Oskar Lafontaine (Linke) fordert(e) schon 2012 Generalstreik in Europa

Der frühere Linke-Vorsitzende Oskar Lafontaine forderte alle Europäer auf, die Arbeit niederzulegen. "Ein europaweiter Generalstreik ist notwendig", schrieb er in einem Beitrag für die "taz"

Arbeitnehmer, Rentner und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes würden "für die Zockereien der Banken und ihrer Kunden in brutalster Form zur Kasse gebeten", monierte er.

Berlin (dapd). Der frühere Linke-Vorsitzende Oskar Lafontaine forderte alle Europäer auf, die Arbeit niederzulegen. "Ein europaweiter Generalstreik ist notwendig", schrieb er in einem Beitrag für die "taz" (Wochenendausgabe). Arbeitnehmer, Rentner und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes würden "für die Zockereien der Banken und ihrer Kunden in brutalster Form zur Kasse gebeten", monierte er. Der Streik biete die Chance, diese Politik zu stoppen.


 Eine solche sozusagen konzertierte Aktion böte die Chance die brutale Politik der Umverteilung von unten nach oben, die volkswirtschaftlich letztlich schädlichen Austeritätsbeschlüsse allerorten zu stoppen und die Fehlentscheidungen von Parlamenten rückgängig zu machen.

Generalstreik also auch in Deutschland?

Zumindest kann man im Netz schon Hinweise auf geplante Soliaktionen betreffs der in Südeuropa vorgesehenen Generalstreiks finden. So stösst man beispielsweise auf eine  in Dortmund geplante Aktion. Am 14. November um 15.00 Uhr ruft Occupy Dortmund mit der Losung  “Für ein solidarisches Europa! Nein zum Europa der Banken und Konzerne!” zu einem Treffen in der Betenstraße in der Dortmunder Innenstadt auf.  Das Thema Politischer Streik ist in Deutschland ein schwieriges, vielleicht sogar ein tabuisiertes Thema. So schrieb etwa Wolfgang Lieb vor längerer Zeit auf den NachDenkSeiten: “Ängste bis ins Gewerkschaftslager hinein löst auch die Forderung nach der Zulassung von „politischen Streiks“ oder sogar die Möglichkeit zum „Generalstreik“ aus. Man mag das vor allem durch die deutsche Rechtsprechung eingeschränkte Streikrecht hierzulande als eine gefestigte Tradition verteidigen, aber in durchaus demokratischen Staaten wie Frankreich oder Italien ist der Streik organisationsunabhängig als individuelles Recht von der Verfassung garantiert und anerkannter Ausdruck der politischen Willensäußerung auch gegen Parlament und Regierung.” Und auf Labournet steht unter der Überschrift.

Das politische Streikrecht muß wieder zu einer Waffe im politischen Kampf werden:

“Der Forderung nach politischem Streikrecht oder Streiks haftet in der deutschen politischen Diskussion etwas Verruchtes, Illegales, Umstürzlerisches an, während dies in anderen Ländern Teil wirtschaftlicher Normalität ist.

Auch wenn die Bundeskongresse von ver.di und jüngst der IG BAU sich zum politischen Streikrecht bekannt haben, gilt der politische, also nicht gegen Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände, sondern gegen den Staat bzw. den Gesetzgeber gerichtete, Streik bis tief ins gewerkschaftliche Denken hinein als illegitim. Woher kommt diese Einschränkung unserer Handlungsmöglichkeiten, und warum müssen wir uns gerade jetzt von ihr befreien?”

Deutschland hat das weltweit restriktivste Streikrecht

Auf der Portal “Politischer-streik.de” erfahren wir: “Die Bundesrepublik Deutschland hat weltweit das rückständigste und restriktivste Streikrecht. Das Streikrecht in Deutschland ist lediglich Richterrecht. Im Grundgesetz (GG) findet sich außer der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 kein konkreter Hinweis. Daraus ist keinesfalls abzuleiten, dass dieses Recht nicht vorhanden ist oder irgendeiner Einschränkung unterliegt. In sieben Bundesländern ist das Streikrecht in den Landesverfassungen verankert.

In den allermeisten Staaten ist das Recht auf Streik durch die Verfassungen und/oder durch Gesetze garantiert und geregelt. In einigen Ländern haben Gewerkschaften dieses Recht durch Tarifverträge zusätzlich abgesichert und zum Teil noch über den Verfassungs- und/oder Gesetzesstatus hinaus verbessert.

Im Jahr 2010 war in der Bundesrepublik Deutschland lediglich nur in einem einzigen Tarifvertrag eine Regelung enthalten, die das Streikrecht ausgeweitet hat. In allen weiteren registrierten 73.958 Tarifverträgen finden sich keine Regelungen zum Streikrecht.”

Sahra Wagenknecht: Der politische Streik als Notwehr

Vielleicht hat der Mann ja recht damit? Womöglich erfordern andere (schlechtere) Zeiten ja nun auch andere (wirksamere) Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Dies bedenkend notierte Sahra Wagenknecht eigentlich folgerichtig: “Die Entwicklung in Südeuropa zeigt, dass der politische Streik als Instrument der Notwehr unersetzlich ist. Was die EU und der Internationale Währungsfonds von Staaten wie Griechenland oder Portugal verlangen, hat mit neutralem Krisenmanagement nichts zu tun, sondern ist brutaler Klassenkampf von oben. Gekürzt und gestrichen wird nur bei der einfachen Bevölkerung, erhöht werden lediglich die Verbrauchssteuern, während hohe Einkommen und Vermögen verschont, Unternehmen sogar entlastet werden. Damit nicht genug: Um noch drastischere Lohnkürzungen durchzusetzen, sollen die Beschäftigten und ihre Organisationen geschwächt und entrechtet werden. In einer solchen Situation können politische Streiks das letzte Mittel zur Selbstverteidigung sein.”

Oskar Lafontaines Aufruf zum europaweiten Generalstreik geht durchaus in die richtige Richtung, weil er dazu motivieren will, aus dem katastrophalen Ist-Zustand des Sozialen in Europa die richtigen Schlüsse zu ziehen: Nämlich sich solidarisch Hand in Hand gegen die Zumutungen der Herrschenden, die Machenschaften der Zockerbanken, gegen zerstörende Sparpolitiken, gegen die schleichende Zerstörung der Demokratie und die zunehmende Umverteilung von unten nach oben zur Wehr zu setzen. Damit das Mittel des politisches Streiks jedoch einmal entsprechende Wirkmächtigkeit in einem Land wie Deutschland mit stark unterentwickelter Widerstandskultur zu entfalten kann, braucht es ein Mehr an Diskussion und an gesellschaftlicher Übereinkunft. 

Währenddessen wird die neoliberale Austeritätspolitik gegenüber Griechenland weiter auch von der Bundesbank weiter gepredigt.

