern um diese Strukturen zu verändern und die Vorrechte abzuschaffen. Wir kommen, um Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Meritokratie zu gewähren. Wir sind uns jedoch voll und ganz über alle Schwierigkeiten im Klaren, die wir bewältigen müssen. Wir wissen, dass wir nicht nur verbrannte Erde erben werden. Wir werden eine aufgelöste Produktionsbasis und ein politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich gespaltenes und diskreditiertes Land erben. Es obliegt unserer Verantwortung, dass wir es alle zusammen wiedervereinigen. Und dass wir es wieder auf den sicheren und fruchtbaren Boden des Wiederaufbaus, des Wachstums und der Würde führen.

Am 25. Januar fordern wir nicht einfach die Wahlstimme des griechischen Volkes. Wir fordern ein Mandat der Verantwortung. Wir fordern ein Mandat für den Wandel. Wir fordern ein Mandat zur Verhandlung der Staatsschulden. Wir fordern ein kämpferisches Mandat. Wir fordern die Kraft, damit wir Griechenland wieder zu einem Land machen, das auf den eigenen Beinen steht. Wir fordern die absolute Mehrheit im Parlament, um unserem Volk Eigenständigkeit zu geben.

Um es in Europa zu schaffen. Um Würde, Gerechtigkeit und Demokratie nach Griechenland zurückzubringen. Mit Verstand und mit Träumen. Mit Realismus und mit Mut. Wir werden siegen und wir werden es schaffen. Wir sind es der Geschichte schuldig. Dies ist unsere Verantwortung gegenüber Zukunft.

Macht's gut, bis zum Sieg!

Quelle: http://www.die-linke.de/politik/themen/syriza-und-die-wahlen-in-griechenland/detail/browse/1/zurueck/syriza-und-die-wahlen-in-griechenland/artikel/es-waehlt-nicht-schaeuble-es-waehlen-die-griechen/

Griechenland: Eine Alternative ist möglich

Zum Programm von SYRIZA und zur Debatte um den Schuldenschnitt

Nochmals zur Erinnerung: Wohin sind die Hilfskredite geflossen und wer wurde eigentlich gerettet?

Die Schuldenquote Griechenlands (Verhältnis der Staatsschulden zur Wirtschaftskraft, also zum Bruttoinlandsprodukt) ist trotz der Kürzungspolitik stark angestiegen, von etwa 120 Prozent im Jahr 2010 auf über 170 Prozent heute. In absoluten Zahlen belaufen sich die griechischen Staatsschulden auf etwa 320 Milliarden Euro, daran hat sich während der letzten fünf Jahre wenig geändert. Bis auf eines: Die Gläubiger - diejenigen, bei denen Griechenland verschuldet ist - sind heute andere. Im Jahr 2010 hielten Banken und der gesamte private Finanzsektor noch nahezu alle Forderungen an Griechenland, im Jahr 2015 sind es nur noch 11 Prozent. Zum Beispiel hatten deutsche Banken 2010 griechische Staatsanleihen noch in Höhe von 23 Milliarden, heute sind es nur rund 4,6 Milliarden. Das heißt, Griechenland hat sich über die "Rettungsschirme" EFSF und ESM verschuldet, um letztlich die Forderungen der Banken zu bedienen.

Eine Auflage der Hilfskredite der Troika (IWF, EU-Kommission, EZB) von insgesamt 240 Milliarden Euro war nämlich, dass Griechenland mit dem Geld zuallererst die alten Schulden zurückzahlen soll (Bankenrettung). Diese Gelder gingen also nicht etwa an den Staat oder an die Bevölkerung, um tatsächlich den "Griechen zu helfen", sondern sie flossen zu über 90 Prozent in den Finanzsektor - an internationale private Gläubiger wie Banken, Hedgefonds , Versicherungen und an griechische Banken. Oder sie wurden für exorbitante Zinszahlungen ausgegeben: Denn die Zinsen stiegen für Griechenland mit über 10 Prozent in absurde Höhen. Können sich private Banken bei der EZB seit Jahren Geld für 0,5 Prozent (aktuell sogar noch weniger) leihen, sind Gemeinwesen der Willkür der Finanzmärkte ausgesetzt. Ein Teil der griechischen Schulden geht auch auf diesen illegitimen Zinswucher zurück. DIE LINKE fordert seit Jahren, öffentliche Haushalte von dem Diktat und der Spekulation der Finanzmärkte zu befreien. Die Euro-Staaten sollten sich auch bei der EZB in einem festgelegten Rahmen günstig finanzieren können.

Was SYRIZA kurzfristig umsetzen will

SYRIZA will im Falle eines Wahlsieges die Kürzungspolitik der Troika beenden und über die Kreditauflagen (Memoranden) und die Schulden Griechenlands neu verhandeln. Ein "Grexit", ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, kommt für SYRIZA nicht infrage.

(1) Mit einem Sofortprogramm will sich das Linksbündnis zuallererst gegen die "humanitäre Krise" stemmen. Hier geht es um Dinge wie die Strom- und Gesundheitsversorgung, Mietzuschüsse, Bekämpfung der grassierenden Obdachlosigkeit, Lebensmittelgutscheine und die Erhöhung von niedrigsten Renten. Das Programm, das die schlimmste Armut bekämpfen soll, hat ein Volumen von rund zwei Milliarden Euro. Der Mindestlohn soll sofort wieder auf 751 Euro angehoben und die Deregulierung des Arbeitsmarkts zurückgenommen, Gewerkschaften und das System der Flächentarifverträge sollen gestärkt werden.

