Linke Politik statt »Rot-Rot-Grün«

Auszüge aus der Rede von Sahra Wagenknecht auf der XXI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt in Berlin

Von Sahra Wagenknecht
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Begeisterte das Publikum: Die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, am Sonnabend in der Berliner Urania

Ein Videomitschnitt der Rede ist unter folgender Webadresse abrufbar:

http://kurzlink.de/rlk16-wagenknecht

Die Linke-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht hielt auf der XXI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 9. Januar 2016 eine etwa 50minütige programmatische Rede. Wir veröffentlichen nachstehend Auszüge daraus.

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich soll zum Thema »Die Aufgaben der Linken in Deutschland und Europa« sprechen. (…) Die Aufgaben der Linken, zumindest der linken Parteien in Deutschland und Europa, bestehen natürlich darin, linke Politik zu machen (…) Sprich: Wenn man die Chance hätte, in einer der Regierungen linke Politik zu machen, dann sollte man diese Chance ergreifen. Wenn man in eine Regierung nur gehen kann um den Preis, dass man aufhört, linke Politik zu machen, dann sollte man das unterlassen. Ich finde, ziemlich viele fruchtlose Debatten über »Rot-Rot-Grün«, Zahlen- und Farbenspiele würden sich einfach erledigen, wenn man diese schlichte Regel beherzigen würde. Linke Parteien machen linke Politik, das kann in der Opposition sein, das kann im Idealfall auch in der Regierung sein, aber das Wichtige ist das, was man inhaltlich umsetzen kann, und das muss sich mit linken Maßstäben messen lassen. Sonst macht man sich unglaubwürdig und enttäuscht diejenigen, für die man ja streitet und für die man angetreten ist. (…)

Mein Ausgangspunkt linker Politik war ja immer der Kampf gegen Ungleichheit und gegen Armut. Aber es war auch immer die Parteinahme in dem Interessengegensatz zwischen denen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, und denen, die über großes Kapital, modern gesprochen: Betriebsvermögen, verfügen und dadurch von der Arbeit anderer leben können. Und in diesem Interessengegensatz haben linke Parteien immer Partei genommen, und zwar zugunsten derer, die eben von ihrer Arbeit leben müssen. (…)

Natürlich gibt es auch außenpolitisch eine linke Tradition, und auch außenpolitisch kann man sehr klar und sehr knapp definieren, was die Aufgabe linker Parteien ist. Offensichtlich ist linke Politik nicht, dass man die Kriege des Kapitals um Rohstoffe und Absatzmärkte unterstützt oder dass man die Menschenrechtslügen nachplappert, die immer wieder erfunden wurden, um solche Kriege zu legitimieren. Ich erinnere nur daran, dass ja schon der Erste Weltkrieg angeblich nur dafür von Deutschland vom Zaun gebrochen wurde, weil man den bösen russischen Zaren bekämpfen wollte. Aufgabe linker Politik ist es (…) gerade, die Lügen zu demaskieren und dadurch Menschen und Widerstand gegen diese Kriege zu mobilisieren. Das ist und war immer der Kern linker Politik.

Und natürlich ist es relativ klar, wenn man sich die Realität in Europa ansieht, auch in Deutschland, dass es selbstverständlich seit vielen, vielen Jahren keinerlei Ansatz einer linken Politik gegeben hat, sondern dass das ganze Gegenteil dessen umgesetzt wurde. Wenn man die letzten 15 Jahren Revue passieren lässt, ist natürlich das Gegenteil dessen gemacht worden, was ich eben als Inhalt linker Politik beschrieben habe. Man hat Ausbeutung nicht erschwert, man hat nicht Regeln geschaffen, um denjenigen, die arbeiten und ihre Arbeitskraft verkaufen, die Stellung gegenüber den Kapitaleignern zumindest zu erleichtern, sondern man hat Regeln geschaffen, die Ausbeutung erleichtern. Das ist der Kern der Agenda 2010: Ausbeutung zu erleichtern, weil man diejenigen wehrlos macht, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Dazu gehört, dass man ihnen mit Hartz IV im Sozialbereich den Boden unter den Füßen weggezogen hat, dass es eben keine Absicherung mehr gibt, wenn man seine Arbeit verliert. Und dazu gehört, dass ein riesiger Niedriglohnsektor installiert wurde, auf den Gerhard Schröder ja heute noch stolz ist. (…) Deswegen ist es natürlich nicht Aufgabe linker Politik, irgendwann dieses Elend mitzuverwalten, sondern linke Politik in Deutschland heißt, dagegen zu kämpfen und immer wieder deutlich zu sagen: Leiharbeit, das ist moderne Sklaverei, und das gehört verboten, genauso wie die anderen prekären Beschäftigungsverhältnisse. (…)