 Bundesbank-Präsident Jens Weidmann rechnet mit weiteren Finanzhilfen für Athen. "Die Politik hat sich offenbar entschieden, Griechenland weiter zu finanzieren", sagte Weidmann der "Rheinischen Post". Die Hilfen sollten aber nur fließen, wenn die Experten der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds "ungeschminkt und ehrlich" feststellten, dass das Land auf Dauer seine Schulden tragen könne und die verabredeten Reformen umsetze.

Es sei allerdings ein Problem, die Programmerfüllung objektiv zu bewerten, wenn man die Folgen eines negativen Urteils scheue. Er setze aber darauf, dass dies der Troika gelinge. Denn der Reformdruck auch auf die anderen Krisenstaaten müsse Aufrecht erhalten werden.

Weidmann sprach sich zudem gegen einen EZB-Schuldenschnitt für Griechenland aus. "Die Notenbanken dürfen Griechenland die Schulden nicht erlassen, das wäre ein direkter Transfer und käme damit einer verbotenen monetären Staatsfinanzierung gleich", sagte Weidmann. Auch ein Forderungsverzicht der Gläubigerstaaten löse das Problem alleine nicht. Griechenland müsse sich grundlegend reformieren und seine Staatsfinanzen wieder dauerhaft selbst tragen können. "Nur dann kann ein Schuldenschnitt wirklich helfen."

Also neben der Poltik sind auch die Zentralbanken offensichtlich nicht lernfähig. Stattdessen wird rechtspopulistische Hetze gegen Griechen forgesetzt.  

Auszüge von Claus Dieter Stille, Readers Edition  

 

9.11. 1918: Tag der Novemberrevolution in Deutschland: Die Macht der Räte 

 

ZEITZEICHEN : 9.11.1918 - 95 Jahre Novemberrevolution - SPD läßt auf Arbeiter schießen - Scheidemann ruft die bürgerliche, Karl Liebknecht die sozialistische Republik in Deutschland aus

 
Mit dem Aufstand der Matrosen und Arbeiter am 3.11.1918 in Kiel beginnt die Novemberrevolution. Am 6. November greift die revolutionäre Bewegung auf Wilhelmshaven über. Matrosen vom Linienschiff 'Prinzregent Luitpold' an Deck des Schiffes mit der Tafel 'Soldatenrat Kriegsschiff Prinzregent Luitpold. Es lebe die sozialistische Republik'.
Mit dem Aufstand der Matrosen und Arbeiter am 3.11.1918 in Kiel beginnt die Novemberrevolution. Am 6. November greift die revolutionäre Bewegung auf Wilhelmshaven über. Matrosen vom Linienschiff "Prinzregent Luitpold" an Deck des Schiffes mit der Tafel "Soldatenrat Kriegsschiff Prinzregent Luitpold. Es lebe die sozialistische Republik". (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-J0908-0600-002 / CC-BY-SA)
 
Karl Liebknecht, der 1919 zusammen mit Rosa Luxemburg unter Zustimmung der damaligen SPD-Reichsregierung von rechtsradikalen Freikorpsoldaten ermordet wurde, bei einer Massenkundgebung 1918 im Berliner Tiergarten.
Karl Liebknecht, der 1919 zusammen mit Rosa Luxemburg unter Zustimmung der damaligen SPD-Reichsregierung von rechtsradikalen Freikorpsoldaten ermordet wurde, bei einer Massenkundgebung 1918 im Berliner Tiergarten. (Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-P046271 / Weinrother, Carl / CC-BY-SA)
Dortmund: Karl-Liebknecht-Straße |

Der 9. November wird in Deutschland mit den Mauerfall 1989 oder der Reichspogromnacht 1938 in Verbindung gebracht. Nicht aber mit der Novemberrevolution 1918. Die Novemberrevolution ist der Teil der deutschen Geschichte, der leider bei vielen Menschen in Vergessenheit geraten oder gänzlich unbekannt ist. Dabei war diese Revolution ein herausragendes Ereignis deutscher Geschichte.

1918 war der Erste Weltkrieg der Ausgangspunkt für Massenbewegungen der Soldaten, Matrosen und Arbeiterinnen, die für die Beendigungen des Krieges in den Hafenstädten auf die Straße gingen. In Bremen, Hamburg und München wurden sogar Räterepubliken ausgerufen. Im Januar gab es einen Generalstreik, bei den 100.000 Arbeiter auf die Straße gingen. Als dann im November 1918 die Oberste Heeresleitung ihre Kriegsschiffe in ein aussichtsloses Seegefecht führen wollte, meuterten die Matrosen, nahmen die Offiziere gefangen und übernahmen die Befehlsgewalt und riefen die ersten Räte aus. Der Kaiser und seine Fürsten wurden damit entmachtet. Es entstanden in vielen Orten in Deutschland Arbeiter&Soldaten-Räte.

Gustav Noske (SPD): "Einer muss der Bluthund sein!"


Die Frage war nun, ob der politischen auch die soziale Revolution (Umwälzung der Eigentumsverhältnisse) folgen würde. Sie blieb aus. Die SPD nahm eine verräterische Rolle ein, indem sie der Bewegung der Arbeiterinnen und Soldaten in den Rücken fiel und mit den alten Machthabern und korrupten Eliten zusammenarbeitete, um eine bürgerliche Demokratie samt Erhalt der alten Eigentums- und Produktionsverhältnisse durchzusetzen und diese alten Mächte dafür zu gewinnen. Letztlich dankte es die Reaktion den Sozialdemokraten nicht. Der Verrat der SPD sollte die Spaltung der Arbeiterbewegung für die nächsten 100 Jahre zementieren und war auch ein entscheidender Grund dafür, dass die beiden Arbeiterparteien keine gemeinsame Strategie gegen den Nationalsozialismus entwickeln konnten. Die SPD hatte eine bürgerliche Republik errichtet, die soziale Revolution verhindert und damit -sicherlich ungewollt- den Deutschnationalen und den Nazis den Weg geebnet. 

Neben der linken SPD-Abspaltung USPD scherten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aus, gründeten den Spartakusbund (später KPD) und kämpften für die soziale Revolution. Während sie es auf den Bruch mit dem Kapitalismus anlegten, zielte die Taktik der SPD-Führung auf eine Stärkung der Konterrevolution ab und damit eine verbundene Niederschlagung der Massenbewegung. Diese Politik führte dann schließlich zur Niederlage der Revolution und ihren fortschrittlichen Ansätze für eine neue Gesellschaft, die nicht auf Klassengegensätze beruhte.

Revolutionärer Ursprung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland

Die Zurückhaltung und Distanz, mit der die meisten Parteien der Bundesrepublik seit Jahren dieses historische Ereignis behandeln, spricht Bände. Obwohl sich die Bundesrepublik gern auf die Traditionen der Weimarer Republik als der ersten deutschen Demokratie beruft, gehört die Erinnerung an die Ereignisse, die diese Demokratie erst ermöglichten, nicht zu den Eckpunkten historischer Erinnerung und staatlichen Selbstverständnisses. Der revolutionäre Ursprung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland bereitet, wie schon 1918 und 1919, offensichtlich manchem Politiker Probleme. Sicherlich müssten sich die Parteien auch Fragen nach der Verantwortung ihrer Vorgänger für den blutigen Kehraus und die politischen Morde stellen, die als Hypothek auf der Republik von Weimar lasteten. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Kurt Eisner stehen beispielhaft für viele, die unerschrocken gegen Krieg und Monarchie mobilisierten und schon bald den rechten Mordkommandos preisgegeben wurden.