(2) Um die Wirtschaft anzukurbeln, will SYRIZA ein öffentliches Investitionsprogramm auf den Weg bringen. 40 Jahre Regierung der Konservativen (Nea Demokratia) und/oder der Sozialdemokraten (PASOK) haben das Land heruntergewirtschaftet und zu einem System aus Korruption, Steuerhinterziehung und Vetternwirtschaft verkommen lassen. Ein solches "mittelfristiges" Programm von etwa 12 Milliarden Euro soll die öffentliche Infrastruktur aufbauen, die Produktivität der Unternehmen steigern, Beschäftigung schaffen (es sollen unmittelbar 300.000 Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose entstehen) und die inländische Nachfrage erhöhen.

(3) Neben höheren Steuern für Superreiche in Griechenland, die bislang von den Troika-Auflagen verschont wurden, sollen die Wahlkampfforderungen über Reformen bei der Steuerverwaltung und Steuerfahndung finanziert werden. "Unser Ziel ist es", so Alexis Tsipras, "mit durchschlagenden Reformen des Staates und des öffentlichen Sektors nicht ins Jahr 2009 zurückzukehren, sondern alles zu verändern, was dieses Land an den Rand einer wirtschaftlichen und moralischen Pleite geführt hat." Dazu gehört neben dem Stopp der externen Auflagen der Troika auch innenpolitisch eine Umgestaltung der griechischen Institutionen und des Staatswesen. Dass zum Beispiel nach Wahlen Führungspositionen in den Finanzämtern ausgetauscht werden, soll der Vergangenheit angehören. SYRIZA würde auch für einen politisch-kulturellen Wandel stehen.

Debatte um den Schuldenschnitt

Zwar lässt sich die Reformagenda von SYRIZA nicht auf die Forderung nach einem Schuldenschnitt reduzieren, jedoch ist ein Erlass zumindest eines Teils der Schulden für das Linksbündnis unausweichlich, um unter dem Schuldenberg nicht zu ersticken. Derzeit wird ein Schnitt von 40 bis 50 Prozent diskutiert, damit läge Griechenlands Schuldenquote anschließend etwa im Durchschnitt der Euro-Länder. Selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung empfahl Anfang Januar, Griechenland die Hälfte seiner Schulden zu erlassen. Das mag aber beim DIW eher damit zusammenhängen, dass heute bei einem Schuldenschnitt kaum noch Banken und private Gläubiger betroffen wären, sondern in erster Linie öffentliche Haushalte.

Um die Verpflichtungen Griechenlands will SYRIZA im Rahmen einer europäischen Schuldenkonferenz mit den Gläubigern verhandeln. Vertreter von SYRIZA erinnern dabei an die Londoner Schuldenkonferenz von 1953 als Deutschland mit Zustimmung Griechenlands rund zwei Drittel der Schulden erlassen wurden. Tsipras stellt immer wieder klar, dass der Schuldenberg nicht nur ein griechisches, sondern vielmehr ein europäisches Problem sei. Seine Partei fordert deshalb zumindest als Erstes ein Moratorium (Aufschub) für die Rückzahlungen und eine Wachstumsklausel, die die Tilgung der Schulden an die wirtschaftliche Entwicklung des Landes koppelt. Ohne wirtschaftliche Erholung - ohne ein Ende der desaströsen Kürzungs- und Verarmungspolitik - keinen Schuldendienst.

Das Geld ist da. Europas Millionäre endlich zur Kasse

Es ist davon auszugehen, dass auch eine Linksregierung in Griechenland daran scheitert und sich kaputtspart, nur um einen riesigen Schuldenberg immer weiter zu bedienen. Zum Beispiel muss Griechenland dieses Jahr etwa 22 Milliarden "umschulden". Das heißt, die Rückzahlung alter Schulden wird fällig, dafür brauchen sie aber neues Geld. Das wird dann in den nächsten Jahren immer so weitergehen - ein Teufelskreis. Deshalb fordert SYRIZA einen Schuldenschnitt, der in Kombination mit einem Ende der Kürzungspolitik und einem Aufbauprogramm die Grundlage bildet, die verbleibenden Schulden schrittweise tilgen zu können. Aus Sicht der LINKEN soll auf einer internationalen Schuldenkonferenz mit einem Schuldenschnitt für Griechenland gleichzeitig eine einmalige Abgabe auf Vermögen ab einer Million Euro in allen Euro-Staaten verabredet werden. So könnte endlich erreicht werden, dass nicht Steuerzahler und öffentliche Haushalte die Hauptlast der Krise tragen, sondern Vermögende, deren Konten sich während der Krise eher weiter gefüllt haben, angemessen beteiligt werden. Schließlich übertrifft das Vermögen nur der europäischen Millionäre mit etwa 14 Billionen Euro die gesamte Staatsverschuldung aller EU-Staaten, die bei 11 Billionen Euro liegt.

