13.08.2014

»Offenbar ist Gysi schlecht informiert«

Jan van Aken über verunsicherte Grundsätze in der LINKE-Spitze, nötige Unterstützung der Kurden und die Frage, wie die Terrormiliz IS schon morgen gestoppt werden könnte

Jan van Aken ist außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Im Januar bereiste er die irakischen und syrischen Krisengebiete. Mit dem Hamburger Abgeordneten sprach für »nd« Ines Wallrodt.
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Jan van Aken

nd: Wie finden Sie, was Ihnen Ihr Fraktionsvorsitzender mit seiner Forderung nach Waffenlieferungen an die Kurden eingebrockt hat?
van Aken: Ob er uns etwas eingebrockt hat, weiß ich nicht. Aber was er gesagt hat, ist falsch. Offenbar ist Gysi schlecht informiert.

Die LINKE bereitet also keinen Kurswechsel vor?
Nur weil Gregor Gysi an einem Punkt den Konflikt vor Ort nicht richtig verstanden hat, ist es noch kein Kurswechsel. Ich bin mir sicher, dass weit über 90 Prozent unserer Partei das ebenfalls völlig falsch finden.

Jesidische Tragödie im Nordirak

Im Nordirak spielt sich ein schrechlicke Tragödie ab. Nach einem Überraschungsangriff der Kämpfer vom Islamischen Staat (IS) sind jesidische Kurden in die Bergregion von Sindschar nahe der syrischen Grenze geflohen. Ihr Schicksal ist offen, Deutschland könnte helfen. Über die Frage, wie die Hilfe aussehen soll, ist eine Debatte ausgebrochen. Mehr

Auch andere Linke haben das Gefühl, dass die Grundsätze - keine Waffenexporte, kein militärisches Eingreifen - als Antwort auf akute Situationen in Irak nicht genug überzeugen. Auch der Verweis auf die Schuld der USA und den Irak-Krieg ist unbefriedigend.
In der Tat. Der Verweis auf den falschen Irak-Krieg ist zwar richtig, reicht aber nicht als Antwort auf 40 000 flüchtende Jesiden auf dem Sindschar-Berg. Was wollen diejenigen vor Ort, die den Fluchtkorridor für die Jesiden freigekämpft haben? Die syrischen Kurden von der YPG und die PKK jedenfalls sagen, sie brauchen keine militärische, sondern humanitäre Hilfe. Die Forderung nach Waffenlieferungen kam von Barzani, der ein schmutziges Spiel spielt, um die Unabhängigkeit Nordiraks zu erreichen. Er hat die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und sich die politische Unterstützung der Amerikaner durch Waffenlieferungen verschafft.

Was wäre, wenn die Kämpfer vor Ort die Waffenlieferungen wünschten?
In Irak mangelt es im Moment nicht an Waffen. Und es ist auch nicht so, dass die einen mit Flinten und die anderen mit Hightech-Waffen schießen, sondern dass die YPG mit amerikanischen Waffen kämpft, die sie vor wenigen Wochen bei Kobani dem islamistischen IS abgenommen hat. Der wiederum hatte sie bei Mossul von der irakischen Armee erobert, die sie von den Amerikanern geschickt bekommen hatte. Was ich damit sagen will: Egal, an wen man Waffen liefert, man hat niemanden gestärkt, sondern nur den Konflikt befeuert. Das ist für mich das zentrale Argument, in Krisenregionen keine Waffen zu liefern.

Humanitäre Hilfe hält die Terrorgruppe letztlich nicht auf. Wie kann das gelingen?
Warum zieht eigentlich niemand den Vergleich zur Ukraine? Da sickern Separatisten aus Russland ein, deswegen folgen Sanktionen. Hier sickern IS-Kämpfer über die Türkei ein, aber niemand verliert ein Wort darüber. Auch nicht in Richtung Saudi-Arabien und Katar, die die Terroristen seit Jahren unterstützen. Als erstes muss man also massiven Druck auf die Türkei ausüben, die Korridore für IS zu schließen und für YPG zu öffnen.

Bis dieser Druck wirkt, haben die schon vorhandenen IS-Kämpfer neue Massaker angerichtet.
Im Moment gibt es keinen weiteren Vormarsch von IS. Die kurzfristige Lösung ist da - YPG und PKK halten die Stellung.

Sie finden es richtig, den IS militärisch zu bekämpfen?
Ja natürlich. Wir haben Anfang des Jahres in Rojava/Nordsyrien mit YPG-KämpferInnen gesprochen. Die haben zur Waffe gegriffen, weil IS drohte, ihr ganzes Dorf zu vernichten. Das war ihre einzige Chance zu überleben

Warum darf dieser Widerstand nicht von außen unterstützt werden?
Niemand sagt, dass der Widerstand nicht von außen unterstützt werden darf. Aber die Unterstützung muss nicht militärisch sein, die KurdInnen in Rojava selbst fordern im Moment vor allem humanitäre Hilfe - und zum Beispiel Sprengstoffdetektoren, um die Selbstmordattentäter zu stoppen, aber keine Luftangriffe, keine Waffen.

Wie lange wird es dauern, bis man den IS auf die von Ihnen beschriebene Weise stoppen kann?
Zwischen einem Tag und zehn Jahren.

Man weiß es also nicht.
Ganz im Ernst: Es kommt darauf an, wann sich Kurden, Schiiten und Sunniten in Irak endlich einigen, morgen oder in zehn Jahren. Sobald die einig sind, hätte IS keine Chance. Das sind nur ein paar Tausend Mann. Sie konnten Sindschar doch nur angreifen, weil Barzanis Peschmerga sich da zurückgezogen hatten. Wir haben das in Syrien gesehen, wo IS wochenlang am Widerstand der YPG gescheitert ist.

 

Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/942278.offenbar-ist-gysi-schlecht-informiert.html