Die revolutionäre Bewegung, deren linker Flügel nach dem Schrecken des durchlebten Krieges eine demokratisch-sozialistische Orientierung anstrebte, erkämpfte die parlamentarische Demokratie mit allgemeinem und gleichem Wahlrecht, das aktive und passive Wahlrecht für Frauen. Ihre machtvollen Aktionen verhalfen wichtigen sozialen Verbesserungen wie dem Achtstundentag, der Sozialgesetzgebung und den Betriebsräten zum Durchbruch. Es gibt folglich auch aus heutiger Sicht viele Gründe, sich der Ereignisse und Akteure von 1918/19 zu erinnern.

"Wir, die sogenannten einfachen Menschen sind es, die Geschichte schreiben"

Auf einer fröhlichen Gedenkveranstaltung vor fünf Jahren zum 90. Jahrestag der Novemberrevolution sagte Dr. Manfred Sohn, der ehemalige Fraktionsvorsitzende der LINKEN im niedersächsischen Landtag, dass das Wichtigste für ihn „das Bewusstsein (ist), dass wir, die sogenannten einfachen Menschen, es sind, die Geschichte schreiben“. Wolfgang Gehrcke, Bundestagsabgeordneter der Partei DIE LINKE, sah die Ideale der Novemberrevolution als Auftrag auch für die heutige Politik: „Das heißt programmatisch: Nein zu Kriegen, Kampf um soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, ein Sozialismus, für den Demokratie konstituierend ist. Kleiner geht die Aufgabe nicht.“

Ein äußerst umfangreiches Manuskript zur Novemberrevolution von Ulla Plener "Für bürgerliche und sozialistische Demokratie - Allgemeine, regionale und biographische Aspekte" finden Sie hier.

Eine sehr faktenreiche Internetseite zur Novemberrevolution von Karena Kalmbach aus Berlin finden Sie hier.

Ausgewogene Novemberrevolution Doku 3sat Kulturzeit extra (November 2008):

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Holocaust am  9. November: Gegen eine verkürzte Rassismus-Kritik 

Natürlich muß man der Verfolgung der Juden im 3. Reich, denen unter anderem die Erfindung des Kommunismus und Bolschewismus wie andererseits auch die Erfindung des Wucherkapitalismus in die Schuhe geschoben wurde , natürlich gedenken.   

Aber es darf keine verkürzte Rassismus-Kritk geben. Rassismus ist grundsätzlich abzulehnen und in jeder Form zu bekämpfen .

Gerade jetzt erstarken mit der AfD Rechtspopulisten, die Islamophobie und Haß gegen Muslime und eine angebliche Überfremdung Europas durch Muslime propagieren .

Es wurde bekannt, dass die neonazistische NSU-Terror-Zelle im Laufe der Zeit 10 Muslime ermordet hatte und das die Gesellschaft weggeschaut hatte. Zudem wird sogar vermutet, dass die Terror-Zelle der Nazis vom Verfassungsschutz geteuert oder zumindest mitgesteuert wurde.

Viele Nazis und Rechtspopulisten agieren zudem nicht mehr als plumpe Antisemiten mit Glatze und Springerstiefel sondern kleinbürgerlich jovial und bieder als Rechtspopulisten getarnt, die den Judenhass durch den Muslimenhass ersetzt haben, weil sie als Rassisten so mehr Akzeptanz bei (erz-)konservativen Bürgern erhoffen.    

Der 9. November sollte zur grundsätzlichen Kritik  am Rassismus genutzt werden , der jedweden Rassismus anprangert  und nicht wie das ZDF gestern in einem Kommentar einerseits steigenden Judenhass bedauert und in der nächsten Meldung Hass gegen Muslime schürt. 

Diese verlogene Doppelmoral rechtspopulistischer Medien sollten anständige Menschen und Linke  nicht mittragen. 

Heute geht es darum Neonazi-Aufmärsche der NPD als auch Propaganda der Rechtspopulisten der Marke Breivik und anderer Rechter, die den Antisemitismus durch die Islamophobie ersetzt haben,  in gleicher Weise entschieden entgegenzutreten.  

 

Das Freihandelsbakommen der EU mit der USA ist eine Kriegserklärung der Global Player an die Politik 

 
 Ein Blick auf die ersten Blaupausen lässt ahnen, was Europas Bürger nicht zu früh erfahren sollen.

Bereits vor fünfzehn Jahren versuchten Großunternehmen bei den Verhandlungen über das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) ihre Macht heimlich still und leise in unvorstellbarem Maße auszuweiten. Damals scheiterte das Projekt am hartnäckigen Widerstand der Öffentlichkeit und der Parlamente. Damit wurde unter anderem verhindert, dass sich einzelne Konzerne denselben Rechtsstatus wie Nationalstaaten verschaffen konnten. Das hätte etwa bedeutet, dass Unternehmen eine Regierung verklagen können, "entgangene Gewinne" aus Steuergeldern auszugleichen.

Jetzt aber kommen diese Pläne erneut auf den Tisch, und zwar in deutlich verschärfter Fassung. Der offizielle Name des neuen Projekts lautet "Transatlantic Trade and Investment Partnership", abgekürzt TTIP. Dieses transatlantische Handels- und Investitionsabkommen soll, ähnlich wie früher das MAI, die Privilegien von Konzernen und Investoren absichern und sogar noch ausweiten. So wollen die EU und die USA ihre jeweiligen Standards in "nicht handelspolitischen" Bereichen vereinheitlichen. Diese angestrebte "Harmonisierung" orientiert sich erwartungsgemäß an den Interessen der Konzerne und Investoren. Werden deren Standards nicht erfüllt, können zeitlich unbegrenzte Handelssanktionen verhängt werden. Oder es werden gigantische Entschädigungen für die Unternehmen fällig.

Die Verhandlungen über diese Art Staatsstreich in Zeitlupe haben im Juli dieses Jahres in Washington begonnen - mit der erklärten Absicht, in zwei Jahren ein Abkommen zu unterzeichnen, das eine transatlantische Freihandelszone (Transatlantic Free Trade Area, Tafta) begründen wird. Das gesamte TTIP-Tafta-Projekt gleicht dem Monster aus einem Horrorfilm, das durch nichts totzukriegen ist. Denn die Vorteile, die eine solche "Wirtschafts-Nato" den Unternehmen bieten würde, wären bindend, dauerhaft und praktisch irreversibel, weil jede einzelne Bestimmung nur mit Zustimmung sämtlicher Unterzeichnerstaaten geändert werden kann.

