Vor internationalen Schiedsgerichten gewinnen immer die USA
Kanada ist in Sachen Schiedsgerichte leidgeprüft: Mitte März 2015 wurde der Staat von einem Schiedsgericht zu der Zahlung von 300 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt. Der US-Bergbaukonzern Bilcon hatte seit den 1940er Jahren viele Schürfrechte in Kanada inne. 2002 wollte er einen neuen Abbaustandort auf Nova Scotia mitten in einem idyllischen Naturschutzgebiet erschließen. Ein Steinbruch für Basalt samt Hafenterminal zum Abtransport waren geplant. Der unmittelbare Anlass der Klage bestand in einer negativen Umweltverträglichkeitsprüfung.
Besonders empörend fanden die Kanadier, dass von dem Schiedsgericht die Ansprüche der Firma auf entgangenen Gewinn berücksichtigt wurden, aber die Eingaben Bevölkerung von Nova Scotia keine Rolle spielten. Sie hatten darauf verwiesen, dass Bergbau und Hafen erhebliche Einbußen bei Fischfang und Tourismus brächten. Kanada musste 300 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen, obwohl das Unternehmen noch keinen Cent in die Entwicklung des Projekts gesteckt hatte.
Auch Deutschland wurde schon vor dem Weltbank-Schiedsgericht in Washington verklagt. Der Stromerzeuger Vattenfall erreichte mit dem Verfahren das die Umweltauflagen der Hamburger schwarz-grünen Regierung gelockert wurden.
Das sind aber keine Einzelfälle.
Unglaublich, aber wahr: Obwohl die USA weltweit 50 Investitionsabkommen abgeschlossen haben und dutzendfach verklagt wurden, hatte noch kein einziger ausländischer Investor gegen US Konzerne damit Erfolg.
Es lohnt sich ein Blick auf NAFTA: Der Vertrag, den die USA, Kanada und Mexiko 1994 abgeschlossen haben, enthält Investorenschutz in klassischer Form. Bis Ende des Vorjahres wurden 77 Investorenklagen eingebracht – 35 gegen Kanada, 22 gegen Mexiko und 20 gegen die USA, etwa die Hälfte der Verfahren läuft noch. Die abgeschlossenen zeigen indes eine erstaunliche Schieflage.
"Ich will keine Konspirationstheorien aufstellen", sagt auch Jan Kleinheisterkamp, Rechtsexperte der London School of Economics: "Aber es ist frappierend, dass Kanada viele Male verloren hat, Mexiko regelmäßig, die USA hingegen nie." Die US-Behörden betonen das sogar stolz: Das liege am "hochstehenden US-Rechtssystem".
Zu Tode prozessiert
Gleich die allererste NAFTA-Klage gegen die USA (ICSID ARB(AF)/98/3) lässt freilich anderes vermuten.
Anfang der 1990er expandiert der kanadische Bestatter Loewen Group in den USA rasant. Im Süden kommt man dabei dem lokalen US-Rivalen Jeremy O’Keefe in die Quere. Nach heftigem Streit schließt man einen Vertrag, bei dem Begräbnishäuser und Versicherungsfirmen ausgetauscht werden. Gesamtwert des Deals: 5,98 Millionen Dollar. O’Keefe wirft den Kanadiern bald vor, Abmachungen gebrochen zu haben. Das Ganze landet vor dem Mississippi State Court.
Der Anwalt der Kläger macht von Beginn an deutlich, wo die Sympathien zu liegen haben – bei der lokalen Familienfirma des US-Kriegsveteranen O’Keefe statt bei "Kanadiern". Im Prozess werde die "Rassen-Karte" gespielt, stellt der Richter fest, greift aber nicht ein. Die Jury dürfe bei der Schadensbemessung keine Scheu vor hohen Summen haben, insistiert der Kläger und stellt hohe Milliardenbeträge in den Raum. Am Ende entscheiden die Geschworenen, dass die Kanadier ihrem US-Rivalen 500 Millionen Dollar zahlen müssen – fast das Hundertfache des Streitwertes. Allein 75 Millionen sind Schmerzensgeld, 400 Millionen als Pönale gedacht.
Die kanadische Firma Loewen will Berufung einlegen, hat aber ein finanzielles Problem: Dafür müssen in Mississippi noch 125 Prozent als Pfand hinterlegt werden, also unerschwingliche 625 Millionen Dollar. Ein Antrag auf Herabsetzung wird abgebügelt. Am Ende stimmt Loewen überstürzt einem Vergleich zu, wonach 175 Millionen Dollar an O’Keefe fällig sind.
Durch NAFTA gibt es für kanadische Investoren, denen in den USA Unrecht geschieht, aber ein neues Forum. Loewen verlangt vor einem unabhängigen Schiedsgericht 725 Millionen Dollar Schadenersatz vom US-Staat. Tatsächlich geißeln die drei Schiedsrichter im Juni 2003 aufs Schärfste, wie der Mississippi-Prozesse abgelaufen ist. Ja, Loewen sei Unrecht widerfahren. Abgewiesen wird die Klage trotzdem. Der Grund: Die Kanadier hätten nicht den ganzen Instanzenzug in den USA durchlaufen (wie auch?). Und weil die Kanadier inzwischen tatsächlich pleite sind, sei das Schiedsgericht gar nicht mehr zuständig.
Druck auf den Richter
Ende 2004 erzählte Abner Mikva, der von den USA in diesem Fall bestellte Schiedsrichter, offenherzig, was ihm vor dem Verfahren ein Vertreter aus dem US-Justizministerium erklärt habe: "Sie wissen schon, Richter – geht dieser Fall verloren, könnten wir auch NAFTA verlieren."
Seine Antwort habe gelautet: "Wenn Sie mich unter Druck setzen wollten, dann ist Ihnen das gelungen." Damals sei in der US-Öffentlichkeit kaum jemandem bewusst gewesen, dass solche Klagen unter NAFTA überhaupt möglich sind, so Mikva.
Rechtsprofessor David Schneiderman von der Universität Toronto vermutet somit strategisches Kalkül: Ein Urteil gegen die USA hätte die Schiedsgerichtsbarkeit unter NAFTA insgesamt gefährdet.
Das Tribunal habe bei Loewen "vermutlich falsch entschieden", sagt Schreuer. Der Fall zeige aber, dass "das Rechtssystem in den USA natürlich seine Defizite hat.