LINKEN-INTERVIEW DER WOCHE

Die Linke - Interview der Woche mit Fraktionsvizechefs Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch

»Beim Sozialen dürfen wir nicht sparen«


Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die 1. und der 2. stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, sprechen im Interview der Woche über Oppositionsarbeit unter schwierigen Mehrheitsverhältnissen, die Ära Merkel und die SPD, Umverteilung und sozialen Ausgleich, den neuen außenpolitischen Kurs Deutschlands und den angestrebten Politikwechsel.

 

Sahra Wagenknecht, die parlamentarische Sommerpause ist zu Ende. Fast ein Jahr ist DIE LINKE nun die größte Oppositionsfraktion im Bundestag. Gegenüber sitzt eine schon "übergroß" zu nennende Koalition von CDU/CSU und SPD. Wie haben sich die eindeutigen Mehrheitsverhältnisse auf die Oppositionsarbeit und auf parlamentarische Arbeit allgemein ausgewirkt?
 
Sahra Wagenknecht: Die Arroganz und Ignoranz der Bundesregierung gegenüber der Opposition und dem Parlament hat noch zugenommen. Erst nach zähen Verhandlungen wurden die Rechte der Opposition hinsichtlich der Redezeiten im Plenum und dem Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses leicht gestärkt, sie bleiben aber unzureichend. Eine Klagemöglichkeit der Oppositionsfraktionen vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur Überprüfung eines Gesetzes gibt es nicht. Dies ist für eine Demokratie gefährlich. Bei wichtigen Fragen verkommt das Parlament zudem immer mehr zum Nebenschauplatz der Regierungspolitik. Nehmen wir das Beispiel der Waffenexporte in den Irak: Zu dieser wichtigen Frage wurde der Bundestag zwar am 1. September zu einer Sondersitzung einberufen. Entschieden hatte die Bundesregierung über die Exporte allerdings schon am Tag davor allein. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Bundesregierung den Bundestag zu einem reinen Debattierclub herabsetzt, der nichts mehr zu entscheiden hat.

Zu Beginn der Legislatur kürten viele Medien die SPD als Motor der Großen Koalition. Wie stellt sich das aus Ihrer Sicht dar – ist die SPD mehr als eine Mehrheitsbeschafferin für die Union?

Dietmar Bartsch: Die SPD ist schnurstracks und freiwillig in die Koalition mit CDU und CSU gegangen, ohne die andere Möglichkeit, die nach dem Bundestags-Wahlergebnis vom September 2013 rechnerisch bestand, auch nur auszuloten. Zugleich legten die Sozialdemokraten ad acta, was sie im Wahlkampf zugunsten einer Umverteilung von oben nach unten und zur höheren Belastung der Konzerne und Superreichen im Lande versprochen hatten. Seither verwalten die Regierungsparteien das Land, von der im Koalitionsvertrag versprochenen Zukunftsgestaltung ist wenig zu spüren. Die SPD hat Auslandseinsätzen der Bundeswehr und Waffenexporten zugestimmt, fragwürdige Kompromisse zum Beispiel beim Betreuungsgeld geschlossen und eine Energiepolitik vorangetrieben, die die große Industrie ent- und die Bevölkerung belastet. Schritte in die richtige Richtung, etwa bei Mindestlohn und Renten, wurden allenfalls halbherzig gegangen.

DIE LINKE war Vorreiter im Kampf um den Mindestlohn. Ab 2015 gilt mit Ausnahmen ein Mindestlohn von 8 Euro 50. Hat DIE LINKE damit ein zentrales politisches Thema verloren?

Dietmar Bartsch: DIE LINKE hat weit über zehn Jahre für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gekämpft. Die damalige PDS stellte im April 2002 dazu den ersten Antrag im Bundestag, die SPD mahnte damals vor einem "Papiertiger". Wenn die Einführung eines Mindestlohnes nunmehr im Bundestag beschlossen wurde, hat DIE LINKE einen wichtigen Erfolg erreicht und keinen Verlust erzielt. Ziel unserer Politik ist es, dieses Land gerecht und die Welt friedlich zu machen. Wenn sich andere Parteien oder Fraktionen entsprechenden Vorschlägen anschließen, ist das nur gut so. Tapfer kämpfen, aber nichts erreichen, ist für mich keine akzeptable Alternative. Übrigens: Der nun beschlossene Mindestlohn ist mit 8,50 Euro viel zu gering, um ein ordentliches Leben führen zu können und vor Altersarmut geschützt zu sein, er kennt viel zu viele Ausnahmen und es wird noch Jahre dauern, ehe er "richtig" eingeführt ist. Das Thema bleibt also auf der Tagesordnung. Leider.

DIE LINKE kritisierte die Agenda 2010 immer als Umverteilung von unten nach oben. Die Schere zwischen Reich und Arm geht tatsächlich seit Jahren immer weiter auseinander. DIE LINKE will das korrigieren. Warum, glauben Sie, wäre das insgesamt für die Gesellschaft gut?

