Marxist Paul Mason postuliert  Postkapitalismus und fordert Grundeinkommen

Mit seinem Buch »Postkapitalismus« macht er Furore. In den Feuilletons und unter Linken wird über ihn viel diskutiert. Der britische »Guardian« nennt ihn sogar einen »würdigen Nachfolger von Marx« - Paul Mason hat offenbar einen Nerv getroffen.

Wissen kann man, dass die Krise, die spätestens 2008 begann, nicht enden will. Der Spätkapitalismus hat nicht mehr nur die guten alten Legitimationsprobleme, vielmehr scheinen seine Eliten von der Aufgabe überfordert, ihn am Laufen zu halten. Dass die gegenwärtige Krise zugleich der Beginn vom Ende des Kapitalismus ist, Beginn des Übergangs zum Postkapitalismus, das behauptet der Journalist Paul Mason in einem Buch, das auf Deutsch den Untertitel "Grundrisse einer kommenden Ökonomie" trägt. Im Englischen - "A Guide to Our Future" - schwingt die Erinnerung an Karl Marx nicht mit, aber im Buch selber spielt sie eine große Rolle.

Die Digitalisierung habe schon einen neue Raum neben Markt und Staat geschaffen, der den Kapitalismus überflüssig machen könnte.
Konsequent fordert er deshalb ein Grundeinkommen für alle.

Als Beispiel für ein produktives Engagement von Menschen in ihrer Freizeit nennt Mason die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Wer sich dafür engagiert, betreibe nicht etwa nur ein Hobby. Stattdessen sieht Mason in solchen »kollaborativen Produktionen« jenseits von Staat und Markt einen dritten wirtschaftlichen Sektor – in dem sich, so Mason, bereits der Kern einer neuen, post-kapitalistischen Gesellschaft herauspräge.

»Die Mauern werden fallen, die das Eigentum schützen«
Paul Mason macht mit seinem Buch »Postkapitalismus« Furore. Warum in der digitalen Revolution eine Chance für eine gesellschaftliche Revolution liegt – ein Gespräch.

»Ähnlich war es übrigens auch beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus«, sagt Mason. Die ersten Unternehmen und Banken hätten damals noch etwas Inoffizielles und Verborgenes an sich gehabt - dann sei es im 17. Jahrhundert zum Aufstieg der Niederländischen Ostindien-Kompanie und der Britischen Ostindien-Kompanie gekommen. »Damit wurden inoffizielle Strukturen plötzlich etwas ganz Offizielles und Mächtiges«, so der Journalist. Parallelen sieht er zu kollaborativen Projekten wie Wikipedia oder Linux: »Etwas, das heute noch wie ein Hobby ausschaut, ist bereits der Kern eines neuen Wirtschaftsmodells.« Masons neues Buch versucht die »Grundrisse einer kommenden Ökonomie« auszuloten. Er setzt sich darin mit den ökonomischen Krisen des real existierenden Kapitalismus, mit der zunehmenden Digitalisierung und mit einer möglichen Überwindung des Kapitalismus auseinander. Den sieht Mason nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Digitalisierung auf dem absteigenden Ast. Digitale Werte würden sich angesichts ihrer prinzipiell unendlichen Reproduzierbarkeit schnell verflüchtigen. Versuche, dies mit Hilfe von Urheberrechten zu verhindern, sind Mason zufolge zum Scheitern bestimmt: »So ein Rechtssystem funktioniert nur, indem es Anwälte tagtäglich wieder aufbauen. Doch so läuft der Kapitalismus nicht.« Man habe schon am Beispiel der Sowjetunion beobachten können, was mit Systemen passiere, die nur noch von Bürokraten aufrechterhalten werden, so Mason: »Sie scheitern. Deswegen werden auch die Mauern fallen, die errichtet wurden, um das digitale Eigentum zu schützen.

Mason fundiert seine These zunächst durch eine Adaption von Nikolai Kondratjews „Wellentheorie“, die die gesamte Entwicklung des Industriekapitalismus in vier lange, etwa 50-jährige regelmäßige Wellen oder Zyklen einteilt, bestehend jeweils aus einem von einem (technologischen) Paradigmenwechsel in der Produktionsweise bestimmten Auf- und einem darauf folgenden Abschwung, der dann letztlich wiederum die Entwicklung neuer Technologien notwendig mache. Diese Lang-Wellen umfassten ab 1790 die Etablierung des Fabriksystems, nach 1848 vor allem die Ausbreitung der Eisenbahn, ab den 1890ern die Schwer- und Elektroindustrie und seit den späten 1940er Jahren die bis heute vorherrschende, zunehmend automatisierte Produktion von Massenkonsumgütern. Seit den 1990ern nun sei zwar pünktlich die Herausbildung eines neuen Paradigmas von zunehmend mobilen, globalen Netzwerk- und Kommunikationstechnologien und Informationsgütern zu beobachten, doch seine Entwicklung werde gebremst – durch den Neoliberalismus einerseits und das Wesen der Technologien selbst andererseits.

