KPD Chef Ernst Thälmann analysierte 1932 die politische Lage 

Die Krise spitzt sich zu

Erwerbslosigkeit, wirtschaftliche Zerrüttung, Verelendung: Am 15. Oktober 1932 analysierte Ernst Thälmann auf einer KPD-Parteikonferenz die Lage in Deutschland

Ernst Thälmann während einer Rede am 10. Mär
 
Ernst Thälmann während einer Rede am 10. März 1932 im Berliner Sportpalast
Foto: jW-Archiv

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das XII. Plenum (des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, der Komintern – jW) spricht in seinen politischen Thesen aus, daß das Ende der politischen Stabilisierung des Kapitalismus eingetreten ist. Was bedeutet das, Genossen? Wir müssen den ganzen Ernst und das ganze Gewicht einer solchen Feststellung verstehen. Lenin und die Komintern haben bekanntlich die ganze gegenwärtige Epoche, die im Zeichen des Monopolkapitalismus, des Imperialismus steht, als die Epoche der Weltrevolution gekennzeichnet. Der Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die russische Revolution des Jahres 1917 stehen am Beginn dieser Epoche und enthüllen ihren geschichtlichen Charakter. Die ersten Jahre der Nachkriegszeit waren erfüllt von einer nicht abreißenden Kette revolutionärer Kämpfe und bewaffneter Auseinandersetzungen, politischen Massenstreiks und Generalstreiks in einer ganzen Reihe von Ländern. Deutschland, das nach dem verheerenden Weltkrieg als das schwächste Glied in der Kette des Imperialismus anzusprechen war, zeigte ganz besonders deutlich diese rasche Aufeinanderfolge revolutionärer Zuspitzungen und Kämpfe. Mit der Oktoberniederlage des deutschen Proletariats von 1923, mit der Niederwerfung der bulgarischen Arbeiter und Bauern beim Sturz der Regierung Stambolijski (durch einen Putsch von Militär und Faschisten im Juni 1923 – jW) endete dieser Turnus, diese erste Reihe von Kriegen und Revolutionen. (…)


Es folgte die Zeit der relativen Stabilisierung des Kapitalismus, die mit einer Festigung der bürgerlichen Klassenherrschaft, mit einer günstigen Konjunktur der Wirtschaft, mit einem Anwachsen der demokratisch-pazifistischen Illusionen der Massen begann. Auf die erste große Flutwelle der Weltrevolution folgte eine gewisse Ebbe, eine gewisse Stagnation, ja teilweise rückläufige Entwicklung der revolutionären Bewegung. Die Propheten des Kapitalismus frohlockten, die Vertreter des Reformismus, die Führer der internationalen Sozialdemokratie verkündeten das Ende der Weltrevolution und wollten den Massen einreden, daß nunmehr der friedliche »demokratische« Weg zum Sozialismus, das allmähliche »Hineinwachsen in den Sozialismus« gesichert sei. (…)

Als dann die Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 einsetzte, als sie immer mehr Länder des Kapitalismus in ihren Bann zog und sich immer mehr vertiefte, haben wir bereits auf den damaligen Tagungen der Komintern und auch der KPD die Bedeutung der Krise für den Gang der Weltgeschichte aufgezeigt. (…) Wir sahen, wie die zyklische Krise sich auf dem Boden der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems in der Epoche des Imperialismus in viel schärferer und umfassenderer Form entfalten mußte, als das bei den periodischen Krisen der Vorkriegszeit der Fall war. Wir zeigten gleichzeitig schon damals auf, wie umgekehrt die Weltwirtschaftskrise ihrerseits die allgemeine Krise des Kapitalismus vertiefen und in ein höheres Stadium steigern muß. Die Ereignisse haben uns vollkommen recht gegeben. (…)

Die ungeheure Erwerbslosigkeit in Deutschland, die völlige Zerrüttung der gesamten Ökonomik, die immer stärkere Stillegung des Produktionsapparates, die fortgesetzte Einschrumpfung des inneren Absatzmarktes durch die Verelendung der werktätigen Millionenmassen, die direkte Pauperisierung breitester Massen – das alles sind unbestreitbare Tatsachen. (…)

Alles Gerede der Bourgeoisie, der bürgerlichen und sozialdemokratischen Presse über ein Abflauen der Krise, einen nahe bevorstehenden Umschwung in (…) eine baldige neue Prosperität, ist entweder haltlose Utopie oder bewußter Betrug. Gegenüber diesen Spekulationen, irreführenden und verlogenen, der Irreführung der Massen dienenden Phrasen, sagen wir Kommunisten den Massen mit aller Schärfe, daß sich die Krise nicht abschwächt, sondern daß sie im Gegenteil in ein verschärftes Stadium tritt. (…) Übrig bleibt bei diesem Programm der Bourgeoisie nur das eine: das krankhafte Bestreben, die Ausplünderung der Massen mit immer neueren Methoden zu steigern!

