Staatsterror? - VS-Agent "Tarif": Verfassungsschutz hat das Untertauchen des NSU-Trio mitorganisiert
Nachdem seit langer Zeit bekannt ist, dass Teile des NSU Trio um Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vom V -Mann Führer des Verfassungsschutzes und Bau Unternehmer Marschner wohl gesteuert wurden, werden jetzt weitere direkte Kontakte des westdeutschen Geheimdienstes mit dem Nazi-NSU-Terrror-Trio bekannt.
Ein weiterer V- Mann der rechten Szene will jetzt vor dem NSU Untersuchungsausschuß in Hessen aussagenn. Oft staben Zeugen nach diesem Wunsch - bleibt zu hoffen, dass dieser Zeuge die Vernehmung lebendig erlebt.
Die Identität des Stasi IM - sorry ich meine des VS- Spitzel - soll geheim bleiben. Dabei ist die Identität des Zeugen öffentlich bekannt. Er heißt Michael von Dolsperg, hieß vor seiner Eheschließung Michael See, und wurde vom Verfassungsschutz als V-Mann „Tarif“ geführt. Man weiß auch, wie er aussieht und redet. Denn von Dolsperg hat seine Geschichte schon 2014 dem „Spiegel“ und ein Jahr später Fernsehautoren der ARD geschildert. Dafür hat er sich vor der Kamera mit Vollbart und langen blonden Haaren gezeigt und ist auf deutliche Distanz gegangen – zur Naziszene, aber auch zu seinen ehemaligen Auftraggebern vom Verfassungsschutz.
Er arbeitete als Verkäufer, Heilpraktiker, Landschaftsgärtner. Nichts war von Dauer. Konstanten Erfolg hatte der junge Nazi aus Thüringen allein als V-Mann des Inlandsgeheimdienstes. Als Spitzel berichtete er mindestens acht Jahre lang über die militante rechte Szene in Deutschland und wurde zu einer der wichtigsten Quellen des Amtes.
Doch jetzt macht Tarif, der einst Michael See hieß und sich nun Michael von Dolsperg nennt, seinem ehemaligen Auftraggeber Ärger – wie so viele andere V-Männer auch. In einem Exposé mit dem Titel „Enttarnt – Ich hätte den NSU stoppen können“, das der „Welt am Sonntag“ vorliegt, beschreibt Michael von Dolsperg sein Leben als militanter Neonazi und bezahlter Spitzel.
In Tarifs Welt, die Unterzeile des Buchtitels macht das deutlich, gäbe es „zwölf Tote weniger“, hätte der Geheimdienst nur auf ihn gehört –„nämlich die zehn Mordopfer des NSU und die beiden Männer, die sich selber umgebracht haben“. Mit den „beiden Männern“ meint er Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Tarif war jahrelang nah dran an den gefährlichsten Rechtsradikalen Deutschlands. Er selbst bezeichnet sich als „wirklich hohen Kader“.
Er will sich selbst als Spitzel angeboten haben
Tarif behauptet, er habe sich 1994 selbst als Spitzel angeboten, weil er plötzlich aus der Szene habe aussteigen wollen. Fünf Tage „in politischem Unterbindungsgewahrsam“ vor einer großen Demonstration hätten ihn zermürbt. Das Bundesamt sei auf sein Angebot angesprungen, hätte ihn aber gedrängt, in der militanten Szene zu bleiben.Der frühere Neonazi-Kader, der bei der verbotenen FAP war, Kontakte zum Thüringer Heimatschutz pflegte und wegen Körperverletzung zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, lebt in Schweden. Im Februar war „Tarif“ bereits im Untersuchungsausschuss des Bundestags vernommen worden, auch dort unter Ausschluss der Öffentlichkeit – die allerdings per Pressemitteilung über Teile seiner Aussage informiert wurde, was in Hessen selbst nach öffentlichen Sitzungen nicht geschieht.
Was von Tarifs Erzählungen stimmt und was nicht, ist auch deswegen schwer einzuschätzen, da zentrale Akten des V-Manns im Bundesamt gezielt vernichtet wurden. Nur Stunden nachdem sich Beate Zschäpe am 8. November 2011 gestellt hatte, ließ ein hochrangiger Beamter des BfV mit dem Arbeitsnamen Lothar Lingen Akten über Tarif heraussuchen. Wenig später drängte Lingen eine Archivarin, die Akten zu schreddern.
