Kurdistan ist Energie-Großmacht

Da der Irak wie auch Syrien aber auch die Türkei bestrebt sind, sich von westlicher Politik unabhängiger zu machen und selbstbestimmter zu werden, könnte die politische Klasse im Westen plötzlich an der Errichtung eines Kurdenstaates Interesse haben.  

»Irak-Kurdistan« sei »eine Energiegroßmacht«, stellt Pflüger (CDU) trocken fest. Bereits ohne Kirkuk sei die Region mit ihren »geschätzten 45 Milliarden Barrel Ölreserven zu einem beachtlichen Player auf der Bühne der globalen Energiepolitik geworden«. Nach der Einnahme von Kirkuk im Juni verfüge Erbil nun sogar »über die neunt­größten Öl-Vorkommen der Welt« – mehr als Libyen.

 

Die Erdgasvorräte der Region, selbst ohne diejenigen in Kirkuk »nicht weniger als 5,7 Billionen Kubikmeter«, seien »sogar die achtgrößten der Welt«.

Und vor allem: Die Bodenschätze stehen dem Westen konkurrenzlos zur Verfügung. Erbil habe »gegen den Willen Bagdads, aber in enger Zusammenarbeit mit Ankara eine eigene Pipeline in die Türkei gebaut«, erinnert Pflüger: »Erstmals gelangte im Mai dieses Jahres kurdisches Öl über den türkischen Hafen Ceyhan per Tanker nach Europa und in die USA.« Akllerdings ist dieses kurdisch-türkische Bündnis brüchig, weil die Türken gleichzeitig Krieg gegen die Kurden in der Türkei und in Syrien führt, wo die Türkei als Nato-Mitglied auch die IS unterstützt.

In einer Zeit, in der die Suche nach Alternativen zu russischen Energierohstoffen auf Hochtouren läuft, ist die Aussicht auf einen potenten neuen Lieferanten aus Sicht westlicher Kapitaloligarchen besonders viel wert.

Interessierte Kreise in Deutschland haben die nordirakischen Ressourcen seit Jahren fest im Blick. Ende August 2010 schloß der Essener RWE-Konzern sogar schon einmal eine Kooperationsvereinbarung mit der Regionalregierung in Erbil, um sich Zugriff auf das dortige Erdgas zu verschaffen. RWE beteiligte sich damals an den Planungen für die »Nabucco«-Pipeline, die Erdgas aus dem Kaspischen Becken nach Europa leiten sollte, und bemühte sich um zusätzliche Lieferanten für die Röhre. Die Kooperationsvereinbarung mit Erbil führte allerdings zu heftigem Ärger mit Bagdad: Die Zentralregierung pochte auf ihr Mitbestimmungsrecht in Rohstoffragen – auch, weil sie sich wohl im klaren war, daß eine Pipelineverbindung über die Türkei zum Mittelmeer Erbil viel Geld und damit die Möglichkeit zur Sezession verschaffen würde. Für den RWE-Deal setzte sich Anfang 2011 der damalige Entwicklungsminister Dirk Niebel persönlich in der irakischen Hauptstadt ein – vergeblich: Das Vorhaben scheiterte. Pluspunkte in Berlin hat die irakische Regierung sich damit nicht verschafft.



In der Tat: Als die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 20. März 2013 zu einem Kongreß über »Außenpolitische Aspekte der deutschen Rohstoff- und Energiesicherheit« in den Reichstag lud, da sprach – in Anwesenheit von Klaus Schäfer, damals Vorstandschef von E.on Ruhrgas – auch Nechirvan Barzani, aber niemand aus Bagdad. Der Ministerpräsident der kurdischen Autonomieregion, ein Neffe des Autonomiepräsidenten Massud Barzani, pries die Erdgasvorräte des Gebietes an – und tat das erneut, als er tags drauf bei Bundeskanzlerin Merkel vorsprach. »Die riesigen Öl- und Gasvorräte, die in Kurdistan seit 2007 entdeckt wurden«, seien »wichtig für die künftige Energieversorgung Europas«, warb Dilschad Barzani, Repräsentant der Autonomieregierung in Deutschland und Bruder des Autonomiepräsidenten, kürzlich in einer PR-Broschüre aus Erbil. Zu den einflußreichsten Lobbyisten in puncto nordirakisches Gas zählt freilich Friedbert Pflüger, der unter anderem die Beratungsfirma »KGE Business Alliances« mit Filialen in Berlin und Erbil betreibt (»KGE« steht für »Kurdish German European«). Als die »Atlantik-Brücke« am 2. Juli auf einem Symposium in Berlin über Alternativen zu russischen Energierohstoffen beriet, da empfahl Pflüger neben Schiefergas aus den USA auch dringend Erdgas aus »Irak/Kurdistan«.

Und wenn die kurdische Autonomieregion einen eigenen Staat gründet, gestützt auf Einkünfte aus dem Öl- und Gasverkauf in die westliche Welt? Für Pflüger ginge das völlig in Ordnung. In der Internationalen Politik verweist er darauf, daß Erbil derzeit überraschenderweise »die meiste Unterstützung« aus Ankara erhält. Die Regierung Erdogan hat – auch auf Druck aus Washington nach dem Irak-Krieg von 2003 – ihre Wirtschaftskontakte in den Nordirak intensiviert, um das Gebiet zu stabilisieren, und dabei im Laufe der Zeit ihre Haltung zu einem etwaigen irakisch-kurdischen Staat revidiert. Dieser wäre ökonomisch vollkommen abhängig von der Türkei – bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) war bereits von »einer Art türkischem Protektorat« die Rede – und könnte ihr seinerseits günstige Rohstoffe liefern. Zudem wäre er für Ankara ein nützlicher »Puffer zu den Bürgerkriegsgebieten in Syrien und im Irak«, urteilt Pflüger. Mit einem stabil an die Türkei angebundenen Gaslieferanten »Kurdistan« könnte auch Berlin gut leben – besser vielleicht als mit einer Autonomieregion, die im Streit mit der Zentralregierung liegt und deshalb, wie RWE leidvoll erfahren mußte, ein unzuverlässiger Geschäftspartner ist.

Was früher nur Marxisten in Deutschland forderten, ist jetzt plötzlich auch bei einem CDU-Außenpolitiker vorstellbar geworden nämlich die Schaffung eines freien und unabhängigen Kurdenstaates. Die Aufhebung des PKK-Verbotes im Lande wäre da ein erster richtiger Schritt in diese Richtung.

http://www.jungewelt.de/2014/08-25/001.php