Schotten-Votum im Sinne GroSS-Deutschlands?!

Wenn die Bevölkerung Schottlands übermorgen aufgefordert ist, über die Unabhängigkeit zu entscheiden, dann ist dies nicht nur eine historische Zäsur und haut 268 Jahre Vereintes Königreich quasi in die Tonne, sondern dann gehen auch Rechnungen auf, die man sich in der EU und insbesondere in Deutschland schon vor langer Zeit gemacht hat: die Aufspaltung wichtiger Nationalstaaten in Europa, die natürlich im positivsten Sinne in der EU aufgehen und mehr direkte Demokratie auf lokaler Ebene erbringen soll, während ein Nationalstaat wie ein Fels in der Brandung im Zentrum jener EU grösser und stärker denn je steht: Deutschland.

Deshalb geht es auch nicht nur um Schottland an diesem Donnerstag. In Frankreich gibt es ebenfalls Minoritäten, die von Unabhängigkeit träumen, so wie die Korsen, oder in Spanien die Katalanen und Basken. In Finnland wären die Samen und Lappen zu nennen, in Italien die Regionen Südtirol, Padania und Veneto, in Belgien die Flamen und Deutschen von Malmedy. Das Europa der Regionen wurde ganz besonders von deutschen Bundesregierungen immer wieder beschworen. Das klingt zunächst heimatverbunden und basisdemokratisch, ist aber nicht auf Deutschland anzuwenden, fand man in Bonn und später in Berlin. Ethnische Minderheiten wie die Sorben sollten mal auf die Idee kommen, die Unabhängigkeit zu verlangen!

Wohin diese Politik der Aufspaltung führt zeigt Jugoslawien und noch aktueller die Ukraine. Zwar sind die Begründungen für die jeweilige Auflösung der nationalstaatlichen Einheit durchaus unterschiedlich, aber die Gründe sind es in der Regel nicht: es geht um wirtschaftliche Vor- und Nachteile. In Jugoslawien waren unter Regierung von Milka Panic Ende der 1980er Jahre ohne Not mit dem IWF Kreditprogramme vereinbart worden, die die Umstrukturierung der jugoslawischen Wirtschaft zur Folge hatten. Über 2400 zuvor durchaus profitable Staatsbetriebe wurden privatisiert, zerstückelt, "gesund" geschrumpft und den jeweiligen Teilrepubliken zugeschlagen. 1990 brach die Wirtschaftsleistung Jugoslawiens um 10,6% ein. Massenarbeitslosigkeit trat erstmalig seit Gründung des jugoslawischen Staates auf. Der IWF verfügte, daß die Steuern nicht mehr an die Zentralregierung in Belgrad abgeführt werden dürften, sondern in den Teilrepubliken verbleiben sollten. Damit war die staatliche Einheit flugs de facto beendet und Menschen, die sich vorher nichts übles angetan hatten, wurden über Nacht gezwungen, sich als Ausländer in dem jeweiligen "unabhängigen" neuen Staat mit Arbeitsplatz und sozialem Standard gegen plötzlich geschürte nationalistische und faschistische Pogromstimmungen zu behaupten. Bürgerkriege und Kriege waren die Folge.

Die Schlacht von Culloden, unweit des Loch Ness bei Inverness, die am 16. April 1746 die ca. 5.000 halb verhungerten und schlecht ausgerüsteten Schotten gegen die 12.000 überlegenen Engländer in eine traumatische Niederlage geraten ließ, wird oft zu einem Mythos stilisiert, der auch bei jedem Rugby-Spiel zwischen Schottland und England wiederbelebt und nach dem Match gemeinsam in Bier ertränkt wird. Ein Bürgerkrieg ist für noch Großbritannien nicht zu befürchten, wenngleich es auch in dieser Frage um wirtschaftliche Aspekte geht. Erdöl vor der schottischen Küste ließen das "Yes"-Camp frohlocken, doch weiß jeder, daß diese durchaus endlich sind. Schon vor Jahren waren die Höhenflüge der Befürworter der Unabhängigkeit von Westminster, die sich auf die von der "Royal Bank of Scotland" und der "Bank of Scotland" inszenierten Finanzblasen nach Kettenbriefmuster gestützt hatten, durch die Pleite jener Banken erst mal beendet. Nun also sollen nicht dubiose Finanzbetrügereien die schottische Unabhängigkeit mit höherem Lebensstandard finanzieren, sondern fossile Brennstoffe. Doch es gibt noch andere Überlegungen hinsichtlich der Chancen eines eigenständigen Schottlands, welches vermutlich rasch und unkonmpliziert in die EU aufgenommen würde. was, so muß man fragen, hätte dies für Auswirkungen auf die EU? Großbritannien verlöre seine gemeinsame Machtbasis gegenüber Kontinentaleuropa, das "Pfund" im doppelten Sinn des Wortes, mit dem es wuchern kann, gleiche Stimmengewichtung im Europäischen Rat und gleiche Anzahl von Abgeordneten im Europäischen Parlament wie Frankreich, Italien und Deutschland.