Man kann das auch für die Steuerpolitik durchdeklinieren. Natürlich ist eine Steuerpolitik, die die Kapitaleigentümer entlastet, die sich nicht mehr traut, Vermögenssteuern oder Erbschaftssteuern ernsthaft zu erheben, eine Politik, die auf der falschen Seite steht. Natürlich wäre eine linke Steuerpolitik eine, die endlich auch Vermögenssteuer, Millionärssteuer wieder enttabuisiert. (…) Ich finde, auch das gehört zu linker Politik: zu sagen, wer in diesem Lande was erarbeitet und wer von der Arbeit anderer lebt und dadurch Milliardenvermögen aufhäuft. Eine Vermögenssteuer wäre doch keine Enteignung, sie wäre eine Rückgabe, es würde sich die Allgemeinheit mal wieder zurückholen, was über Jahre auf die Konten der Reichsten gebunkert wurde (…) Natürlich ist mit dem, was ich eben gesagt habe, auch die Frage beantwortet, wer alles in diesem Lande linke Parteien sind und wer nicht (…) Seit der Jahrtausendwende sind die Steuern für die gesenkt worden, die es dicke haben, und erhöht worden für die, die wenig im Portemonnaie haben. Seit der Jahrtausendwende sind die Arbeitnehmer entrechtet worden. Und wenn ich mir angucke, wer seit der Jahrtausendwende mit Ausnahme einer einzigen Legislatur mitregiert hat, dann waren das die Sozialdemokraten, das war die SPD. Und wenn ich diese Bilanz einer solchen Politik habe, dann kann man doch nicht ernsthaft glauben, dass (…) die SPD so, wie sie heute aussieht, ein Partner linker Politik sein kann. Das ist doch ein absurdes Projekt. Ich sage auch offen: Ich finde es bedauerlich, ich würde mir ja wünschen – gerade weil die Situation in Europa so ist, wie sie ist, dass wir die Chance hätten, in Deutschland eine linke Regierung zu bilden, dass wir die Chance hätten, Dinge umzusetzen, die wir jetzt nur in der Opposition fordern können. Aber was man sich wünscht, und was Realität ist, dass sind eben zwei verschiedene Dinge. (…) Es tut mir leid, ein Projekt ist doch mehr als ein Zahlen- und Farbenspiel, es muss doch ein inhaltliches Projekt sein. Und das muss sich manifestieren in linker Politik, und wenn es das nicht tut, dann ist es das eben auch nicht wert, dass man sich dafür einsetzt, oder man würde sich selbst damit kaputtmachen. Ich nehme nur ein Beispiel für ganz viele. Herr Gabriel hat also erklärt, die Vermögenssteuer sei »nicht mehr zeitgemäß«. Er hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, vielleicht noch irgendein Argument anzufügen. (…) Das ist so, als wenn man irgendwo in einer Landschaft, wo ständig Hochwasser ist und es zu Überschwemmungen kommt, sagen würde: Dämme zu bauen ist nicht mehr zeitgemäß. Das ist einfach absurd in einer Situation, wo wir auf der einen Seite öffentliche Haushalte haben, [angesichts derer die Verwaltungen, jW] nicht mehr wissen, wie sie ihre Aufgaben erfüllen können, und auf der anderen Seite auf den Konten der privaten Millionäre und Multimillionäre immer größere Vermögen (liegen). (…) Das heißt, dass für diesen Herrn Gabriel offenbar nur die Unterwerfung unter die Wünsche derer, die diese großen Vermögen dirigieren, zeitgemäße Politik ist. Da muss ich sagen: Nein, da kommen wir nicht auf einen Nenner, für uns ist das nicht zeitgemäße Politik, sondern feige Politik, und gegen diese Politik wollen wir kämpfen, dafür ist Die Linke gegründet worden. (…)

