Sevim Dagdelen prangert Diffamierungen von "Aufstehen" an 

Aufstehen jetzt!

Sevim Dagdelen hatte vor kurzem einen Beitrag zur Unterstützung von ‘Aufstehen’ geschrieben, der sich gegen die diffamierenden Kritiken richtet und diesen im ‘Rotfuchs’ veröffentlicht.

Trotz tatsächlicher Ausgrenzung von sozialistischen Linken in den Führungsstrukturen bei "Aufstehen" und eine gewise Offenheit hin zu Rechtspopulisten- Verstehern und neoliberalen Sozialdemokraten in der Bewegung, weist Dagelen als Hauptinitatorin von "Aufstehen" angebliche Diffamierungskampagnen im Mainstream zurück. 

Im Wortlaut 

Schaut man sich die ideologischen Auseinandersetzungen um die sozialen Proteste der Gelbwesten in Frankreich an, so sind Parallelen zum Umgang mit „Aufstehen!“ nicht von der Hand zu weisen. Es ist bestürzend, mit ansehen zu müssen, wie mit Verweis auf Unterwan-derungsversuche des rechtsextremen Front National der Linken in Frankreich empfohlen wird, sich aus den Sozialprotesten gegen die Benzinpreiserhöhung und das autoritär-neoliberale Regime des französischen Staatspräsidenten Macron zurückzuziehen. Wer so argumentiert, der räumt das Feld der Sozialproteste für die extreme Rechte und den Faschismus in Europa. Wer die Linke so positionieren möchte, der öffnet die Tür für eine fatale Strategie der extremen Rechten: Polemisch gesprochen müßten die fortan nur eine Handvoll Leute zu den jeweiligen Sozialprotesten schicken, um diese dann nach dem empfohlenen Rückzug der Linken übernehmen zu können.
 
Wie bei den Gelbwesten in Frankreich waren dieselben Diffamierungsmuster auch gegenüber der Sammlungsbewegung „Aufstehen!“ von Anfang an zu erkennen. Erst wollte man hinter den mittlerweile 175 000 eingetragenen Unterstützerinnen und Unterstützern bloße Internetklicks erkennen; dann wurde mit dem Vorwurf gearbeitet, die Bewegung sei nach rechts offen, obwohl sowohl der Gründungsaufruf wie auch die 89 Erstunterzeichnerinnen und Unterzeichner klar auf dem Boden der gesellschaftlichen Linken stehen. Als diese Lügengebäude schließlich in sich zusammenbrachen, wurde der Vorwurf erhoben, „Aufstehen!“ würde es um eine Spaltung der Linken gehen.
 
Diejenigen, die sich auf den Weg gemacht hatten, focht dies wenig an. Und so ist ganz entgegen aller Unkenrufe eine Bewegung für soziale Gerechtigkeit und Frieden in Deutschland entstanden, die mit Aktionen und Demonstrationen für eine neue soziale Demokratie oder Protesten gegen den Rüstungshaushalt der großen Koalition von sich reden macht. „Aufstehen!“ will zeigen, daß es ein Programm für einen sozialen Wechsel geben könnte, und so Druck auf die Parteien, insbesondere auf SPD und Grüne, machen, endlich ihre neoliberale Agenda zu verlassen und konkrete soziale Verbesserungen auf den Weg zu bringen. „Aufstehen!“ versteht sich damit explizit als Bewegung gegen die extreme Rechte. Dies kann aber nur gelingen, wenn die Linke in diesem Land sich in Bewegung setzt, wenn wir uns gleichzeitig massiv beteiligen am Kampf für bezahlbare Mieten, sichere Renten und höhere Löhne, aber nicht, indem wir uns als Linke aus sozialen Bewegungen oder auch der Friedensbewegung zurückziehen.
 
Viele der Kritiker von „Aufstehen!“ reden sich die Situation in unserem Lande schön, nur um nicht handeln zu müssen oder um sagen zu können, wir haben doch schon immer gehandelt. Das ist grob fahrlässig auch im Hinblick auf die Gefahr von rechts. Die soziale Situation in Deutschland spitzt sich extrem zu. Auf der einen Seite leben mittlerweile 15,5 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze, für normal arbeitende Familien reicht es aufgrund der massiv steigenden Mieten und des Anstiegs der Lebenshaltungskosten hinten und vorne nicht mehr. Währenddessen wachsen die Vermögen der Milliardäre und ihre Anzahl in Deutschland. Das muß sich ändern. „Aufstehen!“ tritt für eine radikale Umverteilung von oben nach unten, für eine ökologische Wirtschaft und eine Friedenspolitik ein, die ihrem Namen gerecht wird. Wir wollen Druck machen, damit in Deutschland endlich die Reichen zur Kasse gebeten werden, um die Wiederherstellung des Sozialstaats zu bezahlen. Wir brauchen endlich mehr sozialen Widerstand in Deutschland statt immer neue, sicher gut gemeinte Ratschläge vom Spielfeldrand.
Wichtig ist, daß „Aufstehen!“ weiter wächst und weiter gestärkt wird. Wir brauchen Spenden und dauerhafte finanzielle Beiträge für unsere Arbeit, denn selbstverständlich nehmen und bekommen wir kein Geld von Konzernen. Noch wichtiger aber ist, daß sich noch mehr Menschen in den bisher über 100 Gruppen vor Ort engagieren oder dabei mithelfen, neue Gruppen zu gründen.
Es macht Mut, daß so viele Menschen sich in so kurzer Zeit zusammengefunden haben. Es ist ein Zeichen der Hoffnung, daß sie sich nicht mürbe machen lassen von den Diffamierungen, von tagtäglichen Unterstellungen und voreiligen Grabreden. Ich bin mir sicher, wenn wir noch stärker werden, werden die Parteien an uns nicht mehr vorbeikommen.
Es gibt ein Zerrbild von Deutschland und Frankreich, was die politische Kultur angeht: Während man in Frankreich auf die Straße geht, um die neuen asozialen Zumutungen der Herrschenden zu verhindern, räsoniert man in Deutschland im Hinterzimmer, wie denn eine solche Bewegung beschaffen sein müßte, damit sie erfolgreich sein könne, so lange, bis auch jedes Lüftchen eines Sozialprotests verf logen ist. Sicherlich ein Zerrbild, aber eben mit einem wahren Kern. „Aufstehen!“ will, daß sich dies ändert.
Sevim Dagdelen
(MdB, Partei Die Linke, Mitinitiatorin der Sammlungsbewegung „Aufstehen!“)