Dringlichkeitsantrag

an die 2. Tagung des 4. Landesparteitages der Partei DIE LINKE. Sachsen-Anhalt am 25. Oktober 2014

Wer Zukunft will, muss sich der Vergangenheit stellen.

Im 25. Jahr der friedlichen Revolution wollen wir uns als Landesverband der Partei DIE LINKE. Sachsen-Anhalt in eine kontroverse und differenzierte Debatte einbringen. Unsere Kritik an sozialer Ungerechtigkeit und mangelnder Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen für Bürgerinnen und Bürger in unserer Gesellschaft ist nur dann glaubwürdig, wenn sie verbunden ist mit dem kritischen Diskurs über unsere eigene politische Vergangenheit. Unsere Prämisse ist eine kritische Sicht  auf die Gegenwart ebenso wie auf die Vergangenheit.

 

Bereits viele Jahre vor dem Herbst 1989 engagierten sich Menschen in der DDR für das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und auf freie Wahlen. Sie wollten die Gesellschaft verändern, ihr Anspruch war eine demokratische Republik.
Im Herbst 1989 erlangten Protest und Widerstand gegen die Missachtung von Freiheit und Demokratie in zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen ihren Höhepunkt. 

 

Das Sozialismuskonzept in der DDR ist vor allem gescheitert, weil es einseitig darauf setzte, Menschen soziale Sicherheit zu bieten und dabei elementare demokratische Grund- und Freiheitsrechte missachtete. 
In der Konsequenz fehlten demokratische Strukturen, es gab keine freien, demokratischen  Wahlen, nicht den uneingeschränkten Schutz durch verbriefte Rechte des Einzelnen. Vor allem politisch Andersdenkende konnten sich auf die Verbindlichkeit demokratischer Rechte – unabhängig vom Einfluss der Staatspartei SED – nicht verlassen. Viele Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, die sich für Meinungsfreiheit und Demokratie, viele, die ihre Kraft für die legitime Alternative einer gerechteren Gesellschaft eingesetzt hatten, gerieten in einen Konflikt mit einer repressiven Staatsdoktrin. Sie waren nicht selten – verdeckt oder offen –  Benachteiligungen ausgesetzt, wurden politisch verfolgt oder gar ihrer Freiheit beraubt. 
Bürgerinnen und Bürger der DDR  haben ein solches Sozialismuskonzept klar und eindeutig abgelehnt. 

 

Durchaus vorhandene kritische Diskurse in Kunst und Kultur, in der Wissenschaft und in alternativen Denkzirkeln oder auch das ehrliche und selbstlose Engagement derer, die an diese Idee glaubten, relativieren diese Erkenntnis nicht. Wichtig ist uns dagegen, dass eine kritische und offene Analyse und Aufarbeitung der DDR und ihres Scheiterns nicht gleichbedeutend ist mit einer Herabwürdigung von Biografien oder der Geringschätzung von Lebensleistungen. Auch der Diskurs über unterschiedliche Lebenswirklichkeiten gehört zu einem kritischen und differenzierten Rückblick. 

 

Die PDS hat 1989 mit diesem System unwiderruflich gebrochen und für Unrecht und Verfolgung die Bürgerinnen und Bürger um Entschuldigung gebeten. Auch die Partei DIE LINKE beschloss im November 2011 in Erfurt diese Prämissen in ihrem Programm. Sozialistische Politik kann es für uns nur in Verbindung mit Demokratie und Teilhabe geben. Freiheit und soziale Sicherheit, Schutz vor Armut und vor Repression – das sind für uns untrennbar zwei Seiten ein und derselben Medaille.

 

Zu unserem Engagement für eine moderne linke, emanzipatorische Politik mit dem Anspruch auf eine gesellschaftliche Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft gehört die aktive und kritische Auseinandersetzung mit unserem historischen Erbe. Wer die Gegenwart gestalten will, muss sich der Vergangenheit stellen. Das Unrecht in der DDR gehört zu unserem politischen Erbe.

 

Wir sind uns dessen bewusst: Der Begriff "Unrechtsstaat" wurde und wird in unserer Partei kontrovers diskutiert. Es ist einer, der mit sehr unterschiedlicher Symbolik verknüpft ist. 
Für die einen repräsentiert er die Erfahrung, politischer Willkür, Benachteiligung und Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein. Viele Menschen, die heute in der SPD und bei Bündnis 90/ DIE GRÜNEN ihre politische Heimat haben, stellten sich mit sehr viel Mut und Engagement dem Unrecht entgegen. Manche davon haben einen hohen Preis bezahlt. Für sie verkörpert der Begriff notwendige Klarheit, aber auch Wiedergutmachung und Wertschätzung. 

 

Für die anderen – darunter auch viele Genossinnen und Genossen – steht die Kritik des Begriffes als Symbol dafür, dass DDR-Geschichte nicht auf politische Abrechnung reduziert werden darf. 
Eine Reduktion des geschichtlichen Blicks auf Kategorien wie Täter und Opfer wird damit zu Recht abgelehnt. Für viele Genossinnen und Genossen ist mit diesem Begriff die Gefahr verbunden, die Sicht auf eine differenzierte Analyse zu verstellen. Nicht zuletzt erscheint der Begriff als Instrument, das Engagement der Partei DIE LINKE selbst zu diskreditieren. 
Dennoch: Wir werden uns auch künftig einem kritischen Blick auf die DDR und ihr Sozialismuskonzept stellen, die sachliche und auch kontroverse Debatte dazu fortführen.
Für DIE LINKE. Sachsen-Anhalt ist klar: Ohne Freiheit und die Verlässlichkeit von Grundrechten für jede und jeden, ohne demokratische Mitbestimmung gibt es keine sozialistische Politik.

 

Die Sondierungsgespräche in Thüringen zwischen den drei Parteien DIE LINKE, SPD und Bündnis 90/ DIE GRÜNEN haben einen Kompromiss in diesen Fragen verhandelt. In unserer Partei hat das zu einer kontroversen Diskussion geführt. 
Wir unterstützen die Genossinnen und Genossen des Thüringer Landesverbandes DIE LINKE in ihrem Engagement für einen Politikwechsel, für mehr demokratische Teilhabe, mehr soziale Gerechtigkeit, hohe Qualität in der Bildung, und zwar für alle Kinder, für eine sozial-ökologische Energiewende – für all das, was das Land demokratischer, gerechter und ökologischer gestalten kann.  Dafür gilt es, gemeinsam  zu kämpfen, dafür müssen wir uns engagieren – in Bewegungen, Gewerkschaften, Parlamenten. Und natürlich auch in Regierungsverantwortung.

 

Einreicher: Landesvorstand


Unterstützer/-innen:
Cathleen Bastian-Hans (Delegierte Magdeburg),
Michael Berghäuser (Delegierter Dessau-Roßlau),
Achim Bittrich (Delegierter Halle),
Marianne Böttcher (Delegierte Halle),
Birke Bull (Delegierte Salzlandkreis),
Sabine Dirlich (Delegierte Salzlandkreis),
Detlef Eckert (Delegierter LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik),
Evelyn Edler (Delegierte LAG Stadtumbau und Wohnungspolitik ),
Stefan Gebhardt (Delegierter Mansfeld-Südharz),
André Giebler (Delegierter Anhalt-Bitterfeld),
Torsten Hans (Delegierter Magdeburg),
Ute Haupt (Delegierte Halle),
Sandra Heiß (Delegierte LAG Bildungspolitik),
Guido Henke (Delegierter Börde),
Doreen Hildebrandt (Delegierte Börde),
Frank Hoffmann (Delegierter Dessau-Roßlau),
Monika Hohmann (Delegierte Harz),
Marion Krischok (Delegierte Halle),
Katrin Kunert (Delegierte Stendal),
Christine Kümmel (Delegierte Mansfeld-Südharz),
Hendrik Lange (Delegierter Halle),
Helga Paschke (Delegierte Stendal),
Helga Poost (Delegierte Harz), 
Henriette Quade (Delegierte Halle),
Lydia Roloff (Delegierte Halle),
Gunter Schneider (Delegierter Burgenlandkreis),
Jenny Schulz (Delegierte Magdeburg),
Carolin Spieß (Delegierte Magdeburg),
Ronny Syre (Delegierter Magdeburg),
Frank Theile (Delegierter Magdeburg),
Frank Thiel (Delegierter Burgenlandkreis),
Detlef Tichatschke (Delegierter Harz),
Ute Tichatschke (Delegierte Harz),
Eva von Angern (Delegierte Magdeburg),
Paul Wiedow (Delegierter Jugendverband),
Dagmar Zoschke (Delegierte LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik)

Birke Bull zu TOP 19: 25 Jahre friedliche Revolution

 

Das, was es 25 Jahre nach dem Herbst 1989 zu feiern gibt, begann eigentlich sehr viel früher, nämlich, als sich vor weit mehr als 25 Jahren - damals noch vergleichsweise wenige - Menschen getraut haben, laut und deutlich Einspruch zu erheben. Sie haben Widerspruch erhoben, und sie haben den Widerspruch gelebt, Widerspruch dagegen, dass ihnen das Recht auf freie Meinungsäußerung vorenthalten wurde, vor allem dann, wenn sie die Dinge anders gesehen haben als die Staatspartei SED oder gar, wenn sie gar keinen Sozialismus wollten, oder wenigstens nicht so einen.

