Europawahlkampf der Linken im Zeichen der Dialektik zwischen Ost und West 

Der Hamburger Parteitag ist der erste, bei dem die Bevorzugung der West-Verbände bei der Delegiertenzahl entfällt. Diese war bei der Fusion von WASG und PDS eingeführt worden, um die schwächeren West-Landesverbände angemessen zu berücksichtigen. Die Regelung lief Ende 2013 aus.

Auf dem Hamburger Treffen entspricht die Delegiertenzahl der Stärke der Landesverbände: Von den 500 Länderdelegierten kommen 312 aus dem Osten und nur 188 aus dem Westen. Dazu kommen noch einmal 47 Mitglieder des Parteivorstands. Auch hier ist der Osten stärker vertreten.

 

Einige West-Linke fürchten nun einen "Durchmarsch des Ostens" – vor allem am Samstagabend. Denn auch über die Kandidatenliste hatte es im Vorfeld Streit gegeben. Im November hatte der Bundesausschuss, das höchste Organ zwischen den Parteitagen, eine Kandidatenliste vorgelegt. Doch die erschien den Ost-Landesverbänden zu "westlastig". Bei einem geheimen Treffen mit Gregor Gysi verständigten sie sich auf eine eigene Liste. Als Spitzenkandidatin gesetzt gilt in beiden Fällen Gabriele Zimmer, die frühere PDS-Vorsitzende (parteiinterner Spitzname: "Zonen-Gabi").

Doch auf Platz zwei wollen die Ost-Linken lieber den bisherigen Europaabgeordneten Thomas Händel statt den zur linken Strömung gehörenden Kandidaten der Ausschuss-Liste, Tobias Pflüger, sehen. Auf Platz sechs zeichnet sich ein Zweikampf zwischen dem Rechts-Reformer Dominic Heilig und dem Sozialisten Fabio de Masi, Mitarbeiter im Bundestagsbüro von Sahra Wagenknecht, ab.

Die West-Linke ist zutiefst verärgert über die Gegenliste. "Es ist legitim, dass Menschen, die vom Bundesausschuss nicht nominiert wurden, kandidieren", sagte die Parteivizevorsitzende Sahra Wagenknecht der rechtspopulistischen "Welt".

"Wer allerdings Listen in Umlauf bringt, auf denen unter den ersten acht Kandidaten nur zwei Westdeutsche stehen, zeigt, dass er keine gesamtdeutsche Linke will. Ich setze darauf, dass die Delegierten klüger sind."

Dabei geht es aber nicht um ein zurück zur PDS, die ja eine sozialistische und gar marxistische Partei war. Die Gefahr besteht eher in der Sozialdemokratisierung der Linken, die im Osten die notwendige Distanz zur neoliberal und pro-kapitalistisch sowie militaristisch tickenden SPD nicht ausreichend wahrt. Diese Anbiederung an die SPD hatte der Linkspartei bei der letzten Bundestagswahl 1,4 Mio. Wählerstimmen in Ost und West gekostet. Das eigenständige Profil der  Linken als Alternative zu den neoliberal tickenden Blockparteien ging mehr und mehr verloren.

Die Wahl der beiden  Top-Kandidaten aus NRW, die sich weit oben auf der Europa-Wahl-Liste befinden, wird deutlich machen, ob man die Westverbände noch adäquat einbeziehen  will oder ob  erneut  die Spaltung der Linkspartei droht. 

Während die West-Linke eine Vetreilung von 4 zu 4 Kandidaten auf den vorderen Plätzen der Europa-Liste fordert, sieht die geheime Ost-Liste einen Schlüssel von 6 zu 2 Kandidaten hierfür vor.  

Seit Wochen ist die Linke nun mit ihrer vermeintlichen »Europafeindlichkeit« in den Schlagzeilen. Die Debatte hatte allerdings nicht begonnen, als die beiden Parteivorsitzenden im November den Entwurf des Europawahlprogramms der Presse vorstellten.

Im Gegenteil, die mediale Berichterstattung war eher unaufgeregt. Auslöser war vielmehr ein in die nachrichtenarme Zeit des Jahreswechsels gut plaziertes Interview von Gregor Gysi, in dem er mehrere Stellen des Entwurfes kritisierte.

So empfand er etwa die Forderung nach dem Austritt Deutschlands aus den militärischen Strukturen der NATO als zu »national« gedacht. Dabei geht es »um die Koalitionsfähigkeit im Bund«, bei der die »außenpolitischen Positionen der Partei immer wieder als Haupthindernis« gelten, wie die Berliner Zeitung schrieb.

