Dringlichkeitsantrag

an die 2. Tagung des 4. Landesparteitages der Partei DIE LINKE. Sachsen-Anhalt am 25. Oktober 2014

Wer Zukunft will, muss sich der Vergangenheit stellen.

Im 25. Jahr der friedlichen Revolution wollen wir uns als Landesverband der Partei DIE LINKE. Sachsen-Anhalt in eine kontroverse und differenzierte Debatte einbringen. Unsere Kritik an sozialer Ungerechtigkeit und mangelnder Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen für Bürgerinnen und Bürger in unserer Gesellschaft ist nur dann glaubwürdig, wenn sie verbunden ist mit dem kritischen Diskurs über unsere eigene politische Vergangenheit. Unsere Prämisse ist eine kritische Sicht  auf die Gegenwart ebenso wie auf die Vergangenheit.

 

Bereits viele Jahre vor dem Herbst 1989 engagierten sich Menschen in der DDR für das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und auf freie Wahlen. Sie wollten die Gesellschaft verändern, ihr Anspruch war eine demokratische Republik.
Im Herbst 1989 erlangten Protest und Widerstand gegen die Missachtung von Freiheit und Demokratie in zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen ihren Höhepunkt. 

 

Das Sozialismuskonzept in der DDR ist vor allem gescheitert, weil es einseitig darauf setzte, Menschen soziale Sicherheit zu bieten und dabei elementare demokratische Grund- und Freiheitsrechte missachtete. 
In der Konsequenz fehlten demokratische Strukturen, es gab keine freien, demokratischen  Wahlen, nicht den uneingeschränkten Schutz durch verbriefte Rechte des Einzelnen. Vor allem politisch Andersdenkende konnten sich auf die Verbindlichkeit demokratischer Rechte – unabhängig vom Einfluss der Staatspartei SED – nicht verlassen. Viele Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, die sich für Meinungsfreiheit und Demokratie, viele, die ihre Kraft für die legitime Alternative einer gerechteren Gesellschaft eingesetzt hatten, gerieten in einen Konflikt mit einer repressiven Staatsdoktrin. Sie waren nicht selten – verdeckt oder offen –  Benachteiligungen ausgesetzt, wurden politisch verfolgt oder gar ihrer Freiheit beraubt. 
Bürgerinnen und Bürger der DDR  haben ein solches Sozialismuskonzept klar und eindeutig abgelehnt. 

 

Durchaus vorhandene kritische Diskurse in Kunst und Kultur, in der Wissenschaft und in alternativen Denkzirkeln oder auch das ehrliche und selbstlose Engagement derer, die an diese Idee glaubten, relativieren diese Erkenntnis nicht. Wichtig ist uns dagegen, dass eine kritische und offene Analyse und Aufarbeitung der DDR und ihres Scheiterns nicht gleichbedeutend ist mit einer Herabwürdigung von Biografien oder der Geringschätzung von Lebensleistungen. Auch der Diskurs über unterschiedliche Lebenswirklichkeiten gehört zu einem kritischen und differenzierten Rückblick. 

 

Die PDS hat 1989 mit diesem System unwiderruflich gebrochen und für Unrecht und Verfolgung die Bürgerinnen und Bürger um Entschuldigung gebeten. Auch die Partei DIE LINKE beschloss im November 2011 in Erfurt diese Prämissen in ihrem Programm. Sozialistische Politik kann es für uns nur in Verbindung mit Demokratie und Teilhabe geben. Freiheit und soziale Sicherheit, Schutz vor Armut und vor Repression – das sind für uns untrennbar zwei Seiten ein und derselben Medaille.

 

Zu unserem Engagement für eine moderne linke, emanzipatorische Politik mit dem Anspruch auf eine gesellschaftliche Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft gehört die aktive und kritische Auseinandersetzung mit unserem historischen Erbe. Wer die Gegenwart gestalten will, muss sich der Vergangenheit stellen. Das Unrecht in der DDR gehört zu unserem politischen Erbe.

 

Wir sind uns dessen bewusst: Der Begriff "Unrechtsstaat" wurde und wird in unserer Partei kontrovers diskutiert. Es ist einer, der mit sehr unterschiedlicher Symbolik verknüpft ist. 
Für die einen repräsentiert er die Erfahrung, politischer Willkür, Benachteiligung und Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein. Viele Menschen, die heute in der SPD und bei Bündnis 90/ DIE GRÜNEN ihre politische Heimat haben, stellten sich mit sehr viel Mut und Engagement dem Unrecht entgegen. Manche davon haben einen hohen Preis bezahlt. Für sie verkörpert der Begriff notwendige Klarheit, aber auch Wiedergutmachung und Wertschätzung. 