Es wurde ihnen verwehrt, in öffentlichen Räumen laut und deutlich vernehmbar dagegen zu protestieren, also das Demonstrations- und Versammlungsrecht zu nutzen, dass es keine freien und demokratisch legitimierten Wahlen gab, dass es noch nicht mal eine wirkliche Auswahl gab.
 
Diejenigen, die im Herbst 1989 aber vor allem die, die schon lange zuvor widersprochen haben, taten dies mit hohem persönlichem Risiko. Sie sind subtil oder offen benachteiligt worden, sie mussten Einschränkungen in ihrer persönlichen Biografie hinnehmen, wurden gegebenenfalls gänzlich ihrer Perspektive beraubt. Ihre Familien sind drangsaliert worden, sie sind politisch verfolgt worden, manchmal einfach nur wegen Banalitäten. Sie wurden im Gefängnis nicht selten würdelos behandelt.  
 
Heute – im Herbst 2014 – ist es ein guter Anlass zu betonen: Ihnen gebühren Respekt, Wertschätzung, Wiedergutmachung. Vor allem aber bleibt der Anspruch, sich immer und immer wieder auf den Weg zu machen, sich solchen anstrengenden Vorgängen wie Demokratie und Teilhabe zu stellen.
    
Wer Zukunft gestalten will, muss sich der Vergangenheit stellen! Gelebte Demokratie ist kein Pappenstiel! Nein zu sagen, ist immer anstrengend. Man steht öfter vor der Frage, spricht man oder schweigt man - viel zu oft schweigt man dort, wo man sprechen müsste. Und: Eine andere Gesellschaft zu fordern, gestaltet sich auch heute noch nicht zu einer leichten Übung. Oder anders gesagt: Es auszuhalten und sich diskursiv darauf einzulassen, dass über eine andere Gesellschaft nachgedacht wird, das scheint auch heute noch eine Herausforderung zu sein. Aber Freiheitsberaubung oder politische Verfolgung stehen hierzulande und heute darauf nicht. Ungerechtigkeiten, Ausgrenzung und Benachteiligungen politisch Andersdenkender gibt es auch in einem Rechtsstaat, da fiele mir Ausreichendes ein.
 
Interessanterweise haben schon 2012, zum 40. Jahrestag des Inkrafttretens des Radikalenerlasses SPD, GRÜNE und LINKE einen Antrag in den niedersächsischen Landtag eingebracht, der die Aufarbeitung der Berufsverbote und die Rehabilitation der damals Betroffenen einforderte. Respekt, auch das gehört zur Demokratie!
 
Aber im Unterschied zum Realsozialismus in der DDR gilt: In einem Rechtsstaat gibt es verlässliche demokratische Grundrechte, die es zumindest möglich machen, sich zu wehren, sei es mit den Mitteln der Öffentlichkeit und der Medien, sei es mit den Mitteln des Rechts.
 
Man Kann das vergleichsweise aktuell und konkret belegen: Der Fraktionsvorsitzende der LINKEN in Thüringen ist jahrelang vom Verfassungsschutz überwacht worden: Er konnte klagen. Er konnte gewinnen. Er hat gewonnen.
 
Der Skandal um das Versagen des Verfassungsschutzes ist von JournalistInnen recherchiert und aufgedeckt worden. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass die Redakteure der damaligen Freiheit oder der Volksstimme auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätten, die heimliche und unheimliche Überwachung des Ministeriums für Staatssicherheit im eigenen Blatt auch nur zu thematisieren.
 
Wenn es um den Rückblick auf den Herbst 1989 geht, dann geht es noch immer stärker um das Davor als um das Danach. Das liegt auch daran, dass viele Fragen noch nicht gestellt sind, geschweige denn diskutiert oder gar beantwortet. Vieles ist noch nicht ausgesprochen, wir reden übereinander, wir reden noch nicht miteinander, oder wenigstens sehr, sehr selten.
 
Mit anderen Worten: Es beginnt die Zeit, dass Gespräche miteinander möglich werden,  Diskussion im besten Sinne, zwischen einem ehemaligen Sekretär der SED-Bezirksleitung und dem Wissenschaftler, der seinen Hut nehmen musste, weil er unbequemes nicht nur gedacht, sondern aufgeschrieben hatte (absurder Weise waren manchmal sogar beide Mitglieder der SED), zwischen dem ehemaligen IM, der auf der veröffentlichten Liste der BILD-Zeitung in Halle auftauchte (allerdings hatte er das auch zu keinem Zeitpunkt verschwiegen und sich damals wie heute auseinandergesetzt mit der eigenen Verantwortung) und denen, die damals vom MfS drangsaliert wurden. Das ist keineswegs so abstrakt, wie sich das hier anhört. Dahinter steckt mindestens ein konkretes Angebot.
 
Ich weiß, dass das eine Herausforderung ist - aus den verschiedensten Gründen. Es ist schwer für denjenigen, der viel riskiert hatte, oder diejenige, die durch das Agieren der Staatspartei SED schwere Brüche im eigenen Leben verkraften musste, aufeinander zuzugehen. Aber es ist eine Herausforderung, die sich lohnen würde, und zwar auch für jeden und jede einzelne Beteiligte.

In manchen Ohren mag es absurd klingen: Durch das Scheitern, durch das eigene Versagen - viele Mitglieder meiner Partei waren schon damals politische Akteure, ich auch - entstand der Bedarf nachzudenken, umzudenken, Dinge in Frage zu stellen, Fragen nicht unbeantwortet zu lassen, mit sich selbst ins Gericht zu gehen, sich selbst in Frage zu stellen. Auch durch den Druck von außen - das muss man ehrlicherweise dazu sagen.
 
Die Frage an uns ist weder unberechtigt noch uninteressant: Was hat DIE LINKE hier einzubringen, was haben wir zu sagen?

Gerade Anfang der 90er Jahre gab es viel Diskussionsbedarf über unsere eigene Vergangenheit. Es wäre unglaubwürdig zu sagen, das wäre überall in meiner Partei erfolgreich gewesen. Ebenso vermessen wäre es zu sagen, unsere Strategie, die Biografien aus eigener Initiative selbst offen zu legen, sich selbst seiner Vergangenheit zu stellen, was ich richtig fand und finde, wäre immer aufgegangen. Der Beginn der rot-roten Koalition in Brandenburg vor 5 Jahren, war ein eindrücklicher Beleg dafür.

Auch in meiner Partei gibt es immer wieder die Frage: Wie hat die Gesellschaft in der DDR funktioniert? Ich wünschte mir sehr viel mehr Fragen und sehr viel mehr Interesse, als vorgefertigte Antworten oder gar Angriffe.
 
Ich will das mit meiner ganz persönlichen Erfahrung illustrieren: Ich habe mich gerade in den letzten Tagen öfter erinnert an den ersten Aufruf des Neuen Forums von Anfang September 1989. Ich weiß noch, er war geschrieben mit einer alten Schreibmaschine. Ich weiß nicht mal mehr, woher ich das hatte. Und ich weiß noch: Ich hielt das schon damals nicht unbedingt für Teufelszeug.
 
Also frage ich mich heute: Was war mein Irrtum, was waren meine Irrtümer? Es gibt einen ganz zentralen dabei: Es war meine Annahme, meine Überzeugung, eine vermeintlich gute Idee oder ein vermeintlich gutes Projekt könnte durch Widerspruch, durch sein Infrage stellen Schaden nehmen. Das hieße ja aber im Grunde nichts anders als Demokratie als Gefahr zu betrachten, denn Demokratie lebt von nichts anderem mehr als vom Widerspruch.
 
Heute weiß ich, das genaue Gegenteil ist der Fall: Etwas, was Zukunft hat, kann durch Demokratie gestärkt werden. Es wird besser dadurch, dass es neu durchdacht werden muss, es wird akzeptiert, es wird ggf. zu einem gemeinsamen Vorhaben. Und das ist möglicherweise auch nur vorübergehend so.

In demokratisch verfassten Parteien sollte das Gang und Gebe sein. Das ist sehr anstrengend und aufwendig, davon kann ich als Parteivorsitzende ein Lied von singen. Und: Das ist gewissermaßen das Ideal! Es ist das Ideal, was gegebenenfalls wieder durch die Praxis ruiniert wird. Denn was meine Partei für gut hält, kann eine andere Partei für verwerflich halten – das ist politische Praxis. Allein davon wird das eine nicht besser und das andere nicht verwerflicher.
 
