2. Großes IZ-Exklusiv-Interview mit Georg Theis

 

Jürgen Meyer im Gespräch mit Georg Theis über seine ehemalige Partei DIE LINKE und deren Augsburger Europa-Parteitag am vergangenen Wochenende, die Mindestlohn- und Bürgergelddebatte und die Positionen des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) dazu, eigene Ambitionen sowie seine Positionen und die des BSW zum Nahost-Konflikt

 

IZ/Jürgen Meyer: Bei mir in der Telefonleitung ist live zum 2. Großen Exklusiv-Interview der linke Blogger, Aufstehen-Aktivist und Wagenknecht-/BSW-Anhänger Georg Theis.
Herzlich willkommen und guten Abend, Georg!

Georg Theis: Guten Abend, Jürgen, sei gegrüßt!

IZ/Jürgen Meyer: Georg, jetzt am Wochenende fand der Europa-Parteitag der Partei DIE LINKE statt, der Partei also, der du bis 2018, also 12 Jahre angehört und für die du dich - damals noch als PDS - 15 Jahre engagiert hast, statt. Wie beurteilst du den Parteitag, insbesondere die gefassten Beschlüsse und die Kandidaten zur bevorstehenden Europa-Wahl?

Georg Theis: Man muss ganz klar konstatieren, dass dieser Parteitag der letzte Sargnagel für DIE LINKE war. 
Man wendet sich nun auch offiziell dem hippen Lifestyle, Dekadenz und dem grün-woke-bunt-antideutschen Zeitgeist und der Cancel Culture zu. Exemplarisch dafür steht das Spitzenduo zur Europawahl, das aus der Niete im Nadelstreifenanzug, dem Parteivorsitzenden Martin Schirdewan, und der Klima-Apokalyptikerin und Schleuser-Königin Carola Rackete besteht. Man setzt, teilweise noch radikaler als Die Grünen, auf ,,Klimaschutz" durch Verteuerung, Verbot, Verzicht und Deindustrialisierung sowie technologisch unausgereifte Schnellschüsse und überdies in der Flüchtlings- und Migrationspolitik auf offene Grenzen, Bleiberecht, Wohnungen und Sozialleistungen für alle aus aller Welt; und verkauft diese Forderung noch als modern, weltoffen und als Antirassismus. 

Es wäre schön, wenn DIE LINKE diesen Antirassismus mal im Ukraine- und Nahostkonflikt praktizieren würde. 

IZ/Jürgen Meyer: Was meinst du damit genau?

Georg Theis: Anstatt den Genozid der Ukraine an den Russen im Donbass und den Israels gegenüber Palästina klar zu benennen und zu verurteilen, wird - und das ist unfassbar - die Leier vom brutalen russischen Angriffskrieg gebetsmühlenartig nachgeplappert und dass bedingungslose Solidarität mit Israel Staatsräson sein muss und jegliche Kritik daran antisemitisch sei festgeschrieben. Wahre Linke, wahre Antifaschisten und Antirassisten würden auf eine neutrale und blockfreie Ukraine, Autonomie für den Donbass, Entmilitarisierung und Entnazifizierung unter UNO- und OSZE-Aufsicht und eine gegenseitige Sicherheitsarchitektur in Europa drängen. 

 

In Bezug auf den Nahost-Konflikt die Luftangriffe Israels auf Schulen, Kitas, Krankenhäuser, Flüchtlingsheime sowie Wohngebiete und Wochenmärkte thematisieren und klar verurteilen. Und sie würden sich darüber hinaus für eine Beendigung der seit 75 Jahren andauernden Kriegs-, Besatzungs-, Siedlungsbau-, Embargo- und Abriegelungspolitik, die Israel in Gaza und Westjordanland betreibt, einsetzen und dass es zu einer Zweistaaten-Lösung in den Grenzen von 1967 mit einem souveränen Staat Palästina mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt kommt. Das vertritt aber nur das BSW, DIE LINKE hat hingegen die Staatsräson verinnerlicht und in Bezug auf die Ukraine spricht sich DIE LINKE für die militärische Unterstützung ebenso aus wie für die Beibehaltung und Verschärfung der Russlandsanktionen, auch wenn Schirdewan behauptet, dass DIE LINKE die einzige Friedenspartei sei und immer Rüstungsexporte abgelehnt habe. 

Für die Zukunft gilt das nun nicht mehr und schon in der Vergangenheit haben sich Ramelow, Lederer und sogar Gysi für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Insofern ist Schirdewans Aussage falsch und heuchlerisch.