Gysi übersah, daß diese Forderung auch im Grundsatzprogramm und im Bundestagswahlprogramm der Partei die Linke steht. Der ehemalige Parteivorsitzende Oskar Lafontaine mußte auf der Berliner Auftaktveranstaltung der Europäischen Linken am 12. Januar Gysi daran erinnern, daß der völkerrechtswidrige Drohnenkrieg der USA, bei dem viele Unschuldige ums Leben kommen, auch von den sich auf deutschem Territorium befindenden US-Einrichtungen aus gesteuert wird. Auf der außenpolitischen Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte Gysi die NATO noch als »Verrohungsgemeinschaft« bezeichnet. Man kann sich vorstellen, welches Theater Gysi gemacht hätte, wenn die Antikapitalistische Linke diesen Begriff in die Präambel des Europawahlprogramms geschrieben hätte.

Jedenfalls hat Oskar Lafontaine den strittigen Satz in der Präambel als völlig richtige Feststellung verteidigt.


Man erinnert sich bei solchen Pirouetten an eine für den Fraktionsvorsitzenden peinliche Wikileaks-Enthüllung: Im November 2009 soll Gysi nach einer Depesche des Berliner US-Botschafters »gesellig und in Plauderlaune« erläutert haben, die Forderung der Linken nach Abschaffung der NATO sei in Wirklichkeit ein Trick, um den viel gefährlicheren Ruf nach einem Rückzug Deutschlands aus dem Bündnis zu verhindern. Denn da die Auflösung ja der Zustimmung der ­NATO-Partner bedürfe, käme die ohnehin nie. Über einen Rückzug aus den militärischen Strukturen dagegen könnte in Deutschland entschieden werden. Gregor Gysi beheuptet aber hier vom US Botschafter sinnentstellt wiedergegeben worden zu sein. 

Die Charakterisierung der Euro­päischen Union in dem Vorstandsentwurf als »neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht« bezeichnete Gysi in dem genannten Interview als »nicht gelungen«. Auf Nacvhfrage hette Gysi die Forderuing allerdings als richtig, wenn aber auch ergänzungswürdig bezeichnet.

Dabei hatte er im Januar 2007 zusammen mit Lafontaine ein Memorandum veröffentlicht, in dem es hieß: Die EU befinde sich »auf einem fatalen Kurs des neoliberalen Marktrigorismus«. Sie beschreite einen »verhängnisvollen Weg der Militarisierung der Außen- und Sicherheitspolitik« und sei von »funktionierender Demokratie weit entfernt«.

Überflüssiger Streit

Empört sind viele Mitglieder der Partei Die Linke darüber, daß Gysi den Sprecher der Strömung »Forum demokratischer Sozialismus«, Stefan Liebich, immer wieder vorpreschen läßt, um seine schon auf dem Münsteraner Parteitag vertretene Position, die Bundeswehr solle sich auch an militärischen Einsätzen im Rahmen der UN-Charta beteiligen, in der Partei hoffähig zu machen. Der stellvertretende Parteivorsitzende Jan van Aken mußte Gysis Lautsprecher Liebich im ND zur Ordnung rufen: Liebich stehe mit seiner Position ziemlich allein da. Die Linke sei eine Antikriegspartei. »Ich wüßte nicht ein Beispiel für ein militärisches Eingreifen in einen Konflikt, das die Situation besser gemacht hätte«, so van Aken. Für viele Linke ist es flügelübergreifend nicht nachvollziehbar, daß Gysi in einer Zeit, in der Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für weitere militärische Abenteuer trommeln, die außenpolitische Grundlinie der Partei aufweichen will.

Wenige Wochen vor dem Europaparteitag hatte Gysi, wie mehrere Zeitungen berichten, die Ostvorsitzenden zusammengerufen und sie wieder einmal gegen den Westen in Stellung gebracht. Versuche, die völlig überflüssige Diskussion um die Präambel des Europawahlprogramms durch einen Kompromißvorschlag zu beenden, versucht er immer wieder zu hintertreiben. Glaubt man den Presseberichten, dann hat er mit den Ostvorsitzenden eine Liste gebastelt, bei der auf den vorderen acht Plätzen sechs ostdeutsche und zwei westdeutsche Kandidaten vorgesehen sind. Um in Hamburg noch vor der Wahl der Kandidatenliste Einfluß auf die Delegierten ausüben zu können, sicherte sich Gysi mit Hilfe des Bundesgeschäftsführers Matthias Höhn, entgegen den üblichen Gepflogenheiten, eine Rede noch vor der Listenaufstellung.

In der Partei grummelt es bereits, weil viele hier auch einen Angriff auf die Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger sehen. Beide werben dafür, daß es auf dem Parteitag nicht zu einer unnötigen Konfrontation von Siegern und Verlierern kommt, und sollen Gysi bereits mehrfach darauf hingewiesen haben, daß seine Quertreibereien dem Zusammenwachsen von Ost und West in der Partei Die Linke nicht gerade förderlich sind.

http://www.jungewelt.de/2014/02-14/009.php