Entscheidend ist deshalb nochmal was anderes: Niemandem darf das vermeintlich Gute aufgezwungen werden, und schon gar nicht durch die politische Verfolgung und Drangsalierung Andersdenkender. Und um es aus meiner Perspektive als Mitglied der LINKEN auf den Punkt zu bringen: Auch sozialistische Politik braucht die Akzeptanz von Mehrheiten, sonst ist sie keine!
 
Aber auch uns bewegen Fragen an die, die damals zur Opposition in der DDR gehörten, oder diejenigen, die damals in Blockparteien unterwegs waren. Die junge Rechtsanwältin, Mitte 30, Mitglied meiner Fraktion, fragt auch, wie es einem Mitglied der Blockpartei CDU in der DDR (den sie im Übrigen als Unrechtsstaat bezeichnet) in ihrer über 15jährigen Praxis als Stadtverordnete einer nicht ganz kleinen Stadt ergangen sein mag? Auch davon haben wir noch nicht allzu viel gehört. Auch dieses Wissen gehört nicht nur zur Ehrlichkeit, sondern ist auch von Interesse für uns alle, bei der Antwort auf die Frage: Wie konnte die DDR vergleichsweise viele Jahre funktionieren?

Der Historiker Christoph Klessmann hat vor 10 Jahren in Politik und Zeitgeschichte darüber geschrieben. Da geht es um Fragen, wie die Herrschaft durch soziale Praxis verändert wurde, wie Menschen in den unterschiedlichsten Rollen und Positionen, ja auch im Alltag mit den Bedingungen ganz eigensinnig umgegangen sind.
 
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zu jenem Begriff "Unrechtsstaat" machen: Nicht nur in meiner Partei kontrovers diskutiert, und das hat sehr unterschiedliche Gründe. Die praktische Erfahrung mit der DDR und mit den letzten 25 Jahren ist unterschiedlich. Die Perspektive, aus der man sich diesem Begriff nähert, hat auch etwas mit der Rolle zu tun, in der man spricht und bewertet: Juristen, Politikwissenschaftler, Soziologen kommen zu unterschiedlichen Auffassungen, ohne dass sie Betroffene oder AkteurInnen gewesen sein müssen, und die Trennlinie für kontroverse Sichten verläuft bei weitem nicht zwischen meiner Partei und dem Rest der politischen oder wissenschaftlichen Welt.

Auf der einen Seite ist der Begriff „Unrechtsstaat“ Symbol für die Erfahrung, dass DDR-Geschichte reduziert wird auf Kategorien von Opfer und Täter, die es unbestreitbar gegeben hat und gibt. Dennoch bleibt es eine Reduktion. Und: Der Begriff ist heutzutage sehr anfällig für politische Instrumentalisierung.

Aber ich will ebenso klar sagen: Als Symbol der Wertschätzung, der Klarheit und Rehabilitierung vor allem für diejenigen, die politische Willkür, Benachteiligung, Unrecht, geistige Enge oder auch Demütigung erfahren haben, kann ich den Begriff aushalten, kann ich diese Symbolik akzeptieren, wenngleich meine erhebliche Kritik daran bestehen bleibt.

Ich will abschließend an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Danke an diejenigen, die das Vorhaben, eine gemeinsame Aktuelle Debatte aller vier Fraktionen zu begründen, auf den Weg gebracht haben. Ich betrachte das als einen Schritt in genau die richtige Richtung.

 

Hinweis meinerseits: TOP=Tagesordnungspunkt im Parlament. Die Rede am Freitag, den 17.10.2014 gehalten.

Quelle: http://www.dielinke-fraktion-lsa.de/nc/politik/landtagssitzungreden/detail/zurueck/reden/artikel/birke-bull-zu-top-19-25-jahre-friedliche-revolution/

Rede von Birke Bull und Wulff Gallert: Landesparteitag Sachsen -Anhalt

Rede der Landesvorsitzenden Birke Bull

Landesparteitag 25. Oktober 2014

 

Liebe Genossinnen und liebe Genossen!
Liebe Gäste unseres Parteitages!

 

Vor fast genau 25 Jahren – nämlich am 26. Oktober 1989 – versammelten sich hier in der Stadt fast 15.000 Quedlinburgerinnen und Quedlinburger, um sich stark zu machen für das verbriefte Recht darauf, zu jeder Zeit und an jedem Ort laut und deutlich aussprechen zu können, was sie denken.

Sie demonstrierten dafür, sich Weltanschauung durch Welt anschauen verschaffen zu können. Sie wollten frei und unbedrängt darüber abstimmen, wie das Land gestaltet werden soll und von welcher der Parteien sie das erwarten.

 

Demokratie lebt vom Widerspruch! 
So stand es hier vorn auf einem unserer letzten Parteitage! 

 

Den mutigen AkteurInnen des Herbst 1989 haben auch wir – gerade wir – zu verdanken, dass wir uns auf den Weg machen konnten und mussten, demokratische links-sozialistische Politik zu entwickeln. Das ist ein Gewinn!

Diesen Aktivistinnen und Aktivisten des Herbstes 1989 haben wir zu verdanken, dass wir auf offener Bühne sagen können, was wir von der herrschenden Politik hier in Sachsen-Anhalt halten: nämlich, dass es Murks ist, das Land fortwährend in einen Schrumpfungskurs hineinzupressen. Und wir werden das auch zu jeder Gelegenheit tun.

 

Den AkteurInnen des Herbstes 1989 ist zu verdanken, dass wir daran etwas ändern können, dass wir uns hier und heute versammeln können, um dieser Landesregierung ein demokratisches Ende zu setzen. Und das spätestens nach den Landtagswahlen 2016. Dieses Land braucht eine Perspektive, die nicht auf Zahlen und Tabellen beschränkt bleibt, die vielen Menschen Gründe bietet, zu kommen und vor allem zu bleiben. Wir wollen eine Landesregierung, die Sachsen-Anhalt nicht fortwährend in den Verruf bringt, seine kritischen Geister zu verjagen.

 

Und deshalb, liebe Genossinnen und Genossen, deshalb gehören den Aktivistinnen und Aktivisten des Herbstes 1989 unser – gerade unser – Respekt und unsere Wertschätzung!

Gerade unser Respekt, weil wir es sind, die den größten Anspruch auf Veränderung erheben, weil wir die Gesellschaft als Ganzes verändern wollen!

Gerade wir, weil unsere Ansprüche an Demokratie sehr viel weiter gehen als das, was da jetzt so im Angebot ist!

 

Man kann über die Entwicklung in den vergangenen 25 Jahren sehr geteilter Meinung sein. Und man muss das sogar!

 

Aber dass im Herbst 1989 Meilensteine für eine demokratische Gesellschaft gelegt wurden, das ist ein Gewinn und kein notwendiges Übel, ein Gewinn, den wir nie mehr missen wollen und dürfen! Es beißt die Maus keinen Faden ab: Das Sozialismuskonzept der DDR war gründlich gescheitert.

 

Ich habe sehr viel menschliches Verständnis dafür, dass eine solche tiefe Enttäuschung von damals insbesondere für jene Menschen bedrückend und prägend ist, die sich mit ehrlichem Engagement auf den Weg gemacht hatten, eine gerechtere Gesellschaft zu bauen.

Ich weiß, dass damit auch eigene Biografien beschädigt worden sind. Und ich weiß auch, dass es ein sehr anstrengender Vorgang ist, das eigene Handeln im Nachhinein in Frage stellen zu müssen.

Die DDR war ein Land, das für viele Heimat war und Lebenszeit, die sie mit persönlichen Erinnerungen verbinden und auch mit Leistungen, auf die sie zu Recht stolz sind. 

Die DDR war aber eben auch ein Land, dessen demokratiepolitische und rechtsstaatliche Defizite ein Unrecht hervorbrachten, das ihm letztlich die Legitimation unwiderruflich entzog, und die sozialistische Idee, auf eine Weise schädigte, die bis heute nachhallt, mit der wir bis heute zu kämpfen haben.

Solche Gefühle sind mir sehr nah! Die einen wie die anderen.

 

Aber, liebe Genossinnen und Genossen, es ist an der Zeit, dass wir mit klarem Blick in die politische Offensive gehen. Politik können wir nur glaubwürdig mit erhobenem Haupt gestalten, wenn wir dabei aus der Ecke der Rechtfertigungen und der Abwehrkämpfe heraustreten! Wir haben viel zu sagen und zu erzählen. Wir haben viel Erkenntnisgewinn und Expertise gesammelt im und über den gescheiterten Sozialismusversuch. Das sind keine Weisheiten von gestern.

Das ist ein riesiges Pfund in der demokratischen Auseinandersetzung um moderne linke Politik heute.

 

Überlassen wir doch diese Debatte nicht den Konservativen!

Ihnen reicht in der Konsequenz eine demokratische und rechtsstaatliche Mindestausstattung: Ihnen reicht es, einmal in fünf Jahren eine Parteienstimme abzugeben! Die CDU ist es, die Mitgliederentscheide offenbar für Teufelszeug hält, vor allem dann, wenn es ihre führende Rolle untergraben könnte. Volksentscheide und Mitbestimmung über die Wahlen hinaus sind für sie Störfaktoren im politischen Geschäft. 

