IZ- Exklusivinterview mit dem streitbaren Politaktivisten, Blogger, baldigem Publizisten - Buchveröffentlichung im Herbst - sowie Mitbegründer der neuen Partei von Sahra Wagenknecht, Georg Theis, über Kapitalismus und Neoliberalismus und notwendige sozialistische Alternativen dazu:
,,Die kapitalistische Profitgier schadet der Gesellschaft! Wir brauchen Gemeineigentum und eine Abkehr vom Neoliberalismus!“
Immer wieder wird der politische Aktivist Georg Theis gefragt, weshalb er einer der schärfsten Gegner des Neoliberalismus ist und kapitalistische Eigentumsverhältnisse schleunigst überwunden gehören. ,,Der Kapitalismus darf und wird nicht das Ende der Geschichte sein!", so seine These.
Er und die IZ wollen an dieser Stelle eine umfangreiche Auskunft auf diese Fragen geben.
IZ: Wie definierst du den Neoliberalismus?
Georg Theis: Da gibt es ganz klare wirtschaftswissenschaftliche und soziologische Definitionen, die ich vollumfänglich und ohne jeglichen Vorbehalt teile, ja teilen muss.
Ein wesentliches Merkmal ist die Abkehr vom sogenannten Ordoliberalismus, wie ihn die Freiburger Schule um Walter Eucken und Alexander Rüstow entwickelt haben. Dieser sah zumindest vor, dass die Bestandteile der Daseinsvorsorge und Infrastruktur in öffentlicher Hand sein müssen, der Reichtum durch Vermögens- und Erbschaftssteuern einigermaßen gerecht verteilt wird und dass es klare Regeln für die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und den Finanzsektor braucht, um den Kapitalismus zu bändigen. Er wurde später in der alten Bundesrepublik auch oft und gerne als soziale Marktwirtschaft bezeichnet. Eucken und Rüstow wollten auch Sparkassen und Genossenschaftsbanken statt privater Großbanken, Belegschaftsbeteiligung am Produktivvermögen, mehr Genossenschaften sowie ein Verbot von Spekulationen und Trusts bei Konzernen, vor allem aber von Monopolen und Oligopolen. Leider ging die Bundesrepublik Deutschland nie vollständig den ordoliberalen Weg, da sie die Eigentumsfrage und die Frage der Betriebsformen nie klärte, und blieb somit auf halbem Wege stehen.
Der Ordoliberalismus, wenn man so will, wäre die Verhinderung wirtschaftlicher Macht und die Bändigung des Kapitalismus gewesen, fast gleichzusetzen mit Sozialismus, Vergesellschaftung.
Doch im Zuge der Wirtschaftskrise Ende der 70-er Jahre – Krisen sind einer Marktwirtschaft immanent – leisteten Lobbyverbände ganze Arbeit und erklärten, dass der Sozialstaat und staatliche Regularien das Hauptproblem für die Krisen sei.
Und so ging man, Stichwort Thatcher-Prinzip, Lambsdorff-Papier, Blair-Schröder-Papier und später eben Agenda 2010 und Hartz-Gesetze, zum Neoliberalismus über.
Ein wesentliches Merkmal dieser Ideologie, die alles und jeden zur Ware und Menschen zur Sache und Kostenfaktor erklärt, ist die Verabsolutierung des Profitstrebens auf Kosten der Beschäftigten und drastische Umverteilung von unten nach oben, oder anders gesagt die Steuergeschenke und Profite für die Reichen und Konzerne zahlen die Menschen mit Niedriglöhnen, höheren Konsumsteuern und Sozialkahlschlag.
Der Neoliberalismus setzt auf Entsolidarisierung und Entstaatlichung durch Privatisierung, was vom lateinischen Wort privare=berauben stammt, und auf Deregulierung.
