Es droht die imperiale Militarisierung der EU 

Die Krise des Kapitalismus in Europa spitzt sich weiter zu. Was gemeinhin als Staatsschuldenkrise oder auch als Eurokrise diskutiert wird, ist im Kern ein Produkt der globalen kapitalistischen Finanzkrise. Diese Finanzkrise wiederum verursachte nicht nur eine Weltwirtschaftskrise, sondern sie führte auch zu einer Staatsschuldenkrise. Zur Stützung ihrer „Finanzindustrie“ liehen sich die betroffenen Staaten Geld. Die Bankenkrise wurde so überführt in eine Staatsschuldenkrise. So lässt sich für den Zeitraum von 2007-2011 eine regelrechte Explosion der Staatsschulden durch die Bankenrettung beobachten. In der Folge stieg die Gesamtverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt im Euroraum von 65,9% auf 84,1%, in Großbritannien von 44.5% auf 92,7%, in den USA von 62,1% auf 92,7% und in Japan sogar von 187,7% auf 225,9%. Auch was die einzelnen Euroländer anbelangt, muss von einer regelrechten Explosion der Staatsschulden im Zuge von finanziellen Leistungen der Öffentlichen Hand zur Rettung von Finanzinstituten gesprochen werden. So stieg im Zeitraum von 2008-2012 die Gesamtverschuldung etwa allein in Irland von 44% auf 118%, in Spanien von 40% auf 90% und in Griechenland von 113% auf 163%.

Kein Blut fuer Oel

Zerstörung der Demokratie

 

 

Durch die Krisenpolitik der Troika kommt es jedoch nicht nur zu einer Zerstörung ganzer Ökonomien und einer Verelendung weiter Bevölkerungsteile im Süden Europas. Als weiterer Kollateralschaden darf die massive Beschädigung der demokratischen Verfasstheit in Europa bezeichnet werden. Gerade die Institutionen der Europäischen Union haben hier im Verbund mit der deutschen Europapolitik dabei eine besonders unrühmliche Rolle gespielt. So zielten die „Antikrisenreformen“ der letzten Jahre – von Six Pack bis EU-Fiskalpakt – darauf ab, die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten auf EU-Ebene zu zentralisieren und die öffentlichen Schulden durch konsequente Ausgabenkürzungen abzubauen, während die Einnahmeseite nicht einmal zum Gegenstand einer Diskussion wurde. Durch diese Politik der Austerität wurde die Krise verschärft. Sozial- und Lohnkürzungen verursachen einerseits eine Rezession, die den Schuldenabbau in der Folge torpediert und andererseits eine schwerwiegende soziale Krise. Die Memorandenpolitik der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF mit den so genannten Schuldenstaaten – Griechenland, Irland, Portugal und mit Abstrichen Spanien und Italien – führte zu einer regelrechten Diktatur der Troika im Süden Europas. Bis ins Detail werden nahezu sämtliche Politikfelder in diesen Memoranden geregelt. Volkssouveränität und parlamentarische Demokratie werden ausgehebelt. Die Memoranden fungieren als „Angebot, dass man nicht ablehnen kann.“ Die nationalstaatlichen Demokratien werden der Troika unter der Drohung des Staatsbankrotts ausgeliefert. Eine Allparteienkoalition in diesen Ländern mit Ausnahme von Linken und Kommunisten trägt dieser Kurs der Auslieferung der Demokratie mit.

Von der Militarisierung der EU zu einem EU-Militarismus

 

 

Spätestens seit 1999 entwickelt sich die Außen- und Sicherheitspolitik der EU mit „Lichtgeschwindigkeit“ (Javier Solana). Europäische Sicherheitsstrategie und eigene, primärrechtlich verankerte EU-Battle Groups sprechen neben den zahlreichen militärischen und polizeilichen Missionen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) eine deutliche Sprache. Seit Beginn einer der größten Krisen des Kapitalismus und der Bankenkrise in der EU, angefangen mit dem so genannten Griechenlandrettungspaket im Mai 2010, verstärkt sich die Tendenz, dass bestimmte Akteure bestrebt sind, die EU nicht nur zu einem globalen militärischen Spieler zu entwickeln. Vielmehr wird das Bestreben immer deutlicher, darüber hinaus auch EU-eigene Institutionen und Konzeptionen aufzubauen, die in der Lage sind, eine militaristische und imperialistische Politik zu entwickeln, die im Wesentlichen auf einem Interessenausgleich und einer Interessenbündelung der großen Drei in der EU, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, beruht.

