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Über den gescheiterten Putsch in der Türkei

Übernommen aus wikipedia Kremlin.ru    CC-BY 4.0   File:Recep Tayyip Erdoğan June 2015.jpg   Erstellt: 13. Juni 2015

Ich habe mich bisher zurückgehalten mit einem Statement zu den türkischen Ereignissen, aber allmählich wird es wohl Zeit.

Ja, es ist wie in einem besseren Gangsterfilm, der ohne "good guys", aber dafür mit mehreren "bad guys" auskommt. Als ich die ersten Meldungen vernahm, wollte ich es zuerst nicht glauben. Sollte das wirklich ein Putsch sein? Wer waren die Wahnsinnigen, die eine solche Tollkühnheit begehen?

Natürlich drängte sich mir auch sehr schnell der Verdacht auf, dass der Kalif von Ankara, Erdogan, den Putsch selbst inszeniert hatte.

Soo unwahrscheinlich ist ein solches Szenario nämlich nicht. Hat es alles schon einmal gegeben, z.B. in Indonesien 1965, orchestriert durch die weltweit bekannte Spezialorganisation zur Durchführung verdeckter Operationen im Dienste der Imperialismus, der CIA:

https://de.wikipedia.org/wiki/Bewegung_30._September

Doch als die konzerngesteuerten Medien (ZEIT usw.) genau diese Interpretation der Ereignisse verbreiteten, kamen mir Zweifel. Nicht dass etwa immer das Gegenteil von dem wahr wäre, was die konzerngesteuerten Mainstreammedien so schreiben, aber von einem kann man getrost ausgehen: was sie auch schreiben, es ist garantiert auch Propaganda dabei.

Die unverhohlene Feindseligkeit dieser Medien gegenüber den (zweifelsohne undemokratischen) Maßnahmen Erdogans nach dem Putsch überraschte mich nun denn doch. Wenn Mainstream-Medien die Wahrheit verbreiten (in diesem Fall über die autokratischen Maßnahmen Erdogans gegen jegliche Opposition im eigenen Land, nicht nur gegen "Putschisten"), dann verfolgen sie mit Sicherheit einen Zweck. Und der kann nur sein, einer transatlantischen politischen Agenda zu folgen, und die lautet offensichtlich aktuell: Putsch hin oder her, Erdogan ist ein "bad guy".

Zu denken gaben mir folgende Beurteilungen der Situation aus jeweils verschiedenen politischen Standpunkten.


Aus islamisch-antiimperialistischer Sicht der Muslim-Markt:

http://www.muslim-markt-forum.de/t1252f2-Was-ist-los-in-der-Tuerkei-warum-schreibst-Du-nicht-darueber.html#msg3734

Der Autor geht definitiv von einem CIA-inspirierten Putsch aus (" faktisch die größte Terrororganisation der Welt "):

"Die offizielle Version der Türkei geht von einem gescheiterten CIA-Putsch aus! Es wäre nicht das erste Mal, dass der CIA sich verrechnet hat. Interessant dabei ist, dass obwohl die türkischen Medien sehr frei darüber berichten, hier in der Westlichen Welt gar nichts davon ankommt!"

Der Autor betont gleichzeitig, mit seinen Thesen nicht die Maßnahmen Erdogans rechtfertigen zu wollen und betont die Interessen der USA in diesem Spiel.


Aus sozialistisch-trotzkistischer Sicht:

https://www.wsws.org/de/articles/2016/07/19/turk-j19.html

Auch wsws.org sagt klar:

"Es ist kaum denkbar, dass die türkischen Offiziere den Putsch ohne Ermutigung oder Unterstützung von amerikanischer und deutscher Seite gewagt hätten. "

und über Erdogan selbst:

"Erdogan ist ein rechter, reaktionärer Politiker mit autoritären Ambitionen. Aber die Abrechnung mit ihm ist die Aufgabe der türkischen und internationalen Arbeiterklasse und nicht des türkischen Militärs und der imperialistischen Mächte. Der Putschversuch diente nicht zuletzt dazu, eine solche Bewegung von unten zu verhindern. "


Aus russischer Sicht:

http://de.sputniknews.com/politik/20160721/311639531/russland-erdogan-putsch-warnung.html

Hier findet sich die hochinteressante Detailinformation, dass

"....der türkische Geheimdienst MIT habe wenige Stunden vor Beginn des Putsches vom russischen Verteidigungsministerium eine Warnung erhalten. Die russische Armee habe Funkverbindungen der Putschisten mitgehört. Unter anderem wurde so der Befehl abgefangen und entschlüsselt, Kampfhubschrauber nach Marmaris zu schicken und Erdogan in seinem Urlaubshotel zu verhaften bzw. zu ermorden."

Diese Meldung fand ich auch in anderen alternativen Medien wieder, kein Wort davon aber in dem Mainstream-Medien.


Und hier die hochinteressante Einschätzung von Willy Wimmer (CDU):

https://kenfm.de/willy-wimmer-putsch-tuerkei/

Fazit:

Der jüngste Putsch in der Türkei entsprach also durchaus den Interessen der transatlantischen herrschenden Klasse, der der rechtspopulistische bürgerliche Nationalist Erdogan zu selbstständig und zu wenig gefügig geworden ist. Das macht aus Erdogan zwar ebenso wenig einen "antiimperialistischen Helden" wie wie das Gejammer der Mainstream-Medien über die autokratischen Machenschaften des Kalifen von Ankara diese zu Vorkämpfern von Menschenrechten und Demokratie. Aber es ist wichtig, dass wir uns da nicht täuschen lassen.

Markant Wimmers Antwort auf die Frage Ken Jebsens, wo bei all diesen Ereignissen die klassische Linke sei: "Die sind schon längst auf NATO-Kurs eingeschenkt".

Leider wohl wahr.

Was sich aber auch abzeichnet: es kracht und knackt im imperialistischen Gebälk. Es zeichnen sich wachsende Konflikte zwischen der transatlantischen herrschenden Klasse und ihren Vasallen ab. Für internationalistische Sozialisten ist dabei nicht angesagt, den einen oder anderen "bad guy" temporär zum "good guy" zu deklarieren, sondern wir müssen verstehen, was da passiert.

Nachtrag:

Was die Popularität des Kalifen von Ankara, Erdogan, angeht, so fand ich interessante Hinweise ausgerechnet in einem wenig hervorgehobenen Artikel in der ZEIT vor einiger Zeit:
http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-06/tuerkei-wahl-wirtschaft-sozialpolitik-stimmenkauf

"Stimmenkauf" ist natürlich sehr abwertend und polemisch ausgedrückt. Die beherrschende Rolle verdankt Erdogan also nicht ausschließlich seiner Raffinesse und seiner Skrupellosigkeit, sondern einem islamischen Populismus mit explizit sozialen Aspekten.