Wirtschafts-Nato mit grenzenlosen Befugnissen

Weil die global operierenden US-Konzerne eine ähnliches Partnerschaftsabkommen für den pazifischen Raum (Trans-Pacific Partnership oder TPP) anstreben, würden wir auf ein System zusteuern, das die Herrschaft der mächtigsten Kapitalgruppen über den Großteil der Welt zementiert und juristisch absichert. Denn auch andere Staaten wären gezwungen, bei der TTIP oder der TPP anzudocken. Sie müssten sich also im Handel mit der USA und der EU nach deren Regeln richten.

In den USA reagieren die Wähler, die Präsident Obama sein Versprechen eines "glaubhaften Wandels" abgenommen haben, teils depressiv, teils wütend. Denn was er ihnen als Regelwerk für die Weltwirtschaft auf der Höhe des 21. Jahrhunderts verkaufen will, läuft darauf hinaus, dass die von den sozialen Bewegungen des 20. Jahrhunderts durchgesetzten Fortschritte großenteils wieder rückgängig gemacht werden.

Die Verhandlungen über das TTIP-Tafta-Projekt finden hinter verschlossenen Türen statt. Damit wird gewährleistet, dass jenseits des geschlossenen Zirkels der "Handelspolitiker" niemand beizeiten mitbekommt, was tatsächlich auf dem Spiel steht.(1) Andererseits haben 600 offizielle Berater der Großkonzerne privilegierten Zugang zu den Dokumenten und zu den Entscheidungsträgern. Textentwürfe werden nicht veröffentlicht, die Öffentlichkeit und die Presse werden außen vor gelassen, bis der endgültige Deal unter Dach und Fach ist.

Der im Juni zurückgetretene US-Handelsminister Ron Kirk hatte im Mai 2012 in einem Anfall von Aufrichtigkeit erklärt, warum eine solche Geheimhaltung erforderlich sei: In einem früheren Fall ist der Entwurf für ein umfassendes Handelsabkommen publiziert worden, und deshalb sei es am Ende gescheitert.(2 )Kirk bezog sich auf den ersten Anlauf zum Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta, dessen Text 2001 auf die Website der Regierung gestellt worden war. Die demokratische Senatorin Elizabeth Warren sagte dazu: Ein Papier, das die Öffentlichkeit scheuen müsse, dürfe gar nicht unterzeichnet werden.(3)

Für die Heimlichtuerei gibt es einen einfachen Grund. Ein solches Abkommen würde die nationalen Regierungen bis hinunter zu den Kommunalverwaltungen verpflichten, ihre aktuelle und künftige Innenpolitik dem umfangreichen Regelwerk anzupassen. In diesem Abkommen wären auf diplomatischer Ebene ausgehandelte Gesetzesvorgaben festgeschrieben, die nach dem Wunsch der Unternehmen auch viele nicht handelsbezogene Bereiche beträfen: etwa die Sicherheit und Kennzeichnung von Lebensmitteln, die Grenzwerte chemischer und toxischer Belastung, das Gesundheitswesen und die Arzneimittelpreise, das Recht auf Privatsphäre im Internet, Energieversorgung und kulturelle "Dienstleistungen", Patente und Urheberrechte, die Nutzung von Land und Rohstoffen, die Rechte und die Arbeitsmöglichkeiten von Immigranten, die öffentliche Auftragsvergabe und vieles andere mehr.

Die Unterzeichnerstaaten müssten gewährleisten, dass "ihre Gesetze, Regelwerke und administrativen Verfahren" die im Abkommen vereinbarten Vorgaben einhalten. Im Zweifel würden sie dazu gezwungen: Bei etwaigen Verstößen gegen den Vertrag müsste sich der jeweilige Staat einem Streitschlichtungsverfahren unterwerfen, wonach das renitente Land mit Handelssanktionen belegt werden kann.

Dass das nicht übertrieben ist, zeigt ein Blick auf andere Handelsabkommen mit dem attraktiven Etikett "Freihandel": 2012 untersagte die WTO den USA eine Kennzeichnung für Konserven, die den Schutz von Delfinen garantiert oder die Herkunft von Fleischprodukten nachweist. Und die EU unterlag der WTO im Konflikt um genveränderte Lebensmittel. Und sie muss auf WTO-Beschluss zig Millionen Euro Strafe zahlen, weil sie Wachstumshormone für Schlachttiere verbietet.

Wenn das TTIP-Tafta-Projekt zustände käme, könnte jeder beliebige Investor, der in einem der beteiligten Länder engagiert ist, alle möglichen "nicht handelsbezogenen" Bestimmungen unter Beschuss nehmen - genau so, wie es in dem gescheiterten MAI-Abkommen von 1998 vorgesehen war.

Allein dies macht das TTIP-Projekt zu einer Bedrohung von völlig neuen Dimensionen. Und da jede nachträgliche Vertragsänderung der Zustimmung sämtlicher Signatarstaaten bedarf, wären die reaktionären Inhalte des Abkommens durch demokratische Kontrollmechanismen wie Wahlen, politische Kampagnen und öffentliche Protestaktionen nicht mehr angreifbar.

Politisch brisant ist auch die Rolle des Schiedsgerichts, das es einzelnen Konzern ermöglichen soll, einem Staat gewissermaßen auf Augenhöhe entgegenzutreten. Die dreiköpfigen Kammern wären unter Aufsicht der Weltbank und der UNO organisiert und könnten staatliche Entschädigungszahlungen anordnen, wenn sie befinden, dass die Politik oder bestimmte Maßnahmen einer Regierung die "erwarteten künftigen Profite" eines Unternehmens schmälern. Dieses Schlichtungsregime macht klar, dass die Rechte von Unternehmen höherwertig sein sollen als die Souveränität von Staaten. Es würde Unternehmen ermächtigen, die Regierungen der USA oder eines EU-Staats vor ein außergerichtliches Tribunal zu zerren. Und zwar mit dem schlichten Argument, dass die Gesundheits- oder Finanz- oder Umwelt- oder sonstige Politik dieser Regierung ihre Investorenrechte beeinträchtigt.

Dieses System einer extremen Begünstigung der Unternehmensinteressen, das im Fall des MAI-Abkommens noch gescheitert war, wurde seitdem bereits in mehreren "Freihandelsabkommen" der USA verankert. Dadurch flossen mehr als 400 Millionen Dollar an Steuergeldern an Unternehmen, die gegen Verbote giftiger Substanzen, Lizenzregeln, Gesetze über Wasserschutz oder Waldnutzung und andere "investitionsfeindliche" Regelungen geklagt hatten.(4) Vor diesen Tribunalen sind derzeit Klagen von Unternehmen mit einem Streitwert von 14 Milliarden Dollar anhängig, die sich etwa auf die Arzneimittelzulassung, auf die Haftung für Umweltschäden oder auf Klimaschutz- und Energiegesetze beziehen.