Jetzt ist gerade wieder gesagt worden, Die Linke müsse doch, schon um die Gefahr eines Rechtstrends in Deutschland zu verhindern, mehr für »Rot-Rot-Grün« werben. (…) Ich finde diese Ansicht merkwürdig. Was hat den Rechtstrend europaweit in erster Linie gestärkt, oder was ist in vielen Ländern vorgefallen, in denen rechte Parteien stark geworden sind? Es ist vorgefallen, dass linke Parteien in Regierungen gegangen sind und keine linke Politik gemacht haben und deswegen sehr, sehr viele Menschen enttäuscht waren – und dann rechten Rattenfängern auf den Leim gegangen sind. Das haben wir in ganz vielen Ländern erlebt. Ich erinnere nur beispielsweise an Italien. Da gab es auch mal eine Partei, die wirklich links war und sehr viele Hoffnungen auf sich zog. Das war damals die Rifondazione. Es hat ein halbes Jahr Regieren gebraucht, um diese Partei quasi dem Erdboden gleichzumachen. Bis heute ist die italienische Linke nicht wieder auf die Beine gekommen. (…) Wenn wir in Deutschland etwas gegen den Rechtstrend, den es ja hier inzwischen auch schon ganz massiv gibt, tun wollen, dann wäre [es] das letzte, dass die Linke in einer Regierung ihre Glaubwürdigkeit verspielt. (…)

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Es geht nicht nur um [die] faktische Entdemokratisierung, die gibt es ja im Kapitalismus immer. Sondern es geht darum, tatsächlich das, was an formaler Demokratie in den einzelnen Ländern erkämpft wurde, durch internationale Verträge und übernationale Institutionen so weit einzuschnüren, dass die Politik quasi immunisiert wird gegen Wahlentscheidungen. Also, die Leute können dann wählen, was sie wollen, aber die Politik hat kaum noch eine Chance, etwas anderes durchzusetzen als eine Politik, die den Interessen der Kapitaleigner dient.

Und das ist tatsächlich ein Projekt, das älter ist als die EU. Natürlich, das ist etwas, das hat der Kapitalismus, seit er diese formalen, demokratischen Formen hat. (…) Kapitalismus und Demokratie, das ist keine Liebesheirat, sondern eine Zwangsehe – immer gewesen. Man hat ihm sozusagen Demokratie abgerungen, die demokratischen Institutionen. Und es hat auch etwas damit zu tun, dass Kapitalismus natürlich bedeutet, dass in der Wirtschaft die Rendite das ausschlaggebende Kriterium ist. Und Demokratie bedeutet, dass die Interessen der Mehrheit sich durchsetzen. Ja, wenn die Interessen der Mehrheit sich durchsetzen, oder je mehr sie das tun, desto schlechter ist natürlich die Kapitalrendite. Denn die Mehrheit kriegt keine Kapitalrendite, die Mehrheit steht auf der anderen Seite – also, es passt nicht zusammen. Ein wirklich demokratischer Kapitalismus ist eigentlich einer, der sich aufhebt. (…) Im 19. Jahrhundert [gab es in Europa] noch Stände- und Klassenwahlrecht. Da war sozusagen von der Seite des Kapitalismus die Welt noch heil. (…)

Im 20. Jahrhundert ist natürlich vieles trotzdem erkämpft worden. Da gab es ja auch irgendwann die Einsicht, dass es zumindest eine Sozialbindung des Eigentums geben kann und vieles andere mehr. Das heißt, wir haben dann nach dem Zweiten Weltkrieg in gewisser Hinsicht schon formale Demokratien gehabt, also demokratische Strukturen, allgemeines Wahlrecht und auch Regeln der Politik, die sich ja durchaus in die Wirtschaft eingemischt haben. Und das war die Zeit, als der liberale Fundamentalist August von Hayek anfing, darüber nachzudenken, was man dagegensetzen kann, weil er das Gefühl hatte, das geht schlecht aus. Also, je demokratischer das wird, desto schlechter für die Kapitalrendite – also brauchen wir ein Projekt, das dieses Rad wieder zurückrollt. Und er hat interessanterweise in einem Aufsatz als Projekt für Europa tatsächlich transnationale europäische Strukturen empfohlen, die es dann schaffen, den einzelnen Ländern bestimmte Rahmen vorzugeben, so dass sie nicht mehr eine Politik machen können, die nicht neoliberal ist. Das ist im Grunde das, was spätestens seit dem Maastricht-Vertrag das europäische, das EU-Projekt, kennzeichnet. (…)