DIE LINKE argumentiert in ihrem Wahlprogramm zur Europawahl 2014 zum Thema Schuldenschnitt:

"Wir zahlen nicht für eure Krise" war eine Parole der europaweiten Protestbewegung gegen die Kürzungspolitik. DIE LINKE hat sich zu Beginn der Krise dafür eingesetzt, dass Verursacher und Profiteure der Krise mit einem Schuldenschnitt zur Kasse gebeten werden. Die Politik der "Bankenrettung" hat die privaten Gläubiger durch öffentliche Mittel abgesichert. Ein Schuldenschnitt könnte jetzt auf Kosten von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gehen. Die Legitimität von Schulden von Staaten bei privaten Banken muss überprüft und Gegenstand eines demokratischen Prozesses werden. Deshalb fordern wir ein Schuldenaudit (Überprüfung der Legitimität des Schuldenbestands) und einen substanziellen Schuldenschnitt für illegitime Schulden, um Banken und andere private Gläubiger an der Finanzierung zu beteiligen.

Die öffentlichen Haushalte sollen von der Diktatur der Finanzmärkte befreit werden, indem die Staaten sich auch bei der EZB in einem festgelegten Rahmen günstig finanzieren können und nicht mehr allein auf die Finanzmärkte angewiesen sind.

Wir wollen den Schuldenstand bei überschuldeten Staaten sozial verträglich durch eine kombinierte Anwendung von Schuldenschnitt und Millionärsabgabe auf Vermögen senken." (S.15)

 

Quelle: http://www.die-linke.de/nc/die-linke/nachrichten/detail/zurueck/nachrichten/artikel/griechenland-eine-alternative-ist-moeglich/

Gegen jede Kriegsbeteiligung

Wenn Journalisten und Politiker in Bataillonsstärke zur aktiven Teilnahme an Militäreinsätzen verpflichtet wären, hätte der Spuk ein schnelles Ende. Rede auf der XX. Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10. Januar 2015

Von Oskar Lafontaine
»Die ganze Außenpolitik ist ein Lügengebäude, und wir haben die
»Die ganze Außenpolitik ist ein Lügengebäude, und wir haben die Aufgabe, diese Lügen zu durchbrechen, wenn wir wirklich zu einer friedlichen Außenpolitik kommen wollen« Lafontaine auf der Konferenz in der Berliner Urania am 10.1.2015

Ich habe heute morgen France Inter gehört und habe dort die Diskussion hinsichtlich der Ereignisse in Frankreich, der terroristischen Anschläge und der Ermordeten, verfolgt. Und dann war jemand dort, der über das Täterprofil dieser Leute gesprochen hat. Es stellte sich erwartungsgemäß so dar: jung, männlich, muslimischen Glaubens, sozial entweder ausgegrenzt oder in einer Tarn-Berufsgruppe und so weiter und so weiter. Ich habe mir das dann gar nicht länger angehört, denn mir ist es durch den Kopf gegangen, dass wir Terroristen in aller Welt haben, und dass das Täterprofil der Terroristen in aller Welt das gleiche ist – mangelnde Liebe zum Menschen und mangelnde Liebe zum Leben. Und wenn wir die Debatte nicht so führen, dass wir die Frage stellen, wo haben wir denn überall Terrorismus, und wenn wir die Debatte nicht so führen, dass wir uns die Frage stellen, ob nicht auch bei uns im angeblich guten Westen Verantwortung für terroristische Anschläge besteht, wenn wir uns nicht die Frage stellen, was ist Terrorismus überhaupt, dann werden wir keine vernünftige Debatte führen können und auch keine Ergebnisse haben können.

Ausgrenzung und Ohnmacht

Ich habe jahrelang im Deutschen Bundestag die Kanzlerin immer wieder gefragt, was denn Terrorismus sei. »Sie wollen Terrorismus bekämpfen«, war meine Aussage, »also bitte sagen Sie uns, was Terrorismus ist, denn sonst kann man ihn ja nicht bekämpfen.« Es kam nie eine Antwort, und das hat Gründe. Irgendein Beamter hat dann ein sogenanntes Antiterrorgesetz geschrieben, demzufolge – hört genau zu – Terrorismus die rechtswidrige Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange ist. Gott sei dank wird gelacht. Ich habe das im Bundestag vorgetragen und gesagt: »Wissen Sie, was Sie gerade beschlossen haben? Sie haben gerade beschlossen«, das war damals noch nicht so lange nach dem Irak-Krieg, »dass Bush, Blair und alle anderen, die den Irak-Krieg unterstützt haben, Terroristen sind.« Ich will es nur an diesem Beispiel deutlich machen: Wenn wir nicht lernen, dass das zumindest in der arabischen Welt so gesehen wird, dass etwa Bush ein großer Terrorist ist, weil Hunderttausende ermordet worden sind aufgrund seiner Fehlentscheidung, dann werden wir im Westen niemals eine Diskussion darüber führen können, wie der Terrorismus in dieser Welt zu bekämpfen ist, niemals.

