Linke-Friedenspartei: An der Seite der Kurden? Gysi lehnt Militäreinsatz der BW ab 

In der Linkspartei mehren sich Rufe nach Waffen- und Militärhilfe. Dabei geht es weniger um die Rettung von Kobani als um rot-rot-grüne Machtperspektiven

Rüdiger Göbel

 

Mit ihrem Aufruf »Kobani retten!« haben 14 prominente Linke-Politiker, darunter zwölf Bundestagsabgeordnete, in der vergangenen Woche einen erneuten Versuch gestartet, die friedenspolitischen Grundsätze ihrer Partei zu entsorgen. Gegen den »barbarischen Feldzug« der Miliz »Islamischer Staat« (IS) in Syrien und im Irak sei ein militärisches Vorgehen notwendig und richtig, bekunden die Unterzeichner – zu denen die stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch und Jan Korte, der Obmann im Auswärtigen Ausschuss, Stefan Liebich, sowie Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau gehören.

Aus der »Basis« wird jetzt Unterstützung organisiert. Der Aufruf »Solidarität mit den Kurden und religiösen Minderheiten in Syrien und im Irak. Ja zu militärischer Hilfe und Waffenlieferungen« versucht, dem Ganzen ein linkes Mäntelchen umzuhängen. Die Initiative werde im Internet bereits von 160 Einzelpersonen unterstützt, »hinzu kommen 40 weitere Einzelpersonen, die dies offline uns mitgeteilt haben«, erklärte am Wochenende der Berliner Linke Sascha Schlenzig. Ziel der Kampagne sei, noch im Oktober über 1000 Unterstützer zu gewinnen, »vornehmlich aus dem Spektrum der Mitgliedschaft und Sympathisanten der Partei Die Linke«. Damit solle der Druck verstärkt werden, »sich unserer Position anzuschließen« – die da lautet: »Die Linke soll ihre pazifistische Grundhaltung überdenken.« Schlenzig, im Internet ob der Vielzahl seiner Kommentare berüchtigt und gefürchtet als »Power-Poster«, ist Vorsitzender des Ortsverbandes der Linken in Pankow-Nordost. Früher agitierte er als Sascha Kimpel im »Revolutionär-Sozialistischen Bund« (RSB) und in der »Internationalen Sozialistischen Linken« (ISL), die beide zur trotzkistischen »Vierten Internationale« gehören, jetzt macht er Werbung für Parteirechte. »Stefan Liebich steht auf der richtigen Seite. An der Seite der Kurden«, wird da etwa per Facebook das Mitglied der elitären »Atlantik-Brücke« gefeiert.

Keine pazifistische Partei

Die Linke sei in ihrem Programm keineswegs auf eine pazifistische Grundhaltung festgelegt, behauptet Schlenzig, und rechtfertigt damit seinen Vorstoß für Waffenlieferungen und »Militärhilfe« an kurdische Gruppen im Irak und in Syrien. »Der Krieg gegen den IS« stehe erst am Anfang, und es gebe bisher »kein überzeugendes Szenario«, wie die Dschihadisten »ohne Waffengewalt und Unterstützung des Westens zurückgedrängt und besiegt werden« können. »Die kurdischen Organisationen fordern eine Intensivierung des Engagements des Westens«, heißt es beim Pankower Interventen weiter. Und: »Die Linke erklärt sich zwar solidarisch mit dem Kampf der Kurden, schreckt jedoch vor der Unterstützung der militärischen Aktionen der USA und der Anti-IS-Koalition zurück. Dieser Widerspruch wird sich mit zunehmender Dauer gegen die Partei Die Linke wenden.«

»Appell der 200« hat Fitness-Lehrer Schlenzig hochtrabend den Versuch übertitelt, das Linke-Programm mit Verweis auf den Kampf und das Leid der Kurden zu schleifen und die Partei auf Regierungstauglichkeit zu trimmen. Den Wankenden in der eigenen Partei wird erklärt: »Die Tatsache, dass die Mitverursacher dieser Situation im Irak, die USA und Großbritannien, wieder Kriegsparteien sind, lässt viele zweifeln, ob es richtig ist, sich mit dem Kampf der Kurden zu solidarisieren. Wir alle wissen, welche Rolle die USA und Großbritannien in den letzten zehn Jahren im Irak gespielt haben. Und dass viele westliche Länder, einschließlich Deutschlandes, in vielen Regionen dieser Welt aufgrund ihrer militärischen Präsenz, ihrer Rüstungsexporte und ökonomischen Interessen eine Politik betreiben, die wir ablehnen. Doch wir nehmen zur Kenntnis, dass die USA, Großbritannien, Frankreich und viele andere Länder der Anti-IS-Koalition in der konkreten Situation der Bedrohung durch den IS etwas Richtiges machen: den Kurden und der irakischen Bevölkerung beiseite zu stehen. Denn auch wir finden es richtig, den IS militärisch aus der Luft und am Boden zu bekämpfen.«

