Interview der Woche


29.09.2014 Jan van Aken

»Türkei ist Teil des Problems, nicht der Lösung«

Nordirak: lokale Peshmerga-Einheit, direkt an der Front, 15 km vor Mosul, beim Dorf Hassen Sham. Im Hintergrund auf der Ebene in ca. 3 Kilometern Entfernung ist das erste von IS kontrollierte Dorf. Foto: © Jan van Aken

 

Jan van Aken verfolgte vergangene Woche die deutschen Waffenlieferungen an kurdische Kämpfer in Nordirak. Vorläufige Endstation der Lieferung war allerdings bereits der Flughafen von Erbil. An wen die deutschen Waffen dann tatsächlich übergeben wurden, blieb unklar. Über diese und andere verworrene Verhältnisse, Akteure und Allianzen im Konflikt in Syrien und Irak spricht er im aktuellen Interview der Woche.

 

Vor einigen Tagen waren Sie in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak und anwesend, als die deutschen Waffenlieferungen kurdischen Kämpfern übergeben wurden. Wer wurde denn da jetzt von der Bundesregierung bewaffnet?

Jan van Aken: Das wüsste ich auch gern, aber es bleibt leider alles etwas im Dunkeln. Hier in Deutschland wurde uns immer gesagt,  dass jetzt eine komplette Einheit der irakisch-kurdischen Peschmerga mit den deutschen Waffen ausgerüstet wird. Es solle keine Lagerhaltung geben, sondern für den konkreten Bedarf geliefert werden. In Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, sah das dann ganz anders aus: Vom Flughafen wurde das Material direkt in ein Hauptlager der Peshmerga gebracht, die Bundeswehr vor Ort wußte nicht einmal, wo das ist. Ihr Auftrag ende am Flughafen, sagten sie mir. Auch andere Gespräche in Erbil, mit politisch Verantwortlichen und mit Peshmerga-Kommandeuren an der Front machten deutlich: Die international gelieferten Waffen werden alle zentral gelagert und dann bei Bedarf irgendwohin im Nordirak geliefert – kein Mensch weiß genau, wohin. 

Und was sagt die Türkei dazu?

Die Türkei ist aktuell Teil des Problems, nicht Teil der Lösung, denn sie macht eine ganz schmutzige Politik gegen die KurdInnen in Nordsyrien. Immer noch sickern Dschihadisten aus der Türkei nach Syrien ein, um sich dort IS anzuschließen. Mit den Waffenlieferungen an die Peshmerga hat die Türkei allerdings gar kein Problem. Es gibt eine ganz enge Kooperation zwischen Ankara und der erzkonservativen Regierung in Erbil – politisch, wirtschaftlich aber auch militärisch. Ich selbst habe an der Front vor Mosul türkische Munitionskisten gesehen. Es sind die KurdInnen in Nordsyrien, genannt 'Rojava' oder Westkurdistan, die der Türkei mit ihrer Selbstverwaltung ein Dorn im Auge sind. Deshalb hat Ankara ja lange die Islamisten in Syrien unterstützt, gegen Assad, aber eben genauso gegen die KurdInnen dort; deshalb gibt es bis heute eine strikte Grenzblockade von der Türkei gegenüber den syrisch-kurdischen Gebieten, aber nicht gegenüber den von IS kontrollierten Gebieten.

Die Allianzen dieses Konflikts in Syrien und Irak sind einigermaßen überraschend. Jetzt scheinen nicht mehr die USA gegen die »bösen Islamisten« zu bomben, sondern quasi Seite an Seite mit ihren arabischen »Partnern« – wie die Türkei Länder, deren Regierungen und Eliten als Unterstützer des »IS«-Terrors gelten. Wie absurd ist das?

Ja, klingt absurd, aber es zeigt vor allem, dass sich einige Akteure mit ihren Machtinteressen in den letzten zwei Jahren verspekuliert haben. Die Türkei hatte in Syrien immer zwei Ziele, das hat sie so auch öffentlich erklärt: Den Sturz von Assad, und die Verhinderung einer kurdischen Selbstverwaltung. Die Golfstaaten wollten vor allem Iran schwächen und haben deshalb die Islamisten gegen Assad, dem Verbündeten Teherans, unterstützt. Heute ist Assad stärker als jemals seit Ausbruch der Kämpfe in Syrien, und IS wird jetzt auch in den Anrainerstaaten als Bedrohung gesehen. Das alles zeigt doch vor allem eines: Wenn Staaten von außen in einen Bürgerkrieg intervenieren, dann verschärfen sie den Konflikt nur. 

Werden die USA dadurch wider Willen zum Verbündeten Assads?

Nein. Nur weil sie beide gegen IS kämpfen, werden sie keine Verbündeten. 

Was spricht gegen einen Regimewechsel in Syrien?

Gar nichts, aber er muss von innen kommen. Assad hat fürchterliche Verbrechen begangen, von mir aus gehört er wegen Kriegsverbrechen vor ein Gericht und nicht in den Regierungspalast. Aber wenn eine Bevölkerung es nicht von innen heraus schafft, einen Diktator zu stürzen, dann wird auch eine Intervention von außen nur Schaden anrichten. Schauen wir uns doch Libyen an, das Jahre nach dem regime change, nach dem Sturz von Gaddafi, immer tiefer in einem Bürgerkrieg versinkt. 

Nochmals zurück zu den Waffenlieferungen, die Sie kritisieren: Was wäre aus Ihrer Sicht das Mittel der Wahl, um den »IS«-Terror so schnell wie möglich zu stoppen?

Da gibt es kein Zaubermittel, das wird lange dauern und es werden noch viele Menschen sterben, so brutal, wie diese Terrorgruppe vorgeht. Ich kann verstehen und finde es richtig, dass die Menschen vor Ort, in Kobane und anderswo, sich jetzt mit der Waffe in der Hand gegen IS verteidigen. Aber es ist und bleibt falsch, von außen militärisch in diesen Krieg einzugreifen, denn das wird die Situation nur weiter verschärfen. Drei Dinge sind jetzt ganz dringend notwendig: Die - direkte wie indirekte - Unterstützung von IS muss beendet werden, dafür müssen die Golfstaaten die Geldströme an IS stoppen, und vor allem muss die Türkei endlich die Grenzen für IS dichtmachen: für Kämpfer, Waffen aber auch für das Öl, dass IS über die Türkei zu verkaufen scheint. Zweitens muss die Türkei das Embargo gegen Rojava stoppen. Insbesondere Deutschland als enger politischer, wirtschaftlicher wie militärischer Partner der Türkei muss hier massiv Druck ausüben, damit Ankara aufhört, die syrischen KurdInnen mit der Grenzblockade zu strangulieren. Und drittens braucht es eine echte Einheitsregierung in Bagdad, die Schluss macht mit der Ausgrenzung der Sunniten, denn dann würde die Unterstützung von IS in der sunnitisch-irakischen Bevölkerung schnell sinken. 

Und was sollte Deutschland dazu beitragen? 

Vor allem eines: Endlich mal Klartext mit der türkischen Regierung reden – und die eigene Blockade gegenüber Rojava aufheben. Seit Monaten verlangen wir vom Auswärtigen Amt, humanitäre Hilfe nach Rojava zu liefern, aber keine Chance, das ist politisch nicht gewollt. Im Auswärtigen Amt lässt man offenbar lieber die Kurden in Rojava hungern als sich mal mit Erdogan anzulegen. Eine absurde Politik: Die syrischen KurdInnen bekommen nicht einmal Medikamente aus Berlin, die irakischen werden jetzt sogar mit Waffen beliefert.

linksfraktion.de, 29. September 2014