Und ich habe mir immer die Frage gestellt und versucht, diese in Diskussionen auch im Bundestag einzubringen: »Wie nehmt ihr eigentlich die Welt wahr? Was glaubt ihr eigentlich, was bei jungen Leuten, was in den Herzen von jungen Leuten vorgeht, die dann sehen, dass ihre ganze Familie ausgelöscht wird, weil sich eine Drohne in eine Hochzeitsgesellschaft verirrt hat, wo dann viele unschuldige Menschen ums Leben kommen? Da geht ihr zur Tagesordnung über, aber wenn jetzt hier ein terroristischer Anschlag geschieht, dann ist die Empörung groß.« So kann man nicht herangehen. Eine Voraussetzung muss sein, dass wir die Doppelmoral endlich aufgeben, die Grundlage der großen Irrtümer in der Welt ist.

Ausgrenzung und Ohnmacht, das waren zwei Wörter, die ich in vielen Kommentaren gelesen habe. Im Zentrum der Überlegungen stand, dass Ausgrenzung und Ohnmacht Reaktionen provozieren; das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen weltweit, das lässt sich nicht unbedingt lokalisieren. Und überall dort, wo Ausgrenzung und Ohnmacht festgestellt werden, muss man mit Gewalt rechnen. Das gilt auch für unsere Gesellschaft. Es gibt viele Menschen, die fühlen sich ausgegrenzt, es gibt viele Menschen, die fühlen sich ohnmächtig – in allen Ländern dieser Welt, in allen Systemen dieser Welt, und irgendwann glauben diese Menschen, sie können sich nur mit Gewalt zu Wehr setzen. Und daraus ist doch nur eine Lehre zu ziehen: Wir müssen Gesellschaftsordnungen aufbauen, die Menschen nicht ausgrenzen und sie nicht das Gefühl von Ohnmacht und Ratlosigkeit fühlen und empfinden lassen. Wenn man über Terrorismus spricht, muss man sagen, was man unter Terrorismus versteht. Wenn man beispielsweise Mord verurteilt, dann muss man Mord verurteilen, wo immer er begangen wird und von wem er auch begangen wird. Und daran fehlt es im großen Umfang in der westlichen Gesellschaft.

Diese Ereignisse müssen doch eine Diskussion über die Außenpolitik provozieren und lassen nur eine einzige Schlussfolgerung zu. Die Interventionskriege, diese terroristischen Kriege, sind die Grundlage für die Ausbreitung des weltweiten Terrors. Man kann sicherlich über dieses und jenes reden, über eines jedoch nicht: Wenn es denn einmal dazu kommen sollte – ich muss den Fall ja sehr hypothetisch hier diskutieren –, dass die Linke eingeladen wird, sich an einer Bundesregierung zu beteiligen, dann muss eines klar sein: Eine solche Regierung darf sich niemals an Interventionskriegen beteiligen, niemals, das muss die Grundbedingung sein.

Was denken sich diejenigen eigentlich, die solche Kriege beschließen? Was empfinden sie? Wie kommen sie überhaupt dazu, andere zu beauftragen, Krieg zu führen? Macht man sich überhaupt eine Vorstellung davon, was das heißt? Und da muss man doch heute zu der Antwort kommen: Diejenigen, die den Auftrag geben, können sich gar nicht mehr vorstellen, welche Aufträge sie eigentlich vergeben. Und dass sie noch weniger Phantasie haben, darüber nachzudenken, was das eigentlich heißt. Man kann hier auf den alten Kant verweisen. Ich tue das gerne, eben weil ich ja Leute erreichen will, die nicht schon so denken, wie wir denken. Sie sollen mal darüber nachdenken, warum der alte Kant in seiner Schrift zum ewigen Frieden einen richtigen Gedanken geäußert hatte. Sinngemäß sagte er: »Wenn diejenigen, die zu beschließen haben, auch die Drangsale des Krieges zu erleiden hätten, dann würden sie diese Beschlüsse nicht fassen«. Und wenn ich zornig bin, dann sage ich: Wir bräuchten nur ein Bataillon von Interventionskriege befürwortenden Journalisten und ein Bataillon von kriegsbefürwortenden Politikern, die sofort eingesetzt werden können, wenn solche Kriege geführt werden, dann wäre der ganze Spuk zu Ende. Wir hätten das dann alles nicht.

Kein Vermögen ohne Verbrechen

So, nun will ich zum Thema dieser Konferenz kommen – »Frieden statt NATO«. Daraus ergibt sich die Frage: Wofür stehen wir, welche Überzeugung haben wir, wie kann man dazu beitragen, dass Frieden überhaupt entsteht? Nach meiner tiefen Überzeugung – ich darf wohl sagen: nach unserer tiefen Überzeugung – kann der Frieden auf der Welt nur dann erreicht werden, wenn eine Gesellschaftsordnung aufgebaut wird, die wirklich demokratisch ist. Das heißt eine Gesellschaftsordnung, in der sich die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen, weil wir davon ausgehen können, dass die Mehrheit der Bevölkerung, das sehen wir im Afghanistan-Krieg, das sehen wir überall, keine Kriege beschließen würde, weil sie ihre Kinder, weil sie ihre Männer, weil sie ihre Frauen nicht in Kriege schicken würde. Und deshalb brauchen wir demokratische Gesellschaften, die wir derzeit nirgendwo auf der Welt haben.