Uns reicht doch aber diese Mindestausstattung nicht! Wir wollen doch viel mehr!

Aber: Überholen ohne einzuholen geht nicht! Und deshalb müssen wir auch Klarheit darüber haben, dass es eben diese demokratische Grundausstattung nicht gegeben hat. Und dass es überhaupt keinen Sozialismus ohne diese Grundausstattung gibt.

 

Wir sind daraus schlau und dabei sensibel geworden.

Sensibel, wenn es darum geht, dass immer mehr Menschen ihr Interesse an demokratischer Mitbestimmung verlieren, weil sie nicht wirklich oder aber viel zu selten mitbestimmen können.

Sensibel, wenn Menschen in prekären Lebenslagen auf Politik und Demokratie keinen Bock haben, weil sie gar nicht mehr wirklich angesprochen werden oder über ihre Köpfe hinweg regiert wird.

Wir haben zu Recht Leidensdruck, wenn Ortschaftsräte rein gar nichts mehr zu entscheiden haben, wenn allein durch den Geldhahn kommunale Selbstverwaltung ruiniert wird.

Unser Anspruch ist es, Gesellschaft von links zu kritisieren und zu verändern.

Glaubwürdig ist das nur, wenn wir auch die Vergangenheit von links kritisieren und hier gar nicht erst anfangen rumzueiern.

 

Und nun ist der Begriff „Unrechtsstaat“ einer, der diese notwendige Diskussion in einer Weise anheizt, die mir und vielen anderen – nicht nur in meiner Partei – ziemliches Unbehagen bereitet. Aus unterschiedlichen Gründen.

Zum einen ist er Symbol dafür, dass die Diskussion um diesen Teil der Geschichte reduziert wird auf die Frage „Warst du Opfer oder warst du Täter?“.

Nicht selten wurde und wird sie im Modus einer politischen Abrechnung geführt.

Es ist ein Begriff, der schwer anfällig ist für Schwarz-Weiß-Geschichte.

So wird dann der Blick auf die wirklich interessanten – die differenzierten – Zusammenhänge verstellt, die darüber Auskunft geben können, wie die Menschen im ganz konkreten Leben einerseits Verantwortung getragen haben, andererseits auch die Macht der SED unterwandert haben, wie also Herrschaft durch soziales Leben verändert wurde.

 

Zum anderen ist dieser Begriff aber auch - und das habe ich in Gesprächen vor allem außerhalb unserer Partei erfahren – ein Symbol für Klarheit, die von uns erwartet wird, ein Symbol von Wertschätzung und Respekt für diejenigen, die weit früher als die allermeisten von uns den Mut hatten, den Widerspruch zu erheben. 

Meine Sympathie hat er nicht, der Begriff. Darum geht es aber hier nicht.

 

Liebe Genossinnen und Genossen!

Es gibt keinen Grund, sich in die Defensive zurückzuziehen, das Ganze leidvoll zu ertragen oder gar abzuwarten, bis es vorbei ist. 

Es gibt stattdessen viele Gründe, die Auseinandersetzungen um die Geschichte der DDR als Chance zu begreifen und sie offensiv und selbstbewusst zu führen.

 

Mit diesen Erfahrungen und mit diesen Erkenntnissen können, wollen und müssen wir immer und immer wieder auf die Fehlstellen heutzutage in Sachen Demokratie hinweisen. Demokratie lebt vom Widerspruch! Damals vor 25 Jahren – genauso wie heute! Und unser Widerspruch wird gebraucht! Wird dringend gebraucht!

 

Und zwar ganz konkret dann, wenn die Landesregierung ausgerechnet das verscherbelt, was zukunftsträchtig ist, das, was Menschen zum Kommen ermuntert und vielleicht auch zum Bleiben ermutigt!

Gerade ein Land, bei dem es ein wenig schwierig ist mit dem Image, braucht vor allem Investitionen in Bildung.

Wir brauchen kluge Köpfe, gut ausgebildete Fachkräfte, Menschen, die zum Risiko bereit sind, die innovativ sind. Es ist gut so, dass 53.000 Studierende Sachsen-Anhalts Hochschulen gewählt haben, um den Anfang dafür zu machen.

Aber sie brauchen eben auch gute Bedingungen. Überfüllte Hörsäle gehören dazu ausdrücklich nicht, Semesterwarteschleifen wegen des Mangels an ausreichenden Angeboten auch nicht.

Wir sagen: Ein effektiver Umgang mit den finanziellen Ressourcen ist auch für die Hochschulen ein Thema. Und allein, weil´s schon immer so war, muss auch nicht alles immer so bleiben. Das versteht sich aber für Wissenschaft von selbst und ist gewissermaßen eine Binsenweisheit!

Wir brauchen keine in Niedersachsen ausgemusterte Hochschulgebührendebatte eines dort ebenso ausgemusterten Ministers.

Was wir brauchen, ist dagegen die verlässliche Finanzierung der Hochschulen statt verordnetes und auch noch verbrämtes Schrumpfen. Was wir brauchen, ist ein demokratischer Diskurs mit allen Beteiligten darüber, wie die Wissenschaftslandschaft künftig gestaltet werden soll, statt des dicken Daumens des Wissenschaftsministers. Eine Reform, die erst abschneidet und dann nachmisst, liegt näher bei der Abrissbirne als dass sie Zukunft sichert.

Die Proteste der Studierenden, der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der Künstlerinnen und Künstler, der Jugendverbände und der Betroffenen gemeinsam mit den Gewerkschaften im vergangenen Jahr waren beeindruckend und haben ihre Wirkung zumindest nicht gänzlich verfehlt. Aber hier ist die Kuh noch lange nicht vom Eis.

Und was ich hier gleich noch mit loswerden muss: Selbstverständlich, Künstlerinnen und Künstler sind in aller Regel widerspenstig! Das gilt auch noch für andere Berufs- und Personengruppen: Auch Abgeordnete zeigen sich gelegentlich renitent.

Kunst wäre aber ansonsten immer nur Zeitvertreib. Und Politik wäre Stillstand!

Und auch Bauhausdirektoren und Intendanten sind nicht immer pflegeleicht!

Und will ich auch nicht sagen, dass Meinungsverschiedenheit nicht manchmal auch anstrengend ist. Und man muss auch nicht immer einer Meinung sein.

Aber: Nicht den Hintern in der Hose zu haben, sich den Widerworten zu stellen und stattdessen die Widerborstigen aus dem Amt zu drängen, das ist nicht wirklich politische Größe! Demokratie ist nichts für Feiglinge, und deshalb brauchen wir eine andere Regierung!

Das, was ein Land an Bildung und Kultur zu bieten hat, gehört zu gewichtigen und entscheidenden Gründen, zu kommen und zu bleiben!

Noch haben wir was zu bieten. Unsere Strahlkraft als Bildungsland, als Kulturland -Sachsen-Anhalt ist zukunftsträchtig. Völlig ungeeignet für symbolische Zeigefinger und Opfergaben an den Finanzminister!

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

Auch die Zukunft von guter Schule steht hierzulande Spitz auf Knopf!

Als Bildungspolitikerin gehöre ich nun wahrlich eher nicht zu jenen, die gewisse Einschränkungen in der führenden Rolle der Lehrerschaft im Unterricht und an der Schule überhaupt für einen Frevel halten. Aber so gänzlich ohne geht´s eben auch nicht! Die Auseinandersetzungen um das Schulnetz in Sachsen-Anhalt waren nicht der zurückgehenden Zahl von Schülerinnen und Schülern geschuldet!

Nein! Wir haben das seit Jahr und Tag thematisiert. Mancher meiner Kollegen würde sogar behaupten, wir hätten ganze Landtagssitzungen nichts anderes diskutiert.

Jetzt aber aus allen Wolken zu fallen, heißt, die Hosen mit der Kneifzange anzuziehen. Der Rückgang der aktiven Lehrerschaft war absehbar - spätestens im Schuljahr 2014/15. Vorsorge dafür hätte es bereits 2012 und 2013 gebraucht. Diese Chance ist mehrfach vertan worden. Nicht von irgendwem, sondern von SPD und CDU. Jetzt ist ordentlich Druck auf dem Kessel, und alle reiben sich die Augen!

Mir ist dabei ehrlich gesagt egal, welcher der Minister hier der schwarz-rote Peter ist.

 

Hier muss gehandelt werden! Alle Kollegen im aktiven Schuldienst, die - aus welchen Gründen auch immer - die Schule verlassen, müssen ersetzt werden!

Diesem Personalabbau muss ein Stoppschild gesetzt werden! Sonst setzen wir in Sachsen-Anhalt gute Schule auf´s Spiel.

 

Liebe Genossinnen und Genossen, von Arbeit muss man gut leben können!

