Sevim Dagdélen (DIE LINKE, MdB) fordert eine Schärfung des eigenständigen Profils und mehr Öffentlichkeitsarbeit, um der derzeitigen militaristisch-imperialistischen Außenpolitik ein Ende zu bereiten und Frieden und Völkerfreundschaft zu erreichen:

 

Opposition statt Nacheilen

Neue Kriege, neue Verantwortung: Die Linke muss für eine friedenspolitische Perspektive kämpfen, statt von einer Koalition mit SPD und Grünen zu träumen

Von Sevim Dagdelen
Demonstration für den Frieden: Die Linke-Vorsitzenenden Bernd Ri
Demonstration für den Frieden: Die Linke-Vorsitzenenden Bernd Riexinger und Katja Kipping am 1. September 2014 in Berlin

Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke. Am Donnerstag abend hat die Bundestagsabgeordnete in Güstrow auf Einladung der Monatszeitschrift Rotfuchs und der Linkspartei bei der Veranstaltung »Neue Kriege, neue Verantwortung« die friedenspolitischen Aufgaben ihrer Partei skizziert. Die folgenden zehn Punkte basieren auf ihrem Vortrag.

 

1. Trotz des zweiten Minsker Abkommens spitzt sich die Situation zwischen der NATO und der EU auf der einen und Russland auf der anderen Seite immer weiter zu. Die NATO forciert an den Grenzen Russlands ein massives Aufrüstungsprogramm. Entgegen aller Versicherungen gegenüber Moskau in der Vergangenheit werden Stützpunkte eingerichtet und ausgebaut sowie NATO-Truppen stationiert. Zusätzlich verschärft der Westen den Wirtschaftskrieg mittels Sanktionen gegen Russland und rüstet die Ukraine mit Waffen und Militärberatern als geopolitischen Frontstaat nach Osten auf. Auch wenn sich die Bundesregierung aus pragmatischen Gründen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausspricht und deshalb von der republikanischen Rechten in den USA hart kritisiert wird, treibt sie gemeinsam mit Grünen den Eskalationskurs voran.

2. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Eskalation gegen Russland und einer neuen gewichtigeren weltpolitischen Rolle Deutschlands, die von der großen Koalition und den Grünen vorangetrieben wird, muss auch die Absage von Bundeskanzlerin Angela Merkel gesehen werden, zum Tag des Sieges am 9. Mai 2015 nach Moskau zu reisen. Es dominiert die Tendenz, Geschichte umzudeuten oder dem Vergessen anheim zu geben, um das voranzutreiben, was mit dem Wunsch militärisch gestützter Weltgeltung beschönigend »mehr internationale Verantwortung« genannt wird. Dabei schreckt die Bundesregierung auch nicht vor geschichtspolitischen Tabubrüchen zurück, wie ihre Weigerung zeigt, die Feiern für Nazikollaborateure und SS-Veteranen im Baltikum und in der Ukraine unmissverständlich zu verurteilen.

3. Die Blaupause für eine gesteigerte Aggressivität deutscher Außenpolitik findet sich in einem Papier der regierungsnahen »Stiftung für Wissenschaft und Politik« und des transatlantischen Netzwerks »German Marshall Fund«. Es wurde im Herbst 2013 veröffentlicht und trägt den Titel »Neue Macht, neue Verantwortung«. Die Autoren machen sich für das globale Ausspielen militärischer Macht Deutschlands stark und versuchen, Eckpunkte einer offensiveren imperialistischen Politik Berlins – selbstverständlich multilateral eingebunden, sprich an der Seite der USA – zu fixieren. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 formulierten dann Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ihr Credo, Deutschland müsse sich auch militärisch international stärker engagieren.