So wurden und werden beispielsweise Energieversorgungsunternehmen, die Abfallwirtschaft, Wohnungen, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Sporthallen, Post und Telekom, Schwimmbäder, Schulen und Kultureinrichtungen, aber auch der Nah- und Fernverkehr privatisiert, was für einige wenige Kapitalanteilseigner horrende Profite einbringt, aber die Allgemeinheit zahlt mit deutlich höheren Preisen und vielen anderen deutlichen Verschlechterungen dafür die Zeche.
Insbesondere was die Arbeits- und Lohnbedingungen angeht kam es zu gravierenden Deregulierungen, indem Tarifverträge geschliffen, Mitbestimmung und Kündigungsschutz abgebaut und prekäre Beschäftigungsverhältnisse massiv gefördert worden, wenn ich nur an die Leiharbeit, an Werkverträge, erzwungene Teilzeit, Minijobs und Dauerbefristungen denke.
Wir brauchen aber dringend eine andere Wirtschaftsordnung und Arbeitswelt, die den Menschen dient, nicht umgekehrt!
IZ: Es wurde immer politmedial, gerade vor und während der Reformen von Ex-Kanzler Schröder, der Genosse der Bosse war, gesagt, dass nur Deregulierungen den erhardschen Wohlstand für alle brächten. Wie kam es zu dieser Fehleinschätzung?
Das war mit Sicherheit keine Fehleinschätzung, sondern eine bewusste Täuschung und Irreführung der Massen. Im Übrigen sind ja durch einen gewaltigen Euphemismus, zu Deutsch einer Begriffsverirrung und Begriffsverwirrung, die Reformen schmackhaft gemacht worden. Schröder beispielsweise und Lobbyverbände oder auch BILD sprachen ja nicht von Zertrümmerung des Sozialstaats und Wildwest auf dem Arbeitsmarkt nach dem US-Hire-and-Fire-Prinzip, sondern dass man eine freie Entwicklung der Unternehmen anstrebe, mehr Eigenverantwortung jedes Einzelnen und so weiter. Besonders dummes und perverses Geschwätz fand immer dann statt, wenn von Freiheit und Chancengleichheit die Rede war. Indem man Arbeitslose durch Hartz IV oder Bürgergeld unterm Existenzminimum darben lässt und droht ihnen die Stütze zu streichen, wenn sie sich nicht scheinselbständig machen oder jeden x-beliebigen ,,Job“ annehmen, auch zu Hungerlöhnen, weit unter ihrer Qualifikation und vor allem auch ohne Sozialversicherung, Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, wie bei Minijobs, dann ist das allenfalls eine Freiheit von der Freiheit und von sozialer Sicherheit und einem menschenwürdigen Leben.
Auch der Begriff der Haushaltskonsolidierung ist falsch, wenn er bedeutet, dass durch Sozialkahlschlag wieder alles zulasten der Schwächsten geht, während Einkommensmillionäre dank der Absenkung des Spitzensteuersatzes 100.000 bis 250.000 € jährlich an Steuern sparen.
Lohnnebenkosten, auch so ein Lügenwort, es sind Lohnbestandteile. Man will Löhne und Arbeitgeberbeiträge senken und den Leuten eine private Vorsorge aufs Auge drücken, um sie den Versicherungskonzernen und Banken auszuliefern.
Man darf auch nicht übersehen, ich sage es noch einmal, dass die Triebfeder des kapitalistischen Wirtschaftens die Profitmaximierung ist.
Schon bei Marx war zu lesen, dass ,,Nach mir die Sintflut!“ das Motto jedes Kapitalisten ist.
Man kann nicht Profitstreben und soziale Verantwortung gleichermaßen wollen.
Und Ziel des Neoliberalismus war und ist es, die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeiterklasse, zugunsten des Kapitals zu verschieben; also das Machtgefüge gewaltig hin zum Kapital zu verschieben.
IZ: Aber ohne Gewinne kann doch kein Unternehmen wirtschaften. Wie sollen denn ohne Gewinne Leute eingestellt und bezahlt werden? Arbeitslosigkeit statt kapitalistischer Ausbeutung ist doch auch nicht ein Ziel, für das du eintrittst.