Das Engagement für gute Arbeit und gute Löhne ist unser Markenzeichen wie kaum ein anderes. Dafür kennt man uns. Das erwarten viele von uns!

Beides ist ein Schlüssel für gutes Leben, ein Schlüssel für junge Menschen, zu kommen und zu bleiben!

 

Deshalb heißt unsere Forderung:

Wer durch das Land mit öffentlichen Aufträgen gefördert werden will, der muss Tarif zahlen, mindestens aber einen Mindestlohn von 10 Euro!

Fast 200 Mio. Euro stellt das Land für die wirtschaftliche Entwicklung von Unternehmen zur Verfügung. Das ist gut so. Das ist durchaus auch ein brauchbarer Hebel, um hier unmissverständlich klar zu machen: Billiglöhner haben ausgedient.

Bereits jetzt gibt´s 5% mehr vom Land, wenn es einen Tarifvertrag im Unternehmen gibt. Aber lediglich 15% der geförderten Unternehmen machen davon Gebrauch. Da geht noch mehr! 60% dieser Mittel gehen an vergleichsweise große Unternehmen, einige davon bezahlen ihre Beschäftigten durchaus gut, das wissen wir, und das soll sich auch lohnen.

 

Im Übrigen gilt auch hier: DIE LINKE wirkt. In einem dieser großen Unternehmen kenne ich den Betriebsrat ganz gut, das ist nämlich mein Stellvertreter. Und da weiß ich sehr wohl, dass der Dampf machen kann! Aber da geht noch mehr! Und vor allem: Da ist Politik gefragt.

Wirtschaftsförderung geht auch anders, als sich das die CDU in Dessau-Roßlau so vorstellt – nämlich ohne Vetternwirtschaft und Klüngelkrams.

Für uns ist wichtig: Tragfähige Zukunft – auch wirtschaftspolitisch betrachtet  - haben Unternehmen, die gute Arbeit für gutes Geld anbieten!

 

Und es sind nicht mal nur die großen Räder, die wir drehen wollen und können, um Sand ins Dumpinglohngetriebe zu streuen!

Wir werden uns ganz konkret dafür engagieren, dass Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter in Sachsen-Anhalt nach dem Tarif des Öffentlichen Dienstes bezahlt werden. Und nebenbei gesagt: Wir freuen uns, dass auch der Kultusminister hier nun endlich konsequent sein will! 

Wir wollen, dass Schritt für Schritt Fachleute, die in Beratungsstellen im Auftrag des Landes Menschen in Konfliktsituationen beraten, die in Vereinen und Verbänden Kulturpolitik, Umweltpolitik oder Frauenpolitik gestalten, oder die in landeseigenen Betrieben beschäftigt sind, wir wollen, dass diese KollegInnen auch tariflich entlohnt werden. 

 

Und wir haben noch einiges mehr vor: Bis zu 2.500 Menschen in Sachsen-Anhalt werden seit Jahr und Tag zwischen prekären Arbeitsverhältnissen zerrieben. Sie sind für Übergangslösungen zu jung. Für Umschulungen hält man sie für zu alt. Ihnen droht, Verlierer in der Alterssicherung zu werden. Meist haben sie nur noch 5 bis 6 Jahre Zeit vor der Rente, nicht selten haben sie aber schon Fehlzeiten von bis zu 10 Jahren.

 

Menschenwürde hat auch was mit sozialer Teilhabe zu tun.

Soziale Teilhabe hat etwas mit würdiger und sinnvoller, vernünftig bezahlter Erwerbstätigkeit zu tun. Hier wollen wir uns schnellstmöglich auf den Weg machen, um einen Vorschlag zu machen. Unsere Prämissen sollen dabei sein: Es soll ein freiwilliges Angebot sein. Sie sollen tariflich entlohnt werden. Es sollen voll sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze auf Dauer sein.

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

nein, ich bin bekanntermaßen nicht wirklich eine durch und durch kenntnisreiche Umweltpolitikerin. Aber ich weiß: Für ein Land mit ökologischem Anspruch müssen wir neue Pfade entwickeln, und zwar hier, heute und jetzt!

Das Hochwasser 2002 und 2013 ist uns noch in einprägsamer Erinnerung, die Bilder haben uns alle berührt. Auch viele unter uns haben Sand geschippt und Säcke gestapelt.

 

Zweifellos bringt hier jeder Euro für die betroffenen Menschen Erleichterung und in gewisser Weise Entschädigung. Ob das Geld des Landes aber auch in Schutz und ökologische Vorsorge für die Zukunft investiert, ist eine andere Frage. Höhere Deiche allein werden es ganz sicher nicht richten!

„Schneller, höher weiter!“ – Das ist keine tragfähige Zukunftsperspektive.

Wir brauchen andere Antworten und müssen andere Pfade legen, und die müssen möglichst heute schon beginnen.

Die Flüsse brauchen mehr Platz, mehr Auslauffläche bei Hochwasser oder schon bei erhöhten Wasserständen!

Und das richtige Leben stellt letztlich ganz konkrete Fragen: 

Soll das Krankenhaus dort wieder aufgebaut werden, wo es mitten in den Rückflussgebieten der Elbe oder der Saale zuvor stand?

Wenn landwirtschaftliche Unternehmen der Auslauffläche weichen sollen, dann steht auch die Frage nach Entschädigungen?

Die Sünden der vergangenen Jahre sind mit Hypotheken verbunden, die uns heute – und das heißt im Nachhinein - vor schwierige Fragen stellen, auf die wir ein Angebot machen müssen, damit uns Menschen erst nehmen. 

 

Liebe Genossinnen und Genossen, in den ländlichen Räumen lächeln die Bauern finster, und auch die Bäuerinnen. Und das auch zu Recht. Denn mit dieser Landesregierung droht das Licht auszugehen. 

Schulen wurden geschlossen. Junge LehrerInnen sind nach wie vor schwer für das Dorf zu gewinnen. Strecken für Bus und Bahn werden gestrichen. Theatern in der Fläche wird die künstlerische Substanz ruiniert.

Der ABV wird abgezogen, Ärzte und Gemeindeschwestern fehlen.

Das ist zugegebenermaßen ein sehr schwieriges Thema und auch für uns eine große Herausforderung. Allein mit der Forderungen nach gleichwertigen Lebensbedingungen sind wir noch nicht über den Berg.

Hier müssen wir Hausaufgaben machen. Ich will hier ausdrücklich die Einladung meines Kollegen Uwe Köck wiederholen. Es lohnt sich, hier auch völlig neue Wege zu denken. Vielleicht gelingt es uns ja, mit den Regionalbudgets mehr Autonomie und Hilfe zur Selbsthilfe zu initiieren und ganz neue Wege auf dem Land möglich zu machen.

Die Idee von Sozialgenossenschaften ist gut. Sie hat was mit Teilhabe, mit Selbsthilfe und Engagement vor Ort zu tun. Aber noch ist dabei einiges unklar. Allein die Idee ersetzt nicht das Konzept.  Ich will euch neugierig machen, daraus ein Konzept zu erarbeiten, Ideen zu entwickeln. Die Zukunft der ländlichen Räume ist d i e Herausforderung schlechthin. Mit alten Konzepten ist sie nicht gewinnbar.

 

Und trotzdem: Am Ende muss klar sein. Mit uns bleibt das Licht an! Und zwar im ganzen Land.

 

Liebe Genossinnen und Genossen, der Leitantrag schlägt euch die Themen vor, die das Gesicht unserer Partei in den nächsten Monaten bestimmen sollen. Wir haben aber auch noch einiges zu tun. Einiges davon habe ich genannt. Das ist legitim, wenn man an den Start geht.

In den kommenden Monaten werden es immer mehr Menschen sein, die sich für unsere Antworten ernsthaft interessieren und nachfragen und unser Agieren aufmerksam verfolgen. Das hat natürlich auch was damit zu tun, dass in Thüringen die Zeichen auf Rot-Rot-Grün stehen.

Es scheint nicht mehr gänzlich unwahrscheinlich, dass unserer Partei mit Bodo Ramelow als erstem linken Ministerpräsident, die Geschicke eines ganzen Landes in die Hand gelegt werden. Und natürlich gucken wir da mit Argusaugen auf das, was sich bei unseren Nachbarn tut.

Ganz ehrlich: Ich bin beeindruckt von der Beharrlichkeit und von der Entschlossenheit der Thüringer Genossinnen und Genossen!

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

Das wird die Herausforderung schlechthin! Sie wird uns sehr nah begleiten, mindestens bis zur Landtagswahl 2016. 

Regierung machen ist schon schwer, Regierung sein dann noch viel mehr.

Nehmen wir es als Chance! Kämpfen auch wir für eine solche Chance!

Was wir vorlegen wollen und werden, sind keine Wunschanbaupläne, sondern sind konkrete Vorschläge, mit Ideen, wie sie finanziert werden sollen. Sie müssen anschlussfähig sein an das, was Menschen im richtigen Leben bewegt.