Und demokratische Gesellschaften sind nun untrennbar verbunden mit einer Wirtschaftsordnung, in der der Mensch eben im Mittelpunkt steht. In der die Ausbeutung des Menschen beendet wird. In der das gemeinsam erarbeitete Vermögen auch denen zukommt, die es erarbeitet haben. Wir leben in einer Gesellschaftsordnung, in der eine Minderheit reich wird, weil sie die große Mehrheit für sich arbeiten lässt. Wir wollen aber eine Gesellschaftsordnung, in der das Vermögen denen bleibt, die es erarbeitet haben – und das ist die große Mehrheit der Bevölkerung. Denn auch das ist ja kein neuer Gedanke: Immer dann, wenn durch diese Art von Einkommens- und Vermögensverteilung sich Vermögen ballt – dann ist keine Demokratie möglich. Großes Vermögen verträgt sich nicht mit Demokratie, weil es niemals demokratisch zustande gekommen ist.

Wie wenig das gelernt wurde – bis zum heutigen Tag –, sieht man ja daran, dass Herr Chodorkowski in den westlichen Gesellschaften als großer Freiheitskämpfer empfangen wird. Da fasst man sich nur noch an den Kopf. Man muss kein Marxist sein, man muss nur Balzac gelesen haben, um zu wissen, dass hinter jedem großen Vermögen ein großes Verbrechen steht. Wir sollten endlich aufhören, Verbrecher zu bejubeln und sie zu empfangen.

Wenn SPD und Grüne doch nur begreifen würden, was da in der Ukraine geschehen ist. Als hätte das irgend etwas mit Demokratie zu tun, dass man ein Oligarchensystem durch ein anderes abgelöst hat – und das noch in Form eines Putsches. Wenn wirklich um Demokratie gekämpft würde, dann wären wir ja dabei. Aber wir wollen keine Oligarchenwirtschaft, die nach wie vor das Volk brutal ausbeutet.

Selbrund - Ukraine im Visier

Im Gegensatz zu dem Pfarrer, der zum Bundespräsidenten gewählt wurde und zur Pfarrerstochter, die Kanzlerin ist, hat der Papst in Rom die Bibel gelesen und weiß daher, was darin steht. Da steht nicht, »Du sollst Kriege führen«. Die Kernbotschaft des Bibeltextes lautet vielmehr, »Du sollst den anderen lieben wie dich selbst«. Und das verträgt sich nun mal nicht mit Kriegen und Ausbeutung. Das ist die Kernbotschaft, und deshalb ist es gut, dass dieser Papst sagt, »Wir leben im dritten Weltkrieg, und es gibt Wirtschaftssysteme, die können ohne Krieg nicht sein. Und deshalb werden Waffen produziert und verkauft«. Das ist doch die Wahrheit, die jemand endlich mal ausspricht. Ich begrüße das sehr, dass der Papst diese Botschaft mittlerweile in aller Welt verbreitet.

Wir, die Linke, können aber nicht sagen: »Warten wir, bis eine bessere, eine andere Wirtschaftsordnung da ist.« Damit würden wir uns für den Rest der Zeit aus der Politik verabschieden. Wir müssen schon versuchen, die minimalen Spielräume, die wir haben, zu nutzen. Und ich scheue mich dann auch nicht zu sagen: »Ja, man kann darüber nachdenken, ob eventuell eine Regierungsbeteiligung möglich ist. Aber dann muss man wirklich wissen, was man will. Dann darf man nicht einknicken, und ich habe ja eine Grundbedingung vorhin genannt. Diese Grundbedingung ist aber noch viel umfassender. Eine solche Regierungsbeteiligung ist überhaupt nur vorstellbar, wenn die Außenpolitik eine grundsätzliche Neuorientierung erfährt. Und das heißt: Wir brauchen die Auflösung der NATO, und wir brauchen den Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa unter Einschluss Russlands. Etwas anderes ist überhaupt nicht möglich. Und das heißt auch gute Nachbarschaft. Das heißt Entspannung. Das heißt, auf den anderen eingehen. Das heißt, dessen Ängste und Sorgen ernst zu nehmen. Wie verkommen die Diskussion ist, zeigt sich ja schon an dem Wort »Putinversteher«. Man muss im Grunde, wenn man Außenpolitik machen will, versuchen, den anderen zu verstehen. Man muss auch versuchen, Putin zu verstehen, sonst kann man mit ihm keinen Frieden erreichen. Wir müssen zu »Russlandverstehern« werden, wir müssen einander verstehen, sonst schaffen wir keinen Frieden, liebe Freundinnen und Freunde.

NATO auflösen

Der erste Generalsekretär der NATO, Lord Ismay, sagte kurz nach Kriegsende: »Die NATO ist geschaffen worden, um die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten.« Und deswegen fragt euch mal, was sich eigentlich heute geändert hat. Es ist wirklich nicht mehr nachvollziehbar, dass all das, was in den Jahren der Brandtschen Ostpolitik an Entspannung und Verständigung erreicht werden konnte, dass all das verspielt worden ist. Ich sage, wir können aus unserer Geschichte lernen: Deutschland braucht gute nachbarschaftliche Beziehungen zu Russland. Das ist in unserem ureigensten Interesse. Damals hieß es, wir können den Frieden nur miteinander erreichen, nicht gegeneinander. Und das gilt heute nach wie vor. Dieses ganze Kriegsgerede, diese ganzen Sanktionen – das ist alles spannungsverschärfend. Wir brauchen eine Politik der Entspannung und der guten Nachbarschaft anstelle der Merkelschen Russlandpolitik.

