Drucken

Sahra Wagenknecht fordert weitgehende Vergesellschaftung der Automobilwirtschaft statt Enteignung der kleinen Diesel-Fahrer 

Im Wortlaut aus der  Seite der Linksfraktion

Die Machenschaften der Autokonzerne dürfen nicht länger politisch gedeckt werden. Und es darf keine Enteignung der Autobesitzer geben. Ein Gastkommentar der Linken-Fraktionschefin im Bundestag.

Von Sahra Wagenknecht

Union und SPD wollen die Enteignung der Besitzer von Dieselautos einfach durchwinken. Alle Bestimmungen des Grundgesetzes zum Schutz des Eigentums werden missachtet. Autokonzerne wie VW haben eben nicht nur ein ökologisches Desaster mitzuverantworten, sondern belasten zusätzlich Millionen von Autobesitzern.

Schätzungen gehen von einem Schadensvolumen von bis zu 15 Milliarden Euro aus. Durch Abschalteinrichtungen, gefälschte Verbrauchswerte sowie den mit der Affäre verbundenen Werteverfall ihrer Autos ist ein massiver materieller Schaden entstanden, den die Unternehmen nicht bereit sind zu beheben.

Die große Koalition hat den Autobauern auf dem jüngsten Gipfel zur Dieselaffäre auch noch den Rücken gestärkt. Die Einigung, kostengünstig eine Software im Wert von 100 Euro aufzuspielen, die den Schadstoffausstoß um 25 Prozent reduziert, statt für 1500 Euro Einrichtungen zu verbauen, die 90 Prozent Reduzierung zur Folge hätten, ignoriert nicht nur den Umweltschutz, sondern lässt auch die Autobesitzer im Regen stehen, denn diese Scheinlösung verhindert eine tatsächliche Entschädigung.

Es ist erschreckend, in welchem Ausmaß sich die Parteien, die die Bundesregierung stellen, der Lobby der Autokonzerne beugen. Zwei besonders pikante Beispiele sind dabei der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Stephan Weil und der ehemalige CDU-Staatsminister Eckart von Klaeden.

Willfährigkeit der Politik

„Bitte schau mal rein, ob da irgendwas drinsteht, was so gar nicht euren faktischen oder rechtlichen Erkenntnissen entspricht.“ Mit diesem Satz ließ Weil seine Regierungserklärung zum Dieselskandal vorab an VW schicken. Wer so handelt, der kann und will Konzerne nicht kontrollieren und bestärkt den Verdacht, dass Politik käuflich ist.

Erschreckend auch, dass Union und FDP, obwohl sie bereits früh von dieser Willfährigkeit wussten, offenbar keine Kritik am Verhalten des Ministerpräsidenten hatten. Dass Weil trotz dieser Vorgänge jede Forderung nach einem Rücktritt von sich weist, zeigt, wie tief der Maßstab für Moral in der Politik inzwischen gesunken ist.

Weil hat viele Pendants aufseiten der CDU. Zu ihnen gehört Eckart von Klaeden, Merkel-Vertrauter und jetzt Daimler-Cheflobbyist, der erfolgreich hinsichtlich der Regeln für Abgastests im Kanzleramt intervenierte.

Großspender begrenzen

Es gilt, zwei grundlegende Lehren aus der Dieselaffäre zu ziehen. Die Machenschaften des Managements der Autokonzerne dürfen nicht länger politisch gedeckt werden. Darüber hinaus muss die Enteignung der Autobesitzer gestoppt werden.

Es kann nicht sein, dass Millionen Verbraucher jetzt auf den Klageweg verwiesen werden, um individuell (oder allenfalls per Sammelklage) ihr Recht durchzusetzen. Die Konzerne müssen für die durch den Betrug verursachten Schäden endlich in Haftung genommen werden. Besitzer sollten ihre Dieselautos auf Kosten der Hersteller umrüsten oder gegen Entschädigung verschrotten können.

Die Idee einer staatlichen Abwrack- und Umrüstungsprämie in Höhe von 2000 Euro bei Dieselfahrzeugen ist nur gerecht, wenn im Gegenzug Unternehmensanteile in entsprechender Höhe an die öffentliche Hand oder an die Belegschaft überschrieben werden.

Seitenwechsel erschweren

Wir brauchen zweitens aber auch Mechanismen, die eine solche Verquickung von Politik und Konzerninteressen in Zukunft verhindern. Es ist kein Zufall, dass Großspender wie die Autokonzerne jene Parteien besonders großzügig bedenken, die ihnen im Falle von Schwierigkeiten dann eilfertig zu Diensten sind.

Kein Mittelständler könnte es sich leisten, auf diese Weise seine Interessen politisch zur Durchsetzung zu bringen. Es ist daher an der Zeit, Unternehmensspenden grundsätzlich zu verbieten und diese Form der Bestechungspraxis in Deutschland zu beenden. Zudem muss der Vermengung von politischen und wirtschaftlichen Interessen endlich Einhalt geboten werden.

Bundesminister und parlamentarische Staatssekretäre sollten nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt mindestens drei Jahre bzw. für die Dauer des zeitlichen Anspruchs auf Übergangsgeld warten müssen, bevor sie in Unternehmen wechseln dürfen, mit deren wirtschaftlichen Interessen sie zuvor politisch befasst waren.

Die Welt,