20.01.2015 / Titel / Seite 1 Inhalt

Dauerfeuer auf Donezk

Kiews Truppen greifen Wasser- und Fernwärmeleitungen an. Schulen geschlossen. Berichte über Bombardierung durch Luftwaffe. Ukraine will von Russland Kriegsentschädigung

Von Reinhard Lauterbach
Beim Beschuss des Donezker »Krankenhauses Nr. 3« wurde am Montag
Beim Beschuss des Donezker »Krankenhauses Nr. 3« wurde am Montag die Kardiologie zerstört, ein Arzt starb

Ukrainische Truppen haben auch am Montag den Beschuss von Donezk fortgesetzt. Wie die Stadtverwaltung am Morgen mitteilte, waren durch Einschläge in Transformatoren die Wasser- und Fernwärmeleitungen zu Hunderten Häusern unterbrochen. Bildungseinrichtungen – vom Kindergarten bis zur Hochschule – wurden geschlossen, weil es auf den Straßen zu gefährlich ist. Auf einer Facebookseite von Bewohnern der Stadt kommen im Stundentakt neue Schadensmeldungen an Wohnhäusern hinzu – so viele, dass die Behörden der »Volksrepublik Donezk« die Menschen aufforderten, keine genauen Angaben zu machen, da die Gegenseite dies zur Präzisierung ihres Beschusses nutzen könnte.

Unklar ist die Lage auf dem Flughafen von Donezk. Am Sonntag abend hatte die ukrainische Regierung mitgeteilt, ihre Truppen hätten einen Großteil des Geländes zurückerobert. Das staatliche russische Fernsehen zeigte dagegen eine Reportage, wonach der Flughafen von den Aufständischen kontrolliert werde. Ob der Beitrag live gesendet wurde oder aufgezeichnet worden war, blieb jedoch unklar. Schwere Kämpfe gab es offenbar auch um die nördliche Nachbarstadt von Donezk, Gorlowka. Dort soll nach Angaben aus Donezk die ukrainische Luftwaffe auch Bomben abgeworfen haben. Kiew bestritt dies. Die Ortschaft Peski am westlichen Stadtrand von Donezk wurde nach Angaben aus der »Volksrepublik« von der Volkswehr eingenommen; am nördlichen Stadtrand der Metropole konnte dagegen ein ukrainischer Angriff offenbar erst an einer wichtigen Brücke gestoppt werden. Die Brücke, über die die wichtigste Straßenverbindung zum Flughafen verläuft, wurde dabei von der Volkswehr gesprengt.

Für die Kämpfe, die schwersten seit Monaten, bemühen beide Seiten die Metapher Stalingrad. Bewohner von Donezk beziehen sie auf die Phase der deutschen Angriffe mit ihrem pausenlosen Beschuss auch der Wohnviertel, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat die zähen Kämpfe um den Flughafen im Blick. Poroschenko erklärte, wenn der Flughafen falle, dann werde der Gegner bis nach Kiew und noch weiter vorstoßen. Richtig daran ist, dass in diesem Fall die interne Kritik an Poroschenko noch lauter werden dürfte, als sie ohnehin schon ist. So hat die »Volksfront« von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk im Parlament gefordert, für den Donbass den Kriegszustand auszurufen. Russland nahm die Forderung ernst genug, um Kiew nachdrücklich vor diesem Schritt zu warnen. In diesem Fall seien alle Vereinbarungen über Waffenruhen hinfällig, hieß es in einer Botschaft von Präsident Wladimir Putin an Poroschenko.

Derweil forderte die Ukraine Russland auf, unverzüglich das Feuer einzustellen – wohl wissend, dass Russland auf diese Forderung so nicht eingehen kann, weil es bestreitet, unmittelbare Partei des Konflikts zu sein. Diplomatisches Spiel über die Bande wurde auch aus Brüssel berichtet. Dort leisteten ukrainische Beamte Lobbyarbeit für die Forderung, die EU möge die Sanktionen gegen Russland erst aufheben, wenn Moskau Kriegsentschädigungen in noch zu beziffernder Höhe an die Ukraine gezahlt habe. Die Demarche ist im doppelten Sinne verräterisch: die Ukraine ist sich offenbar darüber klar, dass diese Forderung – direkt vorgetragen – lächerlich ist, weil sie einen Sieg über Russland voraussetzt, der absolut nicht absehbar ist. Und sie versucht, ihre Chancen auf einen Sieg aus eigener Kraft mit fremder Hilfe aufzubessern.

 

Quelle: https://www.jungewelt.de/2015/01-20/045.php