Interview: Wie Ralph T. Niemeyer die Frage stellte, die den Mauerfall mit bewirkte.

Wie die Wende als Putsch wirklich ablief

Es gab einen Putsch innerhalb der SED, der zur Maueröffnung führte. Innerhalb der SED gab es dazu unterschiedliche Positionen, die hinter den Kulissen ausgefochten wurden. 

Historisch ist es einfach so, dass die SED letztendlich die Mauer selber öffnete und das regierende ZK der SED traf entsprechende Vorkehrungen dafür.

Nur sollte die Mauer nicht am 9. November fallen sondern nach dem 9. November- also frühestens am 10. November 1989, weil das Datum 9. November historisch belastet ist. An diesem Tag fanden Pogrome an Juden im 3. Reich statt, aber auch  die Novemberrevolution 1919, die sozialistische Räterepubliken an die Macht brachten. 

MDR: Auslöser für Mauerfall möglicherweise konspirativer Anruf

Die Geschichte des Mauerfalls muss möglicherweise umgeschrieben werden. Der italienische Journalist Riccardo EHRMAN, der am 9. November 1989 in einer Pressekonferenz dem SED-Politbüromitglied Günther SCHABOWSKI die alles entscheidende Frage nach dem neuen Reisegesetz der DDR stellte, will zuvor einen Tipp erhalten haben. «Die Frage nach dem Reisegesetz - das war kein Zufall, ich bekam vorher einen mysteriösen Anruf aus dem 'Unterseeboot', dem Konferenzzimmer des ADN-Chefs. Ein mir bekannter Spitzenfunktionär der SED forderte mich auf, unbedingt nach dem Reisegesetz zu fragen. Das sei sehr wichtig», sagte EHRMAN dem MDR-Kulturmagazin «artour».

(Das Interview mit R. EHRMAN am Donnerstag um 22.05 Uhr im Kulturmagazin «artour» des MDR.)

Die "Saarbrücker Zeitung" (Freitagausgabe) hat jetzt ein historisches Rätsel über den Mauerfall gelöst. Vorher berichtete Ralph T. Niemeyer u.a. in der Internetz-Zeitung allerdings schon selber darüber. Bisher war strittig, wer am Abend des 9. November 1989 in der Pressekonferenz von SED-Politbüromitglied Günter Schabowski die entscheidende Frage "Ab wann gilt das?" stellte. Bekanntlich antwortete Schabowski mit: "Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort, unverzüglich...". Das löste noch am gleichen Abend den Ansturm auf die Grenze aus. Das Blatt machte jetzt den nahe Heidelberg lebenden Journalisten Ralph T. Niemeyer als den entscheidenden Fragesteller ausfindig.

Ralph T. Niemeyer war damals Mitarbeiter des Deutschen Auslands-Pressedienstes. Später wurde er der Mann der Linken-Vize-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht.

 

Lange wurde nach dem "unbekannten Dritten" gesucht. Niemeyer stand an jenem Abend hinten rechts im Saal des Pressezentrums der DDR-Regierung in der Berliner Mohrenstraße. Auf den Aufzeichnungen ist er nicht im Bild, seine Stimme nicht zu identifizieren. Recherchen unserer Zeitung führten zu dem heute 45 Jahre alten Journalisten, der nahe Heidelberg lebt. Er erinnerte sich auf Anfrage genau. "Es gab ein großes Durcheinander. Schabowski kannte mich, und blickte wohl deshalb zu mir als ich rief: Ab wann gilt das?" Dann kam jene Antwort, die Geschichte schrieb. 

 

IZ ( Jürgen Meyer) an Ralph T. Niemeyer: Danke für die genommene Zeit.

 

Neben Ihnen haben ja noch zwei weitere Journalisten im Rahmen dieser Befragung an entscheidender Stelle eine Rolle gespielt. Der Italiener Ehrman und der BILD Redakteur Brinkmann. Welche Rolle spielten sie bei der Frage zur Grenzöffnung wirklich?  