Ihre Vorstellungen hatte Ashton in ihrer Eröffnungsrede bereits am 31. Januar 2012 bei der jährlichen Konferenz der Europäischen Rüstungsagentur in Brüssel präsentiert (Opening Adress by Catherine Asthon, Brussels, 31. January 2012: www.eeas.europa.eu). Zum einen stellte sie fest, dass im letzten Jahr „die Debatte über Verteidigung auf die Finanzkrise fokussiert war und wir eine Welle von Haushaltskürzungen im Verteidigungsbereich in ganz Europa gesehen haben.“ Selbst die USA seien jetzt gezwungen, über die nächsten Jahre signifikante Kürzungen von insgesamt 450 Milliarden durchzusetzen.

 

Zugleich sei das vergangene Jahr eines der engeren europäischen Kooperation gewesen. Diesen Herausforderungen sollte sich die EU-Rüstungsagentur stellen: „indem mehr Dinge gemeinsam und besser gemacht werden; indem größere Effizienz und höherer Wert für das eingesetzt Geld durch die gemeinsame Nutzung und die Konzentration militärischer Kapazitäten [Pooling and Sharing] angestrebt wird.“ Genau hierhin liegt die neue Konzeption: Durch das Teilen und Konzentrieren militärischer Kapazitäten sollen die behaupteten Kürzungen im Militärbereich, was die nationalstaatlichen Haushalte angeht, mehr als wettgemacht werden.

Doch Ashton hat nicht nur den Ausbau der militärischen Fähigkeiten im Auge. Sie tritt vehement für den „comprehensive Approach“ („umfassenden Ansatz“) ein, d.h. für die Bündelung aller möglichen Einflussmöglichkeiten, „politische, diplomatische, ökonomische“ als auch „unserer zivilen und militärischen Krisenmanagementwerkzeuge“, um auf „die komplexen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts“ antworten zu können.

Ashton will in diesem Zusammenhang die EU-Rüstungsagentur und die anwesenden politisch Verantwortlichen „ermutigen“ in ihrer Arbeit zur Entwicklung der militärischen Fähigkeiten fortzufahren, damit die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein wirksames Element einer „EU-Antwort“ bleibe.

 

Ashton nimmt auch kein Blatt mehr vor den Mund, was Konzeptionen einer EU als „soft power“ betrifft. „Wenn die EU ein glaubwürdiger Spieler in der Welt bleiben soll, dann wird mehr als nur soft power benötigt“, so Ashton.

Militärische Kapazitäten sind das A und O dieser imperialen Konzeption und angesichts – vermeintlich – drastischer Einschnitte im Militärbereich gilt dabei gegenwärtig Pooling and Sharing als „technokratische Wunderwaffe gegen drohende militärische Handlungsunfähigkeit“ (Mölling, Christian: Pooling und Sharing in EU und NATO, SWP-Aktuell, Mai 2012, S. 1).

Die Rüstungsagentur soll dafür die notwendige Verzahnung von Politik, Rüstungsindustrie und Rüstungsforschung bewerkstelligen.

Dies alles war bereits auf dem Informellen Gipfel der EU-Verteidigungsminister in Gent 2010 auf die Schiene gesetzt worden.

Gerade die Verbindung mit der US domnierten und äusserst aggressiven NATO wird gesucht, um diesem Konzept zum Erfolg zu verhelfen.

Für Ashton steht fest: „Die EU-Beziehung zur NATO ist essentiell.“

Die beiden Organisationen sollten in Zukunft ihre Arbeit gegenseitig verstärken. Dass damit nicht das Werfen von Wattebäuschen gemeint ist, stellt die Hohe Vertreterin ebenfalls klar: „Die Libyenkrise hat erneut die eindeutige Notwendigkeit dafür gezeigt.“

Asthon geht es deshalb auch darum, in kürzester Zeit die europäische Rüstungsindustrie zu stärken.