Sahra Wagenknecht: Je ungleicher eine Gesellschaft, desto mehr blühen Hass, Gewalt und Kriminalität. Wenn hingegen mehr soziale Gerechtigkeit herrscht und niemand materielle Existenzängste haben muss, geht es viel friedlicher und entspannter zu. Dies belegen wissenschaftliche Studien. Die Agenda 2010 hat nicht nur Arbeitslose entrechtet, sondern alle Beschäftigten unter Druck gesetzt, mehr oder zu schlechteren Löhnen zu arbeiten. Seitdem breiten sich unsichere Arbeitsverhältnisse immer weiter aus, Stress und Arbeitshetze nehmen zu. Darunter leiden dann auch die menschlichen Beziehungen: Harte Konkurrenz und die Angst vor sozialem Absturz lassen wenig Raum für ein solidarisches Miteinander. Sie sind vielmehr ein idealer Nährboden für Rassismus und andere inhumane Einstellungen und Verhaltensweisen.

Das scheint nicht bei allen Wählerinnen und Wählern zu verfangen. Woran liegt das und wie will DIE LINKE das ändern?

Dietmar Bartsch: Es muss hierzulande endlich anders verteilt werden, weil Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Kinder- und Altersarmut in einem so reichen Land nicht hinnehmbar sind. Allerdings offenbaren seriöse Umfragen auch immer wieder, dass viele Menschen in unserem Land mit ihren Lebensumständen und ihren persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen durchaus zufrieden sind. Es gibt ein starkes Bedürfnis zu Bewahrung des Gegenwärtigen, wenig Bereitschaft zu Veränderungen. Das müssen wir beachten, es muss uns aber nicht mutlos machen. Auch viele Wohlhabende haben ein starkes Gefühl für soziale Gerechtigkeit oder eben Ungerechtigkeit. Vor allem erkennen immer mehr Menschen, dass ein "Weiter so!", wie es unsere Regierung betreibt, letztlich die Zukunft unseres Landes aufs Spiel setzt. Viele Bürgerinnen und Bürger stimmen mit den Analysen der LINKEN überein, trauen es uns aber nicht zu, die Dinge tatsächlich zu verändern. Das ist eine Herausforderung.

In der ersten Sitzungswoche nach der parlamentarischen Sommerpause geht es um den Haushalt 2015. Es mehren sich Stimmen aus der Wirtschaft, dass in Deutschland viel zu wenig investiert wird – sowohl von privater Seite als auch von Staatsseite. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein und was ist zu tun?

Dietmar Bartsch: Ich stimme den Kritikerinnen und Kritikern zu: unser Land wird auf Verschleiß gefahren. Ja, es ist ein ehrenwertes Anliegen, künftigen Generationen möglichst wenig Schulden zu hinterlassen. Wenn jedoch unsere Enkel kaputte Städte und Gemeinden, verkommene Gesundheits-, Kultur- und Bildungseinrichtungen vorfinden, haben wir auch nichts gekonnt. Merkel und Schäuble kriegen sich gar nicht mehr ein in ihrem Jubel über einen Bundeshaushalt ohne Schuldenaufnahme. Das aber ist kein Wert an sich. Beim Sozialen dürfen wir nicht sparen, beim Militärischen schon. Wenn jetzt über die künftige Gestaltung des Länderfinanzausgleiches diskutiert wird, halte ich es für herausragend wichtig, dass die Kommunen finanziell so ausgestattet werden, dass sie auch handlungsfähig sind, kommunale Selbstverwaltung also möglich ist.

In der Eurozone geht als Folge der Sparpolitik das Gespenst der Deflation um; EZB-Chef Draghi forderte deswegen unlängst ein Investitionsprogramm und wurde prompt von einer wenig begeisterten Bundeskanzlerin angerufen. Warum gibt es angesichts der drohenden Gefahr keine Korrektur der Sparpolitik? Und welche Folgen hätte eine Deflation für Deutschland?

Sahra Wagenknecht: Wenn fallende Preise erwartet werden, gerät der Wirtschaftskreislauf ins Stocken. Konsum und Investitionen brechen ein, die Arbeitslosigkeit schnellt nach oben und die Schuldenprobleme verschärfen sich. Um eine solch gefährliche Deflationsspirale abzuwehren, müsste die Bundesregierung in Deutschland für höhere Löhne sorgen und in Europa den Sozialabbau stoppen und Investitionsprogramme auflegen statt auf weiteren Kürzungen zu bestehen. Leider sperrt sich die Bundesregierung gegen einen solchen Kurswechsel, weil er die Profite von deutschen Konzernen schmälern könnte. Das ist eine Politik für die oberen Zehntausend in Deutschland, unter der sowohl die Beschäftigten als auch kleine und mittlere Unternehmen leiden.

