16.08.2014 / Inland / Seite 4 Inhalt

Sperrzonen gegen »Terroristen«

Sachsen-Anhalt: Polizei, Militär und Behörden bereiten Großeinsatz gegen Antikriegscamp »War starts here« in der Colbitz-Letzlinger Heide vor

Polizisten und Demonstranten in Letzlingen.

Von Susan Bonath


Großaufgebot, Sperrzonen, Terrorismusvergleiche: Militär, Behörden und Medien im nördlichen Sachsen-Anhalt fahren schwere Geschütze gegen Kriegsgegner auf. Hintergrund ist das am Sonntag beginnende einwöchige »War starts here«-Camp in Potzehne bei Letzlingen. Die Proteste, darunter ein Aktionstag am 23. August, richten sich gegen Kriegsvorbereitungen und Aufrüstung im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark. Dort wird seit 2012 an der Kriegsübungsstadt »Schnöggersburg« gebaut.

Zuletzt war es nach einer medialen Gegenoffensive im Juli verdächtig still geworden um das geplante Aktionscamp. Die Staatsorgane bereiteten sich offenbar lieber im geheimen vor. Das Schweigen endete in dieser Woche mit einer Meldung des Landkreises Börde, zu dem der südliche Teil des über 23000 Hektar großen Truppenübungsplatzes gehört: Die Heidestraße (K1142) wird vom 16. bis 25. August voll gesperrt, informierte das Straßenverkehrsamt des Kreises. Sie führt von West nach Ost durch das Militärareal und verbindet die Bundesstraßen B71 und B189. Hintergrund seien nicht etwa die Proteste, sondern eine Übung der Bundeswehr, hieß es. GÜZ-Leiter Gunter Schneider bestätigte dies am Freitag auf jW-Nachfrage. Die Sperrung sei »ein normaler Vorgang im Rahmen einer Militärübung mit Großgerät«, versicherte er. Die Heidestraße erspart sonst Autofahrern kilometerlange Umwege. Schon während der Aktionen 2012 und 2013 gegen das GÜZ war sie komplett abgeriegelt worden. Damals hatten die Behörden allerdings mit offenen Karten gespielt.

Für ein weiträumiges Versammlungsverbot griff das Land Sachsen-Anhalt in die Trickkiste: Es hat rund 40 Quadratkilometer Waldfläche rund um den Übungsplatz dem Bund überlassen. Im Gegenzug erhielt es im Juli dieses Jahres Bundesforstanteile im Harz. Die Bundeswehr hat so ihr ­Areal ausgeweitet, und der Altmarkkreis Salzwedel erspart sich eine aussichtslose Allgemeinverfügung. Eine solche hatte das Gericht im vorigen Jahr als rechtswidrig eingestuft und gekippt. Als Waldbesitzer kann das Heer den militärischen Sicherheitsbereich für die Zeit des Camps nun legal bis an die Bundesstraßen ausdehnen, wie GÜZ-Leiter Schneider erklärte. Personen, die die Sperrzone betreten, droht eine Geldstrafe. Dies sei eine »temporäre Maßnahme zur Gefahrenabwehr«, so Schneider. Anfang Juli war der Oberst durch einen Vergleich der Kriegsgegner mit der RAF aufgefallen. Mitglieder der »Gewaltfreien Aktion – GÜZ abschaffen« hatten Konfetti im Freibad Potzehne verstreut, wo die Bundeswehr regelmäßig trainiert. »So haben die Terroristen in den 1970er Jahren im Westen auch angefangen«, tönte Schneider danach in der Tageszeitung Volksstimme.

Auch Kommunalpolitiker machen gegen die Antimilitaristen mobil. Die Bevölkerung stehe hier zur Bundeswehr, beschwor Letzlingens Ortsbürgermeisterin Regina Lessing jüngst in der Volksstimme. In ihrem Dorf befindet sich die GÜZ-Kommandozentrale. Mit ihrem Amtskollegen der Stadt Gardelegen, Konrad Fuchs (SPD), will sie Anwohner am 23. August weg von den Kriegsgegnern und hin zu einem »schönen Sommermarkt mit Angeboten für die ganze Familie« in ihr Dorf lotsen. Im vorigen Jahr war eine »Gegendemo« unter Beteiligung beider Ortsvorsteher eher mißglückt. Unter rund 20 ortsansässigen »Pro-Bundeswehr-Aktivisten« befand sich mindestens ein Neonazi, der seiner Zugehörigkeit zum »Nationalen Widerstand« mit einem Aufdruck auf seinem T-Shirt Ausdruck verlieh.

Unterdessen wurde die Verpächterin des Campplatzes massiv bedroht. Unbekannte hatten am Donnerstag die Parole »Danke alte Schlampe! Dein Haus wird brennen!« an eine Wand des Wohnhauses der Frau aus dem Ort Parleib bei Potzehne gesprüht. Nun ermittelt die Polizei, wie Behördensprecher Marc Becher jW am Freitag auf Nachfrage sagte. Es gehe dabei vorrangig um »Sachbeschädigung«, ferner würden »Schutzmaßnahmen« geprüft.

Polizei und Militär bereiten sich indes auf einen Großeinsatz vor. Die Zahl der beteiligten Beamten hänge vom Zulauf zum Camp ab, die Planungen liefen noch, erklärte Frank Küssner von der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord. Während des Aktionstages rechnet er mit etwa fünf Hundertschaften, Bundespolizei nicht mitgezählt. Außerdem sollen rund 400 Soldaten das Militärgelände »sichern«. Sachsen-Anhalts Verfassungsschutzchef Jochen Hollmann warnte vor »linksextremen Angriffen«. 2012 und 2013 beteiligten sich 300 bis 400 Kriegsgegner an den Protesten in der Heide. Rund 600 Beamte wehrten die von diesen ausgehende Gefahr ab.
 
Quelle: http://www.jungewelt.de/2014/08-16/047.php