Dafür soll die Rüstungsagentur noch in diesem Jahr eine neue Strategie vorlegen. Und als Vizepräsidentin der Kommission und Hohe Vertreterin brüstete sich Ashton auch noch einmal dieses Doppelhutes, um auf ihren baldigen Beitrag zur Entwicklung eines gemeinsamen EU-Rüstungsbeschaffungsmarkts hinzuweisen.

Während europaweit Kürzungsprogramme und brutale neoliberale Austeritätspolitik die Agenda bestimmen, soll die Krise zu einem Ausbau der militärischen Fähigkeiten genutzt werden: Europäische Rüstungsexporte müssen in dieser Konzeption massiv gefördert werden, um die Stückzahlen hoch zu halten. Eine Verbinnenmarktlichung der Rüstungsgeschäfte wird die Profite der Rüstungskonzerne auch dann garantieren, sollte es wie im Falle von Griechenland oder Spanien Abbestellungen geben; und schließlich sollen alle Kapazitäten – unter besonderer Berücksichtigung der militärischen – gebündelt werden, um der EU und ihren Mitgliedstaaten Weltgeltung zu verschaffen.

Aus einer Militarisierung der EU wird so ein EU-Militarismus, der dieses Prinzip systematisiert. So lassen sich unter den Bedingungen der Krise nach innen wie nach außen hin Extraprofite realisieren: nach innen über die Stärkungsmaßnahmen für die Rüstungsindustrie, nach außen über den Aufbau einer globalen militärischen Machtprojektion, die zur imperialen Rohstoffsicherungs- und Marktzugangspolitik dient. Kapitalexport und Missionen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind dabei lediglich zwei Seiten einer Medaille.

Westerwelles Traum von der europäischen Armee

In diesem Zusammenhang ist es nur folgerichtig, wenn der frühere Außenminister Guido Westerwelle im Rahmen seiner Bemühungen für eine weitere Reform der EU nicht nur einen weiteren Kompetenzübertrag an EU-Institutionen im Bereich Finanzen, sondern als ein Herzstück wieder einmal die Schaffung einer europäischen Armee anvisierte.

Diese europäische Armee wäre nur der Oberbegriff des intensivierten Pooling and Sharing. Zudem aber, und deshalb ist dieser Vorstoß gemeinsam mit zehn anderen EU-Außenministern in diesem Jahr kurz vor dem Beginn der zyprischen Ratspräsidentschaft so brisant, geht es Westerwelle, wie auch dem Rest der Koalition, um die Frage der Demokratie. Im Bereich der Parlamentsarmee heißt die Aufgabe: Wie können wir Entscheidungsstrukturen schaffen, die eine Truppenentsendung politisch aber auch haushälterisch im Vergleich zum Ist-Zustand wesentlich erleichtern? Das Prinzip ist im Grund das Gleiche wie bei der angepeilten Schaffung eines EU-Finanzministers. Grundlegende Rechte sollen den Parlamenten und insbesondere dem Deutschen Bundestag entzogen werden, um sie auf demokratisch nicht legitimierte EU-Organe und Institutionen übertragen zu können.

Dies garantiert nicht nur eine geringere öffentliche Aufmerksamkeit, denn es gibt ja weder eine europäische Öffentlichkeit noch nennenswerte gemeinsame parlamentarische Entscheidungs- und Kontrollstrukturen, sondern auch die wirksame Aushebelung der Rechte des Bundestages (und anderer nationaler Parlamente) bei der Entsendung von Kampfverbänden in alle Welt.

So soll die Bundeswehr, wenn es nach den Vorstellungen Guido Westerwelles, aber auch etwa nach denen des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel geht, unter der Flagge der europäischen Armee künftig in alle Welt segeln und Krieg spielen können.

Weiter bestehende Beschränkungen durch eine parlamentarische Kontrolle könnten dann getrost missachtet oder ausgehebelt werden. Die aggressive Vertretung nationaler Interessen würde durch das gelbe Sternenbanner besser bemäntelt und kaschiert werden.

Weltweit spielen

Seit Juli 2012 ist die EU mit Missionen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nahezu in jedem Land in der Sahelzone von Kap Verde bis Somalia präsent. So nahm das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSC) die Entsendung der EUCAP Nestor-Mission an.