Nein, selbstverständlich nicht! Aber wir müssen die Verteilungsfrage stellen!
Es ist immer völlig dumm von Lohnzurückhaltung gefaselt worden. Also es ist behauptet wurden, zu hohe Löhne führen zu Arbeitslosigkeit, also weg mit Tarifverträgen und her mit Niedriglöhnen und prekären Verhältnissen. Um aber Anreize zu schaffen arbeiten zu gehen bedarf es keiner Sanktionen, sondern guter Löhne, die auch wegen der Kaufkraft für die wirtschaftliche Entwicklung ausschlaggebend sind. Der Neoliberalismus steht im eklatanten Widerspruch zu jedweder volkswirtschaftlichen Evidenz und Vernunft.
Wir brauchen stattdessen Profitzurückhaltung! Wenn wir wollen, dass der stetige Gewinnzuwachs nicht in erster Linie auf den Konten der Großaktionäre, Vorstände und Manager landet, sondern zu höheren Löhnen und neuen Arbeitsplätzen führt, muss man die Unternehmer- und Managergehälter auf das 20-Fache der untersten Lohngruppe eines Betriebes gesetzlich begrenzen! Wollen sie also 1 Million im Jahr verdienen, so müssen sie im Jahr ihren Arbeitern 50.000 € an Lohn zahlen. Doch noch wichtiger als staatliche Regulierungen sind Eigentumsrechte der Beschäftigten. Erst wenn die alleinige Verfügung der Konzernbosse, Aktionäre und Manager über Gewinne entfällt, kann das Tor zu einer wirklich sozialen und demokratischen Wirtschaft geöffnet werden.
Und das heißt dann eben Vergesellschaftung, zumindest aber genossenschaftliches Eigentum oder Belegschaftsbeteiligung zu 50% am Produktivvermögen.
Auch werde ich, damit die Menschen endlich diese System hinterfragen und für eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eintreten, immer wieder deutlich machen, dass die Gewinne denjenigen zustehen, die sie erwirtschaftet haben. Das waren nicht die Quandts bei BMW oder Frau Schäffler, sondern zehntausende Arbeiter in den einzelnen Fabriken, denen verdammt nochmal von Rechtswegen her endlich die Früchte ihrer Arbeit zu teil werden müssen. Genau dafür trete ich seit frühester Jugend ein, ebenso für die Vergesellschaftung des Bodens statt Großgrundbesitzer, im Interesse der Landwirte.
IZ: Du bist also für eine soziale Demokratie oder gar demokratischen Sozialismus?
Das macht für mich keinen Unterschied. Eine Demokratie muss sozial sein, sonst ist sie keine Demokratie, sie darf niemals entkoppelt werden von der sozialen Frage.
Eine Demokratie setzt ja voraus, dass sich das Wohl und der Wille der Menschen, des Volkes insgesamt, durchsetzen. Ist unsere jetzige Ordnung, die keine ist, eine Demokratie?!
Und Sozialismus meint ja nicht das, was in der Geschichte war, mit Mauer, Stasi, Willkür- und Gewaltherrschaft einer einzelnen Partei, sondern die Überwindung eines Systems, das nur auf Profit aus ist. Der Mensch und sein Wohl sind der Kern des Sozialismus.
Rosa Luxemburg sagte völlig zu Recht:
,,Keine Demokratie ohne Sozialismus und kein Sozialismus ohne Demokratie! Freiheit ohne Gleichheit ist Ausbeutung und Gleichheit ohne Freiheit ist Unterdrückung!“
Anders gesagt das Eine ist Teil des Anderen, es bedingt einander.
Das wäre meine Antwort auf die gestellte Frage.
Hinter jedem Milliardenvermögen steckt ein riesengroßer Raub, der schleunigst überwunden gehört, was nur durch die Überwindung des Kapitalismus möglich ist.
Die Eigentumsverhältnisse in Unternehmen und die Vermögens- und Einkommensverteilung sind der Lackmustest, ob eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als sozial und demokratisch angesehen werden kann.