Das TTIP-Tafta-Projekt würde diesem Drohinstrument der Investoren gegenüber dem Staat eine ganz neue Reichweite verschaffen. Denn dann könnten Tausende von Unternehmen, die in den USA wie in der EU Geschäfte machen, alle möglichen staatlichen Gesetze zum Schutz der Gemeinschaftsinteressen aufs Korn nehmen. 3 300 EU-Unternehmen besitzen mehr als 24 000 Tochterunternehmen in den USA, von denen jedes sein Investoreninteresse gegenüber dem Staat einklagen könnte. Umgekehrt könnte auf die EU eine Welle von Investorklagen seitens der 50 800 Tochterfirmen zukommen, die 14 400 US-Unternehmen in den Ländern der Europäischen unterhalten. Insgesamt wären so 75 000 beidseitig registrierte Unternehmen in der Lage, ein politisches System zu untergraben, auf das sich die Bürger bislang verlassen haben.

Das System einer Streitschlichtung zwischen Investoren und Staat (Investor-state dispute settlement, ISDS) wurde angeblich im Hinblick auf Entwicklungsländer ohne verlässliches Justizsystem ersonnen. Das heißt, Investoren sollten im Fall einer Enteignung ihrer Fabriken, Bergwerke oder Plantagen gegenüber dem einheimischen Staat eine Entschädigung durchsetzen können. Nun sind die USA und die EU keineswegs unterentwickelte Regionen. Und sie verfügen über Justizsysteme, die zu den stabilsten der Welt gehören; auch von mangelndem Schutz des Eigentums kann keine Rede sein. Wenn das ISDS-Regime in einem Abkommen zwischen den USA und der EU auftaucht, ist dies ein klares Indiz dafür, dass es nicht um besseren Schutz der Investoren, sondern um die Macht der Unternehmen geht.

Investorenrecht vor nationalen Gesetzen

Die Schlichtungskammern, die sich mit ihren Entscheidungen über Regierungsmaßnahmen und staatliche Gesetze hinwegsetzen können, bestehen aus drei Juristen, die normalerweise für den privaten Sektor arbeiten.5 Viele von ihnen sind in ihrem normalen Berufsleben Anwälte von Unternehmen, die gegen Regierungen klagen. Der exklusive Klub der "Richter" solcher internationalen Schlichtungskammern wird von 15 Rechtsanwaltsbüros dominiert, die mit 55 Prozent aller bisherigen Investitionsklagen gegen Staaten befasst waren. Eine Berufungsmöglichkeit gegen ihre Entscheidungen gibt es nicht.

Die "Investorenrechte", die ausländische Unternehmen nach dem geplanten TTIP-Tafta-Vertrag gegen staatliche Maßnahmen einklagen können, sind vage und gleichzeitig sehr breit definiert. Die bisherigen Schlichtungskammern haben diese Rechte tendenziell weit großzügiger interpretiert, als sie einheimischen Firmen nach nationalem Recht zugestanden werden. Dabei haben sie etwa das Recht auf einen weit gefassten Vertrauensschutz postuliert, was letztlich bedeutet: Das staatliche Regelwerk darf nach getätigter Investition nicht mehr verändert werden.

Rechtlich abgesichert wurde auch der Anspruch auf Entschädigung für "indirekte Enteignung": Ein Staat muss demnach zahlen, wenn seine neuen Regelungen den Wert der Investition verringern - selbst dann, wenn diese gleichermaßen für in- und ausländische Firmen gelten. Diese Garantie würde sich auch auf Neuregelungen des Erwerbs von Land, Rohstoffvorkommen, Energiequellen, Fabriken und anderen Investitionsobjekten erstrecken.

Mittels solcher privilegierten Regelungen in den bisherigen Abkommen haben ausländische Investoren schon in den verschiedensten Fällen eine Entschädigung für ihre "indirekte Enteignung" gefordert: im Hinblick auf Gesundheits- und Sicherheitsstandards von Konsumgütern, Gesetze über Umweltschutz und Flächennutzung, Entscheidungen bei der Ausschreibung staatlicher Projekte, Klimaschutz- und energiepolitische Maßnahmen, Gesetze über Wasserschutz oder Einschränkungen des Rohstoffabbaus.

Einige Beispiele: Die Anhebung der ägyptischen Mindestlöhne und ein peruanisches Gesetz zur Kontrolle toxischer Emissionen werden derzeit von Unternehmen der USA wie der EU unter Berufung auf ihre Investorenprivilegien bekämpft.(6 )Andere Firmen klagten unter Berufung auf das Nafta-Abkommen gegen Garantiepreise für die Einspeisung erneuerbarer Energie und gegen ein Fracking-Moratorium. Der Tabakgigant Philip Morris hat ein Schiedsverfahren gegen progressive Antirauchergesetze in Uruguay und Australien angestrengt, nachdem er es nicht geschafft hatte, diese Gesetze vor einheimischen Gerichten zu kippen. Ebenso hat der US-Pharmakonzern Eli Lilly unter Hinweis auf den Nafta-Vertrag dagegen geklagt, dass Kanada die Lizensierung von Arzneimitteln nach eigenen Kriterien wahrnimmt (um möglichst allen Leuten erschwingliche Medikamente zugänglich zu machen). Und der schwedische Energiekonzern Vattenfall will von Deutschland wegen der einschränkenden Bestimmungen für Kohlekraftwerke und der schrittweisen Stilllegung von Atomkraftwerken eine Entschädigung in Milliardenhöhe eintreiben (siehe Artikel Seite 14).

Bei den von der Schiedskammer festgelegten Zahlungen an ausländische Konzerne kann es sich um enorme Summen handeln; in einem der jüngsten Fälle waren es mehr als 2 Milliarden Dollar.(7) Selbst wenn Regierungen gewinnen, müssen sie häufig die Verfahrenskosten tragen, die im Durchschnitt bei 8 Millionen Dollar liegen. Ohnehin werden sie oft allein schon durch eine Beschwerde seitens der Industrie verschreckt. Das zeigt etwa das Verhalten der kanadischen Regierung, die das Verbot eines toxischen Zusatzstoffs für Autobenzin zurückgenommen hat.

Monsanto wittert Morgenluft

Die Zahl der den Schiedsgerichten vorgelegten Fälle ist in den letzten Jahren rasant gestiegen; nach Unctad-Angaben liegt sie heute zehnmal höher als 2000. Und 2012 wurden mehr Klagen angestrengt als je zuvor. Infolgedessen ist ein ganz neue juristische Branche entstanden: Heute sind viele spezialisierte Anwaltsfirmen im Auftrag der Industrie damit beschäftigt, die öffentlichen Kassen mittels solcher Klagen zu plündern.