Selbst eine Verhaftung des Trios vor der Wohnung von Seeberg wäre jederzeit möglich gewesen.
Vom Bundesamt für Verfassungsschutz war der Neonazi nach eigenen Angaben ausdrücklich auf Kassel angesetzt. Seine zentrale Aufgabe sei es gewesen, die „Kameradschaft Northeim“ und die „Kameradschaft Kassel“ sowie Kontaktleute rund um Hildesheim zu beobachten, schilderte er nach Informationen der FR im Untersuchungsausschuss des Bundestags. In Kassel habe es „eine ganz, ganz starke und gewaltbereite Hooliganszene“ gegeben. Sie sei „wirklich sehr, sehr gewalttätig“ gewesen, bekräftigte von Dolsperg.
Als Michael See war er in den 90er Jahren Herausgeber einer radikalen Nazischrift namens „Sonnenbanner“ gewesen. Darin sprach er der Bundesrepublik ihre Existenzberechtigung nach einem ähnlichen Muster ab, wie es in der Reichsbürger-Bewegung üblich ist. Es amtiere eine unzulässige Regierung, „da die letzte Reichsregierung durch Inhaftierung und Morde an der Amtsausführung gehindert wurde“. In dem Heft forderte der Neonazi seine Gesinnungsgenossen auf, in den Untergrund zu gehen und „die autonomen Zellen-Strukturen“ aufzubauen. „Wir wollen die BRD nicht reformieren – wir wollen sie abschaffen“, hieß es.
Am Freitag, 19. Mai, von 9.30 Uhr an, wird der Kasseler Oberstaatsanwalt Götz Wied im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss bereits zum zweiten Mal öffentlich vernommen. Danach folgt die Befragung von Ex-Neonazi und V-Mann Michael von Dolsperg unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Zugleich gibt es eine brisante Aussage des Zeugen, die Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe betrifft – den Kern der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Danach erhielt Michael See im Frühjahr 1998 einen Anruf seines Gesinnungsgenossen André Kapke. Der war in Jena im „Thüringer Heimatschutz“ tätig, dem auch das mittlerweile abgetauchte NSU-Trio angehört hatte. Michael von Dolsperg sagte in seinen Interviews und vor dem Bundestagsausschuss, Kapke habe ihn nach einem Unterschlupf für die drei Neonazis gefragt. Er habe geantwortet, er wisse im Augenblick nichts, werde sich aber umhören. Brisant ist vor allem, dass der V-Mann „Tarif“ dies an seinen V-Mann-Führer „Alex“ weitergegeben haben will. Ein Vorwurf gegen den Verfassungsschutz lautet daher, er habe die Chance vertan, das untergetauchte Neonazi-Trio zu fassen, bevor es Morde verübte. Auch Michael von Dolsperg wundert sich darüber.
Kapke bestreitet den Anruf bei Michael See ebenso wie der Verfassungsschutz. „Somit steht nun Aussage gegen Aussage“, stellte der Bundestags-Untersuchungsausschuss fest. Aus den amtlichen Dokumenten lässt sich der Vorgang nicht mehr nachvollziehen. Die Akte „Tarif“ war kurz nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 im Amt geschreddert worden. In einer Version der Akte, die später wieder auftauchte, fehlt nach Angaben der Linken-Obfrau Petra Pau der entscheidende Zeitraum von Januar 1998 bis September 1999.
Aus hessischer Sicht interessant ist eine Antwort, die Zeuge von Dolsperg im Bundestag gab. Die Grüne Irene Mihalic hakte nach, wen man aus von Dolspergs Sicht befragen müsse, um Klarheit über Kapkes damalige Auskunft zu erhalten. Da könne man Corryna Görtz befragen, fiel dem ehemaligen Neonazi darauf ein. Görtz gilt als frühere Verbindungsfrau zwischen der nordhessischen Neonazi-Szene und dem „Thüringer Heimatschutz“, schreibt von Bebenburg für die FR.