Und das heißt, eine Regierung, an der wir mitwirken können, müsste in jedem Fall nein sagen zu jeder weiteren NATO-Osterweiterung. Der ständige Versuch, Russland einzukreisen, ist doch eine Ursache der Spannungen. Es war ein Versprechen, dass man die NATO nicht ausdehnen und an die Grenzen Russlands heranschieben würde. Dieses Versprechen ist gebrochen worden. Jeder Konflikt hat eine Vorgeschichte, und mit dem Bruch dieses Versprechens beginnt der Ukrainekonflikt. Man schob die NATO immer weiter nach vorn und sagte schließlich, auch die Ukraine brauchen wir. Die Ukraine müsse in die EU, sie müsse in die NATO. Das ist gegen Russland gerichtet. Das war eine völlig falsche Politik, die abgelöst werden muss durch eine Politik der Verständigung mit Russland, sonst werden wir den Frieden niemals erreichen.

Es geht also nicht nur darum, dass wir keine Osterweiterung in irgendeiner Form mittragen können, es geht auch aktuell darum, dass keine Truppen an der Grenze zu Russland stationiert werden dürfen. Die spinnen doch langsam. Welche Gründe haben wir, Truppen an der Grenze zu Russland zu stationieren? Es werden die alten Märchen des Kalten Krieges erneut aufgetischt, indem man sagt, Russland bedrohe uns.

Man muss sich das mal vorstellen. Die NATO gibt tausend Milliarden für die Rüstung aus. Russland gibt – das sind die Zahlen von 2013 – 88 Milliarden aus. Die sind doch nicht mehr ganz richtig im Kopf, dass sie sagen, »von einem Land, das 88 Milliarden ausgibt, fühlen wir uns, die wir tausend Milliarden ausgeben, bedroht. Wir müssen weiter aufrüsten«. Wie lange glaubt man eigentlich, der Bevölkerung einen solchen Schwachsinn noch auftischen zu können?!

Und deshalb ist in diesem Kontext ein weiterer Punkt anzusprechen: Die Sanktionen müssen sofort gestoppt werden! Es ist doch wirklich nicht allzu schwer zu begreifen, dass dann, wenn ein Land destabilisiert wird, wenn die Wirtschaft eines Landes in immer größere Turbulenzen gerät, wenn dieses Land immer stärker gefährdet wird, dass dann kein Mehr an Sicherheit gewonnen wird, sondern dass dann die Situation immer weiter eskaliert. Und wir müssen wissen, dass heute zur Kriegsführung nicht nur Truppen und technisches Gerät gehören, sondern auch ökonomische Mittel. Man muss wissen, dass der IWF nichts anderes ist als ein verlängerter Arm der US-Politik. Genauso wie die NATO. Und deshalb müssen beide völlig reformiert und völlig anders gestaltet werden. Und das heißt, der IWF muss zu einer demokratischen Organisation umgewandelt werden. Und seine ganze Politik muss sich ändern. Es darf doch nicht sein, dass der IWF eingesetzt wird, um ökonomische Interessen Amerikas durchzusetzen bei gleichzeitiger Destabilisierung der betroffenen Länder. Aber das ist doch das, was vorgeht, liebe Freundinnen und Freunde.

BRD kein souveränes Land

Es geht heute nicht mehr nur um die Eroberung von Territorien, sondern es geht vielmehr um die Eroberung von Märkten. Man muss sich nur anschauen, welche Konzerne in der Ukraine mittlerweile Verträge abgeschlossen haben. Noch immer gilt das alte Verdikt: Außenpolitik ist nichts anderes als der ständige Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte. Das brauchen wir nicht – weder mit kriegerischen Mitteln noch durch sogenannte internationale Finanzinvestitionen. Man kann auch fairen freien Handel treiben, ohne den anderen in die Knie zwingen zu wollen.

Eine große Rolle hat über viele Jahre hinweg die NATO-Infrastruktur gespielt. Die Forderung: »Ausscheiden aus der NATO-Infrastruktur« ist ein Synonym für all das, was ich bisher gesagt habe. Denn sie war bisher das Instrument, um die von mir genannte Politik – die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten – zu verwirklichen. Mit Brzeziński, dem ehemaligen Sicherheitsberater der US-Regierung, gesprochen: Durch dieses Instrument sind die Staaten Westeuropas und Mitteleuropas mehr und mehr Vasallen oder Tributpflichtige.

Und natürlich muss man wissen, was Ziel der US-Außenpolitik bis zum heutigen Tag ist – man kann es bei Leuten wie Brzezeński nachlesen. Ihr Ziel ist die Aufrechterhaltung ihrer Weltmachtstellung. Niemand soll diese gefährden. Von wegen demokratische Weltordnung, an der im Sinne des Westfälischen Friedens alle Staaten gleichberechtigt mitwirken! Nein, sie schreiben wörtlich »Wir wollen die Vormachtstellung Amerikas in aller Welt mit allen Mitteln verteidigen«. Aber natürlich wird da immer wieder auch in der öffentlichen Diskussion hierzulande mit der Erzählung gearbeitet, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, es gehe um den Ausbau der Demokratie, es gehe um Frauenrechte, es gehe um Menschenrechte. Nein, es geht um die erwähnte Machtpolitik. Wirkliche Demokratien dagegen würden die damit verbundenen Opfer, die man der eigenen Bevölkerung zumutet, aber auch den anderen zumuten will, gar nicht mittragen. Und das ist richtig. Hier hat man wiederum Anlass zu sagen, man braucht, um eine friedliche Welt einmal erreichen zu können, den systematischen Aufbau demokratischer Gesellschaften.

