GLOBALE ZEITENWENDE

Russland liefert erstmals mehr Erdöl nach Asien als nach Europa

Dabei ist der Mega-Energiebedarf von China noch bei weitem nicht ausgelastet

Asiatische Länder haben Europa zum ersten Mal in Bezug auf die aus Russland bezogenen Ölmengen überholt. Dies berichtete Bloomberg unter Berufung auf Berechnungen der Kpler-Analysten aus Singapur.

In der vergangenen Woche transportierten Tanker zwischen 74 und 79 Millionen Barrel russisches Öl, fast dreimal so viel wie vor dem 24. Februar. Nach Europa wird russisches Rohöl hauptsächlich über Pipelines transportiert.

Laut der Kpler-Analystin Jane Xie stiegen russische Öltransporte auf dem Seeweg im April auf ein Rekordhoch, was vor allem auf die verstärkten Käufe Indiens und Chinas zurückzuführen ist. Sie stellte fest:

"Einige Käufer in Asien interessieren sich mehr für die Wirtschaft als für die politische Lage. Allerdings achten die USA darauf, dass Indien russisches Öl kauft, so dass es bei diesem Handelsstrom einige Abwärtsrisiken geben könnte."

Nachdem Russland eine spezielle Militäroperation in der Ukraine eingeleitet hatte, begannen die EU-Länder über ein vollständiges Embargo für russisches Öl zu diskutieren, doch bisher wurde keine Einigung erzielt. Ein Versuch, den Boykott in das sechste EU-Sanktionspaket gegen Russland aufzunehmen, stieß auf den Widerstand Ungarns. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte, Brüssel rechne damit, die Einfuhr von russischem Rohöl innerhalb von sechs Monaten und die Lieferung von Ölprodukten bis Ende 2022 einzustellen.

Anfang Mai erklärten von der Financial Times befragte Analysten, dass Moskau seine Exporte auf den asiatischen Markt umlenken müsste, wenn die Europäische Union die Einfuhr von russischem Öl verbieten würde. Sie wiesen jedoch darauf hin, dass Russland auf dem Weg zur Umkehrung der Kohlenwasserstoffströme mit logistischen Schwierigkeiten konfrontiert werden könnte, insbesondere mit einem Mangel an Tankschiffen.

Ein Beispiel für solche Probleme beschrieb Reuters im April unter Berufung auf Quellen: Der Nachrichtenagentur zufolge hatte die indische Öl- und Erdgasgesellschaft ONGC Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Schiff, das 700.000 Barrel russisches Öl aus dem Fernen Osten transportieren sollte. Die Suche wurde durch Reputationsrisiken für die Transportunternehmen und Schwierigkeiten beim Abschluss von Versicherungen erschwert.

Schäden, die durch den Verlust des europäischen Marktes entstehen, könnten teilweise durch höhere Energiepreise ausgeglichen werden. Gleichzeitig kaufen die asiatischen Länder russisches Öl mit einem erheblichen Preisnachlass. So suchten laut Bloomberg Anfang Mai indische Käufer die Möglichkeit, russisches Öl zu einem Preis von unter 70 US-Dollar (65,3 Euro) zu kaufen, obwohl der Preis für die Referenzsorte Brent zu diesem Zeitpunkt bei 100 US-Dollar (93,3 Euro) pro Barrel lag. Am 27. Mai war ein Barrel der Sorte Brent 116 US-Dollar (108,2 Euro) wert.

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