Virologe Kekule_ Impfzwang ist totaler Unsinn - Besser Mild-Verlauf laufen lassen

Frage an Kekule: 

"Die allgemeine Impfpflicht ist totaler Unsinn"

Wie stehen Sie zur Impfpflicht?

Ich war Anfang November 2021 einer der Ersten, die die Impfpflicht für Menschen in Pflege- und Heilberufen gefordert haben. Ich habe aber immer dazu gesagt, dass ich die allgemeine Impfpflicht für totalen Unsinn halte, aus vielen Gründen.

Warum?

Man muss unterscheiden, ob ich mit einem Impfstoff eine Infektionskrankheit eindämmen, also die sogenannte Herdenimmunität erzielen kann. Aus wissenschaftlicher Sicht muss man ganz nüchtern festhalten: Wir haben für Omikron nicht die richtigen Impfstoffe, um epidemisch erfolgreich zu sein, die waren schon bei der Delta-Variante nicht ausreichend wirksam.

Wir können also die Pandemie nicht wegimpfen, denn wir sind vor einer Omikron-Infektion fast gar nicht geschützt durch die Impfung.

Was spricht dann für eine Impfung?

Wir können uns selbst vor einem schweren Verlauf schützen. Deshalb bringt die Impfung individuell natürlich etwas. Man kann auch an Omikron sterben, insbesondere wenn man alt ist, wenn man Vorerkrankungen hat oder wenn man ungeimpft ist. Eine Impfpflicht zielt aber immer auf eine sogenannte Eliminierung, also dass man die Krankheit weitgehend ausrottet, wie wir das bei den Masern oder der Kinderlähmung versuchen. Das ist bei Corona aber mit den aktuellen Impfstoffen illusorisch und wahrscheinlich auch in den kommenden Jahren nicht möglich.

Und die Intensivstationen vor einer Überlastung zu schützen, wäre kein guter Grund für eine Impfpflicht?

Dafür gibt es ganz konkret bei Omikron keine Anzeichen. Weltweit ist die Welle ja in einigen Ländern schon durchgelaufen, und die Intensivkapazitäten wurden bislang nie überlastet. Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir in Deutschland außerdem wesentlich mehr Kapazitäten. Deshalb ist auch bei uns keine massive Überlastung der Intensivstationen zu erwarten, die theoretisch eine allgemeine Impfpflicht begründen könnte. Wenn überhaupt würde dieses Argument nur bei den Über-60-Jährigen Sinn machen, denn das Risiko für Jüngere, schwer zu erkranken, ist gering.

 

Und was ist mit der Verpflichtung, sich selbst zu schützen?

Das wäre das dritte mögliche Argument für eine Impfung. Und viele Menschen nennen dann immer das Beispiel des Sicherheitsgurtes im Auto. Dadurch würden die Autofahrer ja auch genötigt, sich selbst zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dazu 1976 jedoch im Gegenteil betont, dass man niemandem zum Selbstschutz zwingen darf. Die Begründung für den Sicherheitsgurt war eine andere: Wer sich unangeschnallt bei einem Unfall verletzt, ist dann nicht mehr in der Lage, anderen zu helfen. Der Sicherheitsgurt wurde nicht mit einer Pflicht zum Selbstschutz, sondern zur Vermeidung von Schäden Anderer angeordnet. Eine Impfpflicht zum Selbstschutz wäre ein völliges Umdenken, dann müsste man auch Raucher, Übergewichtige oder Risikosportler gesetzlich zwingen, sich vor schweren Erkrankungen zu schützen.

 

Und das Argument, die Gesellschaft vorbeugend zu schützen, also vor einer neuen Welle im Herbst?

Das lässt sich jedenfalls aus heutiger Sicht nicht begründen. Keiner weiß, welche Varianten im Herbst vorherrschen werden, welche Impfstoffe zur Verfügung stehen werden und ob wir uns nach Omikron-Infektionen überhaupt noch gegen neue Varianten impfen müssen. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, sich um des Kaisers Bart zu streiten, sondern man muss sich auf das sofort Notwendige fokussieren, also den Über-60-Jährigen gezielte Impfangebote machen und die Boosterung ganz gezielt für die Risikogruppen und die Hochaltrigen bereitzuhalten. Zwei aktuelle Studien der Centers for Disease Control and Prevention (eine Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums, Anmerk. d. Red.) haben noch einmal belegt, dass die Boosterung der Risikogruppen viel wichtiger ist als wahllose Drittimpfungen in allen Altersschichten.

Warum sagen dann sehr viele Experten, eine Impfpflicht würde uns vor der nächsten Welle im Herbst schützen?

Sehr wahrscheinlich würde auch eine Impfung mit den jetzt bereits verfügbaren, gegen die ursprüngliche Wuhan-Variante entwickelten Vakzinen auch dann einen gewissen Schutz vor schweren Verläufen bieten, wenn im Herbst eine vollkommen neue Variante kommen sollte. Um jetzt eine allgemeine Impfpflicht zu beschließen, müsste diese Maßnahme jedoch erstens geeignet und zweitens angemessen sein, sonst ist ein derart massiver Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht vertretbar. Geeignet wäre sie nur, wenn es einen erheblichen Unterschied bei den Krankenhausbelegungen macht, je nachdem ob die Menschen nur freiwillig geimpft und genesen sind oder zusätzlich eine Impfpflicht besteht. Ob das so sein wird, wissen wir nicht, weil ja nach der Omikron-Welle sehr viele Menschen infiziert wurden und zusätzlich der größte Teil der Bevölkerung geimpft ist. Es ist bei dieser Ausgangslage gut möglich, dass eine Impfpflicht im Herbst epidemiologisch keinen messbaren Unterschied macht.

Und was hat es mit der zweiten Bedingung auf sich?

Zweitens müsste die Maßnahme auch verhältnismäßig sein, das heißt, es darf kein milderes Mittel ebenfalls geeignet sein. Falls im Herbst eine besonders gefährliche Variante auftaucht, die außerdem auch Geimpfte und Genesene befällt, könnte zum Beispiel eine Impfpflicht ab 60 noch verhältnismäßig sein. Dafür bräuchten wir jedoch einen neuen Impfstoff, und keiner weiß, ob es den rechtzeitig geben und wie gut wirksam er dann sein wird. Die Debatte ist deshalb momentan sehr theoretisch.

https://web.de/magazine/news/coronavirus/virologe-kekule-massnahme-rki-voellig-inakzeptabel-36560742