Die NATO-Infrastruktur ist eben, wenn man so will, der Stein des Anstoßes, wenn darüber diskutiert wird, was sich hier verändern soll, damit dieses Vasallentum und diese Tributpflicht abgeschafft werden. Bei allen Kriegen wurde diskutiert, ob wir uns beteiligen. Die Bundesrepublik Deutschland war praktisch an jedem Krieg beteiligt, den die Vereinigten Staaten von Amerika geführt haben, weil alle Kriege, die sie geführt haben, auf US-Einrichtungen in Mitteleuropa zurückgegriffen haben. Wir waren niemals unbeteiligt. Und solange das so ist, sind wir kein souveränes Land.

Ich hatte vor kurzen die Ehre, mit einer Politikerin der Grünen, mit Frau Göring-Eckardt, im Fernsehen zu diskutieren. Ich habe ihr die Frage gestellt, wie sie denn zu den Drohnenkriegen stehe, die auch vom Boden der Bundesrepublik Deutschland aus geführt werden. Dieser Frage wich sie permanent aus. Wie wollen wir denn über deutsche Außenpolitik diskutieren, wenn wir diese Frage ausklammern? Wie wollen wir uns denn über Terrorismus empören, wenn wir einfach ausklammern, dass ohne Rechtsgrundlage Tausende Menschen mit Drohnen ermordet werden, auch von deutschem Boden aus? Wie wollen wir das überhaupt moralisch rechtfertigen? Ehe wir mit dem Finger auf andere zeigen, müssen wir bei uns anfangen und müssen aufhören, unser Terrain zur Verfügung zu stellen, damit Drohnenmorde in aller Welt durchgeführt werden.
Wer dazu schweigt, der soll sich in die jetzige Diskussion am besten überhaupt nicht einmischen, weil er erkennbar mit zweierlei Maß misst. Deswegen war ich so dankbar, dass Willy Wimmer kürzlich in der jungen Welt dazu eine Bemerkung gemacht hat. Man müsse sich vorstellen, führte er aus, wie es denen geht, die durch diese Drohnenmorde ihre ganze Familie verlieren, ihre ganze Verwandtschaft. Das ist nichts als blanker Terrorismus. Wir können ihn weltweit nur dann bekämpfen, wenn wir damit beginnen, unseren eigenen Terrorismus zu bekämpfen.
Ein Hinweis zur Abhörtechnik. Dass eine Regierung, die vom Grundgesetz her verpflichtet ist, die Freiheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu schützen, dass eine solche Regierung noch nicht mal mehr in der Lage ist, einem Verbündeten zu sagen, »es geht nicht, dass unsere ganze Bevölkerung abgehört und ausspioniert wird« – das ist doch wirklich ein Zeichen dafür, dass Vasallentum und Tributpflicht womöglich noch zu harmlose Vokabeln sind. Wo bleibt denn überhaupt ein Begriff von Freiheit, wenn man den totalen Verlust der Privatheit durch eine verbündete Macht akzeptiert und praktisch nichts dagegen unternimmt?

Die Waffenexportpolitik müssen wir sofort ändern. Ein erster Schritt müsste sein, dass unverzüglich Waffenlieferungen in Spannungsgebiete sofort und unwiderruflich eingestellt werden. Unsere Bundeskanzlerin hat im vergangenen Jahr wörtlich gesagt, ich habe das zweimal gelesen, Saudi-Arabien sei ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus. Dann aber regen sie sich über die Verbrechen des IS auf! Es ist richtig, dass man sich darüber aufregt, aber Enthauptungen, Steinigungen usw. werden doch in Saudi-Arabien ebenfalls durchgeführt, das ist eine reaktionäre autoritäre Diktatur, die auch die eigene Bevölkerung mit Terror überzieht. Und deshalb kann man doch diesen Staat nicht zum wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus erklären. Das ist die Doppelmoral, die dazu führt, dass die Welt immer unfriedlicher wird.

