Sahra Wagenknecht und 9 weitere Bundestagsfraktionsmitglieder aus der Linkspartei ausgetreten - Insgesamt sind es wohl 16 Linkspolitiker

Damit verliert die Linkspartei ihren Fraktionsstatus und wird zur Gruppe - Vorbereitung einer neuen Partei

Die Vorstandsmitglieder des Vereins "Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit" (BSW, v.l.n.r.): Lukas Schön, Amira Mohamed Ali, Sahra Wagenknecht, Ralf Suikat und Christian Leye, Berlin, 23. Oktober 2023.

Nun ist der Bruch von Sahra Wagenknecht und Weggefährten endgültig vollzogen worden und gleichzeitig wurde die Linksfraktion im Bundestag gesprengt, weil  10 Bundestagsabgeordnete aus der Linkspartei ausgetreten sind und sich dem Verein BSW anschlossen. Damit verliert die Linkspartei ihren Fraktionsstatus und viele Rechte im Bundestag.

Dieser Schritt gilt als Vorstufe für die Parteigründung im Januar 2024. Erst dann sollen Mitgliedschaften möglich sein.

Die neue Wagenknecht-Partei soll aus dem bereits gegründeten Verein BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) hervorgehen.

Die offizielle Parteigründung sei für Januar anvisiert, sagte BSW-Vereinsgeschäftsführer Lukas Schön.

Lukas Schön war von 2020 bis 2022 Geschäftsführer der Linken in Nordrhein-Westfalen, dem größten Landesverband der Partei mit rund 8000 Mitgliedern. Es ist der offizielle Heimatverband von Sahra Wagenknecht.

In der ersten Jahreshälfte sollten dann die ersten Landesverbände gegründet werden, im Mai wolle die Partei an der Europawahl teilnehmen.

Der Verein BSW selbst werde nicht um Mitglieder werben – er wolle allerdings Geld für die geplante Partei sammeln, „denn seriöse Politik braucht Geld“. Es wird also erstmal Geld gesammelt und keine Mitglieder im Lande.

Vorsitzende des Vereins ist Mohamed Ali.

Ihr Stellvertreter ist der Bundestagsabgeordnete Christian Leye, der am Montag ebenfalls seien Parteiaustritt erklärte. Die Zielgruppe der geplanten neuen Partei beschrieb Leye so: „Wir wollen eine Partei aufbauen, die den Rücken gerade macht für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, für Rentnerinnen und Rentner, für Gewerkschafter und Betriebsräte.“

Neben Mohamed Ali ist Christian Leye, 42, der zweite Vertraute aus dem Bundestag, der das neue Projekt an Wagenknechts Seite vorstellen soll. Sie sind zwei von geschätzt bis zu 15 Abgeordneten, die die Linksfraktion verlassen könnten. Dass Leye dabei ist – auch das ist keine Überraschung.  

Die Laufbahn des gebürtigen Bochumers ist eng mit Wagenknecht verbunden.

Wie auch Schön hat er ihre Position im Landesverband NRW gestärkt.

Von 2014 bis 2021 arbeitete der linke Ökonom in ihrem Düsseldorfer Wahlkreisbüro.

Seit 2021 sitzt er selbst im Bundestag, ist wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion.

Er ist nicht der erste Ex-Mitarbeiter von Wagenknecht, der einen solchen Weg gegangen ist. Leye teilt ihre Positionen, auch er spricht den USA eine Mitverantwortung für den russischen Überfall auf die Ukraine zu. Er gilt als versierter Netzwerker.

In der neuen Partei wird er wohl derjenige sein, der dafür sorgen soll, dass man möglichst geschlossen auftritt.

Hier gebe es derzeit eine „Leerstelle“ im politischen Angebot, sagte Leye. „Die linke Seite fällt aus, und die Rechten saugen mit ihren Sprechblasen die Wut in der Bevölkerung auf“, beklagte er.

Die neue Partei soll hier eine Alternative bieten. Gemeinsam mit Wagenknecht, Leye und Mohamed Ali traten folgende Bundestagsabgeordnete aus der Partei aus: Ali Al-Dailami, Sevim Dağdelen, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Żaklin Nastić, Jessica Tatti, Alexander Ulrich. Ihre Austrittserklärung wurde auf der Internetseite der Zeitung junge welt veröffentlicht.

Wagenknecht kündigte die Gründung einer neuen Partei an, die bereits im kommenden Jahr bei der Europawahl und den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern antreten könnte. Der Linksfraktion im Bundestag wollen Wagenknecht und ihre Gefolgsleute nach eigenen Angaben zunächst weiter angehören.

„So wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen“, begründete Wagenknecht die geplante Parteineugründung. „Denn sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen.“ Als zentrale Themen nannte sie den „Erhalt unserer wirtschaftlichen Stärken“, das Eintreten für soziale Gerechtigkeit sowie eine friedensorientierte Außenpolitik.

Auch der Unternehmer und Taxmenow - Aktivist Ralph Suikat schliesst sich der Bewegung an. 

Austrittserklärung im Wortlaut

Austrittserklärung von Wagenknecht und neun weiteren Bundestagsabgeordneten sowie weiteren Politikerinnen und -politikern aus der Partei Die Linke:

Warum wir DIE LINKE verlassen

Liebe Mitglieder der Partei DIE LINKE,

wir haben uns entschieden, DIE LINKE zu verlassen und eine neue Partei aufzubauen. Dieser Schritt ist uns nicht leicht gefallen. Denn DIE LINKE war jahre- oder sogar jahrzehntelang unser politisches Zuhause. Hier haben wir Mitstreiterinnen und Mitstreiter kennengelernt, von denen viele zu Weggefährten und einige zu Freunden wurden. Mit ihnen gemeinsam haben wir Abende und Wochenenden bei Parteiveranstaltungen verbracht und in Wahlkämpfen Sonderschichten eingelegt. All dies hinter uns zu lassen, fällt uns schwer - politisch wie persönlich. Hätte es einen besseren Weg gegeben, wir wären ihn gerne gegangen. Weil wir uns mit vielen von Euch verbunden fühlen, möchten wir unsere Entscheidung begründen.

