Europäische Textilbranche beutet Billigarbeiter in Kamboscha weiterhin massiv aus 

Die brutale staatliche Repression kambodschanischer Textilarbeiter legt die anwachsende Sehnsucht des globalisierten Kapitals nach ungehemmter frühkapitalistischer Ausbeutung offen

Die Berichte, die in den vergangenen Tagen aus Kambodscha durchsickerten, scheinen jedesantikapitalistische Klischee zu bestätigen. Am vergangenen Freitag hat die kambodschanische Militärpolizei das Feuer auf streikende Textilarbeiter eröffnet, um den seit Wochen andauernden Streiks und Protesten das Genick zu brechen. Nach Polizeiangaben sollen dabei mindestens vier Arbeiter erschossen worden sein. Duzende Demonstranten wurden verletzt. Die "Spezialkräfte" des Militärs seien mit "Eisenstangen, Messern, AK-47-Sturmgewehren, Zwillen und Knüppeln" gegen die streikenden Arbeiter in einem Vorort südlich der Hauptstadt Phnom Penh vorgegangen, berichtete etwa die New York Times.

 

Kambodschas Polizei eröffnet das Feuer auf Textilarbeiter in Phnom Penh. Mindestens drei Tote. Gewerkschafter wollen höheren Mindestlohn.

 Nachdem bereits am Vortag die Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die Protestierenden vorgegangen waren, die von Anhängern der wichtigsten Oppositionspartei unterstützt wurden, eröffneten die Sicherheitskräfte am Freitag morgen das Feuer auf die Demonstranten. Unmittelbarer Anlaß dafür war offenbar die Blockade einer wichtigen Straße im Canadia-Industriepark am Rande der Hauptstadt.

Seit rund zwei Wochen sind zahlreiche Beschäftigte der Textilbranche im Ausstand. Sie fordern einen Mindestlohn von 160 Dollar monatlich, die Regierung bietet nur 100 Dollar an (jW berichtete). Inzwischen haben sich rund zwei Drittel der 500000 Arbeiterinnen und Arbeiter des Sektors dem Streik angeschlossen.Andere Angaben sprechen von über 400 000 Streikende. 

Was womöglich mit zur jetzigen Eskalation beigetragen hat, ist der Schulterschluß zwischen den Streikenden und den Anhängern der Nationalen Rettungspartei (CNRP) von Oppositionsführer Sam Rainsy, die seit Monaten gegen angeblichen Betrug der regierenden Volkspartei (CPP) von Premier Hun Sen bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Juli protestieren. 

 
Der Gewerksschaftsführer Rong Chun kann wie viele andere das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte kaum fassen. Schließlich forderten die streikenden Textilarbeiter nur eine menschenwürdige Entlohnung, sagte er der Phnom Penh Post. Der Sprecher der Militärpolizei, Khen Tito, verteidigte hingegen die Gewalt. Die Sicherheitskräfte hätten befürchten müssen, die Lage würde sonst im Chaos enden. Das weist Dave Welsh von der Arbeitsrechtsvereinigung Solidarity zurück. Der Einsatz scharfer Munition in einem Gewerbegebiet sei gänzlich unangemessen.
 

Die seit Wochen andauernde Streikwelle im kambodschanischen Textilsektor, die mit einer zunehmenden Oppositionsbewegung gegen die langjährige autoritäre Herrschaft von Ministerpräsident Hun Sen zusammenfällt, hat inzwischen eine ungeheure Dynamik entwickelt. Seit dem Jahreswechsel befinden sich rund 400.000 Arbeiterinnen im Ausstand – dies sind rund zwei Drittel aller Beschäftigten in der Textilindustrie des verarmten südostasiatischen Landes. Mit dem rabiaten Vorgehen will Hun Sen, der Kambodscha seit 1985 regiert, offensichtlich die gesamte Oppositionsbewegung treffen.

Billiglohnparadies für Lifestyle-Marken

Insgesamt haben sich rund 800 Textil- und Schuhfabriken in Kambodscha seit dem 90er Jahren des 20. Jahrhunderts niedergelassen, die unter brutalen Arbeitsbedingungen für den Weltmarkt - zumeist für westliche Auftraggeber in Europa und den USA – produzieren. Das Lohnniveau in Kambodscha ist sogar niedriger als in China oder Thailand. Trendige Lifestyle-Markten wie GAP, Nike, Adidas, H&M und Puma haben folglich das kambodschanische Billiglohnparadies für sich entdeckt. Der arbeitsintensive Industriesektor hat sich inzwischen zu der wichtigsten Exportbranche Kambodschasentwickelt, deren Einnahmen sich 2013 auf rund fünf Milliarden US-Dollar summierten. Zugleich nehmen die Streikaktivitäten in dieser Branche rasch zu: Allein in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres wurden Landesweit rund 130 Arbeitskämpfe gezählt. Bereits im vergangenen Mai sind einige Arbeiter bei Streikaktionen getötet worden.