 

Ein Antrag der Kommunistischen Plattform, der darauf abzielte, dass DIE LINKE sich für eine umfassende UNO-Reform, also eine Stärkung und Aufwertung der Generalversammlung und einen Sicherheitsrat ohne Vetomächte ausspricht und dafür, dass in diesem Gremium künftig auch alle Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas vertreten sein müssen, wurde abgelehnt. 

 

IZ/Jürgen Meyer: Wie beurteilst du, wie beurteilt das BSW den Vorschlag zur UNO-Reform?

Als dringend notwendig. Er ist Bestandteil des Erfurter Parteiprogramms von der LINKEN und fand sich bis jetzt auch in allen Wahlprogrammen wieder. Er ist keine Erfindung des BSW oder vorher der LINKEN, sondern eine uralte Forderung Russlands und Chinas, die ja auch sehen, was abläuft, nämlich dass der selbsternannte Weltgendarm USA im Schlepptau mit Großbritannien und Frankreich das Vetorecht missbraucht, um Beschlüsse der UNO- Generalversammlung für diplomatische Konfliktlösungen und Verurteilungen seiner Kriegsverbrechen und der seiner Verbündeten, also Golfstaaten, Türkei und Israel, wegzubügeln. Das darf einfach nicht sein! 

Es muss endlich das Völkerrecht durchgesetzt werden! Die USA stehen dem als Vetomacht entgegen. 
Eine Aufnahme der afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Staaten in den Sicherheitsrat würde das Kräfteverhältnis ändern und den Weg zu einer friedlichen und multipolaren Weltordnung ebnen. 

 

IZ/Jürgen Meyer: Wechseln wir das Thema. Momentan läuft ja eine Spaltungsdebatte Mindestlohn-Erhöhung versus Bürgergeld-Erhöhung und ab wann und wie stark man Bürgergeld-Empfänger sanktionieren sollte. Wie positioniert sich das BSW in dieser Frage? 

Georg Theis: Da hat der Spiegel mit seiner Überschrift ,,Wagenknecht lehnt Bürgergeld ab" einen Artikel veröffentlicht, mit dem die Leute bewusst in die Irre geführt werden sollen und eine Kampagne gegen Sahra gestartet wurde. Denn sie hat ja in Interviews und Kolumnen mehrfach klar zum Ausdruck gebracht, dass sie nur den Begriff ablehnt, weil Umbenennungen ja nichts an der Lebenssituation der Menschen ändern. Und außerdem wird es zu 52% von Leuten bezogen, die keine deutschen Staatsbürger sind. Trotzdem heißt es Bürgergeld. 
Darauf wollte Sahra hinweisen. 

 

Ihre, das heißt unsere und des BSW Positionen in dieser Frage sind folgende:

Arbeitslosigkeit darf nicht zum sozialen Absturz und finanziellen Ruin führen!
Anstelle von Hartz IV und Bürgergeld streben wir eine bedarfsorientierte soziale Mindestsicherung von 1.200 € an, die auch langfristig trägt. In einem ersten Schritt ist der Regelsatz sofort auf 815 € anzuheben, wie es von Sozialverbänden gefordert wird. Der Anspruch auf ALG I muss früher erfolgen und für ältere und länger Beschäftigte deutlich länger gelten. Es ist eine Regelung einzuführen, nach der man pro Beitragsjahr ein Jahr zusätzlich Arbeitslosengeld 1 erhält. Das ALG ist auf 80%, bei Kindern im Haushalt auf 87% zu erhöhen. Die Freigrenze für Vermögen muss beim Bürgergeld auf 65.000 € angehoben werden, für jede weitere Person im Haushalt auf 40.000 Euro.
Es wird, um nicht gleich nach Auslauf des ALG I ins Bürgergeld zu fallen, ein Übergangsgeld in Höhe von 58% des Nettolohns eingeführt, bei all jenen, die mindestens 35 Jahre eingezahlt haben, für die gesamte Dauer der Arbeitslosigkeit . Krankenversicherungsschutz für alle zuvor privat Versicherten, keine Anrechnung von Geldschenken an die Kinder oder Ferienjob-Bezahlung auf den Regelsatz der Eltern sowie keine Anrechnung mehr von Aufwandsentschädigungen fürs Ehrenamt. Wiederzahlung und Aufstockung der Rentenbeiträge. Abschaffung der Regelungen zu Bedarfsgemeinschaften und der U-25-Regel sowie deutliche Verbesserung der Hinzuverdienstmöglichkeiten und bei der Übernahme der Kosten für die Unterkunft zuzüglich eines Stromkostenzuschusses. Ein Sozialticket für Bus und Bahn sowie Kultur- und Freizeitangebote wird eingeführt. Im Alter keine Zwangsverrentung von Bürgergeldempfängern mit 63 Jahren! Sanktionen dürfen nur noch verhängt werden, wenn JUNGE Arbeitslose bis 35 Jahre REGULÄRE Beschäftigungsverhältnisse und SINNVOLLE Qualifizierungsmaßmaßnahmen ablehnen. Die Existenz muss dennoch gewährleistet sein, weshalb die Sanktionen lediglich den vorübergehenden Ausschluss von weiteren Umschulungen und Qualifizierungen sowie die Umstellung auf eine Bezahlkarte statt fixer Transferzahlungen beinhalten dürfen! Auch hier machen wieder einmal deutlich, dass das BSW als einzige Partei für Vernunft und Gerechtigkeit steht. 
 