Pervertiertes Gebot

Und bei allem Bemühen, die Bundesrepublik Deutschland immer stärker in diese Politik zu integrieren, wird immer versucht, mit vorgeschobenen humanen Argumenten eine Notwendigkeit dieser Politik zu begründen. Immer wenn irgendwo, das bisher letzte Mal war es beim Konflikt zwischen dem IS und den Kurden, immer wenn irgendwo Verbrechen begangen werden, dann wird irgendwann ein Konflikt herausgegriffen, dann wird gesagt, hier müssen wir uns jetzt militärisch engagieren, das gebietet die Menschlichkeit. Es gibt immer wieder Leute, auch bei den Linken, auch bei den Gewerkschaften, bei den Kirchen usw., die auf dieses Argument hereinfallen. Der evangelische Bischof Wolfgang Huber hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Beitrag verfasst, in dem er schreibt, dass das christliche Gebot »Du sollst nicht töten« auch heiße, »Du sollst nicht töten lassen«. Mit anderen Worten: »Du musst militärisch intervenieren, wenn irgendwo Konflikte bestehen.« Diese Argumentationslogik findet sich immer wieder, und viele fallen darauf hinein. Es gibt ein simples Gegenargument. Wenn ich auf der einen Seite die Wahl habe, bei den ungezählten Konflikten dieser Welt tausend Menschenleben zu retten, ohne jemanden töten zu müssen und auf der anderen Seite die Wahl, in einem Krieg tausend Menschenleben zu retten, aber dabei leider eben auch Hunderte töten muss, dann dürfte doch die Entscheidung nicht allzu schwer fallen, wo ich in erster Linie versuche werde, meine Hilfe zu leisten. Das Schlimme ist jedoch, dass die Humanität dieser Menschen immer nur erwacht, wenn sie zu den Waffen rufen können, aber niemals, wenn sie helfen können, ohne töten zu können. Das macht die Brutalität dieser Diskussion aus. Woran unsere Gesellschaft krankt, lässt sich daran zeigen, dass eine geringere Summe dafür zur Verfügung gestellt wird, Flüchtlinge zu ernähren als für Waffenlieferungen.

Ich fasse zusammen: Winston Churchill, der ein Zyniker war, hat einmal gesagt, im Krieg ist die Wahrheit so kostbar, dass sie stets von einer Leibgarde von Lügen umstellt sein muss. Dieser Zynismus charakterisiert die gesamte Außenpolitik. Es beginnt ja mit den Begriffen. Die werden, mit Ausnahme der jungen Welt, nirgendwo hinterfragt. Da wird beispielsweise vom US-amerikanischen Verteidigungsminister, vom US-amerikanischen Verteidigungsetat und so weiter gesprochen. Als würden sich die Vereinigten Staaten gegen irgend jemand verteidigen, das ist doch eine einzige Lüge! Die ganze Außenpolitik ist ein Lügengebäude, und wir haben die Aufgabe, diese Lügen zu durchbrechen, wenn wir wirklich zu einer friedlichen Außenpolitik kommen wollen, liebe Freundinnen und Freunde.

Ich kann es in einem Satz zusammenfassen: Auch wir haben unsere Geschichte und wir müssen aus dieser Geschichte unsere Lehren ziehen, aus den Weltkriegen, aus dem Faschismus. Und aus dieser Geschichte muss doch ein moralischer Impuls erwachsen, der da heißt, wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um die Welt friedlicher zu machen, nach allem, was war. Es gab einen Satz nach dem Krieg, und an dem sollten wir uns immer orientieren – ich sage das gegen alle Zweifler, ich werde keine andere Politik mittragen können –, dieser Satz lautet: »Von deutschem Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen!«

Eine Beilage mit den Hauptreferaten der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2015 erscheint am 28. Januar, Mitte März eine Broschüre, die die Beiträge der gesamten Konferenz sowie vorbereitende Artikel enthält. Link zur Videoaufzeichnung der Lafontaine-Rede: kurzlink.de/lafontaine

Quelle: https://www.jungewelt.de/2015/01-14/023.php

Oskar Lafontaine: Datensammelwut, Überwachung und das Aushebeln von Grundrechten werden Terror nicht verhindern

Oskar Lafontaine: Datensammelwut, Überwachung und das Aushebeln von Grundrechten werden Terror nicht verhindern

Oskar Lafontaine weist Forderungen der Union nach einer Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze und einer Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung zurück. „Die Freiheit zu schützen indem man sie noch weiter einschränkt, ist aberwitzig. Auch eine totale Überwachung jedes Einzelnen wird den Bürgerinnen und Bürgern niemals völlige Sicherheit bringen. Auch das millionenfache Ausspähen der Deutschen durch die amerikanische NSA sowie der Austausch von Fluggastdaten und Bankdaten zwischen den USA und der EU haben die Sicherheit der Menschen nicht erhöht. Wenn wir unsere freie Gesellschaft verteidigen wollen, dürfen wir sie nicht durch Datensammelwut, Überwachungssysteme und das Aushebeln von Grundrechten selbst aufgeben. Extremistischer Terror wird nicht durch schärfere Gesetze in Deutschland beendet werden können. Denn Terroristen studieren bekanntlich vor ihren Taten keine Gesetzestexte. Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Todenhöfer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die aggressive Politik der Kriege um Absatzmärkte und Rohstoffe den Terror geradezu heran züchtet. Daher bestünde ein wirksames Terror-Bekämpfungsprogramm in einem Stopp der Kriege um Energievorkommen und ein Ende der Waffenexporte. Insbesondere völkerrechtswidrige Drohnenkriege, bei denen durch reine Datenfehler unschuldige Menschen getötet werden, müssen unverzüglich eingestellt werden. Der von der CDU maßgeblich zu verantwortende Abbau von Polizei- und Sicherheitskräften erschwert die Terrorismus-Bekämpfung zusätzlich."

Quelle: http://www.oskar-lafontaine.de/links-wirkt/details/f/1/t/oskar-lafontaine-datensammelwut-ueberwachung-und-das-aushebeln-von-grundrechten-werden-terror-nich/