Aus deutscher Sicht, wäre es reizvoll, England auf polnischem Niveau zu sehen. Wirtschaft ist auch mehr Psychologie, als tatsächliche Produktion, wie man insbesondere an der Tatsache sehen kann, daß unter Thatcher eine De-Industrialisierung Großbritanniens erfolgte, die unter Blair noch verstärkt wurde und zu einer enormen Abhängigkeit der britischen Wirtschaftsleistung von der Finanzindustrie in der Londoner "City" führte. Mehr als Zweidrittel des britischen BIP sind mehr oder weniger von den Finanzjongleuren und ihren Betrügereien abhängig. Wenn das Vereinigte Königreich zerfleddert würde, wäre der psychologische Effekt niederschmetternd, denn dann wäre auch das Pfund nicht mehr ernst zu nehmen.

Auch deshalb dürfte Gordon Brown, ehemaliger Finanzminister und Architekt von New Labour, der die De-Industrialisierung und Fixierung auf "The City" 10 Jahre lang vorangetrieben hat und in einer kurzen glücklosen Zeit als Bewohner von 10 Downing Street den Niedergang der eigenen Reformen ansehen mußte, nun als Schotte ein entschiedener Streiter für die NO-Seite sein. Er weiß sicher, gibt es aber nicht zu, daß, sofern irgendeine ernstzunehmende Finanzmarktregulierung in Kraft träte, "The City" und damit ganz Großbritannien vor dem Ruin stünde. Mir gegenüber reagierte er einst sauer, als ich genau danach fragte. Angesichts der Tatsache, daß kaum noch produzierende Industrie in Großbritannien angesiedelt ist und die Landwirtschaft auch nur 1% zum BIP beiträgt, könnte man sich vorstellen, wie die einzelnen Staaten des ehemaligen Vereinten Königreiches nach Brüssel pilgern und um Hilfe bitten müssen.

Deutschland hätte, 69 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges diesen wirtschaftlich gewonnen. Politisch wurde an der deutschen Vorherrschaft in Europa über Jahrzehnte intensiv gearbeitet. So finanzierten alle Bundesregierungen mit 143 Millionen DM (Zahl von 1998) Einrichtungen, wie das Europäische Minderheitenzentrum in Apenrade bei Flensburg, die Föderation Europäischer Volksgruppen eV(FUEV), die sich unter anderem mit klassischer deutscher Volksgruppenpolitik nach Vorbild des "Dritten Reiches" befassten und deutsche Minderheiten in Ost-, Mittel- und Södosteuropa mit jährlichen Zahlungen in Höhe von 110 Millionen Mark unterstützten. Aber auch in anderen Nationen sollte das "Volksgruppenrecht" gestärkt werden, so der offizielle Auftrag, der sich aus der Satzung der FUEV (Artikel 3) ergibt. Die Anlehnung an die NAZI-Zeit wird auch ersichtlich, wenn man sich des 1926 gegründeten Blattes "Nation und Staat" annimmt, welches seinerzeit die Segregation und später die Verfolgung von Juden ideologisch untermauerte und nach 1945 zunächst verboten worden war, im Jahr 1961 aber unter dem Namen "Europa Ethnica" von der FUEV wiederbelebt wurde und sich (stolz heißt es in der Kopfzeile "im 35. Erscheinungsjahr") auf die NS-Tradition beruft. Ebenfalls von der Bundesregierung kontinuierlich finanziell unterstützt wurden der Verein für das Deutschtum im Ausland VDA in Bonn, sowie die Hermann-Niermann-Stiftung in Düsseldorf und der Bund deutscher Nordschleswiger BdN. Millionenbeträge flossen über diese Verbände an "ethnische Minderheiten" mit Unabhängigkeitsbestrebungen in Europäischen Nachbarstaaten, allen voran Schottland, Wales, Nordirland, Elsass, Korsika, Mazedonien, Griechenland, Kosovo, Cataluna, Böhmen, Eupen-Malmedy, Südtirol, Padania, Veneto, Baskenland, Friesland in den Niederlanden, Bretangne, Samen und Lappen, Siebenbürgen, und Königsberg.
Koordiniert wurde die Gründung des Europäischen Minoritätenzentrums durch die FUEV und das Innenministerium und das Außenministerium, wie Klaus Kinkel am 2. Mai 1995 schrieb, durch Abteilung VI im Auswärtigen Amt und Abteilung KII5 im Bundesinnenministerium.

Mit Schottland wäre die Rechnung aufgegangen, sollten die Bürgerinnen und Bürger sich am Donnerstag für die Unabhängigkeit entscheiden. Unabhängig wären sie jedenfalls nur von Westminster, aber von Brüssel und Deutschland mit Sicherheit nicht.


Gordon Brown:
https://www.youtube.com/watch?v=Cwvgep2FxLs

{youtube}Cwvgep2FxLs{/youtube}