76,5 Mio. Kinder leben im "reichen Westen" unterhalb der Armutsgrenze 

Wirtschaftskrise stürzte auch Millionen Kinder in die Armut

Aber auch 13 Mio. Erwachsene sind armutsgefährdet 

 

GENF. UNO-Kinderhilfswerk: 76,5 Millionen Kinder leben in der entwickelten Welt in Armut.

Deutschland 15 % -  In Deutschland ging die Kinderarmut der Studie zufolge zwischen 2008 und 2012 um magere 1,3 Prozent zurück. Aktuell nimmt sie wieder zu.

Auch Kinder in "reichen" kapitalistischen Industriestaaten sind nicht gegen die Folgen der Wirtschaftskrise gefeit: Ein neuer Bericht des UNO-Kinderhilfswerks zeigt, dass in den wohlhabendsten Ländern der Welt seit 2008 zusätzlich  2,6 Millionen Kinder unter die Armutsgrenze gefallen sind. Die Gesamtzahl der Kinder, die in der entwickelten Welt in Armut leben, beträgt laut UNICEF nun geschätzte 76,5 Millionen.

Der gestern veröffentlichte Bericht reiht 41 Länder der OECD und der EU nach der Entwicklung der Kinderarmut seit 2008. In mehr als der Hälfte der Staaten hat sie seit Beginn der Krise zugenommen, in Irland, Kroatien, Lettland, Griechenland und Island stieg die Rate um mehr als die Hälfte. Das krisengeschüttelte Griechenland hält mittlerweile bei 40,5 Prozent.

Österreich liegt mit einem leichten Rückgang – von 14,9 auf 14,2 Prozent – am unteren Ende jener 18 Staaten, die sich seit 2008 verbessern konnten, insgesamt aber im oberen Viertel des Rankings. Australien, Chile, Finnland, Norwegen, Polen und die Slowakei konnten ihre Kinderarmutsrate um rund 30 Prozent reduzieren.

Die Sparmaßnahmen in verschiedenen Ländern hätten dazu geführt, dass weniger Sozialausgaben an Familien flössen. Im Zusammenwirken mit Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung führte das dazu, dass das mittlere Einkommen von Haushalten mit Kindern in fast der Hälfte der Industrieländer geschrumpft ist.

Schlusslicht Griechenland

In Griechenland fiel der Median der Haushaltseinkommen von Familien im Jahr 2012 auf den Stand von 1998 – das entspricht einem Verlust von 14 Jahren Einkommensanstieg. Irland, Luxemburg und Spanien verloren ein Jahrzehnt, Island neun Jahre, Italien, Ungarn und Portugal acht.

In Griechenland, das infolge der Finanzkrise mit internationaler Hilfe vor dem Staatsbankrott gerettet wurde, wurde das mittlere Einkommen von Haushalten mit Kindern bis 2012 also auf das Niveau von 1998 zurückgeworfen. In Irland und Spanien wurde das Einkommen um zehn Jahre zurückgeworfen, ebenso in Luxemburg, einem der reichsten Länder Europas. In Estland, Griechenland und Italien können sich doppelt so viele Haushalte wie vor der Krise nicht mehr alle zwei Tage Fleisch oder Fisch leisten.

Unicef zufolge wurden zu Beginn der Finanzkrise in einigen Ländern zunächst negative Auswirkungen für Kinder abgewehrt. Doch die seit 2010 in vielen Ländern eingeleiteten Haushaltskürzungen hätten die Situation verschlechtert, vor allem in der Mittelmeerregion, kritisierte die Organisation.

"Viele wohlhabende Staaten haben einen großen Rückschritt erlitten, was ihre Budgeteinnahmen betrifft, und die Auswirkungen auf Kinder werden lang anhaltende Folgen haben", sagt Jeffrey O’Malley, UNICEF-Chef für "Global Policy and Strategy".

Besonders hart trifft die Krise auch junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren. In mehr als drei Viertel der Staaten hat die Arbeitslosenquote in dieser Altersklasse laut UNICEF zugenommen. Hier hält Österreich mit 7,1 Prozent auf demselben Niveau wie 2008, was aber im Vergleich als respektabel gelten kann, schafften es doch nur sechs der 41 Staaten, die Jugendarbeitslosenrate zu senken – allen voran die Türkei, wo aber auch nach einer Reduktion um 11,5 Prozentpunkte noch immer jeder vierte Jugendliche ohne Arbeit ist.

Soziale Sicherheitsnetze

"Die UNICEF-Forschung zeigt, dass starke Sozialschutzsysteme bzw soziale Netze ein entscheidender Faktor für die Vermeidung von Armut waren", sagt O’Malley. "Alle Länder brauchen starke soziale Sicherheitsnetze zum Schutz der Kinder in schlechten Zeiten und in guten – und wohlhabende Länder sollten mit gutem Beispiel vorangehen, sich zur Beseitigung von Kinderarmut verpflichten, Strategien entwickeln, um Wirtschaftsabschwünge zu kompensieren, und das Wohlergehen der Kinder zu ihrer obersten Priorität erklären."

Trotz der guten Lage am Arbeitsmarkt droht etwa jedem Sechsten in Deutschland ein Leben in Armut. Rund 13 Millionen oder 16,1 Prozent der Bevölkerung galten 2013 als armutsgefährdet, teilte das Statistische Bundesamt mit. Der Anteil sei damit genauso hoch wie 2012. Ein besonders hohes Risiko tragen demnach Frauen, Alleinerziehende und Singles.

So gelten in der Altersgruppe der 17- bis 64-Jährigen fast 18 Prozent der Frauen als armutsgefährdet. Bei den Männern sind es 16 Prozent. Von den Alleinerziehenden laufen sogar 35,2 Prozent Gefahr, in Armut abzurutschen. "Bei den Alleinlebenden betrug der Anteil der armutsgefährdeten Personen 31,9 Prozent", erklärten die Statistiker.

Auch wer einen Job hat, gerät in Bedrängnis: Hier sind 8,6 Prozent gefährdet, bei den Arbeitslosen sind es dagegen 69,3 Prozent.

Als armutsgefährdet gilt, wer inklusive staatlicher Sozialleistungen wie Kinder- oder Wohngeld weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient. Im vergangenen Jahr lag dieser Schwellenwert für eine allein lebende Person in Deutschland bei 979 Euro im Monat (11.749 Euro im Jahr), für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2056 Euro im Monat (24.673 Euro im Jahr).

"Amerikanisierung der Arbeit" prangern Sozialverbände an 

Dass die Armutsgefährdung trotz Rekordbeschäftigung nicht zurückgeht, ist für den Paritätischen Wohlfahrtsverband ein Zeichen für die "Amerikanisierung der Arbeit". "Es gibt zu viele Jobs, die kein auskömmliches Einkommen garantieren", sagte Verbandsexperte Christian Woltering. "Unsere sozialen Sicherungssysteme schützen nicht ausreichend vor Armut."

Der ab 2015 eingeführte gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde sei zwar ein wichtiger Schritt, sei allein aber nicht genug. Prekär sei die Lage für Langzeitarbeitslose. Ihnen müsse besonders geholfen werden - "vor allem durch einen öffentlichen Beschäftigungssektor", sagte Woltering.

http://www.nachrichten.at/nachrichten/weltspiegel/Wirtschaftskrise-stuerzte-auch-Millionen-Kinder-in-die-Armut;art17,1529415