Jürgen Meyer IZ 7.4. 25
Ähnlich wie in Brandenburg und anderen Landesverbänden konnte sich das BSW noch immer nicht zu einer breiter aufgestellten Mitgliederbasis durchringen und kleine Gruppen steuern weiterhin die Partei in den Ländern.
Trotz der desaströsen Wahlniederlage in Hamburg mit 1.8 % der Wählerstimmen kam es nicht zum Rücktritt des gesamten 6- köpfigen Vorstandes. Nur Vorstandsmitglied Jochen Brack wurde als Bauernopfer entmachtet.
Schmerzlich schlecht mit 1,8 Prozent schnitt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei den Hamburg-Wahlen also ab.
Der ehemalige Spitzenkandidat und Vorsitzende Jochen Brack trat sofort zurück und übernahm Verantwortung.
In einer Erklärung, die der taz vorliegt, bringt er nun sein Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass der übrige Vorstand einschließlich des Co-Vorsitzenden Konstantin von Eulenburg nicht zurücktreten, sondern weitermachen möchte. „Das BSW-Hamburg braucht einen Neuanfang, wenn es überleben will“, sagt er zur taz.
Nächste Gelegenheit für einen solchen Neuanfang wäre der Landesparteitag, zu dem der Vorstand für den 12. April ins Kulturhaus Eidelstedt eingeladen hat.
Nach den herausfordernden Monaten mit den Querelen um die Gründung eines Hamburger Landesverbandes und den Hamburg-Wahlen ginge es nun darum, „zusammenzufinden und einen starken Landesverband aufzubauen“, heißt es in der Einladung des Vorstands.
Außerdem wolle man nach Bracks Rücktritt einen neuen Co-Vorsitzenden wählen. Der Fotograf von Eulenburg und der Psychiater Brack hatten eine Doppelspitze gebildet.
Für Unruhe sorgte die Einladung auch unter den sogenannten Unterstützern des BSW.
Jenen Leuten also, die teils schon Monate auf die offizielle Aufnahme in die Partei warten. Denn zum Landesparteitag wurden nur offizielle Mitglieder eingeladen, die dann auch noch ihren Personalausweis mitbringen sollen.
Unterstützer müssen draußen bleiben
Die Unterstützer hätten nun den Antrag gestellt, als Gäste dabei sein und dort auch reden und womöglich mit abstimmen zu dürfen.
„Dieser Vorstand ist seinen Namen nicht wert“, sagt der Mann am Telefon, der nicht mit Namen zitiert werden möchte, um die Chance auf eine BSW-Mitgliedschaft nicht zu gefährden.
Nach seiner Einschätzung gibt es in Hamburg zwar nicht 1.000 Unterstützer, wie mal kolportiert wurde, aber rund 200 schon noch.
Demnach sind bis zu 80 % der Unterstützer in Hamburg abgesprungen, weil sie nicht länger vertröstet werden wollen und sie nicht einmal als Mitglieder 2. Klasse berücksichtigt und so auch nicht eingebunden werden.
Er wirft den Verantwortlichen in dem jetzt noch sechsköpfigen Vorstand vor, keinen Wahlkampf für Jochen Brack gemacht zu haben. Es habe nicht mal ein Plakat des Kandidaten gegeben. „Es ist erstaunlich, dass nach diesem Wahldesaster nicht der ganze Vorstand zurücktritt.“ Eulenburg habe sich geweigert, Wahlkampf für Brack zu machen.
Jochen Brack sagt, er strebe in der Partei kein Amt mehr an, fordere aber mehr Transparenz und Offenheit.
Der Landesparteitag müsse zudem öffentlich sein und nicht hinter verschlossenen Türen im Stile eines Geheimbundes stattfinden. Auch fehle auf der Tagesordnung ein Rechenschafts- und ein Finanzbericht zur Hamburg-Wahl. „Das ist ungewöhnlich nach so verheerenden Wahlniederlagen.“
Wie im Hamburger Abenblatt zu lesen war, bekam der Landesverband 20.000 Euro von der BSW-Bundespartei für den Hamburg-Wahlkampf. Darüber, wie das Geld ausgegeben wurde, verlangen auch die BSW-Unterstützer Rechenschaft. Derzeit hat das BSW in Hamburg weniger als 30 offizielle Mitglieder. Doch es gilt als denkbar, dass auch unter diesen eine Mehrheit einen ganz neuen Vorstand will.
Harscher migrationspolitischer Kurs kam erst später
In einer multikulturellen Metropole wie Hamburg kommt ein solcher migrationskritischer Kurs gar nicht gut an.
