Grexit: "Syriza zu sabotieren ist zynisch"

Ein Grexit wäre für Deutschland keineswegs eine sinnvolle

Option, warnen MdB Alexander Ulrich, DIE LINKE. und Steffen Stierle, attac.

Deutschland fürchtet mit einer möglichen Machtübernahme der linken Syriza in Griechenland einen Austritt aus dem Euro. Doch was die Partei anstrebt ist eine Neuverhandlung der Troika-Programme, meinen der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Alexander Ulrich, und Steffen Stierle von attac Deutschland. Die Bundesregierung wäre jetzt schlecht beraten, den Grexit zu forcieren.

Wenn Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Sigmar Gabriel laut über darüber nachdenken, Griechenland aus dem Euro zu drängen (Grexit), dann ist das ein sehr durchschaubares Manöver. Es geht darum, den Griechen Angst zu machen. Angst davor, am 25. Januar die linke Syriza zu wählen. Angeblich wäre ein Euro-Austritt fast unausweichlich, wenn Syriza gewinnt. Die Bundesregierung will durch diese Kampagne die Abwahl, der durch und durch korrupten griechischen Schwesterparteien von CDU/CSU und SPD (Nea Demokratia und PASOK) verhindern.

 

Dabei plant Syriza gar nicht, die Eurozone zu verlassen. Im Gegenteil: Vielmehr will die neue Regierung im Falle eines Erfolgs bei den Wahlen am 25. Januar mit den EU-Partnern über eine Lösung innerhalb der Währungsunion verhandeln. Diese Verhandlungen zielen auf eine Lockerung der Troika-Programme und einen Teil-Schuldenerlass ab. Die Bundesregierung wäre dann sehr schlecht beraten, auf stur zu schalten, die Verhandlungen zu verweigern und den Grexit zu forcieren.

Man muss bedenken, dass der Grexit fast automatisch zu einem erheblichen Zahlungsausfall führen würde. Die Gläubiger Griechenlands würden also in Mitleidenschaft gezogen werden. Würden wir diese Debatte im Jahr 2010 führen, müsste das vor allem die Finanzwelt besorgen. Damals hielt der Privatsektor noch rund 94 Prozent aller Forderungen an Griechenland. Heute reagieren die Banken ziemlich entspannt auf die Grexit-Debatte. Warum? Weil ihr Anteil an den Forderungen mittlerweile auf rund elf Prozent geschrumpft ist. Ein Zahlungsausfall träfe sie heute nur noch in einem sehr bescheidenen Umfang von insgesamt maximal 35 Milliarden Euro.

Was ist passiert? 2010 beliefen sich die griechischen Staatsschulden auf 320 Milliarden Euro. Seither wurden dem Land bilateral, sowie über die "Rettungsfonds" EFSF und ESM so genannte Hilfskredite in Höhe von insgesamt 237 Milliarden Euro gewährt. Auflage war dabei stets, dass der Schuldendienst bei der Mittelverwendung höchste Priorität haben muss. Dies führte dazu, dass die Gelder zu über 90 Prozent direkt an die damaligen Gläubiger – also die Banken – weitergegeben wurden.

Griechenland hat sich also bei der EFSF und beim ESM verschuldet, um die Forderungen der Banken zu bedienen. Die Gesamtverschuldung des Landes hat sich nur geringfügig verändert. Verändert hat sich stattdessen die Gläubigerstruktur. Der Anteil öffentlicher Gläubiger ist von sechs auf 88 Prozent gestiegen. Heute liegen 228 Milliarden Euro Forderungen an Griechenland in öffentlicher Hand.

Deutschland trägt aufgrund seiner Bürgschaften bei den "Rettungsfonds", seiner Anteile im EZB-System und seiner bilateralen Kredite den größten Teil dieser Schulden. Allein die EFSF/ESM-Bürgschaften Deutschlands belaufen sich auf 56 Milliarden Euro. Insgesamt stehen bei einem Zahlungsausfall für den Bundeshaushalt bis zu 80 Milliarden Euro auf dem Spiel.

Was Syriza nun vorschlägt, sind Neuverhandlungen der Troika-Programme. Hauptziel ist die Ermöglichung eines Programms zur Bekämpfung der humanitären Krise im Land. Programmpunkte sind unter anderem die Versorgung der ärmsten Familien mit Elektrizität, Nahrungsmittelsubventionen, verbilligter Wohnraum zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit und eine Senkung der Besteuerung von Heizöl auf Vorkrisen-Niveau. Dieses Programm würde jährlich 1,8 Milliarden Euro kosten. Angesichts der 80 Milliarden, die Deutschland im Falle eines Grexit verlieren könnte, wäre es nicht nur zynisch und unmenschlich, sich diesem Verhandlungsansatz zu verweigern. Es wäre vollkommen irrational.

Syriza fordert zudem eine internationale Konferenz, um über einen Teil-Schuldenerlass für die südeuropäischen Länder zu verhandeln. Auch hier wäre Deutschland mit einer sturen, konfrontativen Haltung schlecht beraten. Ohnehin wird Griechenland nie und nimmer alle Schulden bedienen können. Ob mit Grexit oder ohne, ein teilweiser Zahlungsausfall ist nur noch eine Frage der Zeit ist. Das bestreitet niemand ernsthaft. Der Syriza-Vorschlag läuft darauf hinaus, für dieses Problem eine kooperative, politische Lösung zu suchen.

Als Vorbild dient die Londoner Schuldenkonferenz von 1953, in deren Rahmen Deutschland rund zwei Drittel seiner Schulden erlassen wurden. Die Tilgung der Restschuld wurde damals so weit gestreckt, dass Deutschland wieder handlungsfähig wird. Das, was heute in den Geschichtsbüchern als "Wirtschaftswunder" bezeichnet wird und die Basis unseres heutigen Wohlstands ist, wurde so überhaupt erst ermöglicht. Daraus ergibt sich eine zusätzliche, historische Verantwortung, der die Bundesregierung bisher nicht im Ansatz gerecht wird.

Was Syriza anstrebt, ist eine kooperative, vernünftige, europäische Lösung. Die Bundesregierung steht in dieser Debatte hingegen für Konfrontation und Ignoranz. Ihr Grexit-Diskurs richtet sich nicht nur gegen Griechenland und die griechische Linke. Er richtet sich vor allem gegen die europäische Einigung, gegen Solidarität und gegen die Steuerzahler in der gesamten EU, allen voran im eigenen Land. Diese Position wird sich nicht durchhalten lassen.

Die Autoren:

Alexander Ulrich ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er ist ordentliches Mitglied und Obmann im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union. Seit 2009 ist Ulrich Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion.

Steffen Stierle ist Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied der Projektgruppe Eurokrise des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Zusammen mit Ko-Autoren hat er unter anderem die Attac-Basistexte "Europa-Krise: Wege hinein und mögliche Wege hinaus" sowie "Umverteilen: von oben nach unten. Verteilungsgerechtigkeit statt Kürzungsdiktat" verfasst