4. Bis auf Die Linke stehen alle anderen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien von Grünen bis CSU für mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr. Im Rahmen der EU und der NATO soll Deutschland in Zukunft weltweit Flagge zeigen. Grundbedingung der Außen- und Sicherheitspolitik soll die enge militärische transatlantische Partnerschaft mit den USA sein. Die Stützpunkte der USA, die für Drohnenmorde, millionenfache Grundrechtsverletzungen der NSA und CIA-Folterflüge dienen, werden nicht in Frage gestellt. Um künftig öffentliche Diskussionen über Auslandseinsätze der Bundeswehr zu vermeiden, wird versucht mit der sogenannten Rühe-Kommission den Parlamentsvorbehalt zu schleifen. Ein Fall wie Libyen 2011, als plötzlich die Mitarbeit der Bundeswehr in den NATO-Stäben in Frage stand, soll sich nicht wiederholen. CDU/CSU und SPD reagieren so auf eine stabile Mehrheit der Bevölkerung, die Auslandseinsätze ablehnt. Würde der Parlamentsvorbehalt derart beschnitten, würden in Zukunft noch mehr Auslandseinsätze unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle über die Bühne gehen.

5. Deutschland übernimmt in Europa innerhalb der NATO eine führende Rolle. Bei der geplanten NATO-Eingreiftruppe stellen deutsche Verbände das Rückgrat der künftigen Truppe. Die Bundeswehr übernimmt Aufgaben des Militärpakts direkt an der russischen Grenze. Für eine heraufbeschworene Luftkonfrontation mit Russland werden in Nordrhein-Westfalen die Militärstandorte Kalkar/Uedem als Kommandozentralen entsprechend ausgebaut.

6. Deutsche Außenpolitik ist seit Beginn der großen Koalition zu einer Politik der Tabubrüche geworden. Stichwort: Lieferung von Waffen direkt in ein Kriegsgebiet, wie jetzt im Nordirak, und damit verbunden das Schleifen letzter militärpolitischer Hegungen, die aus der Niederlage des deutschen Faschismus erwachsen waren. Oder auch Stichwort: Unterstützung einer Regierung in der Ukraine, an der Faschisten beteiligt waren, und Unterstützung der jetzigen Kiewer Kriegsregierung, obwohl faschistische Freikorpsverbände wie das »Asow«-Bataillon – finanziert von ukrainischen Oligarchen – eine entscheidende Rolle beim Feldzug gegen die Bevölkerung in der Ostukraine spielen.

7. In der Ukraine-Krise war die deutsche Außenpolitik mit eskalierend. Berlin trieb Brüssels Bedingungen zum EU-Assoziierungsabkommen entscheidend voran. Der Umsturz in Kiew im Februar 2014 wurde durch die Bundesregierung legitimiert. Ein Ausgleich in Kiew wurde nicht gesucht. Berlin beteiligt sich offensiv an der Einkreisungspolitik Russlands durch die USA. Mit der auch von Berlin gutgeheißenen neuen EU-Initiative zur europäischen Nachbarschaftspolitik wird nicht nur versucht, den russischen Einfluss in der Ukraine, in Moldawien und in Georgien durch den Abschluss von Militär- und Assoziierungsabkommen zu minimieren; auch in Ländern wie Belarus und Armenien, Mitglieder der Eurasischen Union, werden entsprechende Hebel angesetzt. So wird Belarus von der EU mit einem Mal eine Mobilitätspartnerschaft angeboten. Armenien soll mit Visafreiheit gelockt werden, sich stärker an EU und NATO zu binden. Eine Politik auf Augenhöhe mit den östlichen Nachbarn findet nicht statt. Russische Interessen in der Region werden schlicht ignoriert. Es steht, wie im Fall der Begründung einer europäischen Armee, eine Politik gegen Russland auf der Tagesordnung.