Ralph T. Niemeyer:   Es waren eigentlich vier Personen, die Schabowski bedrängt hatten, wobei Riccardo Ehrman, der ja später zugab, eine Aufforderung von vermutlich dem ADN Chef Günter Pötschke bekommen zu haben, sicher den größten Verdienst hatte, gleich nach ihm Peter Brinkmann vom Springer Verlag. Er hatte Schabowski gedrängt zu sagen, ab wann es gelte, aber Schabowski, der mit Brinkmann zuvor schon aneinandergeraten war wegen der DDR Pressefreiheit, ignorierte ihn. Deshalb rief ich von hinten rechts und da Schabowski mich vorher gesehen hatte und wußte, daß ich mit Krenz gesprochen hatte, erhielt ich offensichtlich seine Aufmerksamkeit, so daß er zu mir rübersah. Hätte er auf Brinkmann reagiert, hätte ich vermutlich gar nichts gesagt.

IZ Jürgen Meyer: Warum hat sich Schabowski dann im entscheidenden Augenblick genau an Sie gewandt?

Ralph T. Niemeyer:Ich weiß nicht, kann aber vermuten, daß er merkte, daß er schnell etwas klares sagen mußte. Ich hatte mit der Intention gefragt mir bestätigen zu lassen, daß es ab dem nächsten Tag gilt, wie angekündigt und nicht sofort, was ja auch absurd war. Wenn der CDU Generalsekretär heute sagt, ab Mitternacht muß jedes Auto eine Mautplakette tragen, dann gilt das ja auch nicht. Da muß ja auch das Bundeskabinett und der Bundestag entscheiden, der Bundespräsident dann unterschreiben. Ich hatte es also nicht glauben können und eigentlich deshalb nachgefragt und erwartet, daß er sagt, natürlich nicht sofort, denn zuvor hatte er es ja selber nur einen Entwurf genannt. Im Übrigen hat Außenhandelsminister Gerhard Beil ihm dann zugeflüstert: "das muß der Ministerrat beschließen!". Offensichtlich war dies ein Machtkampf, denn Schabowski ignorierte auch Beil und sagte stattdessen "unverzüglich". Das war ein Putsch. Wir hatten damals die Worte von Minister Beil nicht gehört. Erst jetzt, 25 Jahre später habe ich die Aufnahmen noch einmal gesehen und wenn man genau hinhört, dann versteht man die von den Mikrofonen aufgenommenen aber im Saal nicht hörbaren Worte. Beil war immerhin Minister und damit Regierungsmitglied, Schabowski war nur Pressesprecher, inszenierte sich aber in den Tagen zuvor schon wie der heimliche Staatschef, wie auch DDR Journalisten kritisch in derselben Pressekonferenz bemerkten.

IZ Jürgen Meyer: Was sollte die Nachfrage von Ihnen an Schabowski eigentlich bewirken?

Ralph T. Niemeyer: Ich habe eigentlich aus reinem Unglauben nachgefragt, weil ich es nicht fassen konnte, und wollte bloß Klarheit erlangen, wobei ich erwartet hatte, daß er sich korrigiert und nicht in Widerspruch zu seiner kurz zuvor getätigten Aussage, wonach es sich nur um einen Entwurf gehandelt hatte, gesetzt hätte. Am nächsten Morgen sollte es ja ordentich verkündet werden. ADN hatte schon für 4 Uhr früh eine Presseerklärung vorliegen, halt mit dieser Sperrfrist. Ich habe übrigens nicht damit gerechnet, daß es zur Maueröffnung kommt, sondern dachte eher, daß die SED - Führung und Regierung der DDR ein nicht so historisch belastetes Datum für ihre Mitteilung nutzen würde. Es sind ja mindestens 4 historische Bezüge zum 9. November, 1918, Novemberrevolution, 1923 Hitler Ludendorf Putsch, 1938 Reichpogromnacht. Irgendwie ist es den Putschisten gelungen so ganz nebenbei die anderen historischen Bezüge elegant aus dem öffentlichen Bewußtsein zu entsorgen. Statt Scham (9.11.1938) ist fortan fast nur noch Freude über den 9.11.1989 angesagt. Insofern hätte es mich gewundert, wenn Krenz oder die Staats- und Parteiführung insgesamt so unsensibel in augerechnet dieser Frage sein sollten. Es hat also doch irgendwie Konterrevolutionäre Züge und den Charakter des "Roll-Back", der sich ja auch in den Jahren nach der Einheit manifestiert hat.