Ex-Spitzenkandidat Jochen Brack wünscht auch eine offene Debatte über Inhalte.
Den migrationspolitischen Kurs seiner Partei habe er falsch gefunden. „Migration ist nicht die Ursache für unsere Probleme“, sagt er zur taz.
„Man darf die Einwanderer nicht zu Sündenböcken machen. Als Psychiater tut es mir besonders weh, wenn nach Vorfällen wie in Aschaffenburg psychisch Kranke benutzt werden, um Gründe für mehr Abschiebungen zu finden.“
Bei seiner Aufnahme in das BSW sei ihm ein Gründungs-Parteiprogramm gezeigt worden, in dem so ein harscher Kurs noch nicht enthalten gewesen wäre.
Seiner Meinung nach werde das BSW inhaltlich als Partei für Frieden, Abrüstung und Entspannungspolitik weiter benötigt.
Man brauche „Aufbruch statt Seilschaften“, es müsse „Schluss sein, mit dem aus dem Weg Räumen von politischen Widersachern, die der eigenen Karriere im Weg stehen“, schreibt Brack in seinem Papier. „Ich habe nicht gewusst, in was für eine ‚Schlangengrube‘ ich mich da eingelassen habe.“
Kurioser Vorgang vor der Bundestagswahl
Er bezieht sich dabei auf einen kuriosen Vorgang kurz vor der Bundestagswahl. Am 10. Januar ließ das BSW per Pressemitteilung verkünden, dass die BSW-Bundestagsabgeordnete Zaklin Nastic sich zurückziehe und statt ihrer Konstantin Eulenburg in Hamburg für die BSW-Bundestagsliste als Spitzenkandidat antritt. Das war, wie sich tags drauf rausstellte, nicht mit Nastic abgestimmt.
Eulenburg erklärte dies damals gegenüber der Presse mit einem „Missverständnis“. In einer internen Erklärung von Mitte Januar, auf die Brack sich bezieht, soll Eulenberg erklärt haben, er übernehme für den Vorgang die Verantwortung, auch wenn es nicht seine Schuld gewesen sei. Es sei versäumt worden, den finalen Entwurf dieser Pressemitteilung Zaklin Nastic zur Freigabe zu schicken. Sodann soll Eulenburg angekündigt haben, er werde keine weiteren Leitungsaufgaben übernehmen. Doch sein Amt im Landesvorsitz will er behalten.
Das hat Brack offenbar anders erwartet. „Ich frage mich“, schreibt er, „ob den zahlreichen Unterstützern nur eingeredet wird, dass der BSW-Bundesverband maßgeblich über die Mitgliederaufnahme entscheidet oder ob nicht im Kern diese Entscheidung hier in Hamburg von einigen wenigen Vorstandmitgliedern getroffen wird, um Mehrheiten zu sichern.“
Das Kritikerlager hegt nun zudem Misstrauen, dass schnell vor dem Parteitag noch genehme Mitglieder aufgenommen werden, um die Mehrheit zu sichern. Als neueste Entwicklung steht gar im Raum, dass der Parteitag verschoben wird.
Die restriktive Mitgliederaufnahme darf nicht für temporäre Machtspielchen der Zentrale und für Mehrheitsbeschaffungsaktionen der führenden Kader missbraucht werden.
Landesparteitag wird aber vielleicht verschoben
Konstantin von Eulenburg bittet die taz um schriftliche Fragen – gefragt, ob der Parteitag verschoben werde, antwortet er: „Tatsächlich ist die Verschiebung des Parteitags eine Option.“ Infrage komme nun auch der 10. Mai. Zudem werde der Parteitag „voraussichtlich“ öffentlich sein. Über beide Fragen werde der Vorstand am Montag entscheiden.
Nach der Verwendung jener Wahlkampfhilfe vom BSW-Bundesverband und dem Rechenschaftsbericht gefragt, erklärt Eulenburg, diese Mittel dienten „insbesondere zur Finanzierung der drei Parteitage sowie von Wahlkampfmaterial“.
Und ein Rechenschaftsbericht werde für das gesamte Kalenderjahr erstellt und Anfang 2026 veröffentlicht. Das sei auch so üblich. Zur Frage der Rücktrittsforderung an den Vorstand antwortet er, dieser sei ja gerade erst vor weniger als 100 Tagen gewählt. „Die Amtszeit beträgt zwei Jahre.“
Es gibt allerdings, so hört man, Kräfte, die wollen den Parteitag auf jeden Fall am 12. April durchführen. Man wird es sehen.