Der Aufstieg des kambodschanischen Textilsektors – wie auch der gegenwärtigen Streikbewegung – ist den frühkapitalistisch anmutenden Zuständen in dieser Branche zuzuschreiben. Auch im 21. Jahrhundert wird bei der Herstellung von Textilien gerne auf flinke Kinderhände zurückgegriffen, die in Akkordarbeit zerschlissen werden. Mitunter werden mörderische Wochenarbeitszeiten von 80 Stunden gemeldet, bei denen die Arbeiterinnen binnen weniger Monate buchstäblich verheizt werden – auch in der kambodschanischen Textilindustrie werden selbstverständlich vorwiegend Frauen (90% aller Beschäftigten) eingesetzt. Mädchen von 13 oder 14 Jahren müssen oftmals an WochentagenSchichten von 13 Stunden durchstehen, um dann noch am Samstag für acht Stunden in die Fabrik getrieben zu werden.

Die International Labour Organisation hat in einem umfassenden Bericht festgestellt, dass die durchschnittliche Arbeitszeit in Kambodscha bei 47 Wochenstunden liegt. Bei Arbeitsstellen, bei denen Maschinen (wie etwa Nähmaschinen) zu Einsatz kommen, lag die durchschnittliche Arbeitszeit hingegen bei 53 Stunden. Die Untersuchung förderte zutage, dass rund die Hälfte der 7,2 Millionen Beschäftigten Kambodschas 2012 mehr als 48 Stunden wöchentlich arbeiten mussten – für einen durchschnittlichen Lohn von 112 US-Dollar.

Die Arbeiterinnen müssen von ihren mageren Einkünften oftmals die Familien auf dem Land unterstützen, auf dem sich kaum Einkommensmöglichkeiten finden. Wer sich diesem mörderischen Arbeitsregime nicht fügen kann, der wird umstandslos auf den kapitalistischen Menschenmüll geworfen. Sie sei sofort entlassen worden, erzählte eine Arbeiterin demGuardian, nachdem sie kurz Urlaub genommen habe, um nach ihrer zweijährigen Tochter zu schauen: "Die Fabriken kümmern sich nicht um uns. Sie zahlen uns sehr wenig, sie lassen uns sehr hart arbeiten und sie schmeißen uns weg, wenn wir einen Moment lang nicht arbeiten können."

Absetzbewegungen in der Branche der Lifestyle- und Modekonzerne - die einer globalen Ausbeuterkarawane gleich dem größtmöglichen Elend folgt - sind auch im Fall Kambodschas zu beobachten. Die Modeketten würden sich nun "anderswo" nach neuen Produktionsstandorten umschauen, berichtete die FAZ. Branchensprecher der kambodschanischen Textilindustrie warnten bereits davor, dass "eine signifikante Erhöhung der Löhne einen Wegzug der Betriebe in andere Länder nach sich zöge". Selbst chinesische Textilproduzenten ließen ihre Waren nun in anderen asiatischen Ländern wie Bangladesch, Burma, Vietnam, Indien und Kambodscha fertigen, da das Lohnniveau in den Küstenregionen Chinas zu stark angestiegen sei. Unternehmen wie H&M würden inzwischen erste Produktionsstätten in Afrika eröffnen.

Dabei ist diese konkurrenzvermittelte Flucht der Branche in die barbarische Vergangenheit des Kapitalismus - die für immer mehr Menschen zu einer düsteren Zukunftsdrohung wird - gerade Ausdruck des weiter voranschreitenden technischen Fortschritts im Spätkapitalismus. Die kapitalistische Arbeitsgesellschaft kann nur auf Grundlage der alltäglichen Verwertung von Lohnarbeit funktionieren, doch zugleich verdrängen voranschreitende Rationalisierungs- und Automatisierungstendenzen die Lohnarbeit aus dem Arbeitsprozess. Die Lohnabhängigen werden so in einem absurden"Wettlauf mit den Maschinen" gedrängt, bei dem die Kosten von Automatisierungsmaßnahmen durch Lohnsenkungen unterboten werden müssen. Massenhafte Lohnarbeit kann folglich beim gegenwärtig erreichten, sehr hohen Produktivitätsniveau in immer mehr Branchen nur noch bei Hungerlöhnen und mörderischer Arbeitshetze aufrechterhalten werden. Ansonsten greifen Tendenzen zur Rationalisierung der Produktion – auch im Textilsektor mit Nährobotern.

 

Die Produktion von Textilien im hyperproduktiven Spätkapitalismus ist somit nur unter frühkapitalistischen Verhältnissen möglich. Darin besteht gerade die ganze Absurdität, auf der die zunehmende Arbeitshetze in der gesamten globalen Warenproduktion gründet: Gerade weil die Potenzen zur Produktion materiellen Reichtums ins Unermessliche ansteigen, vegetieren immer mehr Lohnabhängige in brutaler Ausbeutung und Armut - nicht nur in Bangladesch und Kambodscha, sondern zunehmend auch in den Kernländern des kapitalistischen Weltsystems.

JW, Guardian, FAZ,  Heise..