Unser politisches Repräsentativsystem ist durch den Charakter der institutionalisierten Bestechlichkeit geprägt. Lobbyarbeit für oligopolistische Konzerne zahlt sich für die Politiker in den Parlamenten aus, die eigentlich die Interessen des Volkes und nicht die Interessen der Monopolwirtschaft vertreten sollen.
Als herauskam, daß ThyssenKrupp als Teil eines »Schienenkartells« die Bahn AG und am Ende den Steuerzahler durch überhöhte Preise massiv geschädigt hat, hat Steinbrück dem Unternehmen ausdrücklich Vertuschung empfohlen. Entgegen seinem Rat hat sich der Vorstand dann doch öffentlich dazu geäußert. Steinbrück war es auch, der sich dafür eingesetzt hat, daß Großfirmen wie ThyssenKrupp weniger für Strom bezahlen müssen – was natürlich zu Lasten der Privathaushalte geht. Er hat also nicht nur den Grüßaugust gespielt, sondern knallharte Interessenpolitik für das Unternehmen gemacht. Wir haben in Deutschland eine institutionalisierte Korruption nach dem Motto: »Gezahlt wird später.« Politiker, die als Amtsträger willfährig die Wünsche mächtiger Wirtschaftslobbys erfüllen, können sich danach auf Belohnung in Form von lukrativen Mandaten und Spitzenhonoraren verlassen. Das ist System: Gerhard Schröder bei Gasprom, Exwirtschaftsminister Wolfgang Clement bei einer Leiharbeitsfirma, Exarbeitsminister Walter Riester als Vortragsreisender bei den Maschmeyers und Co. Und eben Steinbrück. Dieser Korruption muß gesetzlich ein Riegel vorgeschoben werden.
Nach geltendem Recht sind Bestechlichkeit und Bestechung von Parlamentariern grundsätzlich nicht strafbar. Bis heute gibt es keine strafrechtliche Regelung, die sämtliche strafwürdige Verhaltensweisen von Mandatsträgern im Bereich der Vorteilsannahme und -zuwendung erfasst. Die Fraktion Die Linke fordert in ihrem Gesetzentwurf (17/1412), Abgeordnetenbestechlichkeit in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Die Regelung solle für den Bundestag, die 16 Landtage und die Räte von Gemeinden gelten. So solle beispielsweise ein Mitglied des Bundestages mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren belegt werden, wenn er "für eine Handlung oder Unterlassung, die im Zusammenhang mit der Ausübung seines Mandats steht, einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wenn dies seiner aus dem Mandat folgenden rechtlichen Stellung widerspricht". Wie die Grünen in ihrem Gesetzentwurf (17/5933) erläutern, fordert das Übereinkommen der Vereinten Nationen und des Europarates gegen Korruption die Unterzeichnerstaaten auf, die Bestechung und die Bestechlichkeit von Mandatsträgern und Abgeordneten konsequent unter Strafe zu stellen. Die geltende Regelung der Abgeordnetenbestechung im Strafgesetzbuch werde diesen Anforderungen nicht gerecht. Dadurch werde die Bekämpfung der Korruption geschwächt und das Ansehen Deutschlands in der Welt beschädigt.
Privatdozent Dr. Sebastian Wolf von Transparency International aus Berlin, Prof. Dr. Wolfgang Jäckle, Dozent an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Münster sowie Prof. Dr. Bernd Heinrich, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Humboldt-Universität Berlin begrüßten die drei Gesetzesinitiativen. Sie seien sehr "konstruktiv", sagte Wolf. Da allerdings jeder Entwurf Schwächen habe, forderte er indirekt eine Synthese.
Dabei gab es unter rot grün einmal internationale Ansätze für diesen Sachverhalt. Die rot-grüne Bundesregierung unterschrieb einst die UN-Konvention gegen Korruption - aber bis heute wurde das Abkommen nicht in Deutschland umgesetzt. Demgegenüber lehnt der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags, Siegfried Kauder (CDU), eine Änderung beim Straftatbestand für Abgeordnetenbestechung strikt ab. Dies ist Voraussetzung dafür, dass Deutschland der UN-Konvention beitreten kann.
Selbst die Chefs der meisten deutschen Dax-Konzerne hatten an den Bundestag appelliert, das UN-Abkommen so schnell wie möglich in Kraft zu setzen. Es verpflichtet die Unterzeichner, gegen korrupte Amtsträger vorzugehen. Inzwischen haben über 160 Staaten ratifiziert – nur wenige Länder, darunter Deutschland und Saudi-Arabien noch nicht. Es führt systematisch zu Schwarzen Kassen bei allen großen und international operierenden Dax-Konzernen und es belastet die Unternehmen auch zuhehmend.
Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main ihre Ermittlungen wegen Korruption im Zusammenhang mit dem Nigeria-Geschäft des Bau- und Dienstleistungskonzerns Bilfinger ausgeweitet. Ermittelt wird nicht mehr gegen sechs, sondern gegen neun Beschuldigte, bestätigte die Staatsanwaltschaft gegenüber Medien. Die Beschuldigten waren Mitarbeiter des Mannheimer Konzerns beziehungsweise des nigerianischen Baukonzerns Julius Berger, mit dem Bilfinger eng verbunden ist. Sie sollen über mehrere Jahre bei der Auftragsakquise bis in höchste politische Kreise Westafrikas Bestechungsgelder gezahlt haben. In den seit 2011 laufenden Ermittlungen geht es vor allem um den Bau einer Pipeline für die Nigerian National Petroleum Corporation (NNPC) und für Shell Nigeria, um den sich 2003 Bilfinger Berger Gas and Oil Services (BBGOS) gemeinsam mit einer US-Ingenieurfirma beworben hatten.
Die Staatsanwaltschaft in Hannover prüfte jüngst, ob sie die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff ausweiten soll. Erst vor Monaten war bekannt geworden, dass Wulff anordnete, das Land habe im Bundesrat für eine Steuerbefreiung in der Versicherungswirtschaft zu stimmen, obwohl zuvor das Kabinett auf Dringen von Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) das abgelehnt hatte. Ein solcher persönlicher Gefallen sei nach dem Ministergesetz verboten; er gehe „fest davon aus, dass es sich um einen strafrechtlich relevanten Vorgang handelt“. Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) sagte, Politik dürfe nicht käuflich sein und nicht einmal einen solchen Anschein erwecken. Juristisch pikant ist das, weil Wulff als niedersächsischer Ministerpräsident die Stimmabgabe anordnete (wohl im Wissen, dass der Antrag Bayerns ohnehin abgelehnt würde), nachdem der damalige Vorstandsvorsitzende der Hannover Rück, Wilhelm Zeller, ihn im September 2007 darum bat. Im folgenden Frühjahr hatten Wulff und seine Frau eine Woche lang ihren Urlaub in der Villa von Wolf-Dieter Baumgartl in Italien verbracht – des Aufsichtsratsvorsitzenden der Talanx, der Muttergesellschaft der Hannover Rück.