8. Angesichts der Einvernehmlichkeit von großer Koalition und Grünen bei dieser Eskalationspolitik gegen Russland wäre auch eine rot-rot-grüne Koalition im Bund einer Frontstellung deutscher Außenpolitik gegen Russland verpflichtet. An der Seite von SPD und Grünen müsste sich Die Linke der militärischen Allianz mit den USA verschreiben. Eine derartige Koalition würde, gerade wenn man sich die militärische transatlantische Orientierung von SPD und Grünen bis in die Spitze vor Augen führt, nur funktionieren können, wenn Die Linke bereit wäre, ihre friedenspolitischen Grundsätze zu beerdigen. Das käme einer Selbstaufgabe der Partei gleich.

9. Die Wahlen in Hamburg im Februar haben gezeigt, dass Die Linke mit einem klaren sozialen und friedenspolitischen Oppositionsprofil zulegen kann. Die Linke sollte in diesem Sinne einen klaren Kurs friedenspolitischer Opposition gegen die Eskalationspolitik der Auslandseinsatzparteien aufnehmen. Um die Bundesregierung unter Druck zu setzen, brauchen wir kein Schleifen linker friedenspolitischer Positionen, sondern im Gegenteil eine Koalition mit der Friedensbewegung und der Mehrheit der Bevölkerung, die den Eskalationskurs gegen Russland, Auslandseinsätze der Bundeswehr und Rüstungsexporte ablehnt.

9. Wer sich die jüngste Reise von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nach Saudi-Arabien vor Augen führt, der weiß, dass mit der SPD eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik, die auf ein Verbot von Rüstungsexporten setzt, nicht machbar ist. Zu stark sind offenbar gerade beim einflussreichen rechten Seeheimer Kreis die Verbindungen zur deutschen Rüstungsindustrie. Mit der SPD wird es keine substantielle Veränderung der deutschen Rüstungsexportpolitik geben.

10. Außen- und sicherheitspolitisch haben sich SPD und Grüne auf der einen und Die Linke auf der anderen Seite seit Beginn der neuen Legislatur immer weiter voneinander entfernt. Nicht etwa dadurch, dass Die Linke ihre friedenspolitischen Positionen zugespitzt hat, sondern durch eine unmissverständliche Orientierung auf eine Radikalisierung der Militarisierung der deutschen Außenpolitik durch SPD und Grüne unter dem Stichwort »mehr Verantwortung«. Die Linke braucht eine Offensive für ihre friedenspolitischen Alternativen im Konflikt mit einer prinzipienlosen Außenpolitik von SPD und Grünen. Wer wie die SPD auch noch die Absage von Merkels Moskaureise zum Tag des Sieges am 9. Mai begrüßt, zeigt zudem, wohin die Reise noch gehen kann. Die Linke jedenfalls muss den Kampf für ihre friedenspolitischen Positionen aufnehmen. Opposition statt Nacheilen.

 

Quelle: https://www.jungewelt.de/2015/03-14/045.php

Aus: Ausgabe vom 14.03.2015, Seite 8 / Abgeschrieben

»Hände weg von Venezuela!«

Stellungnahme des Koordinierungsrates der AG Cuba Sí in der Partei Die Linke:

Die Arbeitsgemeinschaft (AG) Cuba Sí in der Partei Die Linke verurteilt entschieden die Destabilisierungsversuche und die aggressive Außenpolitik der US-Regierung unter Präsident Barack Obama gegenüber Venezuela und seinem demokratisch gewählten Präsidenten Nicolás Maduro. Wir sind alarmiert und besorgt über die Gewaltbereitschaft und den Zynismus der antidemokratischen oppositionellen Kräfte in Venezuela, die sich – befeuert und flankiert durch die feindselige US-Politik – gegen das venezolanische Volk und den politischen Kurs der Regierung Maduro richten. (…)

Quelle: https://www.jungewelt.de/2015/03-14/051.php

Gregor Gysi

Rot-Rot-Grün tut Thüringen gut

Die rot-rot-grüne Regierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow wird in Thüringen am Sonntag 100 Tage im Amt sein. Dazu erklärt der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Gregor Gysi:

„Die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen hat einen sehr guten Start hingelegt – allen Unkenrufen zum Trotz bestimmen Stabilität und Professionalität das Regierungshandeln. Nach den ersten Hundert Tagen von Ministerpräsident Ramelow und seinem Kabinett können die Thüringerinnen und Thüringer feststellen, dass Rot-Rot-Grün dem Land gut tut. Die Atmosphäre zwischen den Koalitionspartnern stimmt, die Vorhaben der Regierung werden entschlossen angegangen, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger finden zunehmend Gehör.