IZ/Jürgen Meyer: Und beim Mindestlohn wollt ihr eine Anhebung auf 14 € die Stunde?
Georg Theis: Das ist natürlich nur eine Sofortmaßnahme, die - zumindest laut Programm- auch SPD und Grüne sowie DIE LINKE wollen, und wir unterstützen das natürlich, damit es überhaupt zu einer Erhöhung kommt.
Danach wollen wir jedoch 15 Euro und Schritt für Schritt hoch auf 20 Euro.
Selbstverständlich ist das auch bezahlbar. In anderen Staaten geht es doch mit höheren Mindest- und noch höheren Tariflöhnen auch und wir tun aber politmedial hierzulande immer so, als würden wir auf einem anderen Planeten leben. Das ist doch alles niveaulos, seltendämlich und komplett neoliberal verseucht, wie hier diskutiert wird.
Ein Mindestlohn schafft, siehe andere Länder, mindestens 1,5-2 Millionen Arbeitsplätze, da die Kaufkraft gestärkt wird, die Dumpingkonkurrenz für die KMU wegfällt und die Leute außerdem endlich auch einen Anreiz haben arbeiten zu gehen, wenn sie davon auch leben können.
Und wir könnten endlich die 27 Milliarden, also 17 Milliarden für Wohngeld und 10 Milliarden für Aufstocker, für Umschulungen, Eingliederungszuschüsse und einen Gemeinnützigen Beschäftigungssektor ausgeben, um die Leute in Arbeit zu bringen, anstatt Hungerlöhne zu subventionieren.
Und die kleinen Betriebe, die es noch nicht können, beispielsweise in der Gastronomie oder Handwerks- und Friseurbetriebe, aber auch Taxiunternehmen, werden wir durch eine reduzierte 7%-Mehrwertsteuer, die Befreiung von den IHK-Beiträgen, einen Grundfreibetrag von 30.000 € bei der Gewerbesteuer, die Befreiung von Unternehmen vom Spitzensteuersatz bis 100 Millionen Umsatz etc. deutlich entlasten. Bei der Körperschaftssteuer wollen wir generell den Teil, der privat vom Unternehmer aus dem Betrieb gezogen wird, anders besteuern, als der Teil, der für Investitionen und laufende Kosten im Unternehmen verbleibt. Da läuft derzeit etliches total verkehrt, was gerade kleine und Mittelbetriebe belastet, ja sogar in ihrer Existenz bedroht. 
Und wir wollen die Begrenzung der Unternehmer- und Managergehälter auf maximal das 20-Fache der untersten Lohngruppe im Betrieb. Ergo, bei 1 Million Jahresgehalt für die Chefetage muss es für die Putzfrau und den Pförtner wenigstens 50.000 € Jahresgehalt geben. Da gibt´s für uns gar nichts zu diskutieren! 
Wir sagen Profit- statt Lohnzurückhaltung! Arbeit und soziale Gerechtigkeit sicherstellen heißt also BSW wählen!
 
IZ/Jürgen Meyer: Reicht es denn aus den Mindestlohn nur zu erhöhen? 
Georg Theis: Nein, natürlich nicht. Wir wollen auch alle Ausnahmen und Umgehungsmöglichkeiten abschaffen, das Kontrollpersonal auf mindestens 15.000 Kontrolleure aufstocken und ihnen unangekündigte und verdachtsunabhängige Kontrollen erlauben und im Falle von Verstößen die Verpflichtung zur Nachzahlung der ausstehenden Löhne zzgl. einer Entschädigung in Höhe von 50% eines Monatslohns einführen sowie empfindliche Geldstrafen statt nur marginaler Bußgelder, die die Arbeitgeber günstiger kommen als die Zahlung des Mindestlohns. Das ist ein beispielloser Skandal, der schleunigst beseitigt gehört! Und dafür stehen wir. 
Auch werden wir den prekären Beschäftigungsverhältnissen wie Minijobs, Leiharbeit, sachgrundlosen Befristungen und Werkverträgen den Kampf ansagen und, beispielsweise durch die Anwendung und Vereinfachung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen, die Tarifbindung stärken. Darüber hinaus fordern wir Indexlöhne, also die Steigerung der Löhne in dem Maße wie die Preise steigen, um den Kaufkraft- und realen Einkommensverlust auszugleichen, sowie die Kopplung der Löhne an die steigenden Produktivitäts- und Wachstumsraten. 
Es darf nicht länger angehen, dass ein Ingenieur bei BMW, wenn er eine monatliche Wertschöpfung von 15.000 € hat, nur 6.000 bis 7.000 € brutto als Lohn erhält, auch wenn dies verglichen mit anderen Monatslöhnen ein relativ solides Einkommen ist. Es geht ums Prinzip. Hier werden wir klare Kante zeigen. 