Diese Wirtschafts-Nato ist seit Langem das erklärte Ziel des Transatlantic Business Dialogue (TABC), der zweimal jährlich im Rahmen des Trans-Atlantic Council stattfindet. Gegründet wurde der TABC 1995 auf Initiative des US-Handelsministeriums und der EU-Kommission; an dem hochoffiziellen Dialog sind außerdem Spitzenunternehmer und Manager aus den USA und Europa beteiligt. Das Forum bietet also den Großkonzernen eine Basis für koordinierte Angriffe auf politische Projekte beiderseits des Atlantiks, die dem Schutz der Konsumenten, der Umwelt, des Weltklimas und anderer öffentlicher Interessen dienen. Sein erklärtes Interesse ist es, "handelspolitische Störfaktoren" (trade irritants) zu beseitigen, damit sie beiderseits des Atlantiks nach denselben Regeln operieren können - und möglichst frei von staatlicher Einmischung. Der euphemistische Schlüsselbegriff "regulatorische Konvergenz" verdeckt dabei das wichtigste Ziel: Man will die Regierungen im Namen der "Äquivalenz" und der "wechselseitigen Anerkennung" vergattern, auch solche Produkte und Dienstleistungen zuzulassen, die den jeweiligen einheimischen Standards nicht genügen.

Die dem öffentlichen Interesse verpflichteten Standards zu "deckeln", ist ein zweites Ziel des TTIP-Tafta-Projekts. Bei den Verhandlungen will man neue "transatlantische" Standards erarbeiten. So fordern die US-Handelskammer und BusinessEurope, zwei der weltweit größten Unternehmerverbände, die Repräsentanten der Großindustrie müssten gemeinsam mit den Regierungen ein neues Regelwerk für die zentralen Zukunftsentscheidungen entwickeln.

Die Unternehmerseite formuliert ihre Ziele bemerkenswert offen, zum Beispiel beim Streit über die Kennzeichnung "gentechnisch veränderter Organismen" (GMO). Während die Hälfte der US-Bundesstaaten derzeit über eine obligatorische Kennzeichnung genmanipulierter Produkte nachdenkt, die übrigens mehr als 80 Prozent der einheimischen Verbraucher befürworten, drängen die Gentechnik produzierenden und verarbeitenden Unternehmen darauf, die GMO-Kennzeichnung über die TTIP-Tafta-Vereinbarungen wieder abzuschaffen.

Am heftigsten beklagt sich der Verband der Biotechnik-Unternehmen (BIO), zu dem auch der Branchengigant Monsanto gehört, über "die signifikante und weiter wachsende Lücke" zwischen "der Freigabe neuer Biotechnologie-Produkte in den Vereinigten Staaten und der Zulassung dieser Produkte in der EU".(8) Monsanto und die anderen BIO-Unternehmen hoffen, diesen "Rückstau bei der Zulassung/Verwendung von genveränderten Produkten" im Rahmen einer Transatlantischen Freihandelszone auflösen zu können.(9)

Ein zweites wichtiges Thema ist die Nutzung beziehungsweise der Schutz privater Daten. Eine anonyme Koalition von Internet- und IT-Unternehmen, die sogenannte Digital Trade Coalition, wünscht, dass die EU-Datenschutzregeln nicht den Abfluss von persönlichen Daten in die USA behindern. Diese Lobby der Internetbranche erklärt, die aktuelle Einschätzung der EU, dass die USA keinen angemessenen Schutz der Privatsphäre gewährleisten würden, sei für sie "nicht einsichtig". Angesichts der immer neuen Enthüllungen über die massive Datenspionage ist eine solche Äußerung besonders aufschlussreich. Auch der mächtige U.S. Council for International Business (USCIB) mahnt an, das Tafta-Abkommen müsse Ausnahmeklauseln im Bereich Sicherheit und Privatsphäre sehr eng fassen, "damit diese nicht als verkappte Handelshindernisse benutzt werden können".(10) Dazu muss man wissen, dass dem USCIB Unternehmen wie Verizon angehören, die der NSA massenhaft personenbezogene Daten zugeliefert haben.

Ein drittes Angriffsziel ist die Lebensmittelsicherheit. Hier will die US-Fleischindustrie die Verhandlungen nutzen, um das EU-Verbot für mit Chlor und anderen Desinfektionsmitteln behandeltes Hähnchenfleisch zu kippen. Während die strengeren EU-Standards die Gefahr einer Kontaminierung der Produkte während des Schlacht- und Verarbeitungsprozesses reduzieren, begegnen die US-Regeln dem Kontaminierungsrisiko durch ein Desinfektionsbad, das Koli- und andere Bakterien auf den Hähnchenteilen abtöten soll. Also fordert der Mutterkonzern der Restaurantkette Kentucky Fried-Chicken, das Abkommen müsse die EU-Standards für Lebensmittelsicherheit so verändern, dass die Europäer ihre Chlorhähnchen kaufen können.

Noch ein Beispiel: Das amerikanische Fleischinstitut (AMI) empört sich, die Europäische Union bestehe auf ihrem "ungerechtfertigten" Verbot von Fleisch, das unter Einsatz von Wachstumshormonen erzeugt wurde. Diese Mittel, wie etwa Ractopamin, sind wegen der Gesundheitsrisiken für Mensch und Tier in 160 Staaten - darunter allen EU-Ländern, aber auch Russland und China - verboten oder eingeschränkt. Auch der Verband der US-amerikanischen Schweinefleischproduzenten (NPPC) hat seine Wünsche: "Die US-Schweinefleischproduzenten werden ein Ergebnis nur akzeptieren, wenn es das EU-Verbot für den Einsatz von Ractopoamin im Produktionsprozess beseitigt."

Auf der anderen Seite des Atlantiks bekämpft BusinessEurope, der größte Unternehmensverband der EU, das US-Gesetz über die Modernisierung der Lebensmittelsicherheit als eines der "zentralen nicht handelsbezogenen Hindernisse für EU-Exporte in die USA". Dieses bahnbrechende Gesetz von 2011 ermächtigt die US-Kontrollbehörde, die Food and Drug Administration, kontaminierte Nahrungsmittel vom Markt zu nehmen. Dieses Recht wollen die europäischen Unternehmen offenbar mithilfe der TTIP-Tafta-Vereinbarung abschaffen.

Das vierte Ziel ist die Liquidierung der Klimapolitik. Airlines for America, der größte Verband der US-Flugbranche, publiziert eine Liste "unnötiger Vorschriften, die unsere Branche erheblich behindern"- und die man über die transatlantischen Verhandlungen abschaffen will. An der Spitze dieser Liste steht das wichtigste Instrument der Europäer in Sachen Klimawandel, das EU-Emissionshandelssystem. Mittels des Emissionshandels sollen Fluggesellschaften gezwungen werden, für die von ihnen verursachten CO(2)-Emissionen zu zahlen. Airlines for America sieht in diesem System ein "Fortschrittshindernis" und will erreichen, dass die Einbeziehung der Fluggesellschaften von Nicht-EU-Ländern in dieses System, die von der EU derzeit ausgesetzt ist, endgültig vom Tisch kommt.(11)

Fünftens geht es auch um die Rücknahme von Kontrollen und einschränkenden Regeln für den Finanzsektor. Selbst angesichts der globalen Finanzmarktkrise haben sich die Delegationen der USA und der EU auf einen Rahmen für das Kapitel Finanzdienstleistungen geeinigt, der nach wie vor auf Liberalisierung und Deregulierung setzt. Das ausgehandelte Konzept würde nicht nur das Verbot von riskanten Finanzprodukten und -dienstleistungen ausschließen. Es würde sogar die Möglichkeit schaffen, einschränkende Gesetze einzelner Staaten anzufechten, die bestimmte riskante Produkte und Leistungen der Finanzinstitute oder windige rechtliche Konstruktionen untersagen.