Schon die ersten Entscheidungen zeigen, dass Rot-Rot-Grün den Unterschied macht. Ein Winterabschiebestopp für Flüchtlinge, die erstmalige Einführung eines fünftägigen Bildungsurlaubs für die Weiterbildung der Beschäftigten in Thüringen, die bundesweite Vorreiterrolle bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen, das Finanzpaket für die Kommunen als Brücke für einen neuen kommunalen Finanzausgleich ab 2016, die Einstellung von 180 neuen Lehrerinnen und Lehrern, die Aufstockung der finanziellen Unterstützung für mindestens 35 Neuzulassungen von Landarztpraxen, die Intensivierung der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit sind erste Wegzeichen auf einer Strecke zu einem weltoffeneren, sozial gerechteren, ökologisch lebenswerteren und demokratisch gefestigteren Freistaat Thüringen.

Bodo Ramelow hat sich dabei als Ministerpräsident aller Thüringerinnen und Thüringer profiliert und wird über Parteigrenzen hinweg akzeptiert. Er ist mit dem Anspruch angetreten, vieles besser zu machen. Genau dies tut er, genau dies tun LINKE, SPD und Grüne in der Regierungsarbeit und der parlamentarischen Praxis. Rot-Rot-Grün hat noch viel vor in Thüringen. Das ist gut für das Land, gut für die Bundesrepublik.“
 
Quelle: http://linksfraktion.de/pressemitteilungen/rot-rot-gruen-tut-thueringen-gut/

»Die Mächtigen sitzen woanders«

Bodo Ramelow im Kabinettssaal in der Staatskanzlei in Erfurt

 

Bodo Ramelow ist seit gut 100 Tagen der erste linke Ministerpräsident in Deutschland. Der einstige Bundestagsabgeordnete führt eine rot-rot-grüne Koalition in Thüringen. Ein Interview in der Staatskanzlei von Erfurt

 

Wir sitzen hier im Büro des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Das war noch vor einigen Monaten für viele unvorstellbar. Wann war Ihnen klar, dass es wirklich klappen und sich Ihr Arbeitsalltag so rasant verändern könnte?

Bodo Ramelow: Das war ein Entwicklungsprozess. Ich habe hier nicht vor der Tür gestanden und an der Tür gerüttelt. Ich habe es auch abgelehnt, solche Fotos zu produzieren. Weil es nicht darum geht, ob ich einen neuen Arbeitsplatz bekomme. Ich stehe für eine andere Form von Politik. Die kann man nur mit Partnern verwirklichen. Das bedeutet auch, eine entsprechende Herangehensweise zu wählen. Diese hat viel, viel früher begonnen. 

Wann?

Mit der Erfurter Erklärung von 1997 für soziale Verantwortung in unserer Gesellschaft. Die Erfurter Erklärung hatte damals die Überschrift "Eigentum verpflichtet", ein Zitat aus dem Grundgesetz. Dieses Eigentum verpflichtet nämlich dazu, die Grundlagen für eine soziale und gerechte Gesellschaft zu schaffen. Jeder Bürger hat das gleiche Recht, keiner ist besonders oder besonders privilegiert, sondern jeder muss die gleiche Chance haben. 

Inwieweit hat dieser neue Job den Menschen Bodo Ramelow verändert?