Die Bundesregierung hatte es beschlossen, der Bundestag nickte es ab: Für den Kampf gegen die radikale Miliz "Islamischer Staat" werden Waffen in den Irak geliefert, also in ein Krisengebiet. Wie sehen Sie die Situation im Irak?

Sahra Wagenknecht: Bisher waren Waffenexporte in Kriegsgebiete aus gutem Grund ausgeschlossen. Dass die Bundesregierung dieses Tabu bricht und beschließt, Waffen in den Irak zu liefern, dient vor allem dem Zweck, ihren geostrategischen Einfluss zu stärken. Um den Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen, wären andere Schritte notwendig: zuallererst massiver Druck auf diejenigen Staaten, die den IS unterstützen, allen voran Katar, Saudi-Arabien und die Türkei. Ohne ihre Finanzquellen oder logistische Unterstützung hätte der IS nie die Schlagkraft entwickeln können, die er heute besitzt. Und man darf nicht vergessen: Die Waffen des IS stammen zu großen Teilen aus den Lieferungen, mit denen die syrische Opposition unterstützt wurde – treibende Kraft waren dabei die NATO-Staaten USA, Frankreich und Großbritannien. Es ist längst nicht ausgeschlossen, dass sich auch neue Waffenlieferungen binnen Kurzem in den Händen des IS wiederfinden. Eine solche Politik ist doch aberwitzig. Waffen schaffen keinen Frieden, im Gegenteil: Mit Waffenexporten gießt man Öl ins Feuer. Diese Lektion sollte hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg endlich gelernt werden. Es ist eine Schande, dass Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur weiter von Kriegen und Konflikten profitiert. DIE LINKE verweigert sich diesem Kurs und fordert ein Verbot von Rüstungsexporten und eine konsequente zivile Außenpolitik.

Bereits vor Monaten haben Bundespräsident Gauck und auch Verteidigungsministerin von der Leyen deutschen Militäreinsätzen das Wort geredet. Wird die deutsche Außen- und Militärpolitik derzeit neu justiert und mit welchen Zielen?

Sahra Wagenknecht: Die Bundesregierung ist bemüht, die Rolle Deutschlands als global agierender Akteur nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern auch geostrategisch zu zementieren. Diesen Anspruch untermauert sie durch eine wachsende Fokussierung auf militärische Beteiligungen, Ausbildungsmissionen und sogenannte humanitäre Interventionen. Während sie öffentlich einer zivilen Politik das Wort redet, setzt sie in Konflikten immer mehr auf einen konfrontativen Kurs. Bisherige Tabus werden durchbrochen, sei es in der Frage von Rüstungsexporten in Kriegsgebiete, sei es im Umgang mit der Ukraine, wo eine Regierung gestützt wird, der Faschisten angehören, und der Konflikt mit Russland immer weiter eskaliert. Deutschland rückt immer mehr von seiner früheren Außenpolitik der Zurückhaltung ab und stellt sich in internationalen Konflikten zunehmend kritiklos an die Seite der USA. Dies ist brandgefährliche Politik, die in einer Katastrophe enden kann.

Nach den Wahlen zum 18. Bundestag war rechnerisch auch eine Mehrheit für SPD, DIE LINKE und Grüne vorhanden. Die SPD entschied sich für die Große Koalition. Was muss DIE LINKE als stärkste Oppositionskraft tun, damit ein Politikwechsel und das Ende der Ära Merkel möglich werden?

Dietmar Bartsch: Sahra und ich haben ein gemeinsames Papier zur strategischen Ausrichtung unserer Fraktionsarbeit in der laufenden Wahlperiode des Deutschen Bundestages überschrieben mit den Worten: "Wir sind die Opposition". Eine starke und konsequente Opposition ist entscheidend für künftige gute Wahlergebnisse der LINKEN auf Bundesebene. Das ist zugleich eine Voraussetzung für einen künftigen Politikwechsel mit der SPD. Wörtlich heißt es in unserem Papier: "Wir dürfen keinen Zweifel daran lassen, dass es uns um eine andere Politik und nicht um abstrakte Regierungsoptionen geht." Überdies bedarf es eines gesellschaftlichen Drucks für eine andere Politik. 1998 war Rot-Grün doch vor allem auch deshalb erfolgreich, weil ein Gedanke die Stimmung in der Gesellschaft prägte: Kohl muss weg. Aktuell werden die Landtagswahlen am kommenden Wochenende auch zeigen, welche Anziehungskraft eine Politik links der CDU hat. Wir werden in den verbleibenden Tagen alles dafür tun, dass Rot-Rot in Brandenburg fortgesetzt werden und DIE LINKE in Thüringen erstmalig einen Ministerpräsidenten stellen kann. Eine starke LINKE in den Landtagen, anerkannte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Landrätinnen und Landräte helfen immens, unsere Partei auch bundespolitisch attraktiv zu machen.

linksfraktion.de, 9. September 2014

http://www.linksfraktion.de/interview-der-woche/beim-sozialen-nicht-sparen/