100  Jahre Federal Reserve

  • Seit ihrer nebulösen Gründung ranken sich um die US-Notenbank die wildesten Verschwörungstheorien - und die Fed tut wenig dafür, ihr Image zu verbessern.
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Am 23. Dezember jährt sich die Gründung der US-Notenbank Federal Reserve zum 100. Mal. Am Tag vor Heiligabend 1913 unterzeichnete US-Präsident Woodrow Wilson den Federal Reserve Act.

Die Geschichte der mächtigsten Notenbank der Welt beginnt mit einer Geheimmission. In einer Novembernacht im Jahr 1910 treffen sich acht Männer auf einem verlassenen Bahnsteig der Kleinstadt Hoboken, wenige Kilometer vor Manhattan. Einer von ihnen, Senator Nelson Aldrich, hatte die Gruppe zu großer Vorsicht eingeschworen: Redet mit niemandem auf dem Weg, schüttelt die Reporter ab und sagt euren Familien, ihr fahrt auf Entenjagd.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit besteigen die Männer den privaten Eisenbahnwagen von Aldrich. In der Dunkelheit der Nacht tritt er seine Reise an, 1.300 Kilometer nach Süden bis in die Küstenstadt Brunswick, Georgia. Von dort setzen die Männer mit einem Schiff nach Jekyll Island über.

Auf der kleinen Insel liegt der exklusive Jekyll Island Club, in dem sich sonst die reichsten Menschen der Welt zum Jagen, Golfen und Reiten treffen. Die nächsten zehn Tage aber gehört die Insel ganz den sieben Männern, die sich nur mit ihren Vornamen ansprechen werden. Die Bediensteten sollen keinen Hinweis bekommen, wer dort im Salon tagt. Gemeinsam entwerfen sie die Blaupause einer bundesweiten Notenbank für die USA. Es sollte noch drei Jahre dauern, aber dann wird der Plan vom Kongress verabschiedet. Am 23. Dezember 1913 setzt US-Präsidenten Woodrow Wilson den Federal Reserve Act in Kraft.

Gegner der Federal Reserve (Fed) reiben sich bis heute an der nebulösen Gründung und der intransparenten Struktur der Zentralbank auf. Wie kann eine der wichtigsten Institutionen der Neuzeit auf einem Geheimplan fußen statt auf einem demokratischen Prozess? Und sind nicht die Gründerväter Beweis genug, dass die Fed niemals dem amerikanischen Volk, sondern nur der Wall Street dienen sollte?

Letzter Retter im Extremfall

Heute sind diese Fragen wieder aktueller denn je. Denn die Fed hat in den vergangenen 100 Jahren wenig dafür getan, ihr Image zu verbessern. Gerade in der Finanzkrise bewies die Notenbank erneut, dass ihr keineswegs an Transparenz gelegen ist. Sie verweigerte, Details zu den Rettungspaketen für die Finanzbranche zu veröffentlichen. Und auch Ben Bernankes expansive Geldpolitik hilft der Wall Street mehr als den Steuerzahlern.

Die Steuerzahler hatten die Männer 1910 vermutlich auch nicht im Blick, als sie zu ihrer nächtlichen Zugfahrt aufbrachen. Erst viele Jahre nach dem Geheimtreffen sollte die Öffentlichkeit über die Details der Konferenz auf Jekyll Island unterrichtet werden.

Heute weiß man, wer zusammen mit Senator Aldrich zur Operation Entenjagd aufbrach (siehe "Operation Entenjagd"). Gemeinsam repräsentierten die acht Männer ein Viertel des weltweiten Reichtums. Der Vorwurf liegt also nah, dass sie nicht unbedingt das Allgemeinwohl im Auge hatten.

Die Abgeordneten des Kongresses hatten es aber durchaus im Sinn, als sie Aldrich als Kommissionspräsident für ein stabileres Währungssystem einsetzten. Ein Jahr zuvor hatte ein Börsencrash eine schwere Rezession ausgelöst. Viele Bankhäuser brachen zusammen, weil die USA nicht wie andere Staaten über eine Zentralbank verfügten, die die Institute hätte retten könnten.