Im Bundestag hatte ich eine besondere Aufgabe als stellvertretender Fraktionsvorsitzender ohne Geschäftsbereich. Meine Aufgabe war es, im Deutschen Bundestag mit der Kirchen- und Religionspolitik neue Akzente zu setzen und ehrenamtlich die Parteibildung und Wahlkämpfe zu organisieren. Da war ich Einzelkämpfer, ein Treiber. Das hat mir nicht immer nur Freunde gebracht, das hat auch zu Konflikten geführt. Dabei habe ich viel gelernt.

Wie ist das heute?

Heute muss ich als Teamplayer agieren und unterschiedliche Sichtweisen in ein Gesamtkonzept integrieren. Dies ist ein Prozess, bei dem ich mich auch selber umstellen musste. Außerhalb von Thüringen bin ich also der Ministerpräsident der Drei-Parteien-Koalition. Wir wollen mit dieser Koalition fünf Jahre erfolgreich Thüringen gestalten, also kann ich außerhalb Thüringens nicht als der Einzelkämpfer der Partei DIE LINKE auftreten. 

Wie verliefen die ersten Tage nach der Wahl? 

Der erste Termin war außerhalb dieses Büros, auf der anderen Straßenseite bei der Jüdischen Landesgemeinde. Dort berichtete Romani Rose, der Zentralratsvorsitzende der Sinti und Roma, über die Abschiebepraxis in Deutschland nach Serbien und erklärte, warum er das verheerend findet. Das war ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber Romani Rose und der Jüdischen Landesgemeinde. Am Tag danach war ich im Flüchtlingsheim in Weimar. Dann war ich zu Besuch in Suhl auf dem Friedberg, das ist die zentrale Aufnahmestelle, in der sich zurzeit 1.200 Menschen aufhalten. Sie mussten aus unterschiedlichen Gründen ihr Leben retten und kamen unter schlimmsten Bedingungen nach Deutschland, um für sich eine Zukunft zu finden. All das war verbunden mit einer ersten Entscheidung des neuen Kabinetts, nämlich dem Winter-Abschiebestopp der ärmsten Menschen, die die höchste Bedrohungssituation erleben. So haben wir die ersten Zeichen unserer künftigen Politik gesetzt.

Gab es auch schon Gespräche mit Vertretern aus der Wirtschaft?

Ich habe vom ersten Tag an Investoren getroffen. Diese Staatskanzlei ist auch offen für Menschen, die nach Thüringen kommen und investieren. Sie sollen im Ministerpräsidenten dafür einen Ansprechpartner haben. So ein Investment soll eine verlässliche Zukunftsgestaltung sein für die Menschen, die dann in Zukunft eine Arbeit haben werden. Ich erlebe jetzt Wirtschaftsverbände, die uns auf einmal ganz aktiv bei der besseren Integration von Flüchtlingen und von Nicht-Deutschen unterstützen. Die Industrie- und Handelskammer Erfurt hat eine eigene Hotline eingerichtet und einen Mitarbeiter abgestellt, der nur hilft, dass Flüchtlingskinder einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen. Ich glaube, das ist außerhalb von Thüringen in noch keinem Bundesland so aktiv und so massiv geschehen. 

Wie können Sie als Linker in der rot-rot-grünen Koalition Politik machen für arme und reiche, für privilegierte und ausgegrenzte Menschen? 

Arme und Reiche müssen sich in diesem Land aushalten können. Wer selber genug Geld hat, der kann sich einen schwachen Staat erlauben. Aber wer kein Geld, wer keine materiellen Möglichkeiten hat, der braucht einen starken Staat. Und ein starker Staat ist einer, der sich um Bildung kümmert, der Rechtssicherheit gewährt, der sich um Zukunftsperspektiven bemüht und die Rahmenbedingungen dafür schafft. 

Wie diskutiert DIE LINKE darüber, dass sie jetzt in einem Bundesland an der Macht ist?

