Sieg der griechischen Linken könnte angeblich Zerfall des Euro-Raumes bewirken

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble hat ein Ausscheiden Griechenlands ("Grexit") aus dem Euro entgegen früheren Befürchtungen angeblich seinen Schrecken verloren. In Wahrheit hatte Schäuble schon 2011 selber einen Austritt Griechenlands aus dem Euro angedacht. 

 

Merkel und Schäuble seien inzwischen zuversichtlich, dass der Euro einen Ausstieg des südeuropäischen Krisen-Landes überleben würde, berichtete das Magazin "Der Spiegel" unter Berufung auf Regierungskreise. 

Sollte eine neue griechische Regierung unter dem Linkspolitiker Alexis Tsipras nach den Neuwahlen eine radikale Kurswende einleiten, sei ein solches Szenario nahezu unausweichlich. Plötzlich geht die Bundesregierung davon aus, dass Griechenland auch ohne Euro innerhalb der EU "seine Verpflichtungen erfüllen werde". Ansonsten versucht die Bundesregierung Merkel das Thema totzuschweigen.

Die Bundesregierung kapiert allerdings offensichtlich nicht, dass Kapitalakkumulation in einem Raum wie die EU immer Länder und deren Global Player zu Siegern der Kapitalakkumulation macht und andere Länder abhängt und zu reinen Absatzmärkten degenerieren lässt, denen zudem die Kaufkraft mangels Wertschöpfung im eigenen Lande schwindet.  Es ist ein dem Kapitalismus immanentes Problem, dass früher oder später zum Zerfall der EU führen muss, wenn der Weg zum Sozialismus nicht gefunden wird. Deshalb ist Griechenland auf dem richtigen Wege.   

Linken-Chef Bernd Riexinger warf der Bundesregierung in der Online-Ausgabe des Handelsblatts vor, mit ihren Überlegungen zu einem Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-gezielt "eine Bombe" zu zünden, die in Griechenland die Krise eskalieren lasse. Er sprach von "öffentlicher Erpressung" mit dem Ziel, vor den Neuwahlen am 25. Januar das Land zu destabilisieren, berichtet Reuters. 

Auslöser der aktuellen Diskussionen ist die Androhung des Chefs der linken Syriza-Partei Tsipras, im Falle eines Wahlsieges Zins- und Schuldenzahlungen seines Landes einzustellen sowie den Spar- und Reformkurs des Landes zu beenden. Die aktuelle Meinungsumfrage der griechischen Sonntagszeitung "Eleftheros Typos" sieht die Syriza mit einem Stimmenanteil von 30,4 Prozent in Führung, 3,1 Prozentpunkte vor den Konservativen von Regierungschef Antonis Samaras.

Tsipras hofft unterdessen auf wirtschaftliche Impulse für sein Land durch das geplante Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) für Euro-Staatsanleihen. Er warnte EZB-Präsident Mario Draghi daher, bei einer Kaufentscheidung am 22. Januar griechische Papiere davon auszunehmen. Zudem wiederholte er seine Absicht, mit den internationalen Gläubigern Griechenlands nach der Wahl eine Schuldenstreichung auszuhandeln. Griechenland hat in den vergangenen Jahren von internationalen Finanzhilfen in einem Volumen von rund 240 Milliarden Euro profitiert, die Staatsverschuldung liegt bei mehr als 320 Milliarden Euro.

Der Favorit bei der griechischen Parlamentswahl, Alexis Tsipras, hat sich neuerlich auf das Ziel eines umfassenden Schuldenerlasses für das Eurokrisenland festgelegt. Tsipras sagte am Samstag vor Parteifreunden in Athen, dass sein Linksbündnis SYRIZA dies im Rahmen einer Neuverhandlung des internationalen Hilfspakets sicherstellen werde."Die direkten Anleihenkäufe durch die EZB müssen Griechenland inkludieren", sagte Tsipras auf einem SYRIZA-Parteitag drei Wochen vor der Parlamentswahl auch nochmals.

Syriza hat zudem immer wieder einen Schuldenschnitt sprich Schuldenstreichung für Griechenland ins Gespräch gebracht und will aber trotzdem in der EU verbleiben. 

Der deutsche Ökonom Peter Bofinger warnte indes in der "Welt am Sonntag" vor einem Ausscheiden Griechenlands, da dies mit sehr hohen Risiken für die Stabilität des Euroraums verbunden wäre. "Auch wenn die Situation Griechenlands nicht mit der anderer Mitgliedsstaaten vergleichbar ist, würde damit ein Geist aus der Flasche gelassen, der nur schwer beherrschbar wäre", sagte der Wirtschaftsweise.

Auch andere Länder Südeuropas sind im Würgegriff der Hauptmächte der EU und der Widerstand wächst.