Mit der Mehrheit der Rüstungsexporte würden in der Regel Unterdrückung und das Töten unschuldiger Menschen legitimiert. In diesem Fall sei das nicht so. »Aus diesen Gründen sind wir der Auffassung, dass es richtig ist, dass die CDU-SPD-Regierung sich für Waffenlieferungen an die Kurden entschieden hat. Diese Waffen sollen den von dem IS-Terror bedrohten Menschen helfen. (…) Ein Erfolg der Kurden und der mit ihnen Verbündeten FSA (Freie Syrische Armee, jW) gegen den IS kann auch das Assad-Regime ins Wanken bringen. Denn es war nicht zuletzt Assad, der nicht nur sein Volk massakriert und Millionen in die Flucht geschlagen hat, sondern auch den IS so stark hat werden lassen.«

Kontraproduktive Luftangriffe

Der letztgenannte Unsinn wird auch von Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied des Parteivorstands, vertreten. Am Wochenende hatte die Linke-Politikerin, deren Netzwerk »Marx 21« in der Vergangenheit in der Partei ganz im Sinn der Aufständischen in Syrien argumentiert hatte, allerdings nicht deshalb für Negativschlagzeilen gesorgt, denn mit der »linken« Sicht liegt sie ja ganz im Mainstream. Häme, Hohn und Hass erntete die Linke, weil sie – im Gegensatz zu Bartsch, Liebich, Schlenzig und Co. – ein Ende der US-Luftangriffe in Syrien und im Irak gefordert hatte. »Über Sieg und Niederlage im Krieg entscheidet nicht die bloße militärische Stärke«, so Buchholz. »Es handelt sich um eine soziale Frage. Die US-Luftbombardements haben den IS politisch gestärkt. Denn zahlreiche Syrer, die in den vom Assad-Regime befreiten Gebieten leben, fühlen sich durch sie bedroht.« Die US-Luftbombardements hätten in Syrien allein in der ersten Woche mindestens 22 Zivilisten getötet und die Getreidespeicher der Stadt Manbidsch in der Provinz Aleppo zerstört. In derselben Woche habe der IS in der Provinz mehr als 200 neue Kämpfer gewinnen können. »Diese Entwicklung droht die Reste der Revolution zu zerstören, die 2011 gegen das Assad-Regime begann.« Der »Islamische Staat« könne nur geschlagen werden, »wenn er innerhalb der sunnitischen Bevölkerung im Irak und Syrien auf massiven Widerstand stößt«. Buchholz: »Luftangriffe durch imperialistische Staaten sind diesbezüglich politisch kontraproduktiv.« Hingegen helfe der Widerstand der Kurden. »Denn damit ermutigen sie alle, gegen Unterdrückung zu kämpfen – ob durch den IS oder die Regime in Syrien und Irak.«

Klartext kam da am Wochenende vom früheren Linke-Vorsitzenden Oskar Lafontaine in einem Gastbeitrag des Tagesspiegel (»Gegen den globalen Interventionismus von USA und NATO!«). »Wer heute US-geführte Militäreinsätze in der Welt mit eigenen Truppen oder mit Waffenlieferungen unterstützt, lässt sich in eine US-Außenpolitik einbinden, die seit dem Zweiten Weltkrieg eine Blutspur mit Millionen Toten um den Erdball gezogen hat. Es geht bei den Diskussionen um die Beteiligung der Bundeswehr an den Militärinterventionen der letzten Jahre nicht in erster Linie darum, Menschenleben zu retten, sondern im Kern um die Frage, ob die Bundeswehr diese Außenpolitik der USA zur Sicherung von Rohstoffen und Absatzmärkten unterstützt.« Das immer wieder vorgebrachte Argument, man könne doch nicht tatenlos zusehen, wenn Menschen leiden und sterben – auch im »Appell der 200« und in »Kobani retten!« ist davon die Rede –, sei, so Lafontaine, »heuchlerisch und verlogen«. Die »westliche Wertegemeinschaft« sehe »täglich mehr oder weniger tatenlos zu, wie Menschen verhungern und an Krankheit sterben«.

Lafontaine erinnert an die Maxime im Grundsatzprogramm: »Die Linke ist eine internationalistische Friedenspartei, die für Gewaltfreiheit eintritt.« Diese gelte, auch wenn »seit Jahren Gregor Gysi und einige von den Medien als ›Reformer‹ gewürdigte Politiker der Linken« versuchten, »das Vermächtnis Karl Liebknechts aus der Programmatik zu entsorgen«. Dabei schielten sie auf eine Regierungsbeteiligung in einer rot-rot-grünen Koalition.