Wir sind an der Regierung. Die Mächtigen in diesem Land, wie auch auf dem Rest des Erdballs, sitzen an anderen Stellen. Auch ein Linker muss immer sehr genau darauf achten, dass er seine Funktion als Ministerpräsident nicht mit der Funktion der Mächtigen dieser Welt verwechselt. Ich kann Kabinettsvorlagen beeinflussen, ich kann Richtlinienkompetenz auslösen. Ich kann Gesetze auf den Weg bringen mit dem Kabinett, aber ich kann einen Hedgefonds nicht anhalten. Dazu müssten wir andere Mehrheiten in Deutschland und in Europa schaffen. 

Der Kontakt zu den Abgeordneten in der Bundestagsfraktion ist nach wie vor eng. Gregor Gysi saß bei Ihrer Wahl auf der Tribüne, hat auch frenetisch applaudiert. Wie wichtig ist diese Zusammenarbeit mit der Fraktion in Berlin?

Es ist für uns eine Bereicherung, dass wir eine starke Bundestagsfraktion haben. Wir führen jetzt Kamingespräche alle paar Monate in Berlin, wo sich Vertreter der Bundestagsfraktion und der Regierungen von Brandenburg und Thüringen mit der Bundespartei und den Fraktionen der einzelnen Länder zusammensetzen und Themen erörtern. Zuletzt sprachen wir über die Kämpfe in Kobanê. Da haben wir mit der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke jemanden, die sich exzellent in der Region und mit allen Akteuren auskennt. Wir fragten Ulla Jelpke, wie wir Unterstützung geben können. Denn auch hier in Thüringen leben Jeziden, also Menschen, die von dort vor Mord und Terror geflüchtet sind. Und diese Menschen haben hier einen großen Hilfstransport gestartet, den wir mitunterstützt haben. Wir haben eine Hilfsaktion in Gang gesetzt, die heißt "Thüringen in Aktion". Da geht es um Sprachkurse, aber auch um Flüchtlingshilfe, die Menschen brauchen, um ihr tägliches Leben dort am Rande von Syrien oder in Flüchtlingslagern am Rande der Türkei in erträglicher zu machen. 

Nun darf Bodo Ramelow mal ein bisschen träumen. Was genau wird in fünf Jahren sein? In Thüringen? Mit Bodo Ramelow?

Ich werde mit dieser Koalition fünf Jahre arbeiten, und ich glaube, dass die Wählerinnen und Wähler dann eine Chance haben, eine fünfjährige erfolgreiche Politik zu würdigen. Ich hoffe, dass die drei Parteien dann bei den Wahlen stärker werden und dass deutlich wird: Man kann in Deutschland mit anderen Konstellationen regieren. Es gibt mehr als nur die Kombination, die ewig eingespielt war, nämlich dass eine starke Partei mit einer kleinen zusammen eine Koalition bildet. Für etwas anderes hat in Deutschland die Fantasie nie gereicht. Und wir wollen doch die Fantasie anregen und sagen: Es gibt noch mehr Möglichkeiten! 

 

Das Interview führte Frank Schwarz.

 

Quelle: http://linksfraktion.de/clara/hoffnung-europa-wahlerfolg-syriza-bietet-chance-ganz-europa/die-maechtigen-sitzen-woanders/

 

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Rede von Bodo Ramelow

BVG kippt rassistisches Kopftuchgesetz 

Seit 2003 hatte das Kopftuchgesetz in zahlreichen Bundesländern Muslime diskreditiert und benachteiligt, die beispielsweise im Öffentlichen Dienst als Lehrer ein Kopftuch aus religiösen Gründen getragen hatten.  

Acht vorwiegend CDU regierte und vorwiegend westdeutsche Länder hatten ein solches rassistisches Gesetz geschaffen.