So, wie der Euro konstruiert wurde, war er bewusst konstruiert, Lohndumping in Euro-Europa zu befördern. Das war der Hintergrund und war kein Zufall und kein Nebenprodukt. Und das bedeutet aber natürlich für Europa: Wir haben nicht nur deshalb neoliberale Politik in Europa, weil wir neoliberale Regierungen haben, das ist nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, dass wir auch deshalb neoliberale Politik haben, weil wir neoliberale Verträge und neoliberale Institutionen etabliert haben, die jetzt auch Regierungen, die eigentlich was anderes wollen, Vorschriften machen können und davon auch weidlich Gebrauch machen. Wir haben es doch alle in Griechenland erlebt. Also, in Griechenland ist ja nun der Beweis erbracht worden, dass man heutzutage für Staatsstreiche keine Panzer mehr braucht, sondern dass es reicht, wenn man Mario Draghi an seiner Seite hat und die Banken. So kann man im Grunde eine Regierung wirklich völlig auflaufen lassen. Und das heißt natürlich auch, und ich finde, darüber müssen wir als Linke diskutieren, wenn wir über die Aufgaben von Linken in Europa und Deutschland diskutieren: Es gibt ohne einen Plan B in Europa derzeit keine linke Politik. Und die Probleme Griechenlands würden sich genauso in Spanien, in Portugal oder in anderen Ländern stellen, weil die Institutionen so geschaffen wurden, um diesen Regierungen alle Möglichkeiten zu nehmen. (…)

Natürlich gibt es sogar noch Schlimmeres als die europäischen Verträge, und das noch Schlimmere, das machen allerdings zur Zeit auch die europäischen Institutionen oder treiben es voran, auch die deutsche Regierung: Das sind sogenannte Freihandelsverträge von der Art TTIP und CETA. Das ist dann natürlich sozusagen die ultimative Verwirklichung des Hayek-Programms, weil das bedeutet, dass die Demokratie gar nichts mehr und die Konzerne alles zu sagen haben. Also, wenn natürlich solche Verträge durchgesetzt werden, dann sind Regierungen völlig die Hände gebunden, weil man bei jedem sozialen Gesetz und bei jeder Verbesserung beim Umweltschutz oder Verbraucherschutz ja sofort Angst haben muss, dass man verklagt wird und teure Regresszahlungen zu leisten hat. Also selbstverständlich: Wenn man Demokratie verteidigen will, muss man solche Verträge kompromisslos ablehnen, und auch das ist natürlich eine Grundlage linker Politik. Wer das nicht tut, der hat sich schon beerdigt.

Wenn wir glaubwürdig sein wollen, dann müssen wir das in all diesen Punkten tun – wir sollten es auch in den aktuellen Debatten tun, und auch und ganz konkret in den Diskussionen, die es zur Zeit im Rahmen von Flüchtlingspolitik und Flüchtlingsbewegung gibt. Ich finde, dass es zum einen wichtig ist, dass eine Linke nicht populistisch Stimmungen hinterherläuft. Sie darf aber umgekehrt auch nicht ignorant Probleme wegreden, weil man ihr dann einfach nicht mehr zuhört. Und dass Probleme existieren, ist natürlich nicht Schuld derer, die ihre Heimat verloren haben, weil der Westen überall in diesen Ländern Kriege führt – sondern dass die Probleme existieren, ist Folge dieser Politik. Aber gerade deshalb muss man sie auch benennen. Und ich finde, dass man zum Beispiel Frau Merkel ihre entsprechende Gutmenschen-Tour nicht durchgehen lassen darf. Ich finde es nicht lobenswert, was sie macht, ihr »Wir schaffen das«. Da haben ja dann auch manche Linke gesagt, ja, das ist doch ein guter Zug von ihr, dass sie sich da nicht irgendwie von der CSU oder von anderen vereinnahmen lässt und dann so eine entsprechende Politik macht. Ich finde, das ist im Kontext dessen, was sie real macht, überhaupt kein guter Zug, denn ihr »Wir schaffen das« ist ja in Wirklichkeit ein »Die schaffen das schon«. Weil sie ja überhaupt nicht die Bedingungen [schafft]. Die Bundesländer haben in Deutschland im Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen jetzt 17 Milliarden Euro eingestellt. Die Bundesländer – nicht der Bund. Die Bundesländer können aber keine Steuern erheben – also was wird passieren? Sie werden diese 17 Milliarden woanders wegkürzen müssen. Und das in einer Situation, wo die Bundesländer sowieso schon in der Situation sind, dass sie viele elementare Dinge nicht mehr finanzieren und viele elementare Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Und genau (…) das ist doch das, was das politische Klima vergiftet, das ist doch das, was den Rechten den Boden bereitet und das, was ihnen die Leute zutreibt. (…) Es ist doch ganz klar: Die Leute fliehen nicht vor Naturkatastrophen; sie fliehen vor Kriegen, die der Westen wesentlich mitgestaltet und mitinitiiert hat. Sie fliehen aus einer destabilisierten Region, die wir destabilisiert haben, sprich: die westlichen Staaten. Und zwar nicht aus hehren und Menschenrechtsgründen, sondern weil sie dort strategische Rohstoffinteressen verfolgen und Absatzmärkte gesucht haben. Das ist doch der Hintergrund.