Denn die Etablierung eines neuen Paradigmas sei tatsächlich immer erst die zweite Adaptionsform des Kapitals. Die erste Reaktion auf den beginnenden Abschwung seien stets Lohnkürzungen und eine Qualifikationsrückbildung in der Arbeiterschaft. Erst der erfolgreiche Widerstand der Arbeiter habe bisher immer die Suche nach neuen Technologien und die letztliche Durchsetzung von neuen Produktionsweisen und Geschäftsmodellen hervorgebracht. Mason ergänzt hier Kondratjews Wellentheorie um den Faktor Klassenkampf.

Bei aller angebrachten geschichtsphilosophischen Skepsis ermöglicht diese Darstellung eine neue Art von Fokus auf den angenommenen Kernpunkt der neoliberalen Wende seit den 1970er Jahren: die systematische Zerstörung der organisierten Arbeiterklasse und damit ihres Widerstands gegen den seitdem fortschreitenden Verfall der Reallöhne und die Aushöhlung des Sozialstaats. Stattdessen ist die Arbeiterschaft den falschen Verlockungen der neoliberalen Leistungs-, Flexibilitäts- und Selbstverwirklichungsideologie bereitwillig erlegen. Diese Situation ermöglicht also das, was Colin Crouch „das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“ genannt hat, und zwar auf dem Rücken einer atomisierten und präkarisierten Arbeiterschaft. Dass dieses Überleben aber inzwischen großenteils bloß ein krisengebeuteltes Vor-sich-hin-Vegetieren ist, hängt eben damit zusammen, dass die neuen (Informations-)Technologien, die dieses Mal überhaupt kein neues Produktionsparadigma bilden, sondern eigentlich nur die Profite des alten hatten steigern sollen, gerade dies nicht vermögen. Genau deswegen aber sei auch der erneute zyklische Ausweg einer neuen Form von Kapitalismus, und zwar eines voll ausgebildeten Info-Kapitalismus, stark erschwert. Die immanente Tendenz der Informationstechnologien lautet: Postkapitalismus.

Die 'aufgehobene' Arbeiterklasse

Mason entwickelt nun eine Theorie des informationsbasierten Postkapitalismus, als dessen frühester Prophet der unvermeidliche Karl Marx hier allerdings in apokrypher Form erscheint: und zwar mit seiner Vorstellung einer wissensbasierten Produktivitätssteigerung „unter der Kontrolle des general intellectaus dem nachgelassenen Maschinenfragment und mit seiner Arbeitswerttheorie. Letztere ist Mason zufolge unter Ökonomen nicht sehr beliebt, weil sie sich nicht besonders gut dazu eigne, Marktbewegungen vorherzusagen, und wurde zuletzt auch etwa vom Philosophen Christoph Türcke in seiner Philosophie des Geldes abgelehnt, in der er entsprechend auch der „mikroelektronischen Revolution“ keine besondere Bedeutung bei der Überwindung, sondern allein bei der Beschleunigung des Kapitalismus beimisst.

Die Arbeitswerttheorie besagt, dass sich der Wert einer Ware objektiv aus der zu ihrer Herstellung gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ergibt (und nicht aus ihrem subjektiven Gebrauchswert, wie es die heute tonangebende Grenznutzentheorie vorsieht). Vor dem Hintergrund von MarxMaschinenfragment lässt sich mit der Arbeitswerttheorie laut Mason beispielsweise Software – und damit auch ein von dieser gesteuerter automatisierter Prozess – als eine Maschine betrachten, die praktisch ohne Aufwand endlos reproduzierbar ist, und deren Wert und Grenznutzen deshalb gegen null tendiert. Das hört sich erst einmal schlecht an, bedeutet aber letztlich vor allem, dass keine Arbeit mehr zu ihrer Herstellung nötig ist – und dass sie nichts kostet: Die arbeitsfreie Gesellschaft im Überfluss von „free stuff“ ist nah. Oder vielmehr eine, in der die einzig verbleibende notwendige Arbeit ganz überwiegend kreativer oder sozialer Natur sein wird. Sobald aber die Preise gegen null gehen, versagt die Marktlogik, und eine Nicht-Marktwirtschaft, eine Art Share Economy entsteht (unter der man sich allerdings nicht Airbnb vorstellen sollte – wie es entweder böswillig oder einfach nur etwas dämlich Douglas Murray im Spectator tut –, sondern eher ein flächendeckendes Couchsurfing, also im Grunde keine Economy mehr im herkömmlichen ökonomischen Sinn).