 

Für eben dieses Ziel, muss man zugespitzt sagen, würde so mancher in der Linken bis zum letzten Kurden kämpfen. Am Ende wäre die einzige Friedens- dann auch Systempartei.

Militärisch heraushalten

Deutschland ist »nicht privilegiert« und »keine Weltmacht« – mit teilweise überraschenden Feststellungen hat Gregor Gysi, der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, am Dienstag begründet, warum sich die BRD nicht an der US-geführten Intervention in Syrien beteiligen soll:

Während ich diesen Text schreibe, ist das Schicksal der kurdischen Stadt Kobani unklar. Aber die Situation von Kobani, eingeklemmt zwischen der türkischen Armee und den mörderischen Söldnertruppen des »Islamischen Staates« (IS) wirft ein Schlaglicht auf die politische und moralische Verfasstheit des Westens, der sich gern als Wertegemeinschaft interpretiert sehen will. Die Türkei treibt ihr eigenes Spiel. Eine Intervention mit ihren Truppen kommt für sie erst in Frage, das kommuniziert sie in Richtung Washington, wenn sie gegen Assad Krieg führen darf. Derweil blockiert sie Nachschubwege für die Kurden, lässt aber nach wie vor potentielle IS-Kämpfer unbehelligt passieren. Auch die Nachschubwege für den IS scheinen nach wie vor intakt zu sein. Das Schicksal der Kurden ist der Türkei keinesfalls gleichgültig; sie scheint es zu begrüßen, dass die PKK und die mit der PKK verbündete PYD durch die Kämpfe mit dem IS zumindest erheblich geschwächt werden. Aber die übrigen NATO-Staaten – also die USA und Europa – scheinen diese schweren Menschenrechtsverletzungen zu tolerieren.

Ich konstatiere ein schweres Versagen des Westens – gemessen an seinen eigenen Wertvorstellungen. Eine Wertegemeinschaft ist die NATO jedenfalls nicht mehr, sondern ein Interventionsbündnis. Aber es gibt auch ein weiteres Versagen. Der UN-Sicherheitsrat ist nach der UN-Charta insbesondere und ausschließlich dafür zuständig, auf Gefährdungen des Friedens in angemessener Weise zu reagieren. Im Sicherheitsrat gibt es die fünf privilegierten Vetomächte, gegen die kein Beschluss zustande kommt. Das impliziert auch eine besondere Verantwortung dieser Mächte. Dass der Sicherheitsrat nicht wirklich aktiv wird, ist Ausdruck großer Verantwortungslosigkeit.

Natürlich kennen wir die politischen Gründe, die eine Einigungsfähigkeit erschweren. Unter diesen Gründen findet sich die Haltung zum Assad-Regime, auch die sehr angespannten Beziehungen der USA zu Russland spielen eine Rolle. Aber ist es wirklich zu viel verlangt, dass sich die Mächte USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien darauf verständigen müssen, was jetzt gegen den IS unternommen werden muss und kann? Und wenn sie handeln, auch militärisch, müssen sie ausschließlich gemeinsam handeln, damit sich ihre unterschiedlichen Interessen ausgleichen. (…)

Militärisch hat Deutschland sich völlig herauszuhalten. Dieses Land ist nicht privilegiert, es ist keine Weltmacht, und es hat auch eine andere Geschichte.

www.linksfraktion.de

Kobane retten – aber wie?

Zur Lösung des Konfliktes in Syrien und im Irak gibt es verschiedene Ansätze – auch innerhalb der Linken.

Selbstverständlich wehrt sich der linke Flügel der Partei DIE LINKE gegen Versuche, die dramatische Situation in der Region Rojava dafür zu nutzen, die Antikriegshaltung der Partei aufzugeben (Aufruf Forum demokratischer Sozialismus).

In der Jungen Welt analysiert Karin Leukefeld den westlichen Plan einer Neuordnung des Mittleren Ostens. Das Netzwerk Marx 21 fordert: Solidarität mit Kobane! Nein zur Intervention des Westens! Claus Ludwig und Sascha Stanicic von der Sozialistischen Alternative SAV skizzieren Perspektiven für eine sozialistische Demokratie in der Region: Kobane retten – aber wie?

Einen lesenswerten Überblick über die Debatten innerhalb der Partei DIE LINKE liefert Rüdiger Göbel:Auf der Seite der Kurden?

http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=649#more-649

https://www.jungewelt.de/schwerpunkt/der-seite-der-kurden