Kennzeichen Intransparenz

Um das Gesetz im Parlament durchsetzen zu können, musste Aldrich die Macht seiner reichen Verbündeten ausspielen. Mit tatkräftiger Unterstützung der Finanz gewann schließlich der farblose Demokrat Woodrow Wilson die Präsidentschaftswahl im Jahr 1913. Einen Tag vor Heiligabend, als die meisten Abgeordneten längst in den Ferien weilten, unterschrieb Wilson den Federal Reserve Act. Überlieferungen zufolge hat Wilson diese Entscheidung Zeit seines Lebens bereut. Auf dem Sterbebett soll er gesagt haben: "Ich habe mein Land betrogen.“ Sein Schicksal liege fortan "in den Händen einiger, weniger Männer.“

Damals konnte Wilson nicht wissen, dass die Fed in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur führenden Zentralbank des Globus aufsteigen sollte. Zwei Drittel aller Dollarscheine befinden sich heute im Ausland. Gerade wegen ihrer dominanten Stellung erhitzt die ungewöhnliche Struktur der Fed bis heute die Gemüter der Verschwörungstheoretiker. Anders als die Europäische Zentralbank oder die Bank of England ist die Fed keine staatliche Institution.

Das System Fed

Das Federal Reserve System besteht aus zwölf regionalen Zentralbanken, die privatwirtschaftlich geführt werden und rund 3.000 Mitgliedsbanken gehören. Sie bestimmen auch die jeweiligen Führungsgremien der regionalen Fed-Banken mit. Der Einfluss der Finanzbranche auf die US-Zentralbank ist damit weltweit einzigartig.

Dabei übt der Staat ebenfalls Kontrolle auf die Fed aus. Der Fed-Chef und die sieben Mitglieder des Board of Governeurs werden durch den US-Präsidenten ernannt und vom Kongress bestätigt. Das Board überwacht die regionalen Fed-Banken. Seine Mitglieder haben auch die Mehrheit im zwölfköpfigen Offenmarktausschuss der Fed, der die Geldmenge und den Leitzins festsetzt.

Im Vergleich zur EZB hat die Fed also eine Zwitterrolle. Sie handelt nicht nur im Auftrag der Steuerzahler sondern auch der Finanzbranche. Komplexer wird ihre Funktion, da sie - anders als die EZB - nicht nur dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist. Die US-Zentralbank soll auch das Wachstum der Wirtschaft ankurbeln und für maximale Beschäftigung sorgen. Pikanterweise soll sie außerdem die Banken regulieren - und damit ihre Eigentümer überwachen.

Weil die Fed keine Bundesbehörde ist, muss sie wesentlich weniger transparent über ihre Geschäfte berichten. Zwar hat sie mit dem Government Accountability Office (GAO) einen staatlichen Aufseher, dem aber Grenzen gesetzt sind. In den vergangenen Jahren wuchs das Misstrauen gegenüber der Macht der US-Zentralbank.

Lockeres Geld

Gerade in den 19 Jahren unter dem Fed-Chef Alan Greenspan habe sich die Notenbank gefährlich oft vor den Karren der Wall Street spannen lassen, monieren Experten. Greenspan führte von 1987 bis 2006 die Geschäfte der Federal Reserve. Viele Ökonomen und Politiker machen den 87-Jährigen heute für die Finanzkrise verantwortlich. Selbst die offizielle Untersuchungskommission der US-Regierung gibt ihm und den unter ihm umgesetzten Deregulierungen die Hauptschuld für die Krise. Auch seine stoische Niedrigzinspolitik wird von vielen als Dienst für die Wall Street gesehen. Die Investmentbanker wollten nicht, dass die Party an den Aktienmärkten aufhört. Der niedrige Leitzins könnte gleichzeitig einer der Gründe gewesen sein, warum es zu der Blase am Immobilienmarkt kommen konnte.

Greenspan bestreitet die Vorwürfe, muss für seinen Mangel an Selbstkritik viel Häme einstecken. Freunde halten dagegen, die Weltwirtschaft habe der Fed viel zu verdanken. Schließlich erlebten die USA in den vergangenen 100 Jahren nur drei große Wirtschaftskrisen. In den 100 Jahren davor waren es dagegen zwölf, stellten die US-Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff in Untersuchungen zur Finanzkrise fest.

Der Verdruss über die Fed wird immer in jenen Zeiten laut, in denen die Wirtschaft nicht brummt. Mit der Finanzkrise kippte das Image der zuvor bewunderten Fed. Bei einer Gallup-Umfrage im Juli 2009 fanden nur 30 Prozent der Amerikaner, dass die Zentralbank ihre Aufgaben gut erfülle. Von neun bewerteten US-Behörden landete sie damit auf dem letzten Platz. Vier Jahre später sind die Ergebnisse kaum besser.