Und an diesen Kriegen war Deutschland direkt oder indirekt in der Regel beteiligt – mindestens als Waffenlieferant. Das heißt, diese Flüchtlinge, die hierher kommen, die fliehen auch vor deutschen Waffen. Wenn einer Fluchtursachen wirklich bekämpfen will, dann ist doch das erste, dass man sagen muss, sofort Schluss mit diesen Waffenexporten! Sofort Schluss mit dem Geschäft mit dem Tod!

Natürlich, es gibt auch Menschen, die fliehen einfach nur vor Armut. Ja, sicher. Aber woher kommt die Armut? Sie hat sich dadurch verstärkt, dass westliche Länder armen Ländern diktieren, dass sie ihre Märkte öffnen müssen und dass sie ihre Märkte zur Beute westlicher Konzerne machen müssen, weil dort natürlich dann die gesamte industrielle Struktur, soweit es überhaupt eine gibt, zusammenbricht. Weil natürlich dann die landwirtschaftliche Produktion zusammenbricht, weil natürlich dann die Leute verelenden. Und wir reden dann arrogant darüber, das seien Wirtschaftsflüchtlinge. (…) Ja, sie fliehen vor einer desolaten Wirtschaft, aber letztlich – es ist unsere Wirtschaft, es sind unsere Konzerne, die sie in die Flucht gezwungen haben.

Als allerletzten Punkt will ich schon noch was zu den Kriegen selbst sagen. Wenn wir eine Regierung hätten, die an die Gründe glauben würde, aus denen sie angeblich Kriege führt, also dann ­müsste diese Regierung wirklich aus Schwachsinnigen bestehen. Ja, denn sie erzählt ja, sie würde einen Krieg gegen den Terror und gegen Terroristen führen. Also, ich meine, ganz naive Gemüter konnten das vielleicht noch glauben, als die Bundeswehr nach Afghanistan geschickt wurde (…). Das war ja der Anfang der westlichen Antiterrorkriege. Aber inzwischen führen wir doch 15 Jahre Krieg in Afghanistan. Was ist dabei herausgekommen? Herausgekommen ist, dass die Taliban in Afghanistan mehr Rückhalt haben als je zuvor, und dass inzwischen sogar der »IS« anfängt, sich nach Afghanistan auszuweiten. Ein sehr »erfolgreicher« Krieg gegen den Terror. Der nächste Antiterrorkrieg, das war dann der im Irak, wo wir zwar als Deutsche nicht direkt beteiligt waren, aber indirekt sehr wohl. Da wurde auch angeblich der Terrorismus bekämpft, und es wurde außerdem noch ein Diktator beseitigt. Das Ergebnis war, dass der »IS« sich gegründet hat – der ist ja das Produkt dieses Irak-Krieges – und dass er inzwischen den halben Irak beherrscht.

So, und dann hat man den nächsten Antiterrorkrieg – an dem hat sich lobenswerterweise Deutschland damals nicht beteiligt – (…) das war der Krieg in Libyen. Auch da hat man behauptet, man müsse einen unliebsamen Diktator im Interesse der Menschenrechte stürzen – das Ergebnis ist, dass heute auch das halbe Libyen vom »IS« beherrscht wird und er sich immer mehr ausgeweitet hat.