Freiheit für Chlorhähnchen und Hormonschweine

Diese Rahmenvereinbarungen würden viele Rezepte ausschließen, mit denen die Politik die Probleme im Finanzsektor in den Griff bekommen könnte. Zu diesen Rezepten gehören Kontrollen und Beschränkungen für Institute, die als "too big to fail" gelten - also als zu groß, um pleitegehen zu können; oder die Konstruktion einer risikomindernden Firewall innerhalb der Großbanken, die das Privatkundengeschäft vor den Risiken des Investmentbanking abschotten soll; oder obligatorische Clearingstellen für den Derivatehandel. Die Vereinbarungen würden also darauf hinauslaufen, dass bestimmte Arten von gesetzlichen Regelungen absolut verboten sind; das heißt, die beteiligten Staaten dürften dann solche Regelungen weder neu einführen noch beibehalten.

Was hinter diesen Plänen steckt, erhellt eine Stellungnahme des Bundesverbands deutscher Banken (BdB). Darin heißt es, bestimmte regulatorische Vorschläge der US-Finanzaufsichtsbehörde hätten in der EU bei offiziellen wie bei privaten Institutionen schwerwiegende Bedenken ausgelöst. Deshalb fordert der Bankenverband in Bezug auf die laufende US-Finanzmarktreform deren Abstimmung mit den Reformen in der EU und weiteren wichtigen Ländern sowie eine größtmögliche Anerkennung der Heimatlandregeln für die am US-Markt tätigen deutschen und europäischen Banken.(12)

Bestimmenden Einfluss im BdB hat die Deutsche Bank, die während der Krise von der US-Notenbank 8 Milliarden Dollar kassiert hat.(13) Der deutsche Finanzriese wendet sich vor allem gegen das Herzstück der im Juli 2012 verabschiedeten US-Finanzmarktreform. Besonders stark kritisiert wird dabei die sogenannte Volcker Rule. Sie beinhaltet gewisse Restriktionen für hochriskante Finanzprodukte, die nach Meinung des BdB eine zu schwere Bürde für in den USA operierende ausländische Banken darstellen.

Das European Services Forum, an dem die Deutsche Bank ebenfalls beteiligt ist, bezeichnet sich selbst als "die Stimme der europäischen Dienstleistungswirtschaft in internationalen Handelsgesprächen". Diese Stimme erhebt die Forderung, die Tafta solle verhindern, dass die US-Regulierungsinstanzen eine in den USA aktive ausländische Bank als too big to fail einstufen und damit strengeren Anforderungen unterwerfen als denen in ihrem eigenen Land. Die Begründung: Es gehe nicht an, dass ein global operierendes Unternehmen nach ausländischem Recht als "systemisch wichtige Finanzinstitution" (Sifi) definiert wird, während es nach einheimischem Recht nicht als solche gilt.

Ein Gegenstück zu dieser Agenda der Europäer ist die Opposition der USA gegen die Finanztransaktionssteuer, die in Europa als Instrument gegen die Spekulation ins Auge gefasst wird. Dabei wollen die US-amerikanischen Finanzinstitutionen über die TTIP-Tafta-Verhandlungen ein Verbot von gesetzlichen Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs erreichen. Inzwischen hat allerdings auch schon der IWF die EU aufgefordert, die Finanztransaktionssteuer so nicht einzuführen. Käme in Europa nur eine abgewandelte, mildere Form dieser Steuer, würde das Thema für die US-Unterhändler wahrscheinlich an Bedeutung verlieren.(14)

Der Dienstleistungssektor umfasst jedoch keineswegs nur die Finanzdienstleister. Unter dem betreffenden Kapitel der transatlantischen Verhandlungen geht es auch um ärztliche Leistungen oder Bildungsangebote bis hin zur Energieversorgung. Dabei besteht das Ziel der Unternehmerseite darin, die regulativen Absichten der Regierungen durch möglichst grob formulierte "Parameter" zurückzustutzen. Die würden sich sowohl auf grenzüberschreitende Dienstleistungen beziehen als auch auf die Behandlung ausländischer Dienstleister, die auf dem Gebiet des betreffenden Staats operieren. Und zwar mit dem Ziel, jeden innenpolitischen Spielraum für die "Regulierung" von Bereichen wie Transportwesen, Gesundheit, Energie- und Wasserversorgung bis hin zu den regionalen oder lokalen Flächennutzungs- und Raumplanungsgesetzen abzuschaffen.

Ein Abkommen, aber kein Aufschwung

In diesen Verhandlungen würde es sogar um die Immigrations- und Visabestimmungen für Personen gehen, die eine Dienstleistung anbieten wollen. Wie immer man zum Grenzregime und zur Immigrationspolitik bestimmter Länder steht: Es ist offensichtlich eine sehr schlechte Idee, die betreffenden Regeln hinter den verschlossenen Türen im Rahmen von Verhandlungen über Handelsabkommen festzulegen. Zumal wenn das Resultat nur noch verändert werden kann, falls alle beteiligten Parteien zustimmen.

Aber warum wird diese Agenda gerade jetzt vorangetrieben? In Washington hört man dazu die Theorie, die europäischen Politiker seien verzweifelt darauf aus, irgendetwas vorzuweisen, was sie als Impulse für das Wirtschaftswachstum ausgeben können. Deshalb demonstrierten sie jetzt eine neue Flexibilität und seien bereit, für dieses Ziel alle wichtigen Instrumente zum Schutz der öffentlichen Interessen aus der Hand zu geben.

Das gängige Argument für Freihandelsabkommen lautet, dass diese die Zollschranken absenken, was wiederum den Handel belebt, so dass alle Leute billigere Importwaren kaufen können. Dieser Vorteil sei größer als der Nachteil für die Leute, die ihren Job verlieren. Allerdings liegen die Zolltarife zwischen den USA und der EU nach Auskunft des Handelsministeriums in Washington "bereits ziemlich niedrig"(.15) Die Politiker beider Seiten, die das Tafta-Projekt betreiben, räumen auch ohne weiteres ein, dass es nicht in erster Linie um Zollsenkungen geht, sondern vielmehr um "die Beseitigung, Reduzierung oder Verhinderung unnötiger, nicht tarifärer Handelshemmnisse"(16) - womit alle Handelsbeschränkungen gemeint sind, die es über Zölle hinaus noch geben mag. Sprich, es geht um beziehungsweise gegen gesetzliche Auflagen für Finanzgeschäfte, gegen Klimaschutzmaßnahmen, gegen Standards der Lebensmittel- und Produktsicherheit.