Transparenz? Überbewertet

Auch während der Amtsjahre von Greenspans Nachfolger Bernanke gab sich die Fed reformresistent. Nachdem das Investmenthaus Lehman Brothers im September 2008 pleite ging, stattete Bernanke die übrigen Banken mit Billionen von Dollar aus. Die US-Nachrichtenagentur Bloomberg forderte Bernanke im Jahr 2008 auf, die genaue Summe zu veröffentlichen. Doch der Notenbanker hielt dagegen. Würde er veröffentlichen, welche Banken nur wegen der Fed-Kredite noch ihre Rechnungen begleichen könnte, "stigmatisiere“ das die Institute.

Die Folgen waren abenteuerlich. Im November 2008 berichtete die Bank of America beispielsweise ihren Aktionären, sie habe eine der stärksten Bilanzen der Welt. Sie vergaß zu erwähnen, dass sie bei der Fed mit 86 Milliarden Dollar in der Kreide stand. Diese Information gelangte nur ans Licht, weil Bloomberg Klage einreichte. Heute weiß man, wie viel Geld die Fed von 2007 bis 2010 in den Bankensektor pumpte: 16,1 Billionen Dollar. Zum Vergleich: Im Jahr 2012 betrug das Bruttoinlandsprodukt der USA rund 15,7 Billionen Dollar.

Kontrolle der Fed

Im US-Kongress gibt es nur wenige Politiker, die sich über diesen Fakt öffentlich echauffierten. Einer davon ist der Republikaner Ron Paul. 2012 verabschiedete das Repräsentantenhaus unter seiner Führung einen Gesetzesentwurf, wonach die Fed durch den Kongress strenger überwacht werden sollte. Das Gesetz schaffte es jedoch nie durch den Senat.

Die Vermutung liegt nahe, dass die wenigsten Politiker in den USA den Mut besitzen, sich mit den Interessen der Wall Street anzulegen. Schließlich kommt von dort ein Großteil der Spendengelder für ihre Wahlkampfkassen. Außerdem lenkt die Fed ein wenig von der Dysfunktionalität Washingtons ab. Weil sich Demokraten und Republikaner seit Jahren gegenseitig blockieren, blieben nötige Reformen auf der Strecke.

Dass die US-Wirtschaft trotzdem wieder wächst, ist auch der expansiven Geldpolitik zu verdanken. Seit 2008 liegt der Leitzins beim historischen Niedrigstand von null bis 0,25 Prozent. Darüber hinaus pumpt die Fed seit fünf Jahren durch Anleihenkaufprogramme Geld in den Markt - seit Dezember 2008 mehr als vier Billionen Dollar für Staatsanleihen und Hypothekenpapiere.

Experten kritisieren, diese Maßnahmen stünden in keinem Verhältnis zum dem Nutzen für die Volkswirtschaft. Einer Berechnung des Investors Pimco zufolge haben die über vier Billionen Dollar den USA nur einen Wachstumsschub von mickrigen 0,25 Prozent gebracht.

Für großes Aufsehen unter Fed-Kritikern sorgte ein vor wenigen Wochen veröffentlichter Gastbeitrag im "Wall Street Journal“. Der Autor Andrew Huszar leitete 2009 und 2010 bei der Fed das Anleihenrückkaufprogramm. Der Artikel beginnt mit den Worten: "Ich kann nur sagen: Es tut mir leid, Amerika.“ Offiziell betone die Fed, mit den Anleihenkäufen sollten die Kreditkosten für Haushalte und Unternehmen gesenkt und die Wirtschaft angekurbelt werden. Doch: "Trotz der Rhetorik der Fed hat mein Programm überhaupt nicht geholfen, Amerikanern Zugang zu Krediten zu geben.“

Stattdessen habe nur die Wall Street profitiert. Die Banken konnten dank höherer Anleihenpreise ihre Bilanzen aufbessern und strichen Kommissionen von der Fed ein. "Das Programm ist das größte Rettungsprogramm für die Wall Street der Geschichte, verschleiert durch die Hintertür“, schreibt Huszar. In der Fed sei man nur noch an der Reaktion der Wall Street interessiert, nicht aber an den Folgen für die Steuerzahler.

Ein Kurswechsel ist nicht in Sicht. Im Februar tritt die langjährige Fed-Vizechefin Janet Yellen die Nachfolge von Bernanke an. Von ihr werden keine großen Überraschungen erwartet. Vermutlich wird sie noch lange an Bernankes expansiver Geldpolitik und den niedrigen Zinsen festhalten. Die Wall Street will es so.

http://www.format.at/articles/1350/525/370451/100-jahre-federal-reserve