Ernst Thälmann: Die Krise des Kapitalismus. Aus dem Referat auf der 3. Parteikonferenz der KPD, 15. Oktober 1932. Hier zitiert nach: Ernst Thälmann. Über proletarischen Internationalismus. Reclam Verlag, Leipzig 1977, Seiten 160–167


Ernst Thälmann wurde am 18. August 1944 im KZ Buchenwald ermordet. Der Freundeskreis »Ernst- Thälmann-Gedenkstätte« e. V. Ziegenhals ruft aus Anlaß des 70. Jahrestages zur Teilnahme an zentralen Gedenkveranstaltungen, am Sonnabend, dem 23. August, in Berlin auf. U.a. finden von 10 bis 12 Uhr eine Konferenz im Karl-Liebknecht-Haus und von 14 bis 16 Uhr eine Kundgebung vor dem Ernst-Thälmann-Denkmal in der Greifswalder Straße statt.

http://www.jungewelt.de/2014/08-16/002.php

 

Ernst Thälmann

Links-Politiker 1886 - 1944 



1886
16. April: Ernst Thälmann wird als Sohn des Gemischtwarenhändlers Johannes Thälmann und dessen Ehefrau Magdalena (geb. Kohpeiss) in Hamburg geboren. 
 
1892/93
Wegen Unterschlagung verbüßen seine Eltern eine einjährige Zuchthausstrafe. Thälmann verbringt das Jahr bei Pflegeeltern. 
 
1893-1900
Besuch der Volksschule in Hamburg. 
 
1900-1902
Thälmann arbeitet als unbezahlte Aushilfe im elterlichen Geschäft. 
 
1902/03
Er wird in das Schleswig-Holsteinische Fußartillerieregiment Nr. 9 einberufen. Wenig später erhält er wegen "Dienstunbrauchbarkeit" seine Entlassung. 
 
1903
15. Mai: Eintritt in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD).
Er wird Mitglied des Zentralverbands der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands. 
 
1903-1907
Tätigkeit als Transport-, Hafen- und Werftarbeiter in Hamburg. 
 
1906
Die Politische Polizei legt über Thälmann wegen seiner gewerkschaftlichen Aktivitäten und seines politischen Engagements eine Akte an. 
 
1907
Thälmann heuert auf einem Dampfschiff als Heizer an und befährt die Nordamerika-Route. 
 
1907-1915
Er ist als Speicherarbeiter, als Schauermann und als Kutscher bei Hamburger Betrieben tätig. 
 
1913
Thälmann unterstützt die Forderung Rosa Luxemburgs nach dem Massenstreik als Aktionsmittel der Sozialdemokraten zur Durchsetzung politischer Forderungen.
Er kritisiert die Bewilligung der von dem Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg eingebrachten Heeresvorlage durch die SPD. 
 
1915
13. Januar: Wenige Tage nach dem Erhalt seiner Einberufung zur Teilnahme am Ersten Weltkrieg heiratet Thälmann Rosa Koch, Tochter eines Schuhmachermeisters. Aus der Ehe geht eine Tochter hervor. 
 
1915-1918
Einsatz als Soldat in Frankreich. 
 
1918
Oktober: Thälmann kehrt gemeinsam mit vier befreundeten Soldaten aus dem Heimaturlaub nicht mehr an die Front zurück und desertiert.
November: Eintritt in die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). 
 
1919
Januar: Die Hamburger Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) fordert die bewaffnete Unterstützung der soeben ausgerufenen Bremer Räterepublik gegen die von Gustav Noske befehligten Truppen. Thälmann ist an der Beschaffung von Waffen aus Polizeigebäuden und Kasernen beteiligt.
Wahl zum ersten Vorsitzenden der Ortsgruppe Hamburg der USPD.
November: Auf dem USPD-Parteitag in Leipzig unterstützt Thälmann den Anschluß der USPD an die Kommunistische Internationale (Komintern). 
 
1919-1933
Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. 
 
1920
Thälmann schließt sich zusammen mit Teilen der USPD der KPD an.
Er unterstützt die Forderung der USPD nach einem Generalstreik gegen den Lüttwitz-Kapp-Putsch
 
1921
Wahl in den Hamburger KPD-Vorstand. 
 
1923
Oktober: Unter Thälmanns Beteiligung beschließt ein Teil der KPD-Mitglieder den bewaffneten Kampf zur Konstitution der proletarischen Räterepublik in Hamburg. Der Aufstand wird von der Hamburger Polizei niedergeschlagen. 
 
1924
Thälmann wird zum stellvertretenden Vorsitzenden der KPD gewählt.
Mitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI). 
 
