Wagenknecht zeigt sich als Brexit- und Plebiszit-Versteherin

In einem Beitrag für die bürgerliche "Zeit"  machen die Linken-Politiker Fabio de Masi und Fraktionschefin Sahra Wagenknecht deutlich, dass die Briten mit ihrem Votum für das Brexit nicht gegen die EU an sich gestimmt hätten sondern gegen das undemokratische und elitäre EU Projekt, dass nur der Herrschaft der Konzerne dient.

Die Briten hätten gegen die herrschende EU-Politik der britischen und der deutschen Regierung und gegen die EU- Kommission der nicht demokratisch gewählten Polit-Kommissare gestimmt.

Die Buchmacher lagen falsch und die Börse hat sich verzockt: Die Briten hatten soziale Ängste. Es ist kein Zufall, dass die Londoner City mit ihren Investmentbankern und Lobbyisten für den Verbleib in der EU stimmte und die Mehrheit der Labour-Anhänger in den einstigen Industriemetropolen für den Brexit. Wie eine Umfrage der Bank of America/Merrill Lynch vor dem Referendum verdeutlichte, trieb die Briten vor allem die Sorge um niedrige Löhne, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und der Verfall der Krankenhäuser um. Dabei spielte natürlich auch die Angst vor verschärfter Konkurrenz um Löhne und Jobs infolge von Zuwanderung eine Rolle. Auch der Verlust an demokratischer Kontrolle im heutigen Europa machte viele Briten wütend.

Nicht der Brexit führt die EU in eine Krise. Er ist ein Symptom der europäischen Krise. Wer nun die britischen Wähler beschimpft oder versucht, die jungen Briten gegen die ältere Generation auszuspielen, hat nichts verstanden. Auch in Frankreich und Italien fordern immer mehr Menschen ein Referendum über eine EU-Mitgliedschaft. In Schweden befürwortet laut Umfragen eine Mehrheit mittlerweile den Austritt aus der EU.

Der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn hat recht: Das Votum der Briten war ein Aufstand gegen eine verfehlte Wirtschaftspolitik. Die EU bietet längst keinen Schutz mehr vor den sozialen Verwerfungen der Globalisierung. Im Gegenteil: Sie hat den Dumpingwettlauf bei Steuern, Löhnen und Sozialstandards über den Binnenmarkt und das Wettbewerbsrecht weiter angeheizt. Im Ergebnis wächst die Ungleichheit, die Mittelschicht wird kleiner und die Zahl der Armen und Abgehängten größer. Während Konzerne und Banken profitieren, haben Arbeitnehmer, aber auch viele Mittelständler das berechtigte Gefühl, dass ihre Interessen in Brüssel unter die Räder kommen.

Der Brexit war kein Votum gegen Europa, sondern ein Votum gegen einen Brüsseler Club, der sich der Demokratie entzieht. Dass die EU-Kommission das Handels- und Investitionsabkommen mit Kanada (Ceta) unter Umgehung der nationalen Parlamente in Kraft setzen ("EU-only") möchte, ist ein exemplarisches Beispiel dafür. Der Brexit war auch ein Votum gegen das "deutsche Europa". Angela Merkels permanente Alleingänge, zuletzt ihr privater Flüchtlingsdeal mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan, stoßen unsere EU-Partner vor den Kopf.

Obwohl die Analyse von de Masi und Wagenknecht im Wesentlichen richtig ist, werden die richtigen  Konsequenzen als Antwort auf diese Politik  für die Konzerne nicht ausreichend angesprochen.

Richtig ist zwar die Schaffung neuer Verträge und die Volksabstimmung in allen Ländern darüber.  Aber die Vorherrschaft der Weltkonzerne in Europa und die Lobbykratie der Eurokraten sowie die Abstinenz eines Parlamentes mit uneingeschränkten Initiativrechten und Gesetzgebungskompetenz  wird dadurch nicht geschaffen, wenn  ihre oligopole Marktdominanz nicht angetastet wird.

Verhinderung von Lohndumping durch das Bestimmungslandprinzip, die Trennung des Investmentbanking vom klassischen Kreditgeschäft der Geschäftsbanken, Schutz  des öffentlichen Eigentums, Einschränkung des Konkurrenzprinzips,  Stopp der Freihandelskommen TTIP und CETA mit USA und Kanada, Bekämpfung der Steuerflucht und von Steueroasen, Mindeststeuersätze bei der Körperschaftssteuer, Investitionsprogramme finanziert durch EZB- Gelder statt Schaffung neuer Finanzblasen im Bankenwesen, Vermögensabgabe für Millionäre und Volksentscheide sind zwar notwendige Reformen, die aber alleine für einen Neustart nicht ausreichen.     

Doch das eigentliche Kernproblem ist  die Herrschaft der Konzerne, die auch den Mittelstand in Europa vernichtet.