Hunderttausende setzten sich am 12. Dezember in Italien gegen die Austeritätspolitik zur Wehr, die Berlin der EU seit Jahren oktroyiert. Zahllose Industriebetriebe standen still, Nah- und Fernverkehr kamen weitgehend zum Erliegen. Über eine Viertelmillion Menschen gingen laut Gewerkschaftsangaben auf die Straße, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen.

Gegenstand des Protests waren offiziell die Arbeitsmarktreformen, die Ministerpräsident Matteo Renzi dem Land verordnen will. Diese aber folgen dem deutschen Modell, der Agenda 2010, und so hatten die Proteste am 12. Dezember stets auch die deutschen Austeritätsdiktate im Visier. Erst wenige Tage zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Äußerung, die bisherigen »Reformen« der Regierung in Rom seien unzureichend und Renzi müsse endlich Druck machen, starken Unmut in Italien ausgelöst. »Così non va!«, das richtete sich auch gegen Berlin.

Die Bundesregierung hat bei ihrem Bestreben, der gesamten EU ihre Austeritätspolitik aufzudrücken, 2014 einige wichtige Erfolge erzielt. Vor allem hat sie den Widerstand Frankreichs im Kern gebrochen. Mitte Januar sah sich Staatspräsident François Hollande gezwungen, eine dramatische Kürzung der Staatsausgaben zu verkünden: Er werde bis zum Jahr 2017 ganze 50 Milliarden Euro einsparen und der Privatwirtschaft Steuererleichterungen in Höhe von 30 Milliarden Euro zukommen lassen, kündigte er unter dem Beifall Berlins an.

Paris muss seinen Haushalt kürzen, Rom die Arbeitsgesetze deregulieren – gibt es noch etwas, was den Durchmarsch des deutschen Neoliberalismus aufhalten kann? Widerstand regt sich inzwischen an ganz unerwarteter Stelle – in der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft. Ziemlich perplex berichtete Die Weltim August vom Jahrestreffen der Wirtschaftsnobelpreisträger in Lindau, das in Berlin als so relevant eingestuft wird, dass Kanzlerin Merkel es diesmal persönlich besuchte.

Merkel sei dort mit heftiger Kritik konfrontiert worden, hieß es in der Welt. Nicht nur der Nobelpreisträger von 2001, Joseph Stiglitz, habe erklärt, der deutsche Austeritätskurs garantiere der EU »eine jahrelange Depression, die selbst die verlorenen Dekaden Japans in den Schatten stellen wird«. Auch der Nobelpreiskollege von Stiglitz, Eric Maskin, (2007) habe geäußert: Der von Merkel »verordnete Sparkurs wird die Euro-Zone in die Depression schicken«. Christopher Sims, Nobelpreisträger 2011, habe den Regierungen in Athen, Madrid und Lissabon nachdrücklich geraten, »Notfallpläne für den Ausstieg aus der Währungsunion auszuarbeiten«. Das Urteil der Nobelpreisprominenz über die deutsche Austeritätspolitik sei fast durchweg verheerend gewesen, berichtete anschließend Die Welt.

Wie weit muss es 2014 gekommen sein, wenn bürgerliche Ökonomen vor Schäden der Berliner Austeritätspolitik warnen, und das nicht nur wegen der Gefahr einer Depression? Ziemlich weit. Welche Zustände nicht nur in den südeuropäischen Krisenstaaten, sondern in der gesamten EU herrschen, das zeigt eine knappe Analyse, die der Geograph Holger Jahnke und der Ökonom Gerd Grözinger im Oktober in der Geographischen Rundschau veröffentlichten. Die Zeitschrift ist sicher kein linkes Kampfblatt. EU-weit sei die Arbeitslosenquote in den Jahren von 2008 bis 2012 von 7,1 Prozent auf 10,5 Prozent gestiegen, schreiben die Autoren. Die Jugendarbeitslosigkeit habe sogar von 15,8 Prozent auf 23 Prozent zugenommen.
 
Gleichzeitig seien die Sozialleistungen allgemein gekürzt worden – darauf hatte in der Tat Berlin gedrungen –, und das spiegele sich recht deutlich in der Armutsstatistik wider. So sei der Armutsanteil nur in sieben EU-Staaten konstant geblieben, in 14 weiteren jedoch gewachsen und in den restlichen sieben sogar stark gestiegen. 2010 seien 23 Prozent der Bevölkerung der gesamten EU von Armut oder von sozialer Exklusion bedroht gewesen. 2012 habe das bereits auf 24,8 Prozent zugetroffen.
 
Weil sich in vielen Ländern die offizielle Armutsgrenze verschoben habe, sei die reale Armut sogar noch stärker gewachsen. Das »ärmste Fünftel« der Menschen in der EU sei inzwischen »hoch verschuldet«, »das wohlhabendste Fünftel« besitze »über zwei Drittel des Nettovermögens«. Nun – das sind die Durchschnittswerte für die gesamte EU.