Dabei handelt es sich de facto um eine Militärberatungsmission, die der französische Admiral Jacques Launay führt und die 175 so genannte Experten nach Djibouti, den Seychellen, Kenia und Somalia entsenden will, um die Piratenbekämpfung auch zu Lande besser führen zu können.

Zugleich wurden Militärberater unter Leitung des spanischen Colonells Paco Espinoza zur präventiven Aufstandsbekämpfung in den Niger entsandt und eine GSVP-Mission im Südsudan begonnen. Dazu kommen die weiter laufenden Missionen zur militärischen Piratenbekämpfung (seeseitig EUNAFOR-Atalanta sowie die Ausbildungsmission somalischer Soldaten in Uganda, um in den somalischen Bürgerkrieg eingreifen zu können).

Afrika ist generell das Testfeld schlechthin für eine rasante Entwicklung von Missionen der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, zumal auch der US Imperialismus Afrika als Gegenspieler Chinas immer mehr ins Blickfeld nimmt.

Um eine Kürzungspolitik im Militärbereich kompensieren zu können, wird auch verstärkt auf Instrumente der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit innerhalb der EU gesetzt.

Der Libyenkrieg und die französisch-britische Militärkooperation gelten dabei inzwischen als beispielgebend. Eine Union der unterschiedlichen Geschwindigkeiten im Militärbereich soll trotzdem Zugriff auf das volle Spektrum der EU-Kapazitäten erhalten.

So hat sich auch der neue französische Präsident Francois Hollande bereit erklärt, die 2010 in Lancaster vereinbarte enge Militärkooperation mit Großbritannien fortzuführen.

EU und NATO sollen sich dabei gegenseitig ergänzen, auch was den Aufbau von Kapazitäten angeht. Dies betonte der britische Europaminister David Lidigton bei seinem jüngsten Besuch in Paris erneut am 27. Juni 2012. Der Vorteil der EU liege dabei „in den vielfältig und komplementär verwendbaren Werkzeugen – diplomatische, zivile, militärische, entwicklungspolitische und finanzielle -, die kollektiv zur Anwendung gebracht werden können, um den internationalen Frieden zu fördern, häufig an Orten, an denen die NATO und andere nicht handeln können.“ (EDD, Brussels 11.07.2012)

Abschied von der Demokratie

In der Krise wird sich in der EU von Grundprinzipien der parlamentarischen Demokratie verabschiedet. Im Rahmen der Bankenrettungsprogramme, die sich als Hilfe für „Die Griechen“ oder „Die Spanier“ verkleiden, werden wesentliche parlamentarische Rechte geopfert.

Das Haushaltsrecht der nationalstaatlichen Parlamente geht mit den entsprechenden Mechanismen eines konstitutionalisierten Neoliberalismus und einer vertraglich fixierten Austeritätspolitik – mittels EU-Fiskalpakt und Europäischer Stabilitätsmechanismus – regelrecht verloren.

Diese extreme Entdemokratisierung spiegelt sich auch im Militärbereich wieder. Es geht um Aufrüstung in Zeiten der Krise, um weltweite imperiale Machtprojektion noch erfolgreicher auf die Schiene setzen zu können. Parlamentarische Einflussmöglichkeiten gelten dabei zunehmend als störend. Das ist einer der Hauptgründe für den Einsatz gerade auch der deutschen Bundesregierung für eine europäische Armee und eine Europäisierung von Militärstrukturen. Der neue Militarismus und die Entdemokratisierung sind somit lediglich zwei Seiten ein und derselben Medaille. Mit imperialer Weltgeltung der EU soll die Krise gemeistert werden. Das Versprechen von Extraprofiten und erleichterten Kapitalexportmöglichkeiten, nicht nur für die Rüstungsindustrie, soll dabei für eine Unterstützung der einzelstaatlichen Kapitale sorgen, auch wenn diese im Einzelfall, wie bei der verschärften EU-Sanktionspolitik, Verzichtsleistungen erbringen müssen.

http://www.imi-online.de/2013/12/10/global-power-europe/

Quelle IMI Omline 2012