Selbst in den als wohlhabend geltenden Staaten wie Deutschland oder Österreich sind viele Menschen auf Lebensmittelhilfen der Tafeln angewiesen, um so überhaupt durch den Monat zu kommen. In den USA leben 45 Millionen Menschen von Lebensmittelmarken – den sogenannten „Food Stamps“. Gleichzeitig konzentriert sich das Vermögen bei nur sehr wenigen Menschen. In der EU geht  die Tendenz in die gleiche Richtung.

Die sogenannte „globale Arbeitsteilung“ sorgt dafür, dass die Wertschöpfung zunehmend in billige Länder verlegt und ausgelagert wird. Zwar werden dadurch diverse Produkte vor allem für die Einwohner reicherer Länder erschwinglicher, doch die Menschen dort müssen sich zunehmend mit schlechter bezahlten Dienstleistungsjobs durchschlagen, was die dortige Wirtschaftskraft schwächt.

Und auf globaler Ebene betrachtet kostet  das nicht nur Wachstum, sondern zudem auch zusätzliche Ressourcen, da die Waren und deren Rohstoffe bzw. Vorprodukte nun deutlich größere Strecken zurücklegen müssen. Faktisch wird so neue Armut geschaffen, ohne dass ein adäquater Ausgleich in armen Ländern entsteht, während sich die Konzerne und deren Eigentümer auf Kosten von Menschen und Umwelt bereichern.

Mit der wachsenden Verflechtung der Volkswirtschaften über die Konzerne und globalisierter Produktionswege schaffen wir zudem auch gefährliche Abhängigkeiten. Früher sorgte zum Beispiel der Bankrott eines Staates oder der Zusammenbruch einer Volkswirtschaft kaum für Auswirkungen in anderen Ländern, da vor allem die Binnenkonjunktur eine entscheidende Rolle spielte. Heute jedoch sorgt das Schwächeln Chinas global für Probleme.

Selbst das kleine Griechenland lässt die eigentlich große und starke EU erzittern. Und all das nur, weil wir mit diesem globalen Netz von Wirtschaft und Kapital extreme Abhängigkeiten geschaffen haben.

Konzerne wachsen unkontrolliert  – Länder spielen keine Rolle mehr

Inzwischen spielen auf globaler Ebene nur noch die multinationalen Konzerne eine Rolle. Sie treiben ganze Länder im Zweifelsfalle auch in Kriege für Markteroberungen  und sie kaufen sich nationale Parlamente im Rahmen der neu geschaffenen Lobbykratie. 

Menschen sind nur „Humankapital. Im Endeffekt zählt nur noch das Preis-Leistungs-Verhältnis. Durch die wirtschaftliche und finanzielle Macht der Konzerne werden  die Staaten quasi dazu gezwungen, sich einem gefährlichen Lohn-, Sozial- und Steuerdumping zu unterwerfen.

Ganz nach dem Motto: Besser viele Bürger mit einem kaum zum Leben ausreichenden Lohn in Beschäftigung zu wissen, als diese Menschen in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Rahmenbedingungen für eine starke eigene Binnenkonjunktur zu schaffen sind eben zu teuer und aufwändig.

Und so kommt es, dass sich die Staaten weltweit zusehends verschulden, weil sie aus Angst vor Konsequenzen den kleinen und mittleren Unternehmen zwar Steuern abverlangen, kaum jedoch den multinationalen Konzernen.

Damit geraten sie selbst allerdings zunehmend in die Anhängigkeit von internationalen Geldgebern, was den finanziellen Spielraum der Regierungen weiter einschränkt. Die kleineren Unternehmen, die sich komplizierte Steuersparmodelle nicht leisten können, haben dadurch allerdings einen erheblichen Konkurrenznachteil. Gegen die große Konkurrenz können sie nicht wirklich ankommen. Zumindest auf preislicher Ebene, weil die Global Player mit Preisdiktzaten arbeiten.  Dabei sind es vor allem diese einheimischen mittelständischen  Unternehmen, die wirklich für Arbeitsplätze sorgen und auch Steuern abführen.

Der aktuelle Weg – wozu auch die „Freihandelsabkommen“ TPP und TTIP gehören – führt uns jedoch noch tiefer in diese Welt der Konzernherrschaft, die sich derzeit vor allem durch Lobbyismus und der Finanzierung von Parteien und Politikern auszeichnet. Eine Welt, in der politische Entscheidungen nicht zu Gunsten des Gemeinwohls, sondern hauptsächlich zum Vorteil von multinational ausgerichteten Konzernen ausfallen.

Schon jetzt kontrollieren die Megakonzerne große Teile der Weltwirtschaft. Oftmals gehören sie – zu nicht unerheblichen Teilen – nur wenigen Familien und sind auch untereinander so eng vernetzt, dass man es schon als ein Firmenkonglomerat bezeichnen kann. Und dieses wird immer größer und mächtiger. Ein Aspekt der Globalisierung, der in vielen Debatten leider nicht genügend Berücksichtigung erfährt.