IZ Jürgen Meyer: Ist hinter dem Verhalten von Schabowski eine absichtliche Intrige oder gar ein pro-westliches Agenten-Netzwerk innerhalb der CDU zu vermuten, wie Sie es ja mal mit Verweis auf die Gruppe Lysakus innerhalb der SED angedeutet haben?

Ralph T. Niemeyer:Ich denke, es spricht einiges dafür, daß Schabowski, der ja hochintelligent ist, als ND Chefredakteur erfahren und mit allen Wassern gewaschen, eloquent und sogar fließend Englisch mit meinem NBC Kollegen Tom Brokaw sprach, keineswegs so trottelig war, wie man immer behauptet. Im Übrigen hat ja sogar die TAZ 2009 berichtet, daß es am 29.10.1989 Absprachen mit dem Westberliner Senat gab, daß man die Grenzöffnung vorbereiten müsse, was auch tatsächlich erfolgt ist, bis dahin, daß man genügend 100 DM Scheine bereitgehalten hatte.

Herr Schabowski war bei Treffen von Lysakus in Räumen der Akademie der Wissenschaften anwesend und hat ja durch sein Verhalten rückwirkend den Verdacht bestätigt. Während er sich einen Ascheimer nach dem anderen übers Haupt schüttete, mußte Egon Krenz ins Gefängnis der Siegerjustiz obwohl er doch für die Gewaltfreiheit des Staatsapparates stand. Hätten Schabowski und Pötschke ihm nicht die Show gestohlen mit dem Putsch vom 9.11.1989, dann wäre er Stunden später als Gorbatschow der DDR vom Westen hofiert worden, weil er so weise gewesen wäre, die Mauer einzureißen. So einen Mann hätte man nicht später ins Gefängnis gesteckt.

IZ Jürgen Meyer : Welche Belege gibt es für dieses prowestliche Netzwerk innerhalb der SED und welche Belege könnten auf eine Verstrickung von Schabowski hindeuten, der sich ja später als "Wendehals" entpuppte?

Ralph T. Niemeyer:Es gibt STASI Protokolle, die aber nicht veröffentlicht werden. Ansonsten gibt es die National Security Decision Directive NSDD 54 vom 2.9.1982, die Ronald Reagan erlassen hatte um die osteuropäischen Staaten zu unterwandern.

IZ: Das passt ja auch zu den Enthüllungen des Ex Kohl-Biografen, der Kohl sinngemäss mit der Bemerkung zitiert, dass es keine revolutionäre Wechsel-Stimmung in der DDR Bevölkerung gegeben habe und das diese Meinung eher " dem Volkshochschulhirn von Thierse" als Popanz entsprungen sei, dass die Menschen einen Anschluß an die BRD und Kapitalismus wollten? Bestätigt das nicht auch den Putsch-Charakter der "Wende"? Demnach ging es ja bei der "Wende" auch nur um Bimbes, also um die Kapitalinteressen der westdeutschen Wirtschaft, wie Kohl angeblich sagte. 

Ralph T. Niemeyer:

Ja so habe ich es auch erlebt. 1987 waren schon Forderungen nach Reformen unüberhörbar. 1989 wollten die Menschen endlich Resultate sehen, aber sie wollten nicht die DDR kaputtmachen. Die Rufe in Leipzig waren doch nicht Einheit! Einheit! Erst in Dresden, als Kohl kam und Geldsegen versprach mischten sich zu den Rufen Freiheit! auch Einheit! Rufe. Bei der Volkskammerwahl im März 1990 war es wohl noch so, daß eine Mehrheit die bürgerlichen Parteien wählen wollten und sich mit der Einheit eine Verbesserung der Lage erhofften, aber schon kurze Zeit später war diese Stimmung wohl nüchterner. Deshalb mußte alles so schnell gehen. Hätte man ein Jahr später nochmal nachgefragt, hätte es vermutlich keine Mehrheit mehr dafür gegeben. Auch im Westen nicht, vermute ich, obwohl in den Konzernzentralen ja die Champagnerkorken knallten. Aber die Bürgerinnen und Bürger hatten längst auch Sorgen, ob es für sie selber gut wäre. Ich weiß, daß ich Kohl gefragt hatte, ob man nicht besser in Ruhe verhandeln sollte, um die besten Ergebnisse zu erzielen und die guten Errungenschaften der DDR, also nicht nur den grünen Pfeil, sondern so etwas wie Erziehung, Ausbildung, Gleichberechtigung, Bildung und Polykliniken etc übernehmen zu können und er fast ärgerlich reagierte und sagte, entweder wir machen das jetzt schnell oder es wird nichts. Dazu war es notwendig, der SED das Heft des Handelns aus der Hand zu nehmen, vor allen Dingen bei einer so eklatanten Frage wie der Reisefreiheit. So wie Schabowski seine Kompetenzen überschritten hatte, wurden Regierung und SED derartig brüskiert und lächerlich gemacht, daß der Putsch durchgezogen werden konnte und Fakten geschaffen wurden. Übrigens hat die Mauer letztlich Hanns Joachim Friedrichs aufgemacht, der die Faslchmeldung derartig auf den Punkt gebracht hat, daß es der Letzte verstanden hatte. Schabowski's Worte alleine hätten keinen DDR-Bürger Nachts an die Bornholmer Straße gebracht, aber Friedrich's Zusammenfassung der Falschmeldung eben schon.