Das erklärt auch, warum Studien über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Zollsenkungen die Erfolge als eher dürftig einschätzen. Eine Studie des Tafta-freundlichen European Centre for International Political Economy kommt zu dem Befund, dass das BIP der USA wie der EU - selbst unter extrem blauäugigen Annahmen - allenfalls um ein paar Promille wachsen würde, und das ab 2029.(17)

Den meisten bisherigen Prognosen liegt die Annahme zugrunde, dass Zollsenkungen stets eine starke Wirtschaftsdynamik auslösen - was empirisch längst widerlegt ist. Verzichtet man auf diese dubiose Annahme, dann - räumen die Autoren der Studie ein- schrumpft der potenzielle BIP-Zuwachs auf statistisch irrelevante 0,06 Prozent.

Diverse andere Studien, mit denen Politiker und Unternehmensverbände hausieren gehen, beschränken sich deshalb auf das zentrale Ziel des transatlantischen Projekts: die Beseitigung der nicht tarifären Handelshemmnisse, wie sie das Zurückstutzen aller möglichen Gesetze und Regelungen zum Schutz des öffentlichen Interesses euphemistisch nennen. Diese Studien basieren samt und sonders auf dem unbewiesenen Mantra, dass die Abschaffung sozialstaatlicher Errungenschaften irgendwie ökonomischen Nutzen für alle bringe. Doch selbst mit derart schrägen Kalkulationen für das Tafta-Projekt kommen sie nur auf eine sehr dürftige ökonomische Bilanz. Wobei sie noch die quantifizierbaren Kosten unterschlagen, die für die Konsumenten wie für die Volkswirtschaft insgesamt anfallen, wenn alle Errungenschaften im öffentlichen Interesse, vom Gesundheitswesen über den Umweltschutz bis zum Sozialstaat im weitesten Sinne, wieder rückgängig gemacht werden.

Aber die gute Nachricht kommt zum Schluss: Alle bisherigen Versuche, internationale Handelsabkommen als trojanisches Pferd zum Abbau des Sozialstaats und die Rückkehr zu einem neoliberalen Nachtwächterstaat zu benutzen, sind jämmerlich gescheitert. Das wird auch dieses Mal so kommen, wenn die Bürger, die Medien und auch einige Politiker endlich aufwachen und die klammheimlichen Versuche, die Demokratie zu untergraben, zum Scheitern bringen.

Fußnoten: 
(1) Die Regierungskreise, die darüber Bescheid wissen, sind Befürworter dieser Art Freihandelspolitik. Viele waren schon an den Nafta-Verhandlungen zwischen den USA, Kanada und Mexiko beteiligt. 
(2) Die Äußerung bezog sich auf die TPP-Verhandlungen; siehe Reuters, 13. Mai 2012. 
(3) Siehe "Huffington Post, 19. Juni 2013. 
(4) Eine Liste dieser Fälle in: "Public Citizen, August 2013: www.citizen.org
(5) Andrew Martin, "Treaty Disputes Roiled by Bias Charges", Bloomberg, 10. Juli 2013. 
(6) Siehe "Public Citizen, 28. November 2012. 
(7) Betroffen war in dem Fall Ecuador. Siehe Agence France-Presse, 13. Oktober 2012. 
(8) Stellungnahme der BIO vom Mai 2013. 
(9) ec.europa.cu
(10) Auf seiner Website führt das USCIB das Motto: "The Power to Shape Policy" und rühmt sich eines "einzigartigen globalen Netzwerks", das ihm helfe, "die Vision in die Realität umzusetzen". 
(11) Die Erhebung der Abgabe für Flüge von ausländischen Gesellschaften von und in die EU wurde von Klimaschutzkommissarin Connie Hedegaard bis zur Konferenz der internationalen Luftverkehrsgesellschaft ICAO ausgesetzt, die in diesem Monat stattfindet. 
(12) bankenverband.de/themen/fachinformationen/internationales/us-finanzmarktregulierung. Siehe auch die (US-amerikanische) Stellungnahme:www.federalreserve.gov/SECRS/2013/April/20130426/R-1438/R-1438_042613_111091_571489724316_1.pdf
(13) Siehe Ulrich Schäfer, "Herrhausens Erbe", "Süddeutsche Zeitung, 30. Oktober 2013. 
(14) Schon 2010 wurde in einem Memorandum der EU-Kommission davor gewarnt, dass die Einführung einer Finanztransaktionssteuer mit Verpflichtungen im Rahmen der WTO kollidieren könnte. 
(15) Mitteilung an John Boehner, Fraktionschef der Republikaner im Repräsentantenhaus, 20. März 2013: ec.europa.eu
(16) "Final Report, High level working group on jobs and growth", 11. Februar 2013: ec.europa.eu
(17) "Tafta's Trade Benefit", "Public Citizen, 11. Juli 2013. 
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke 
Lori Wallach leitet die weltweit größte Verbraucherschutzorganisation Public Citizen's Global Trade Watch in Washington, D.C.: www.citizen.org.

Le Monde diplomatique Nr. 10255 vom 8.11.2013, 866 Zeilen, Lori Wallach

aus dem Französischen , Le Monde 

http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=9825

Mehrheit der Bürger nicht mehr für die Große Koalition - Nur noch 44 % dafür 

Seit Wochen verhandeln Union und SPD über eine Große Koalition. Doch laut ZDF-Politbarometer schwindet die Zustimmung für ein solches Bündnis: Nur noch 44 Prozent sind demnach für eine schwarz-rote Regierung

 Unmittelbar nach der Bundestagswahl am 22. September befürworteten noch 58 Prozent der befragten Deutschen eine Große Koalition. Doch laut dem neuen ZDF-Politbarometer erhoben durch die Forschungsgruppe Wahlen hat sich die Lage verändert. Nur noch 44 Prozent der Wahlberechtigten finden demnach ein Bündnis von CDU, CSU und SPD "gut".

Wenig Unterstützung gibt es insgesamt unter den Wahlberechtigten für die anderen rechnerisch möglichen Koalitionen. Schwarz-Grün finden nur 25 Prozent gut, Rot-Rot-Grün lediglich 21 Prozent. Aber wohl nur, weil die politische Klasse und bürgerliche Leitmedien das ausgeschlossen hatten. Eine recnnerische Mehrheit für Rot-Rot-Grün gibt es jedenfalls im Bundestag. 

Zuletzt war auch eine Mehrheit der SPD-Mitglieder gegen eine Große Koalition . Sie müssen den Groko-Deal zwischen SPD und CDU letztendlich absegnen. 

Forsa: SPD-Mitglieder mehrheitlich gegen große Koalition

Berlin (AFP) Eine Mehrheit der SPD-Mitglieder lehnt einer aktuellen Forsa-Umfrage für das Magazin "stern" zufolge eine große Koalition ab. Wie das Portal "stern.de" berichtete, wollen 65 Prozent der befragten SPD-Mitglieder nicht, dass ihre Partei ein Bündnis mit der Union eingeht. Bei den Funktionsträgern sei die Ablehnung mit 70 Prozent sogar noch größer. Nur 33 Prozent der SPD-Mitglieder fänden Schwarz-Rot demnach gut.

 

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