1924-1929
Er ist Vorsitzender des Roten Frontkämpferbunds, dessen Mitglieder sich wiederholt Straßenschlachten mit der Sturmabteilung (SA) der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei(NSDAP) liefern. 
 
1924-1933
Thälmann ist Mitglied des Reichstags. 
 
1925
Kandidat der KPD für die Reichspräsidentenwahl.
März/April: Beim ersten Wahlgang kann keiner der sieben Kandidaten die erforderliche Mehrheit erreichen. Im zweiten Wahlgang siegt Paul von Hindenburg mit 48,3 Prozent, Thälmann erhält 6,4 Prozent.
Mit Unterstützung des EKKI in Moskau und ausdrücklicher Billigung durch Josef W. Stalin übernimmt Thälmann den Parteivorsitz von Ruth Fischer, geb. Eisler (1895-1961). Fischer hatte sich um eine von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) unabhängige Parteiführung bemüht. 
 
1925-1933
Vorsitzender der KPD. 
 
1928
Thälmann wird von der KPD wegen der "Wittorf-Affäre" seiner Parteiämter enthoben. Ihm wird die Vertuschung von Unterschlagungen seines Freundes und Parteisekretärs Wittorf vorgeworfen. Auf Weisung Stalins kann Thälmann jedoch wenig später seine Funktionen wieder einnehmen. 
 
ab 1929
Unter Thälmanns Leitung konzentriert sich die KPD vor allem auf die politische Bekämpfung der SPD und nennt deren Mitglieder in Übereinstimmung mit Stalin "Sozialfaschisten". Thälmann bekämpft die NSDAP nicht in gleichem Maße wie die SPD. 
 
1931
Er wird Mitglied des Präsidiums der Komintern.
Unter Thälmanns Vorsitz beantragt die KPD gemeinsam mit dem "Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten" einen Volksentscheid zur Auflösung des SPD-regierten Preußischen Landtags.
August: Der Volksentscheid scheitert, die preußische Regierung unter Otto Braun bleibt im Amt. 
 
1932
Thälmann wird als Kandidat der KPD für die Reichspräsidentenwahl nominiert.
März/April: Im ersten Wahlgang erhält er 13,2 Prozent. Im zweiten Wahlgang werden für ihn 10,2 Prozent der Stimmen gezählt. Paul von Hindenburg siegt mit 53 Prozent vor Adolf Hitler, der 36,8 Prozent der Stimmen erhält.
Thälmann warnt in einer Rede vor der Überschätzung der NSDAP, in die viele Menschen große Hoffnungen auf Besserung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation setzen. 
 
1933
3. März: Thälmann wird nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten von der Polizei verhaftet.
Er wird des Hochverrats angeklagt. 
 
1933-1944
Er ist in verschiedenen Gefängnissen inhaftiert. Thälmann hält vor allem über seine Frau und seine Tochter den Kontakt zur Außenwelt. 
 
1933-1937
Haft im Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit. 
 
1935
Auf Anweisung Hitlers wird der Prozeß gegen Thälmann eingestellt. Er befürchtet, Thälmann würde maximal eine Höchststrafe von 15 Jahren Freiheitsentzug erhalten. Die Untersuchungshaft wird aufgehoben und in die sogenannte Schutzhaft umgewandelt. 
 
1937-1943
Haft im Gerichtsgefängnis Hannover. 
 
1939
Nach Abschluß des Hitler-Stalin-Pakts bittet die Ehefrau Thälmanns in der sowjetischen Botschaft um die Fürsprache Stalins für ihren Ehemann. Stalin verwendet sich nicht für Thälmann. 
 
1943/44
Thälmann ist in der Haftanstalt Bautzen inhaftiert. 
 
1944
16. April: Seine Tochter Irma wird verhaftet und in das Konzentrationslager (KZ) Ravensbrück eingewiesen.
8. Mai: Thälmanns Ehefrau Rosa wird ebenfalls verhaftet und nach Ravensbrück gebracht.
14. August: Hitler ordnet die Ermordung Ernst Thälmanns an.
17. August: Thälmann wird in das Konzentrationslager Buchenwald verlegt.
18. August: Ernst Thälmann wird in der Nacht in Buchenwald erschossen. Seine Leiche wird sofort im Krematorium verbrannt.
Wenige Wochen später behauptet die nationalsozialistische Propaganda, Thälmann wäre bei einem Bombenangriff am 24. August ums Leben gekommen. 
 
1952
In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), wo Thälmann als Inkarnation des kommunistischen Widerstands stilisiert wird, erfolgt die Umbenennung der 1948 gegründeten Kinderorganisation Junge Pioniere in "Pionierorganisation Ernst Thälmann". Die Mitglieder grüßen sich mit dem Thälmann-Gruß "Seid bereit - Immer bereit".

(se)

 

[Text] [Ton] Auf einem Kongreß in Moskau, 15.2.1928

http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/ThaelmannErnst/