War die ganze Schabowski-Pressekonferenz eine Farce?

...was auch ein Witz ist: Schabowski nahm einfach Ehrman 'dran, dabei hatte sich Daniel Johnson vorher gemeldet, aber da es ja kurz vor 19 Uhr war und die Live Übertragung des DDR Fernsehens enden würde, mußte er es beschleunigen.

IZ: Kann man von einer Konterrevolution bzw. einem Putsch also von der Restauration der Herrschaft des Kapitals in der DDR sprechen?

Ralph T. Niemeyer: ja

IZ: Ist es ein Zufall, dass in Wendezeiten sowohl in der CDU als auch in der SPD von Geheimdiensten ein Stasispitzel an der Spitze installiert wurde - wie auch beim Demokratischen Aufbruch von Wolfgang Schnur, dem sich u. a. ausgerechnet Angela Merkel angeschlossen hatte. Angela Merkel hatte ja bewußt oder unbewußt mit zahlreichen Stasi IM s Kontakt in DDR-Zeiten gehabt. Ihr Passfoto war in der Stasiakte Havemann gefunden worden und durfte vom WDR  nicht veröffentlicht werden. Da gab es also etliche Stasileute, die in die Wende eingebunden waren ( von wem auch immer). - Wie übrgens besonders auch in der CDU-Fraktion der Volkskammer, wo sich 1990 dutzene Stasimitarbeiter tummelten ? Könnte es sich hierbei um Stasileute gehandelt haben, die als Doppelagenten auch bereits gleichzeitig für westliche Geheimdienste gearbeitet haben?

Ralph T. Niemeyer: Das war alles Teil des Planes "Lysakus". Ja, das kann man sehr wohl annehmen, jedenfalls macht das eher Sinn, als sich vormachen zu lassen, daß das alles rein zufällig passiert sei und man davon überrascht gewesen ist. Man sollte die Bürgerinnen und Bürger nicht für doof halten.

 

IZ: Ist es korrekt, dass Sahra Wagenknecht die Veröffentlichung dieses Sachverhaltes nicht wollte, weil sie den Mauerfall kritisch sah und nicht wollte, dass ihr Lebensgefährte damit in Verbindung gebracht werden sollte?

Ja, sie wußte auch erst später davon, nachdem ich ihr nach und nach von Lysakus erzählt hatte. Sie war nicht gerade begeistert in welch dubiosen Kreisen ich mich befunden hatte. Natürlich wußte sie, daß wir Journalisten nicht die Mauer geöffnet haben. Das können Journalisten wirklich nicht, höchstens Geheimdienste.

Ganz konkret über meine Rolle bei der Pressekonferenz vom 9.11.1989 habe ich mit ihr bis letzte Woche nie gesprochen. Erst die Recherche von Kollegen, die mich ausfindig gemacht hatten, hat dazu geführt, daß ich ihr auch dieses Kapitel erzählt habe.

Es wäre ja irgendwie blöd gewesen, wenn sie es aus Zeitungen erfährt und da wir nun geschieden sind, habe ich wohl auch keinen Groll mehr zu fürchten.

Jürgen Meyer: Ich danke Ihnen für das Gespräch

 

 

 

 

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