IZ/Jürgen Meyer: Georg, lass uns zum Abschluss noch über deine eigenen Ambitionen sprechen und welche Chancen deiner Meinung nach das Bündnis Sahra Wagenknecht hat? 
Georg Theis: Wir liegen in allen Umfragen derzeit bundesweit bei 14-15 %, das Wählerpotenzial liegt laut ARD-Deutschlandtrend und INSA bundesweit bei 29% und im Osten sogar bei rund 40%. Nun sollte man realistisch an die Sache herangehen, weshalb ich glaube, dass wir bei der Europawahl diese 14-15% erzielen werden und die SPD und die AfD auf diesen Wert zurückfallen, wie es derzeit die Umfragen prognostizieren. Und wir bei der Bundestagswahl, zumal Sahra dann als Spitzen- oder gar Kanzlerkandidatin antritt, eventuell sogar 20% erzielen. 
 
Was meine persönlichen Ambitionen angeht, so muss ich sagen, dass ich - und das wird dich verwundern - keine habe. Ich werde mich so in die Partei einbringen, wie ich es am besten kann, mit dem, was meine Stärken sind. 
 
IZ/Jürgen Meyer: Deine Stärken sind eindeutig das Reden auf Kundgebungen und im Wahlkampf, da du ja bekanntermaßen ein begnadeter Redner bist und wie dein Vorbild und Idol Oskar Lafontaine ebenfalls sehr scharf und kämpferisch-emotional bist. Auch das Verfassen von Partei- und Wahlprogrammen - man denke nur an dein Manifest, das du Sahra als Entwurf für das künftige BSW-Programm vorgeschlagen hast - liegt dir ja, weil du auch in den Themen drin steckst. 
Wärst du nicht für hohe Ämter, beispielsweise Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, und auch als Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt zur Bundestags- oder Landtagswahl genau der richtige Mann?
Georg Theis: Das stimmt, dass da meine Stärken liegen, aber welche Ämter und/oder Mandate ich erhalte oder nicht, entscheide nicht ich. Auch Sahra und Amira entscheiden das nicht, sondern die Mitglieder, die mich aufstellen oder nicht und letztendlich die Wählerinnen und Wähler. 
 
Es ist richtig, dass ich mich mit meinen Talenten einbringen werde, dass ich mich also weiterhin aktiv in programmatische und strategische Fragen einmische und Sahra und das BSW in den bevorstehenden Wahlkämpfen, zumindest in meiner Heimat Sachsen-Anhalt, aktiv unterstützen werde, sei es als Redner oder wie auch immer, aber ob ich Ämter und Mandate erhalte, das entscheiden letztlich natürlich andere. 
 
Und ob ich überhaupt für Ämter und Mandate kandidiere, um auch das nochmal klar zu sagen, werde ich davon abhängig machen, wie wir bei der Europawahl und vor allem den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg abschneiden. Und auch davon, wie viele bereit sind, das BSW in Sachsen-Anhalt aufzubauen. 
 
Ich will und werde definitiv nicht alles alleine machen. 
 
Sollten die Prognosen und Umfrageergebnisse - wider Erwarten - sich nicht in realen Wahlergebnissen widerspiegeln und sich nach der offiziellen Parteigründung im Januar nicht mindestens 100 Leute finden, die den Landesverband und dann auch die Kreis- und Ortsverbände aufbauen wollen, dann hat die ganze Sache keinen Zweck und dann werde ich mich endgültig aus der Parteipolitik zurückziehen und, wenn überhaupt, nur einfaches Mitglied des BSW sein! Momentan bin ich aber erstmal voller Optimismus und Ehrgeiz, dass wir es schaffen. 
 
Alles Weitere wird sich zeigen und dann darfst du mich gerne wieder dazu befragen. 
 
IZ/Jürgen Meyer: Herzlichen Dank für das Gespräch, Georg.
Georg Theis: Ich habe zu danken, bis bald.