Von Susanne Hennig-Wellsow
26.09.2014

Der Politikwechsel gewinnt an Gestalt

Susanne Hennig-Wellsow über die Sondierungsgespräche in Thüringen, die Möglichkeiten realer Veränderung heute und die Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Ein Gastbeitrag

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In Thüringen steht DIE LINKE derzeit vor der Frage, ob es eine Regierungspolitik geben wird, die mehr soziale Gerechtigkeit, eine sozial ausgewogene Energiewende, konsequente Regeln für gute Arbeit und Ausbildung, eine humanitäre Flüchtlingspolitik, strikte Aufklärung in Sachen NSU-Terror und eine harte Linie gegen Neonazismus, mehr Bildungsgerechtigkeit und mehr Demokratie und Mitbestimmung geben wird – oder ob die CDU auch nach fast 25 Jahren einfach so weiterregieren kann, wie bisher. 265.000 Menschen haben uns bei der Wahl in Thüringen den Auftrag gegeben: Schafft die CDU endlich von der Regierungsbank!

Nun führen wir Sondierungsgespräche mit SPD und Grünen. Erste Ergebnisse liegen vor: Grundlagen für eine Verwaltungs- und Gebietsreform sowie weitreichende Reformen in der Flüchtlingspolitik wurden vereinbart. Auch auf anderen wichtigen Politikfeldern sind ähnlich weitreichende Vereinbarungen greifbar. Arbeit und Wirtschaft, Bildung, Energie, Innenpolitik, Soziales oder Verkehr – all diese Themen stehen derzeit noch an – aber ich bin guter Dinge: Der Politikwechsel gewinnt an Gestalt.

Ein weiteres Thema, das bereits diskutiert wurde, war die Frage von Unrecht in der DDR. Nach langer Diskussion in den Sondierungsgesprächen haben wir gemeinsam mit SPD und Bündnis90/Die Grünen am 23. September 2014 dazu eine gemeinsame Erklärung entworfen. Grundlage für die Diskussion war das Papier »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte« aus den Thüringer Sondierungsgesprächen von 2009. Das Papier war von der damaligen Verhandlungsgruppe unserer Partei mit erarbeitet worden. Explizit wurde darin damals die DDR pauschal als »Unrechtsstaat« bezeichnet.

Aus heutiger Sicht wurde damals zu wenig gesehen, dass mit dieser Pauschalierung auch die Biografien derjenigen Menschen in ein negatives Licht gerückt wurden, die trotz der politischen Fehler der DDR an der Idee einer menschenwürdigen, einer sozialistischen Gesellschaft festhielten und in diesem Sinne gearbeitet und gelebt haben. Deshalb wollten und haben wir in den gegenwärtigen Sondierungsgesprächen gemeinsam mit der SPD und Bündnis 90/Die Grünen das Papier von 2009 weiterentwickelt. Ziel war eine differenziertere Benennung des in der DDR geschehenen Unrechts. Dieses Ziel haben wir erreicht.

Statt die DDR und mit ihr die Lebenswege von Millionen Menschen in Bausch und Bogen zu verdammen, benennt die aktuelle Erklärung das, was die Unrechtserfahrungen im Staat DDR ausgemacht haben: keine freien Wahlen und politische Willkür der Machthabenden. Allein in Bezug auf solche Erfahrungen haben wir der Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat zugestimmt. Ausdrücklich nicht gemeint sind damit die Biografien der ehemaligen DDR-Bürgerinnen und Bürger.

SPD und Grüne haben öffentlich deutlich gemacht, dass sie unser Bemühen um eine Einigung in der Sache anerkennen. Wir wiederum haben deutlich gemacht, dass wir die Bereitschaft von SPD und Grünen anerkennen, mit uns eine einvernehmliche Position zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu erzielen und dazu auf pauschalisierende Formulierungen aus dem 2009er Papier zu verzichten. Das ist auch ein wichtiger Schritt zu weiterer Normalisierung im politischen Umgang miteinander, den wir für ein Reformbündnis zwingend benötigen.

Über Jahrzehnte hinweg war eine gemeinsame Erinnerungskultur von PDS bzw. der LINKEN, SPD und Grünen undenkbar. Von den Gegnern einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit wurde der Begriff des »Unrechtsstaates« instrumentalisiert. Die LINKE hat sich zu Recht immer gegen die darin enthaltene Abwertung ostdeutscher Biografien sowie die Gleichsetzung der SED mit der PDS bzw. der LINKEN gewandt. Mit der nun vorliegenden Erklärung wird der Streit beigelegt. Der Begriff »Unrechtsstaat« wird auf seinen realen Kern zurückgeführt, die in der DDR fehlende demokratische Legitimation des staatlichen Handelns. Gleichzeitig schützt die Erklärung ostdeutsche Biografien und lädt jene zur Zusammenarbeit ein, die in der DDR Schuld auf sich geladen haben und sich heute davon distanzieren.

Klar ist auch: Ein Bündnis aus drei Parteien braucht den Kompromiss. Weder kann eine mögliche Regierung in Gänze noch können einzelne ihrer Schritte nur aus dem Willen einer der Parteien bestehen. Gerade das Amt des Ministerpräsidenten verkörpert diesen Kompromiss. Gregor Gysi wies zu Recht im Interview mit dem MDR darauf hin: Bodo Ramelow müsse ein Ministerpräsident für alle Menschen in Thüringen sein, »also auch für diejenigen, die Unrecht in der DDR erfahren haben«. Er muss und wird dem mit seiner Politik gerecht werden.

Und zur Frage einer Koalition sagte Gregor Gysi: »Für mich ist wichtig: Was leistet sie für die Thüringerinnen und Thüringer? Das ist das Entscheidende.« Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

Susanne Hennig-Wellsow, geboren 1977 in Demmin, ist Landesvorsitzende der Linken in Thüringen und ist bei den Sondierungsgesprächen mit SPD und Grünen dabei.

 

Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/947249.der-politikwechsel-gewinnt-an-gestalt.html