Keine Stromsperren und Sozialtarif für alle 

Die Idee der Parteivorsitzenden der Linken einen Prepaid-Stromzähler auf Guthabenbasis einzuführen ist gar nicht gut und eine Schnapsidee, zumal der Zähler selber 400 €uro extra kostet, die sozial Benachteiligte kaum zusätzlich aufbringen können.

Das führt lediglich zu lautlosen und institutionalisierten Stromsperren, die immer dann greifen, wenn das Guthaben verbraucht und am 20. des Monats kein Geld zum Aufladen des Guthabens vorhanden ist.  

Die Zahl der Haushalte, die von der Energieversorgung abgeschnitten werden, steigt kontinuierlich an. Während Energieversorgungsunternehmen in Deutschland restriktiv gegen Schuldner vorgehen, haben zahlreiche andere Länder soziale Standards eingerichtet, die eine Grundversorgung sichern. Der Bund der Energieverbraucher fordert angesichts der Preisentwicklung auf dem Energiemarkt einen Sozialtarif.

Immer häufiger kommen Kunden mit der Bezahlung ihrer Strom- oder Gasrechnung in Verzug. Vor allem die explodierenden Kosten der letzten Jahre können viele mit ihrem Einkommen nicht mehr bewältigen. Nach Schätzungen des Bunds der Energieverbraucher wird bundesweit jährlich etwa 800.000 Privathaushalten der Strom und knapp 400.000 das Gas abgestellt. Der Vorsitzende des Bunds der Energieverbraucher, Aribert Peters, hält dies für einen Skandal: „Die deutschen Versorger gehen weit radikaler gegen ihre Kunden vor, als irgendwo anders in Europa. Und die Politik weigert sich, zumindest den gemäß EU-Richtlinien vorgeschriebenen Mindestschutz für Verbraucher in deutsches Recht umzusetzen.“

Das Problem wächst von Jahr zu Jahr. Bereits 2006 ermittelten die Hanseatische Inkasso-Treuhand GmbH und die Unternehmensberatung Nordsan bei einer Befragung von 23 Stadtwerken, dass deren Tarifkunden pro hundert Zähler zwischen 11 und 80 Mahnungen jährlich zugestellt werden. Hochgerechnet auf rund 40 Millionen Haushalte macht das jährlich 15 Millionen Zahlungsaufforderungen. Wenn die Schuld 95 Euro oder mehr beträgt, erfolgt nach fünf Wochen die Sperrung. Während die Quote der Sperrungen in westdeutschen Bundesländern eher gering ausfällt, ist sie in den neuen Bundesländern und in Städten mit größerem sozialen Gefälle vergleichsweise hoch. In Berlin hat sich die Zahl der Sperrungen von Gasanschlüssen im vergangenen Jahr mit 3200 mehr als verdoppelt. Bei den Stromkunden waren es laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa bereits 2005 knapp 25.000 Haushalte.

In Frankreich haben sich Regierung und nationale Stromversorger bereits 1996 auf eine Charta mit dem Titel „Energie-Solidarität“ verständigt. Demnach sollten sich bei Schulden zunächst Sozialdienste einschalten können. Im Jahr 2000 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das den Zugang zur öffentlichen Infrastruktur festschreibt: „Jede Person in besonderen Schwierigkeiten hat Anspruch auf Hilfe der Gemeinschaft zur Lieferung von Wasser, Energie und Telefon in der Wohnung. Bei Nichtbezahlung der Rechnung bleibt die Versorgung so lange aufrechterhalten, bis über den Antrag auf Hilfe entschieden worden ist.“ Ein Hilfsfonds unter Beteiligung staatlicher Stellen sowie Strom-, Gas- und Wasserversorgern tilgt nach Prüfung die Schulden bedürftiger Haushalte.

 

Deutschland ist Entwicklungsland

Auch in Deutschland werden Stimmen lauter, die wirksame Hilfe für Bedürftige verlangen: „Kein Licht, kein heißes Wasser, kein Radio, keine warmen Mahlzeiten mehr – das Kappen der Stromversorgung darf nicht länger bittere Realität für Kunden sein, die einer Zahlungsaufforderung aus eigener Kraft nicht mehr nachkommen können“, verlangte Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen, anlässlich des Weltverbrauchertags am 15. März 2008. Politik und Energiekonzerne müssten ein Verbot von Stromsperren für einkommensschwache Haushalte und die verbindliche Einführung von Sozialtarifen beschließen. „Energieversorgung ist fester Bestandteil allgemeiner Daseinsvorsorge und muss für jeden Menschen gewährleistet sein – dies steht bereits im Entwurf der EU-Charta zu Rechten der Energieverbraucher“, so Müller.

EU-Richtlinie seit 2003 in Kraft

In Artikel 3 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt heißt es: „Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, einschließlich Maßnahmen zur Vermeidung eines Ausschlusses von der Versorgung (...). Dies gilt nicht zuletzt für Empfänger von Transferleistungen.“ In einer Untersuchung des Heidelberger Instituts für Energie- und Umweltforschung wird festgestellt, dass die gestiegenen Energiekosten trotz erheblicher staatlicher Transferzahlungen für Haushalte mit geringsten Einkommen wie ALG II, Sozialgeld und Sozialhilfe eine zusätzliche finanzielle Belastung darstellen. „Die Energiekostensteigerungen werden durch die Form der Leistungserstattung nur teilweise ausgeglichen. Während der im Regelsatz zugrunde gelegte Berechnungsansatz zur Deckung der Kosten für Haushaltsstrom kaum ausreicht, um die steigenden Stromkosten abzufangen, müssen die Heizkosten in der Regel in voller Höhe von den Kommunen übernommen werden. Die Preissteigerung bei Haushaltsstrom führt damit zu einer zusätzlichen Kostenbelastung der Leistungsempfänger“, so das Institut.

Sozialtarif für alle

Obwohl die EU-Richtlinie soziale Standards verlangt, fehlt nach wie vor ein entsprechender Passus in der deutschen Energiegesetzgebung. Der Bund der Energieverbraucher fordert deshalb die Einführung eines Sozialtarifs für alle Strom- und Gaskunden. Danach soll eine bestimmte Strom- oder Gasmenge, zum Beispiel 1000 Kilowattstunden jährlich oder drei Kilowattstunden täglich, für jeden Anschluss kostenlos zur Verfügung stehen. Darüber hinaus soll der Arbeitspreis angepasst und der obligatorische Grundpreis ersatzlos gestrichen werden.

Vielleicht greifen außerparlamentarische Initiativen anlässlich des 60. Jahrestags der Verabschiedung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der UNO vom 10. Dezember 1948 das Thema auf. Dort heißt es in Artikel 25 Absatz 1: „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet.“ Diese Richtlinie schließt Strom- und Gassperren aus. Denn mit ihrem Beitritt zu den Vereinten Nationen haben alle UNO-Mitgliedsstaaten – und damit auch die Bundesrepublik – diese Erklärung anerkannt.