Zwischen allen Stühlen

Ein Kommentar von Ralph T. Niemeyer

Am vergangenen Samstag nahm ich an der Friedensmahnwache und Demo in Heidelberg unter dem Motto "Friedenswinter" teil und war froh, daß ich entgegen der von VVN/BdA geäußerten Befürchtung es nicht mit KENisten oder Querfrontlern zu tun hatte.

Gleichwohl hatte ich mit großem Unbehagen im Vorfeld davon Kenntnis genommen, daß von mir hoch geschätzte Persönlichkeiten des Linken Spektrums wie zum Beispiel Wolfgang Gehrcke und Albrecht Müller mit Moustafa Kashefi, alias Ken Jebsen, für dessen Videoportal "KEN FM" Interviews aufzeichnen ließen.

 

Dr. Diether Dehm, MdB (DIE LINKE) & Moustafa Kashefi alias "Ken Jebsen"

Aufnahme von Frank Kopperschläger (https://www.facebook.com/kopperphoto)

 


Da die Achse der Mahnwachen sich von Jürgen Elsässer über jenen unter Pseudonym arbeitenden Journalisten Kashefi und den aus dem politischen Nichts plötzlich aufgetauchten bundesweiten Organisator der Montagsmahnwachen Lars Märholz zu Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke erstreckte, liegt für mich der Verdacht, daß mit dieser Art von Schulterschluß eine Querfront geschaffen werden soll, nahe.


Dies ist für viele unpolitische Menschen oder solche politisch motivierte Aktivisten für die es "kein Rechts-Links-Schema" gibt und die sich nicht als Sozialisten verstehen, vermutlich hinnehmbar und vielleicht sogar wünschenswert.

Für Sozialdemokraten jedenfalls dürfte es keinerlei Problem darstellen, da die vergangenen 100 Jahre ja gezeigt haben, daß Querfront-Bestrebungen in der "Sozialdemokratie" quasi Programm sind.


Sozialdemokraten, das sieht man zu Kurt Tucholsky's  wie zu unseren Zeiten, versuchen sich damit zu rechtfertigen "Schlimmeres verhindert zu haben", wie Tucholsky vor annähernd 100 Jahren feststellte. Was es damals schlimmeres geben konnte, als die Zustimmung zu den Kriegskrediten und damit zum 1. Weltkrieg, oder heutztage die Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und die Bevölkerung in der Ostukraine, ist nicht ersichtlich.

Was aber sollen wir Sozialisten in der Partei DIE LINKE mit Querfrontlern anfangen? Sollen wir auf den fahrenden Zug aufspringen, weil es DIE LINKE versäumt hat, selber eine aktive außerparlamentarische Bewegung aufzubauen, so wie wir es hier in Heidelberg seit 10 Jahren mit den Montagsmahnwachen gegen Hartz IV erleben, an denen ich immer wieder teilgenommen habe, eben weil es in Heidelberg wie vielerorts keine rechte Unterwanderung gegeben hat? Sollen wir wie Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke uns neben Ken Jebsen einreihen? Für Sozialisten ein hartes Brot.

 

Sozialdemokraten haben nicht den Anspruch, das System zu überwinden, sondern sie wollen es humaner machen, scheitern aber immer wieder derartig grandios, daß sie in Wahrheit einen Bärendienst erweisen. Wir Sozialisten wollen den Kapitalismus abschaffen. Schnittmengen sehen anders aus.



Vielleicht liegt es daran, daß DIE LINKE keine explezit sozialistische Partei ist, aber von vielen als solche mißverstanden wurde und wird, bloß weil wir Sozialisten und Kommunisten in ihr noch unsere Heimat haben. Die PDS war vor der Vereinigung mit der WASG längst auf refomerischem Kurs, konnte damit allerdings selbst in Mecklenburg - Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Berlin und anderen Landesteilen keine Maus mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Die WASG wurde unter anderem von enttäuschten SPD-Mitgliedern, Anhängern, linken Aktivisten und Gewerkschaftern gegründet. Wieviel Sozialismuspotential darin steckt, ist nach wie vor nicht auszumachen.


Bei beiden Parteien ist auch nach der Vereinigung zur Partei DIE LINKE von Klassenkampf immer weniger zu spüren, sogar in zahlreichen Strukturen des Jugendverbandes.


Die Übrwindung des kapitalistischen Systemes durch eine Querfront herbeizusehnen wäre aus meiner Sicht fatal. Ob es uns Sozialisten in der LINKEN gelingt die Neurechten im Friedenswinter 14/15 zu marginalisieren ist nicht auszumachen, weil wir in unserer Partei offensichtlich zwischen allen Stühlen sitzen.

Von einer glühenden Ken Jebsen - Verehrerin habe ich dies per eMail bekommen: "Dass der real existierende Holocaust zu PR Zwecken missbraucht wird, ist wohl nicht von der Hand zu weisen - Du hast da offensichtlich nen semantischen Dreher im Verstaendnis - aber es ist ja ueblich, mittels Antisemitismusvorwuerfen zu agitieren - schade, dass Du Dich da nicht unterscheidest".

Meine Antwort: "Ohje, glaubst Du das wirklich? Also wenn ich jemals die Verbrechen des Stalinismus auf diese Art relativiert hätte und den Nachkommen der Opfer und den Gegnern des Sozialismus vorwerfen würde, diese zu PR-Zwecken zu instrumentalisieren, dann würde ich zu Recht mit Schimpf und Schande überschüttet."
 

Wir haben es also wirklich mit einer Truppe von Holocaust-Relativierern
zu tun, die einigermaßen zivil daherkommen und nicht wie die üblichen
Rechten. Aber: Relativierung des Holocaust ist der erste große Schritt
zu dessen Leugnung.

 

Historische Vergleiche sind stets falsch. Man kann nicht tote Indianer ins Feld führen gegen tote Juden, tote Sklaven gegen
tote Palästinenser, denn zwangsläufig trampelt man auf Gräbern von Opfern herum, die das Recht haben wenigstens ohne relativierende
Vergleiche als solche gesehen zu werden. Ebenso habe ich immer gesagt, daß wer die Mauertoten wirklich respektiert, sie nicht in der politischen Auseinandersetzung mißbrauchen wird.

 

Es rächt sich an dieser Stelle, daß DIE LINKE viel zu wenig in außerparlamentarischen Bewegungen verankert ist. Ein paar Photos von Mandatsträgern mit Bannern auf Facebook zu posten und ansonsten zu glauben, man könne sich an die Spitze einer Bewegung setzen und damit die Richtung vorgeben hat sich schon bei Occupy als Trugschluß erwiesen.

 

Den von Verfassungsschutz offensichtlich unterstützten und von Qualitätsmedien beworbenen rassistischen Aufmärschen "PEGIDA" kann eine Querfront nicht Einhalt gebieten. Ein bißchen mehr braucht es schon, um Revolution zu machen.

Ich sitze lieber zwischen allen Stühlen, als daß ich auf der falschen Seite stehe.