Es geht um ein Land mit Perspektiven, die endlich über den Horizont von Gutachten, Ranglisten und Diagrammen hinaus reichen.

In 17 Monaten wird hier in Sachsen-Anhalt eine neue Regierung gewählt.

DIE LINKE gibt sich nicht nur kämpferisch. Sie ist es auch.

 

Es gibt etwas zu gewinnen: Nämlich einen Politikwechsel! Und der ist dringend nötig in Sachsen-Anhalt! Wir wollen Menschen ermuntern, zu kommen und sie ermutigen, hier zu bleiben! Es geht um ein Land zum Mitgestalten. Und zwar auch dann, wenn´s unbequem wird. Es geht um ein Land zum Leben und zum Bleiben. 

Von Thüringen lernen, liebe Genossinnen und Genossen, heißt zunächst kämpfen lernen. Wir treten an, um zu gewinnen!

Es gilt das gesprochene Wort.

http://www.dielinke-sachsen-anhalt.de/partei/parteitage/4_parteitag_2_tagung/rede_birke_bull/

 

Rede von Wulf Gallert

auf der 2. Tagung des 4. Landesparteitages in Quedlinburg

 

 

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Gäste,



ich möchte mich in meinem gewohnt kurzen Redebeitrag auf eine Einschätzung der landespolitischen Situation in Sachsen-Anhalt beschränken und unsere Handlungsansätze für diese letzte Phase der Legislaturperiode darstellen. Natürlich ist klar, auf so einem Landesparteitag müssen wir viel über uns reden, dürfen aber dabei nicht außer Acht lassen, wie die Regierungskoalition in diesem Land agiert und welche gesellschaftlichen Debatten dieses Handeln auslöst.


Rückblickend müssen wir einschätzen, dass die Koalition von CDU und SPD in dieser Legislaturperiode einen zentralen politischen Konsens hatte, nämlich die Reduzierung von öffentlicher Daseinsvorsorge in all ihren Facetten im Interesse einer möglichst radikalen Haushaltssanierung. Diese Prämisse der Koalition übersetzte sich faktisch in alle Politikbereiche wie die permanente Reduzierung von Lehrern und Polizisten, die Verringerung der finanziellen Handlungsspielräume der Kommunen, ein Streichungsprogramm für die Hochschulen unseres Landes, für kulturelle Einrichtungen insbesondere der Theater sowie die Reduzierung von Sozialleistungen bspw. beim Blindengeld oder der Jugendpauschale. Solche Verbesserungen wie die Einführung des Ganztagsanspruchs in den Kitas waren für diese Koalition eher Fremdkörper, die durch äußeren Druck aufgezwungen wurden und in ihrer Ausführung oftmals schlecht gemacht sind. 


Während sich die Koalition zu Beginn der Legislaturperiode, deren fast einziger Inhalt die Reduzierung von Landesausgaben war, noch weitgehend ohne gesellschaftlichen Widerstand durchsetzen konnte und wir mit unserer Kritik nicht selten allein standen, wendete sich das Blatt mit der Protestwelle gegen die Landesregierung im letzten Jahr. Seit die Auswirkungen der Streichungspolitik dieser Landesregierung in den Schulen oder bei den Polizisten oder auch bei der Situation in den Kommunen für die Menschen unmittelbar erfahrbar werden, steht die Landesregierung völlig berechtigterweise nicht nur unter dem Druck von uns als Opposition, sondern auch unter einem erheblichen gesellschaftlichen Druck. Insbesondere die vorgeschlagenen Kürzungen im Bereich der Hochschulen haben diesen gesellschaftlichen Druck sichtbar gemacht, u. a. auch, weil diese Kürzungen Menschen betrafen, die sich sehr gut organisieren und artikulieren können. Eine Rahmenbedingung, die wir leider bei vielen Menschen, die von Sozialkürzungen betroffen sind, nicht in diesem Maße vorfinden.        


Seit dieser Zeit schwimmt die Koalition von CDU und SPD orientierungslos durch den Rest der Legislaturperiode. Zum einen wissen sie, dass die klassische neoliberale Politik des Rückzugs des Staates und der Privatisierung öffentlicher Aufgaben keine Akzeptanz mehr hat, aber, und das ist entscheidend, diese Koalition hat auch keine neue Idee mehr, wie sie dieses Land gestalten will. Der jetzt im Landtag zu verhandelnde Doppelhaushalt ist ein eindeutiger Beleg dafür. Eigentlich wollen die Protagonisten von CDU und Finanzminister Bullerjahn immer noch an ihren alten Plänen festhalten, wissen aber, dass sie nicht mehr die Kraft haben, dies umzusetzen. Und so ist es dann auch nicht verwunderlich, dass wir als Fraktion mit einer richtigen Schwerpunktsetzung in unserem Haushaltsbeschluss Änderungen anstreben, die von wichtigen gesellschaftlichen Kräften getragen werden und die bereits Wirkung bei der Koalition gezeigt haben. 


Das betrifft zum einen das Problem der Kommunalfinanzierung, wo wir allerdings noch weiterkommen müssen, als die Koalition bisher bereit ist zu geben. Wir sehen aber auch Entwicklungschancen im Bereich des Lehrerpersonals und der damit zusammenhängenden Schulentwicklungsplanung, einer der zentralen Schwerpunkte für uns in der aktuellen Auseinandersetzung. Ich könnte diese Reihe hier fortsetzen, in fast allen von uns aufgeworfenen Problemen des Doppelhaushalts der Landesregierung gibt es zumindest teilweise Bewegung in die von uns geforderte Richtung, und ich will dabei durchaus bemerken, dass es bei den Sozialdemokraten deutliche Absatzbewegungen vom Sparkurs des Finanzministers gibt. Wir werden alles tun, um diese Entwicklungen zu beschleunigen und nicht durch falsche Pauschalierungen in unserem Urteil diese Koalition zusammenschweißen. 


Allerdings, liebe Genossinnen und Genossen, reicht es noch nicht, auf die Orientierungslosigkeit dieser Koalition hinzuweisen. Wir müssen als Partei insgesamt und natürlich auch als Landtagsfraktion den Menschen beweisen, dass wir als Alternative dazu auch unter schwierigen Bedingungen handlungsfähig sind. Und da ist es kein Geheimnis, dass die teilweise gescheiterte Vorstandswahl im Juni dieses Jahres bei vielen Parteimitgliedern aber auch Sympathisanten eine erhebliche Verwunderung ausgelöst hat. Versteht mich aber bitte nicht falsch: Natürlich ist es auch und gerade bei uns nicht nur legitim sondern manchmal auch notwendig, politische Alternativen streitbar auszudiskutieren, und wenn diese Positionen sich mit Personen verbinden, sich auch Personen alternativ zur Wahl zu stellen. Entscheidend ist nur, dass man dann gemeinsam das Ergebnis einer solchen inhaltlichen oder personellen Entscheidung akzeptiert. Schwierig wird es aber, wenn Konflikte nicht offen ausgesprochen werden und bei einer solchen Wahl der Eindruck entsteht, dass wir nicht mehr handlungsfähig sind. Deshalb war es unwahrscheinlich wichtig, dass wir in den letzten Wochen mehr Zeit als sonst darauf verwandt haben, auch solche internen Probleme zu diskutieren. Und ja, liebe Genossinnen und Genossen, wir haben es geschafft, in einer schwierigen Situation und mit viel medialer Beachtung von außen, dieses Problem nunmehr zu lösen. Wir haben jetzt mit Eva, Hendrik und Harry drei neue Mitglieder des Fraktionsvorstand, und wir haben bewiesen, dass wir in der Lage sind, Konflikte zu lösen oder mit ihnen umzugehen und haben jetzt den Kopf frei, unsere eigentliche Aufgabe in den Fokus zu nehmen, nämlich die Umsetzung des Wählerauftrages: die Auseinandersetzung mit der politischen Konkurrenz und die Entwicklung einer modernen und sozialen Alternative für unser Land Sachsen-Anhalt. 


Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben neben dem Leitantrag noch einen weiteren Antrag vorliegen, der sich 25 Jahre nach der friedlichen Revolution mit der Bewertung des Jahres 1989 und der DDR auseinandersetzt. Ich unterstütze diesen Antrag ausdrücklich, weil er aus zwei Gründen notwendig ist: Einerseits müssen wir uns immer wieder selbst klar machen, dass linke Politik nur dann glaubwürdig ist, wenn sie nicht nur das Hier und Heute kritisiert, sondern auch kritisch mit der eigenen Geschichte umgeht. Und für mich ist es immer noch erstaunlich, wie auch ich durchaus linke Kritik an der DDR vor 1989 als Bedrohung empfunden habe. Nicht alle Menschen, die damals in Konflikt mit dem Staat und meiner Partei geraten sind, hatten solche Motivation, aber ich frage mich heute: Wie konnten damals Menschen mit einer antimilitaristischen Grundeinstellung diskreditiert werden, wie konnten Menschen, die sich gegen Umweltzerstörung gewehrt haben, zu potenziellen Staatsfeinden erklärt werden? Es ist immer wieder wichtig, uns diese strukturellen Fehler bewusst werden zu lassen, auch und gerade deshalb, weil man aus dieser Geschichte lernen kann. Es gibt aber auch noch einen anderen Grund. Und da müssen wir einfach konstatieren, dass es nicht wenige Menschen in unserem Land gibt, die uns immer noch mit SED und Diktatur und Staatssicherheit und Mauerbau verbinden. Warum sie das tun, darüber kann man lange spekulieren. Das nützt aber nichts. Übrigens auch nicht, denen zu sagen, dass wir das alles schon 25 Jahre wegbeschlossen hätten. Ich habe übrigens nicht die Illusion, dass uns diese Menschen in Zukunft massenhaft wählen werden. Aber ich möchte gern ihnen die Angst vor uns nehmen und ich glaube, auch das ist ein wichtiges Ziel, wenn wir über den Umgang mit DDR-Geschichte reden. 


Natürlich weiß ich auch, dass diese Debatte gegen uns vor allem von der CDU versucht wird, politisch zu missbrauchen und uns damit politisch zu isolieren. Übrigens etwas, was bei der Aktuellen Debatte im Landtag wegen der SPD und den GRÜNEN politisch schief gegangen ist. Da war auf einmal die CDU politisch isoliert, und zwar deshalb, weil sie als einzige Partei ihre eigene Geschichte vor 25 Jahren nicht reflektiert hat. Wenn wir klug und verantwortungsvoll mit diesem Thema umgehen, können wir auch geschichtspolitisch ein gutes Angebot für die gesamte Gesellschaft in Sachsen-Anhalt zur offenen Diskussion unterbreiten. Und nichts weniger, liebe Genossinnen und Genossen, wird unser Ziel sein, wenn es darum geht, eine glaubwürdige Alternative zur CDU anzubieten.  


Und, liebe Genossinnen und Genossen, wie wichtig es ist, diese Aufgabe erfolgreich zu gestalten, das spüren wir spätestens seit den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, und ganz besonders, seitdem sich in Thüringen LINKE, SPD und GRÜNE auf den Weg gemacht haben, dieses Land sozial gerechter und zukunftsorientierter zu gestalten. 


Ja, liebe Genossinnen und Genossen, Ihr konntet in den letzten Tagen lesen oder hören, dass ich von Thüringer Verhältnissen träume oder sie herbeisehne. Ihr könnt Euch sicher sein, das tue ich nicht, weil wir durch träumen oder sehnen in Sachsen-Anhalt eine Alternative zur selbsternannten Staatspartei CDU aufbauen werden. Das werden wir nur durch harte Arbeit im politischen Alltag und dadurch, dass wir für eine solche Alternative die Menschen im Land begeistern und dafür kämpfen, dass es diese Chance gibt. Und deswegen ist es richtig, dass ich von einem solchen sozialen Reformbündnis nicht etwa träume, sondern dass ich alles dafür tun werde, dass wir nach der nächsten Landtagswahl hier in unserem Land eine ähnliche Möglichkeit haben wie unsere GenossInnen jetzt in Thüringen. Und eine Lehre – das haben diese Landtagswahlen wirklich gezeigt – ist die, dass die klare Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme und auch die klare Bereitschaft zu Kompromissen ein ganz wichtiges Signal ist, das von uns als Partei ausgehen muss. Denn, liebe Genossinnen und Genossen, wenn wir selber zögern in dieser Auseinandersetzung, wen wollen wir denn draußen auf der Straße überzeugen? Und ich kenne doch auch alle Befürchtungen und Ängste, die bei uns mit der Übernahme von Regierungsverantwortung verbunden sind. Und ich kenne auch die Wahlergebnisse von Brandenburg und die notwendige Debatte über die Ursachen dafür. Aber zweifeln wir denn ernsthaft daran, dass wir es besser machen können als die Kollegen Haseloff, Bullerjahn, Dorgerloh und Webel und wie sie alle heißen? Natürlich können wir es besser. Und unter uns gesagt, gegenüber den von mir Genannten ist das auch nicht schwer. Aber ich möchte, dass wir dies eben auch ausstrahlen, in unseren eigenen Reihen und nach außen. Und wenn wir das schaffen, dann liebe Genossinnen und Genossen, was soll uns dann noch im Wege stehen, was soll uns dann noch aufhalten?

 

Friedrich Schorlemmer: DDR war kein Unrechtsstaat 

In der DDR geschah furchtbares Unrecht. ( Wie auch in der Bundesrepublik, Anm.der Red,.)  Doch wer sie als Ganzes zum Unrechtsstaat erklärt, kann zu keiner differenzierten Betrachtung des Lebens in diesem Land gelangen. Er pflegt lediglich alte Feindbilder und entschuldigt die Feiglinge von einst.

Von Friedrich Schorlemmer

Das Wort vom "Unrechtstaat DDR" stammt aus dem Kalten Krieg, als die Systeme konkurrierten: der "freie Westen" mit der sozialistischen Welt. Die so titulierte DDR war ein Mutterstaat, eine nährende, Geborgenheit stiftende Amme, und zugleich ein fordernder und strenger Vaterstaat. Hier existierte, durch Verfassung verbrieft, der Hort des Friedens. Es war festgelegt, dass die Lehren aus der Geschichte gezogen seien, jeder ein Recht auf Arbeit, Bildung, Gesundheit habe, auf Kultur, Sport, Freizeit, auf Fürsorge im Alter. Glaubens- und Gewissensfreiheit galten als garantiert.

Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit haben längst nicht alle Bürger zu spüren bekommen. Am Ende hatte der Staat den Abstand zwischen Proklamiertem und Erlebtem so tief werden lassen, dass dies keine Dialektik mehr wegdiskutieren konnte. Die Bürger trotteten dennoch mit, bis in den Herbst '89.

Ich habe vierzig Jahre in diesem Teildeutschland gelebt. Ich habe mir meine Freiheit selber genommen, mir neben dem Staat und gegen die SED meine Menschenwürde und meinen Entfaltungsraum behauptet, nie ganz allein stehend.

Wer die DDR noch 25 Jahre nach ihrem Ende in toto zum Unrechtstaat erklärt, der kann zu keiner differenzierenden Betrachtung des Lebens in diesem Land gelangen. Abgesehen von der Frage, ob das Diktum "Unrechtsstaat" überhaupt eine juristisch taugliche Bezeichnung ist: Es delegitimiert alles, was in der DDR gewesen ist.

Wer diesen Staat unter Führung der "Partei der Arbeiterklasse" erlebt und durchstanden hat, weiß, wie hier ein hierarisches System mit quasireligiösem Erlösungsanspruch alle Lebensbereiche mit dem Attribut "sozialistisch" versah und dieses "sozialistisch" auf die eigene Linie einengte. Die Motivation der Leute, die dem folgten, konnte indes durchaus ethisch und menschlich respektabel sein.

Kritik konnte geübt werden - und sie wurde es auch

In der DDR herrschte Willkür. Viele Widersprechende mussten das bitter erleben. Es gab keine Gewaltenteilung; der Staat strafte die Abweichler. Zugleich aber konnte Kritik geübt werden, und sie wurde es auch. Nicht nur das Kabarett legte die Differenz zwischen Idee und Praxis offen, zwischen den großen Zielen der humanistisch-sozialistischen Gesellschaft und dem leninistisch-stalinistischen "Bolschewismus", der immer auch Tschekismus war. Es war so möglich wie gefährlich, den "real existierenden Sozialismus" an den propagierten Zielen zu messen und zu kritisieren, gerade was die Entfaltungsrechte und -möglichkeiten des Einzelnen betraf. Wer vom "verbesserlichen Sozialismus" sprach, wie der evangelische Propst Heino Falcke schon 1972, beging ein Sakrileg. Der Sozialismus konnte höchstens "weiter vervollkommnet" werden.

Würde nun über 40 Jahre DDR einfach die Definition "Unrechtstaat" gesetzt, wären auch das Familien- und das Arbeitsrecht zum Unrechtsstaatsrecht erklärt, die Gesetze zum Schutz der Jugend, das Recht auf Bildung und Kultur, alles, was in der DDR rechtlich geregelt war. Es besteht wahrlich kein Anlass, das Repressions- und Spitzelsystem zu beschönigen und zu relativieren. Doch so, wie es den einen Zukunftschancen verstellte, so eröffnete es aber auch vielen neue Bildungswege.

Ja: Wenn ich mir das politische Strafrecht vergegenwärtige, befällt mich Atemnot bei diesem Gedanken. Trotzdem kann ich nicht sagen, dass ich in toto in einem Unrechtstaat gelebt, geheiratet, Kinder bekommen hätte. Ich habe umsorgt im Krankenhaus gelegen, ein Theologiestudium an einer staatlichen Universität abgeschlossen, den Führerschein gemacht, eine Wohnung zugewiesen bekommen. Im Geistig-Kulturellen habe ich mir, wie viele andere, Freiheiten erkämpft, gegen Druck und Diffamierung. Das Widerspenstige und Widerständige konnte man in der DDR manchmal geradezu genießen. Man konnte das Aufrechtgehen lernen.