Die Konflikte der letzten Jahre wurden um den politischen Kurs der LINKEN geführt. Immer wieder haben wir argumentiert, dass falsche Schwerpunkte und die fehlende Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Frieden das Profil der Partei verwässern. Immer wieder haben wir angemahnt, dass die Fokussierung auf urbane, junge, aktivistische Milieus unsere traditionellen Wähler vertreibt. Immer wieder haben wir versucht, den Niedergang der Partei durch eine Änderung des politischen Kurses aufzuhalten. Damit hatten wir keinen Erfolg - und im Ergebnis hatte die Partei bei den Wählerinnen und Wählern immer weniger Erfolg. Die Geschichte der LINKEN seit der Europawahl 2019 ist die Geschichte eines politischen Scheiterns. Die jeweiligen Parteiführungen und die sie stützendenden Funktionäre auf Landesebene waren entschlossen, dieses Scheitern auf keinen Fall kritisch zu diskutieren. Es wurde weder eigene Verantwortung dafür übernommen, noch wurden inhaltliche Konsequenzen daraus gezogen. Vielmehr wurden diejenigen, die dem Kurs der Parteiführung kritisch gegenüberstanden, als Schuldige für die Ergebnisse ausgemacht und immer weiter ausgegrenzt.

Wir sehen vor diesem Hintergrund für unsere Positionen keinen Platz mehr in der Partei. Als Beispiel sei an den "Aufstand für den Frieden" vom Februar 2023 erinnert. Es war die größte Friedenskundgebung der letzten knapp 20 Jahre. Zehntausende versammelten sich vor dem Brandenburger Tor. Obwohl, und gerade weil etwa die Hälfte der Bevölkerung den militärischen Kurs der Regierung ablehnt, hat sich das gesamte politische Establishment des Landes gegen die Kundgebung gewehrt und sie diffamiert. Statt uns in dieser Auseinandersetzung zu unterstützen, stand die Parteiführung der LINKEN Schulter an Schulter mit den anderen Parteien: Sie hat den Initiatoren der Kundgebung vorgeworfen, "rechtsoffen" zu sein und war so Stichwortgeber für Vorwürfe gegen uns.

Die politischen Räume für uns in der Partei wurden so klein, dass wir mit geradem Rücken nicht mehr reinpassen. Aus unseren Landesverbänden wissen wir: So geht es vielen Mitgliedern der LINKEN. Auch für sie wollen wir mit der neuen Partei eine neue politische Heimat schaffen.

Dies tun wir aus innerer Überzeugung, denn eine Partei ist kein Selbstzweck. Was uns antreibt: Wir wollen die politische Entwicklung nicht länger hinnehmen. Die sozial verheerende Politik der Ampel kostet große Teile der Bevölkerung Einkommen und Lebensqualität. Die deutsche Außenpolitik munitioniert Kriege, statt sich um Friedenslösungen zu bemühen. International eskalieren Konflikte, die sich abzeichnende Blockbildung ist eine Bedrohung für den Weltfrieden und wird massive ökonomische Verwerfungen mit sich bringen. Gleichzeitig wird Widerspruch gegen diese politische Entwicklung in der öffentlichen Diskussion immer häufiger sanktioniert und an den Pranger gestellt. Aber Demokratie braucht Meinungsvielfalt und offene Debatten. Die Unfähigkeit der Regierung, mit den Krisen unserer Zeit umzugehen, und die Verengung des akzeptierten Meinungskorridors haben die AfD nach oben gespült. Viele Menschen wissen schlicht nicht mehr, wie sie anders ihren Protest artikulieren sollen. DIE LINKE tritt in dieser Situation nicht mehr als klar erkennbare Opposition auf, sondern als weichgespülte "Ja, aber..."-Partei. Sie ist mit diesem Kurs unter die Wahrnehmungsgrenze der Bevölkerung gesunken. Aktuell spricht alles dafür, dass sie im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten sein wird, während die AfD in Umfragen bei über 20 Prozent steht. Wir haben die Verantwortung, den Kampf um die Ausrichtung der Politik und um die Zukunft unseres Landes wieder ernsthaft zu führen. Dafür wollen wir eine neue politische Kraft aufbauen, eine demokratische Stimme für soziale Gerechtigkeit, Frieden, Vernunft und Freiheit.

Wir gehen ohne Groll und ohne Nachtreten gegen unsere alte Partei. Der Konflikt ist für uns abgeschlossen. Wir wissen: Einige von Euch haben diesen Schritt herbeigesehnt, andere werden enttäuscht sein und wieder andere werden nun abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Euch allen sagen wir: Wir möchten uns wie Erwachsene trennen. Ein Rosenkrieg würde uns allen schaden. Die Partei DIE LINKE ist nicht unser politischer Gegner. Den vielen unter Euch, mit denen wir lange Jahre vertrauensvoll zusammengearbeitet haben, sagen wir auch: Wir sind bereit für Gespräche und würden uns freuen, Euch zu einem geeigneten Zeitpunkt in unserer Partei begrüßen zu können.

Sahra Wagenknecht, Amira Mohamed Ali, Christian Leye, Lukas Schön, Jonas Christopher Höpken, Fadime Asci, Ali Al-Dailami, Sevim Dagdelen, John Lucas Dittrich, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Amid Rabieh, Jessica Tatti, Alexander Ulrich, Sabine Zimmermann