 Das Bundesverfassungsgericht (BVG) korrigiert offensichtlich sein Kopftuchurteil von 2003 und stärkt die Rechte Kopftuchträgerinnen im Schuldienst. Eine pauschale Nenachteiligung von Muslimen verstoße gegen die Religionsfreiheit und die Neutralitätspflicht des Staates gegenüber den Religionsgemeinschaften.

 

Hintergrund der Meinungsänderung ist, dass 2003 der Zweite Senat unter dem damaligen Vorsitzenden Winfried Hassemer zuständig war. Der entschied damals im sogenannten Ludin-Urteil, dass ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen nur erlassen werden dürfe, wenn die Länder zuvor ein entsprechendes Gesetz verabschiedet haben. Der Zweite Senat sprach den Ländern aber das Recht zu, auch vorsorglich eine Regelung zu treffen. Dies soll nun nicht mehr gelten. Allerdings wurde den Ländern 2003 Spielraum gegeben: Sie könnten allen Lehrern das Recht einräumen, religiöse Kleidung oder Symbole zu tragen oder aber alle religiösen Symbole ausschließen.

 

Tatsächlich war dieses Gesetz aber rassistisch, weil es muslimische Symbole bei Lehrern an Schulen damit untersagte - christliche und jüdische aber nicht.

Zum Teil wurden durch dieses CDU - Gesetz christliche Symbole hingegen sogar ausdrücklich privilegiert.    

Auch die Nazis hatten ihren Rassismus zum Teil hinter Religionsfeindlichkeit versteckt. So wurden Juden juristisch benachteiligt. Auch damals zielten die Rassegesetze der Nazis aber nicht auf die Religion oder Religionsfreiheit sondern auf die hinter der Religion vermeintlich befindliche und behauptete Ethnie oder Rasse dieser Juden und Jüdinnen.

Das 12 Jahre geltende Gesetz hätte nur dann keinen rassistischen Charakter gehabt, wenn Lehrern auch andere religiöse Symbole aller Weltreligionen verboten worden wären. So hätte auch das Kreuz der Christen, Jesusbildnisse oder die  Kipa als Kopfbedeckung von Juden oder der Davidstern  ausdrücklich verboten werden müssen. Dann hätte das Gesetz alle Religionen und dahinter vermutete Ethnien im gleichen Maße getroffen und nicht Muslime einseitig benachteiligt. Das ist aber ausdrücklich nicht so gemacht worden.

 

So auch in Nordrhein-Westfalen. In diesem Bundesland herrscht ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen im Unterricht, Symbole der christlichen Tradition sind aber möglich. Hiergegen klagten zwei Lehrerinnen muslimischen Glaubens. Die sind angestellt und keine Beamtinnen. Deshalb wurden ihre Fälle zunächst vom Bundesarbeitsgericht entschieden – sie hatten nichts mit dem Beamtenrecht zu tun. Die Lehrerinnen wollten ein Kopftuch beziehungsweise eine Mütze als Kopfbedeckung tragen. Das wurde ihnen untersagt. Das Bundesarbeitsgericht billigte in den Jahren 2008 und 2009 das Verbot. Die betroffenen Frauen legten hiergegen 2010 Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe ein. Nun war der Erste Senat zuständig. 

Langer Zeit hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht  mit der Sache beschäftigt und die Sache so verschleppt. Jetztwar das BVG gezwungen endlich Flagge zuzeigen udn das Gesetz so zu kippen. Es lässt aber weiterhin Ausnahmen zu. Wenn sich die Mehrheit der Eltern gestört fühle, könne es trotzdem angewendet werden. 

Vergleicht man diesen Passus wieder mit damaligen Gesetzen gegen Juden, so ist auch diese Ausnahme diskriminierend und nicht hinnehmbar. Es muß sich nur ein ausreichend großer "Pöbel" gegen Muslime oder Juden bilden und schon ist das diskriminierende Verhalten in der Interpretation des BVG wieder hinzumehmen. Das kann es nicht sein auch diese Hintertür für "verkappte Rassisten"muß schnell wieder geschlossen werden.