Dann kam eben Syrien. Und auch in Syrien ist die destabile Situation doch nicht von heute auf morgen entstanden, sondern sie ist dadurch entstanden, dass dieses Land gezielt destabilisiert wurde von den USA, aber auch von westlichen Ländern. Das Ergebnis ist: Heute herrscht der »IS« in halb Syrien. Wer also nach dieser Bilanz ernsthaft noch die These vertritt, wir müssten jetzt Tornados und Kriegsschiffe nach Syrien schicken, um den Terrorismus zu bekämpfen, den wir durch alle unsere Kriege immer nur stärker gemacht haben – es tut mir leid, den halte ich für schwachsinnig oder für verlogen. Ich fürchte aber, es ist das zweite. Sie wissen ganz genau, dass sie keinen Krieg gegen den Terror führen. Sie wissen doch ganz genau, dass es um ganz andere Dinge geht. Es ging doch auch nie um Menschenrechte. Was haben wir immer gehört, was das für schlimme Diktatoren sind – Assad, der mit den Foltergefängnissen und den Fassbomben. Also seit wann stören die USA Foltergefängnisse, die haben sie früher selber genutzt. (…) Ich muss auch sagen, seit wann stören die USA Fassbomben, die haben selbst Streubomben eingesetzt in sehr, sehr vielen Kriegen, sie haben Bomben eingesetzt mit Uranmunition. [Sie haben] sogar Chemiewaffen eingesetzt – nämlich damals in Vietnam, wo heute noch die Kinder davon sterben. Diese Macht erzählt uns, sie sei also so übermannt von der Bösartigkeit von jemandem, der Foltergefängnisse betreibt und Fassbomben hat, dass sie dort Krieg führen muss – also so absurd belogen zu werden ist, finde ich, wirklich schon eine Beleidigung der Intelligenz, und das sollte man auch nicht mehr hinnehmen. Diese Kriege die haben mittlerweile (…) drei Millionen Menschenleben gekostet. Drei Millionen, überwiegend Zivilisten, die getötet wurden in Folge dieser Kriege – und dann wundern wir uns, dass bei der Bevölkerung dort in diesen Ländern der Hass auf den Westen wächst? Da muss man sich doch nicht wundern, dass ist doch die logische Konsequenz. Krieg schürt Terror, denn Krieg ist Terror. Deshalb muss ich auch noch mal ganz deutlich sagen: Ja, ich stehe auch zu der Aussage – und ich finde es eigentlich blamabel, dass sich andere darüber aufregen und das noch irgendwie problematisch finden – selbstverständlich ist das kein geringeres Verbrechen, mit Bomben in Syrien Menschen zu töten oder mit Drohnen in Afghanistan und in Pakistan Zivilisten zu ermorden, es ist kein geringeres Verbrechen, als in Paris herumzuschießen in irgendwelchen Restaurants und Konzertsälen. Es sind beides furchtbare Verbrechen und beides ist Mord, und es gibt nicht Tote unterschiedlicher Klassen.

Im übrigen ist natürlich auch auffällig, wo der Terrorismus stört, und wo der islamische Terrorismus gar nicht stört. Es gibt ja einige Terrorpaten, mit denen wir so wunderbar zusammenarbeiten, nach Riad zum Beispiel, zu den Saudis, da werden nicht Bomben geliefert. Und wenn, dann sind sie schön verpackt, nämlich als Waffenexporte, aber mit Sicherheit fallen sie nicht vom Himmel. Oder Erdogan, der einen blutigen Krieg gegen die Kurden, gegen seine eigene Bevölkerung und den Rest von Demokratie in seinem Lande führt. Was machen wir dann? Da führen wir auch nicht plötzlich Krieg gegen Erdogan, sondern bieten ihm drei Milliarden an, damit er (…) in der eigenen Bevölkerung als der große Held dasteht. Was ist das für eine unsägliche und verlogene Politik? Nein es geht hier nicht um Terror, und es geht auch nicht um Diktatoren. Es geht um Pipelinerouten, es geht um wirtschaftliche Interessen, und deswegen möchte ich noch mal ganz, ganz klar sagen: Ja, ich finde, wenn wir über die Aufgaben von Linken reden, dann ist das Nein zum Krieg einer der ganz elementaren Grundsätze, die eine Linke immer berücksichtigen muss. Es gibt keine Menschenrechtskriege, denn Krieg ist das größte Menschenrechtsverbrechen. Und das ist auch die wichtigste Aufgabe, das immer wieder deutlich zu machen und auszusprechen!

Quelle: https://www.jungewelt.de/2016/01-11/052.php