Studie: Soziale Spaltung in Europa nimmt weiter zu 

Studie der Bertelsmann-Stiftung: Selbst eine bürgerliche Stiftung muß Sozialabbau und wachsende Ungleichheit in Europa zugeben

Die Ungerechtigkeit innerhalb Europas ist gewachsen. Die Euro-Krise trägt eine Teilschuld. Quelle: REUTERS

In der EU geht die Schere zwischen Nord und Süd weiter auf

Die Gründungsväter des Euro versprachen einst nicht weniger, als die Wirtschafts- und Lebensverhältnisse in Europa mit der Gemeinschaftswährung anzugleichen. Und zunächst lief alles wie erhofft: Mit dem Beginn der Euro-Einführung gingen die Zinsen in den Peripherieländern auf Talfahrt und näherten sich dem deutschen Niveau an. So entstand ein kreditfinanzierter Bau- und Konsumboom, der die Importe und Löhne der Südländer in die Höhe trieb.

 

Doch das Wachstum war nicht nachhaltig. Statt in Bildung und Maschinen zu investieren, wurden Geisterstädte errichtet. Die Kaufkraft wurde nicht gestärkt und Dumpinglohne kamen in Mode. Die Wirtschaft brach ein. 

Das Ergebnis ist bekannt: Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und Irland sind hoch verschuldet. Bis auf Italien mussten alle Länder unter den Euro-Rettungsschirm flüchten und ihre Finanzen sanieren. Der Prozess ist längst nicht abgeschlossen – doch schon jetzt steht fest: Europa hat sich auseinanderentwickelt. Statt zusammenzuwachsen, sind die Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden viel größer geworden.

Der EU droht als Folge der Finanzkrise eine soziale Spaltung zwischen Nord und Süd. Das Gefälle zwischen den Teilhabechancen in den noch immer wohlhabenden Staaten Nordeuropas und den Krisenländern im Süden habe sich vergrößert, heißt es im ersten EU-Gerechtigkeitsindex der Bertelsmann-Stiftung. „Dies birgt Zündstoff für den gesellschaftlichen Zusammenhalt innerhalb der EU. Sollte die soziale Spaltung lange andauern oder sich sogar noch weiter verschärfen, gefährdet dies die Zukunftsfähigkeit des europäischen Integrationsprojekts.“

Der EU-Gerechtigkeitsindex untersucht anhand von 35 Kriterien die Aspekte Armutsvermeidung, Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt, Gesundheit, Generationengerechtigkeit sowie gesellschaftlicher Zusammenhalt und Nicht-Diskriminierung. Während sich die Wirtschaft stabilisiere, sei das Niveau der sozialen Gerechtigkeit in den meisten der 28 EU-Staaten seit 2008 gesunken, heißt es in der Studie.

Deutschland habe zwar das Maß der sozialen Gerechtigkeit als eines der wenigen Länder gesteigert, liege aber in vielen Bereichen dennoch nur im Mittelfeld. Die leichte Verbesserung hierzulande gehe besonders auf die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt zurück, schreiben die Experten. Unterm Strich landet Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas im Gerechtigkeitsindex auf Platz 7. Schweden, Finnland, Dänemark und die Niederlande stehen an der Spitze. Auf dem letzten Platz findet sich Griechenland.

Deutschland kommt trotz einiger Fortschritte beim europäischen Vergleich zur „Bildungsgerechtigkeit“ nicht über einen 14. Rang hinaus. Im Bereich Gesundheit (Rang 10) kann Deutschland zwar eine hochwertige medizinische Versorgung vorweisen. Dennoch sei die Zahl der hier zu erwartenden „gesunden Lebensjahre“ im EU-Vergleich unterdurchschnittlich (Rang 23).

Eine grundlegende Erkenntnis ist nach Ansicht der Experten, dass Wirtschaftskraft „zwar eine wichtige Voraussetzung, aber auch kein automatischer Garant für soziale Gerechtigkeit“ sei. Das Thema soziale Gerechtigkeit sollte darum nach Ansicht der Stiftung künftig deutlich stärker ins Zentrum der europäischen Politik rücken. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) sagte dem „Focus“: „Dass sich in Europa eine immer größere Gerechtigkeitslücke auftut, dürfen wir nicht tatenlos hinnehmen.“ Man müsse in Europa dringend etwas gegen die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit tun, „weil sie unsere Gesellschaften von innen zerstört“.