 

Ein differenzierte Sicht ist keine Einladung zur Ostalgie

Es gab Lücken im Mauerstaat. Ich kann rückblickend nicht sagen, in der DDR sei Widerständiges ohne Aufgabe der Existenz nicht möglich gewesen. Wer dies behauptet und die DDR als reinen Horrorstaat beschreibt, rechtfertigt ungewollt alles Anpasserische und Gekrümmte, das Schweigende, das Mitlügende, das karrierebesessene Kuschen. Die Rede vom totalitären Unrechtsstaat macht die Entschuldigung bequem: In ihm wäre ja tatsächlich nur in wenigen Ausnahmefällen geradliniges Leben möglich gewesen.

In diesem Zusammenhang verursacht mir auch Freiheitspathos Bauchschmerzen, das über dem Gedenken an den Mauerfall liegt. Die Mehrheit derer, die aus der DDR flohen, wollten besser leben, verständlicherweise. Nur sollte man da nicht das Etikett "Freiheit" verwenden. Und so manche, die in den Blockparteien auf der Schleimspur der SED rutschten, reißen nun ihren Mund weit auf, nachdem sie ihn so lange tapfer zugepresst hatten, die Freiheit heimlich liebend.

Niemand darf relativieren, was in den Gefängnissen der Stasi geschah, welche Methoden der Zerrüttung bei angeblichen Staatsfeinden angewandt, wie Kinder indoktriniert wurden. Man darf das Dumpfe nicht schönreden, das über dem Land lag, den Verfall, die organisierte Verantwortungslosigkeit, die Belohnung des Faulen und Unfähigen. Das alles muss man benennen, kritisieren, verurteilen - doch ohne die Generalverdammungskeule Unrechtstaat zu gebrauchen. Diese Generaldelegitimation mag immer noch das Bedürfnis nach einem Feindbild befriedigen. Sie birgt aber die Gefahr, dass die DDR auf eine Stufe mit dem Nationalsozialismus gesetzt wird, was eine Verharmlosung von Judenmord und Angriffskrieg wäre.

Eine differenzierte Sicht auf das verjagte und friedlich abgelöste System ist keine Einladung, Ostalgie zu pflegen. Es ist die Einladung, gelebtes Leben nicht als verlorene Zeit zu verwerfen. Und jeden Tag zu preisen, dass auch die Ostdeutschen seit mehr als 24 Jahren im Geltungsbereich des Grundgesetzes leben.

Friedrich Schorlemmer war in der DDR Prediger an der Schlosskirche Wittenberg.

http://www.sueddeutsche.de/politik/ddr-es-gab-luecken-in-der-mauer-1.2189246-2

 

Bodo Ramelows Ritt auf der Rasierklinge zum Ministerpräsidenten-Amt

Welche Zitterpartie bevorsteht, zeigt ein Blick auf die Mehrheitsverhältnisse. Linke, SPD und Grüne haben zusammen 46 Stimmen. Die CDU und die neu in den Landtag eingezogene AfD kommen auf 45 Abgeordnete. Würde sich im ersten und zweiten Wahlgang nur ein einziger Abgeordneter des rot-rot-grünen Lagers der Stimme enthalten, wäre Ramelow nicht gewählt. Ab dem dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit. Schon wird über Wackelkandidaten spekuliert. Etwa der Grünen-Abgeordnete Olaf Möller, der laut Medienberichten „geheime Gespräche“ mit der CDU über eine Regierungsbildung geführt haben soll.

Indes wurde über den grünen Abgeordneten Olaf Möller erneut  berichtet, er führe schon Geheimgespräche mit der CDU. Möller hatte zwar schon in den neunziger Jahren vorausgesagt, dass sich die Grünen gegenüber der CDU öffnen müssten, um mehr Machtoptionen zu haben, zumal die Linke die Rolle der populistischen Protestpartei angenommen hatte, schreibt die Faz. Aber offen bekennt auch er sich nicht zum Abweichler. 

Der erste seiner Art. Bodo Ramelow könnte als Linken-Politiker Ministerpräsident werden. Nicht allen gefällt diese Premiere.

 

CDU-Landeschefin und Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht schien diese Woche in sich hinein zu lächeln, als sie gefragt wurde, ob sie eine Gegenkandidatur zu Ramelow erwägt. Sie, vielleicht CDU-Fraktionschef Mike Mohring oder auch der neue Hoffnungsträger der Thüringer Union, der frisch gewählte Parlamentspräsident Christian Carius, kämen für solch einen Coup in Frage. Ramelow selbst hat es im Jahr 2009 vorgemacht, als Lieberknecht nicht in den ersten beiden Wahlgängen zur Ministerpräsidentin gewählt wurde. Im dritten Wahlgang trat Ramelow gegen sie an - und schloss damit die christdemokratischen Reihen.

Gut möglich, dass die Angst vor Neuwahlen das rot-rot-grüne Lager diszipliniert. Würde Ramelow aber tatsächlich in einen dritten Wahlgang gezwungen, könnte alles passieren. Dann unterstützt womöglich die AfD einen CDU-Bewerber. Entsprechende Signale soll es geben. Käme nur ein Abweichler von Rot-Rot-Grün hinzu, wäre es um den Linken-Vormann geschehen.

Unter Linken in Thüringen gibt es gr0ßen Frust, weil in der Präambel des Koalitionsvertrages die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet wird, was sie definitiv nicht war. Das bringt viele Linke gegen Bodo Ramelow auf. Da helfen auch Relativierungen nichts. So hat er die DDR als System mit verbrieften Rechten bezeichnet  und die Linke in die direkte Linie der Tradition mit der SED gerückt.  Unterm Strich könnten ihm diese Bezeichnun der eigene Geschichte und des  eigenen Sozialismusversuches auf deutschem Boden, der so delegitimiert wird,  bei der  ja geheimen Wahl zum Ministerpräsidenten, auch etliche linke Abgeordnete übel nehmen und ihn durch Nicht-Wahl abstrafen.     

Die linke Abgeordnete Johanna Scheringer-Wright, die die Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat ablehnt und aus einer niederbayrischen Kommunistenfamilie stammt, hatte sich im Landesvorstand der Stimme enthalten, als dieser für Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen votierte. Öffentlich versicherte die Abgeordnete nun, im Landtag für Ramelow zu stimmen- aber sicher kann man sich da nicht sein. 

Der designierte SPD-Vorsitzende Andreas Bausewein, der am Wochenende in sein neues Amt gewählt werden soll, warnte schon vor Neuwahlen in fünf oder sechs Monaten. Die SPD fürchtet, dass im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten ein Kandidat der CDU mindestens so viel Stimmen wie Ramelow erhalten könnte. Damit wäre Rot-Rot-Grün gescheitert. 

Bodo Ramelow will das alles durch Pragmatismus überspielen . Es ginge nicht um die Weltrevolution oder Ideologien, versucht er zu beschwichtigen sondern er  sagt: „Wir wollen beweisen, dass wir bei Problemlösungen alltagstauglich sind “. So soll die Linke als normale Parei erscheinen und so versucht er die historische Dimension seiner Wahl als sozialistischen und antikapitalistischen Ministerpräsidenten auszublenden oder kleinzureden - wahrscheinlich um sich selber Mut für die Wahl zu machen. Aber laut Bundes-Parteiprogram der Linkspartei  ist er genau das - ein marxistischer Miisterpräsident . Was er davon realpolitisch umsetzt, steht auf eine anderen Blatt.    

Thüringens Linke-Ministerpräsidentenkandidat Bodo Ramelow hat seine Partei vor rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen zur Geschlossenheit aufgerufen. «Zwei Linke, drei Spaltungen, das war immer die Schwäche der deutschen Linken - machen wir nicht den Fehler», sagte er am Samstag auf einem Landesparteitag in Leimbach (Wartburgkreis). Die Linke werde in einer rot-rot-grünen Regierung die Ankerpartei sein, aber auf Augenhöhe mit den Partnern agieren.

«Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen, die Verhandlungen sehr zügig zu fahren», sagte Ramelow. Er erwarte in der ersten oder zweiten Dezemberwoche die entscheidende Ministerpräsidenten-Wahl im Landtag. «Dann wird sich zeigen, ob getragen von Urabstimmungen in drei Parteien die Landtagsmehrheit von 46 Stimmen zustande kommt.» Ein rot-rot-grünes Bündnis hätte ja wie gesagt im Landtag nur eine Stimme Mehrheit.

http://www.tagesspiegel.de/politik/regierungsbildung-in-thueringen-gruene-wollen-koalieren-dennoch-muss-bodo-ramelow-zittern/10880334.html.