So weit Masons Theorie, die sich für viele sicher irgendwie schon sehr real, aber zugleich noch weit entfernt anhört. Denn wenn auch die meisten von uns sicher schon längst ständig frei und kostenlos in alle Richtungen Informationsgüter austauschen, erleben wir zugleich, wie natürlich die Exponenten der alten Marktwirtschaft aggressiv ihre Pfründe zu verteidigen suchen und aus Ausbeutungsgründen eine sozialverträgliche vollständige Automatisierung behindern. Dabei haben sie sich laut Mason allerdings selbst ihren „Totengräber“ geschaffen: das Netzwerkprekariat als im Hegelschen Sinne „aufgehobene“ Arbeiterklasse. Deren Geschichte zeichnet Mason eindringlich nach, von Marx’ ursprünglichem Irrtum bezüglich ihres revolutionären Potenzials bis hin zu ihrem notwendigen Ende im Ende der Arbeit, in dem sie allerdings nun endlich zugleich das historische Subjekt einer neuen gesellschaftlichen Ordnung werden soll.

Auch Zizek hatte in einem Buch schon vorher den Kapitalismus grundsätzlich kritisiert.

Angesichts der globalen Dauerkrisen der neoliberalen Wirtschaftsordnung spätestens seit 2007/08 stellt sich zunehmend wieder die zugegeben recht alte Frage, ob es ausreicht, das kapitalistische System nur zu reparierenwenn auch anders als es durch sogenannte „Strukturreformen“ angeblich allenthalben versucht wird –, oder ob eine radikalere Lösung, sprich ein anderes, besseres System notwendig ist. Kurz: Reform oder Revolution?

Einer, der schon immer für die zweite Variante plädiert hat, ist der slowenische Philosoph Slavoj Žižek. Auch sein Buch Trouble in Paradise. From the End of History to the End of Capitalism, das Ende Oktober auf Deutsch erscheint, nimmt die Perspektive einer radikalen Emanzipation vom Kapitalismus ein.

Dabei aber liefert es zunächst einmal konzise, widerspruchsgesättigte Analysen der gegenwärtigen Lage, und zwar mithilfe des für Žižek bekannten Instrumentariums: Hegel, Marx, Nietzsche, Lacan, eine gute Ladung Popkultur und jede Menge politisch inkorrekte „dialektische“ Witze.

Der Titel des Buchs ist eine Anspielung auf den gleichnamigen Film von Ernst Lubitsch aus dem Jahr 1932 über das Einbrecher-Paar Gaston und Lily, deren harmonische Beziehung durch Gastons Liebe zu einem ihrer reichen Opfer gestört wird.

Dass Žižek diese Störung einer sexuellen Beziehung als Metapher für die gegenwärtige politisch-ökonomische Situation verwendet, illustriert auch seinen psychoanalytischen Zugriff.

Bei ihm steht das (angebliche) Paradies für das (angebliche) „Ende der Geschichte“, als das Francis Fukuyama 1989/92 den Sieg des liberal-demokratischen Kapitalismus als der besten aller möglichen Gesellschaftsordnungen bezeichnet hat. Der Ärger in diesem Paradies aber ist seine offensichtliche gegenwärtige Krise, die auch Fukuyama schon zur Rücknahme seiner Endzeitutopie gebracht habe. Doch die „kommunistische Hypothese“, die Žižek dieser Konstellation gegenüberstellt, lässt sich ebenfalls aus Lubitschs Film herleiten.

So wie der letzlich die Ehe von Gaston und Lily als „the most dark and daring of all transgressions“ gegenüber der etablierten Transgressivität einer promiskuitiven Postmoderne hinstelle, sei auch der alte Kampf um emanzipatorische Ideale wie Gleichheit, Demokratie und Solidarität noch immer die kühnste und aufregendste Unternehmung gegen das letztlich todlangweilige immer gleiche kapitalistische Versprechen des immer Neuen. Žižek wertet hier also gut nietzscheanisch nicht nur den radikalen linken Kämpfer zum wahren „Konservativen“ um, er macht diesen Konservativen zugleich auch wieder zum wahren „Subversiven“.

Systemimmanente Widersprüche

So weit, so Žižek. In der Tat sind nicht unbeträchtliche Teile des Buchs gewissermaßen recycelt, zum Beispiel aus dem gleichzeitig erschienen Total Recoil. Towards a New Foundation of Dialectical Materialism, aber auch aus seinen anderen – und manchmal sogar aus sich selbst.

Kürzlich hat Žižek auch anlässlich des Auftritts der slowenischen Band Laibach in Nordkorea einige der abenteuerlichsten Ausschnitte des Buchs in der Welt veröffentlicht.

Aber er liefert gleichzeitig auch das Programm für dieses Selbstrecycling: das des echten Radikalen, der weniger ein kreatives Genie zu sein habe, als vielmehr ein Apostel, der immer und immer wieder ein und dieselbe wahre Botschaft wiederhole. Žižeks Botschaft ist die von der Krise des Kapitalismus und seinen inneren Widersprüchen. Und sie ist hier meist sehr überzeugend vorgetragen.