 

Für die anderen – darunter auch viele Genossinnen und Genossen – steht die Kritik des Begriffes als Symbol dafür, dass DDR-Geschichte nicht auf politische Abrechnung reduziert werden darf. 
Eine Reduktion des geschichtlichen Blicks auf Kategorien wie Täter und Opfer wird damit zu Recht abgelehnt. Für viele Genossinnen und Genossen ist mit diesem Begriff die Gefahr verbunden, die Sicht auf eine differenzierte Analyse zu verstellen. Nicht zuletzt erscheint der Begriff als Instrument, das Engagement der Partei DIE LINKE selbst zu diskreditieren. 
Dennoch: Wir werden uns auch künftig einem kritischen Blick auf die DDR und ihr Sozialismuskonzept stellen, die sachliche und auch kontroverse Debatte dazu fortführen.
Für DIE LINKE. Sachsen-Anhalt ist klar: Ohne Freiheit und die Verlässlichkeit von Grundrechten für jede und jeden, ohne demokratische Mitbestimmung gibt es keine sozialistische Politik.

 

Die Sondierungsgespräche in Thüringen zwischen den drei Parteien DIE LINKE, SPD und Bündnis 90/ DIE GRÜNEN haben einen Kompromiss in diesen Fragen verhandelt. In unserer Partei hat das zu einer kontroversen Diskussion geführt. 
Wir unterstützen die Genossinnen und Genossen des Thüringer Landesverbandes DIE LINKE in ihrem Engagement für einen Politikwechsel, für mehr demokratische Teilhabe, mehr soziale Gerechtigkeit, hohe Qualität in der Bildung, und zwar für alle Kinder, für eine sozial-ökologische Energiewende – für all das, was das Land demokratischer, gerechter und ökologischer gestalten kann.  Dafür gilt es, gemeinsam  zu kämpfen, dafür müssen wir uns engagieren – in Bewegungen, Gewerkschaften, Parlamenten. Und natürlich auch in Regierungsverantwortung.

 

Einreicher: Landesvorstand


Unterstützer/-innen:
Cathleen Bastian-Hans (Delegierte Magdeburg),
Michael Berghäuser (Delegierter Dessau-Roßlau),
Achim Bittrich (Delegierter Halle),
Marianne Böttcher (Delegierte Halle),
Birke Bull (Delegierte Salzlandkreis),
Sabine Dirlich (Delegierte Salzlandkreis),
Detlef Eckert (Delegierter LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik),
Evelyn Edler (Delegierte LAG Stadtumbau und Wohnungspolitik ),
Stefan Gebhardt (Delegierter Mansfeld-Südharz),
André Giebler (Delegierter Anhalt-Bitterfeld),
Torsten Hans (Delegierter Magdeburg),
Ute Haupt (Delegierte Halle),
Sandra Heiß (Delegierte LAG Bildungspolitik),
Guido Henke (Delegierter Börde),
Doreen Hildebrandt (Delegierte Börde),
Frank Hoffmann (Delegierter Dessau-Roßlau),
Monika Hohmann (Delegierte Harz),
Marion Krischok (Delegierte Halle),
Katrin Kunert (Delegierte Stendal),
Christine Kümmel (Delegierte Mansfeld-Südharz),
Hendrik Lange (Delegierter Halle),
Helga Paschke (Delegierte Stendal),
Helga Poost (Delegierte Harz), 
Henriette Quade (Delegierte Halle),
Lydia Roloff (Delegierte Halle),
Gunter Schneider (Delegierter Burgenlandkreis),
Jenny Schulz (Delegierte Magdeburg),
Carolin Spieß (Delegierte Magdeburg),
Ronny Syre (Delegierter Magdeburg),
Frank Theile (Delegierter Magdeburg),
Frank Thiel (Delegierter Burgenlandkreis),
Detlef Tichatschke (Delegierter Harz),
Ute Tichatschke (Delegierte Harz),
Eva von Angern (Delegierte Magdeburg),
Paul Wiedow (Delegierter Jugendverband),
Dagmar Zoschke (Delegierte LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik)