Was ist die Monopolbourgeosie heute?

Spätbürgerliche Oligarchie

Untersuchungen zum staatsmonopolistischen Kapitalismus heute: Was bzw. wer ist die gegenwärtige Monopolbourgeoisie?

von Beate Landefeld

»Staatsmonopolistischer Kapitalismus« von den Autoren Gretchen Binus, Beate Landefeld und Andreas Wehr. jW veröffentlicht an dieser Stelle leicht gekürzt das Kapitel III. 2 »Was bzw. wer ist die gegenwärtige Monopolbourgeoisie?« Verfasserin dieses Unterkapitels ist Beate Landefeld. (jW)

Die heutige globale Ökonomie wird im wesentlichen von den größten transnationalen Monopolen und den sich ungleichmäßig entwickelnden, miteinander verschränkten Ökonomien weniger kapitalistischer Großmächte und aufsteigender Schwellenländer getragen. Die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) erwirtschaftet 90 Prozent des Welt-Bruttoinlandsprodukts. Das Gros der laut Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) ca. 85000 transnationalen Konzerne und Banken kommt aus wenigen Zentren. Zwei Drittel der 500 größten kamen 2012 allein aus den Mitgliedsländern der Gruppe der sieben wichtigsten Industrieländer (G7). Die USA stellten 132, Japan 68, Deutschland 32, Frankreich 32, Großbritannien 26 und China 73 der 500 größten. Die Rangfolge eines Landes in der internationalen Staatenhierarchie läßt sich am Anteil seiner transnationalen Konzerne (TNKs) auf der Liste der 500 größten ablesen.1

Auch die Milliardäre der Welt konzentrieren sich in den wirtschaftlich stärksten Ländern. Für ein Weiterbestehen der Verflechtung zwischen Monopolen, großen Staaten und herrschenden Klassen spricht, daß 2012 bei 100 der 500 größten Konzerne Europas Staaten die Ankeraktionäre waren und daß von den 100 größten 22 einen staatlichen Großaktionär hatten. Die Namen der weltweit größten Konzerne und Banken verweisen auf Adressen, die in der Regel auch vor hundert Jahren schon Monopole waren oder aus solchen hervorgegangen sind. Ihr Aufstieg wurde und wird flankiert durch die Staaten, aus denen sie kommen und deren Ökonomien sie in der Regel prägen. (…)

Eigentum und Funktion

Die Entwicklung des Kapitalismus geht mit Änderungen in der Struktur der Kapitalistenklasse einher. Sie resultieren aus der Konkurrenz und dem Klassenhandeln der Bourgeoisie bei der systemimmanenten Bearbeitung kapitalistischer Widersprüche. Wichtige Etappen waren die Trennung von Eigentum und Funktion durch die Entstehung der Aktiengesellschaften, die Differenzierung des Gesamtkapitals in Monopole und nichtmonopolistisches Kapital und die Durchsetzung des Staatsmonopolistischen Kapitalismus (SMK), der nach 1945 eine keynesianische und eine neoliberale Phase der Regulierung durchlief.

Die Trennung von Eigentum und Funktion in der Aktiengesellschaft stellte Manager als Leiter der Unternehmen neben die Kapitaleigentümer. Formal sind sie »Angestellte«, real sind ihre Interessen mit denen der Kapitaleigentümer verschmolzen, aufgrund ihrer Stellung in der Produktion, hoher Vergütungen und Aktienoptionen. Unterschiede bleiben aber: Manager werden von den Eigentümern beaufsichtigt und können von ihnen »geheuert und gefeuert« werden, meist mit hohen Abfindungen. Kapitaleigentümer können Reichtum und Macht vererben und »Unternehmer­dynastien« begründen.

Die marxistischen Gesellschaftswissenschaftler Heinz Jung und Josef Schleifstein bezeichneten die privaten und staatlichen Manager als »kooptierte und aggregierte Teile« der Monopolbourgeoisie, »die erst in dem Maße einen festen (und erblichen) Platz in ihr erhalten, wie sie in der Lage sind, kapitalistisches Eigentum zu bilden und kraft Eigentumstiteln Verfügung über das Mehrprodukt zu erlangen.«2

Das moderne Finanzkapital basiert auf der Konzentration der Produktion, daraus erwachsenden Monopolen und auf der Verschmelzung von Bank- und Industriekapital. Dabei geht es nicht um eine starre Form der Verflechtung. Es geht um gegenseitige Abhängigkeit von Konzernen und Banken und um deren eigentumsmäßiges »Verwachsen«, das sich aus dem Finanzierungsbedarf monopolistischer Großproduktion ergibt. Er wird sichtbar bei Großfusionen und -übernahmen, die zur monopolistischen Weltmarktkonkurrenz gehören.

Das moderne Finanzkapital bleibt trotz seiner Loslösung von produktiven Funktionen an die Monopolisierung aus dem Akkumulationsprozeß gebunden. Jung und Schleifstein beschrieben dies mit den Worten: »Es nistet auf der Ebene des Geldkapitals und des aus den Eigentumstiteln entstehenden fiktiven Kapitals. Es verkörpert also die aus den Eigentumstiteln erwachsenden Ansprüche an den Mehrwert. Es verflicht sich mit den Eigentumsverhältnissen des fungierenden Kapitals und errichtet seine Kontrollstationen an den Knotenpunkten des Wirtschaftsprozesses.«3

Gruppen der Bourgeoisie

In der Bundesrepublik ist eine klare Strukturdifferenzierung des Gesamtkapitals gegeben: Von insgesamt über drei Millionen steuerpflichtigen Unternehmen sind 99,7 Prozent kleine und mittlere Unternehmen, die etwa 38 Prozent aller Umsätze erbringen. Nur 0,3 Prozent sind Großunternehmen, die aber 62 Prozent der Umsätze erzielen. Diese 0,3 Prozent kann man als Konzerne betrachten, die Monopole sind oder die die Konkurrenz dicht an das Monopol herangeführt hat. Es handelt sich um gut 9000 Unternehmen.4

Die Zentralisation des Kapitals nimmt dabei kontinuierlich zu. Unter den 100 größten Konzernen in Handel und Gewerbe der BRD waren 2008 knapp ein Drittel (32) Töchter inländischer Konzerne, die ebenfalls zu den 100 größten zählten. 14 hatten ausländische Konzernmütter. 1985 gab es in dieser Spitzengruppe 17 Inlandstöchter und 18 Filialen ausländischer Konzerne. Und 1958 hatte es acht inländische und 17 Töchter ausländischer Firmen unter den 100 ersten gegeben.

Die Beziehungen zwischen Industrie- und Finanzkonzernen sind eng: Die großen Transnationalen Konzerne (TNK) steigern ihre Profite u.a. auch durch Nutzung von Wechselkursschwankungen, Unterschieden in Steuersystemen und Löhnen, durch Gewinntransfers mittels Intra-Firmenpreisen, durch Devisen- und Rohstoffspekulation. Autokonzerne bieten Kredite, Versicherungen und andere Finanzdienstleistungen an. Dazu braucht jeder Konzern seinen eigenen Finanzüberbau und zugleich die Kooperation mit den international tätigen Großbanken. Entsprechend trat 2012 der Industrieverband BDI gegen eine allzu rigide Regulierung der Banken mit dem Argument auf, die deutsche Industrie brauche nicht nur »einheitliche Kasseninstitute um die Ecke, sondern auch starke Banken, die das internationale Geschäft der Unternehmen bedienen« könnten.5

Die Monopolbourgeoisie der Bundesrepublik setzt sich nach 1945 aus drei großen Gruppen zusammen: Kapitalistenclans (»Unternehmerdynastien«), privaten Spitzenmanagern und staatlichen Spitzenmanagern. Die Eigentums- und Kontrollverhältnisse innerhalb der Unternehmen variieren. Die Soziologin Helge Pross definierte in einer Studie 1965 Kontrolle als »die Macht, das Management ein- oder abzusetzen«.6 Diese Macht wird in Konzernen meist von Großaktionären ausgeübt, gegebenenfalls in Abstimmung mit Gläubigerbanken und/oder anderen Haltern von Stimmrechten. Fehlen Großeigentümer, wie bei Gesellschaften, die überwiegend in Streubesitz sind, kommt es zur Managerkontrolle. Dabei kontrollieren sich Spitzen von Unternehmen, Vertreter von Versicherungen und Fonds, Geschäftspartner und Beauftragte von Gläubigerbanken gegenseitig.

Verdichtung der KonzernkontrolleZur Zusammensetzung der Führungsgruppen managerkontrollierter Unternehmen schrieb ein ständiger Besucher von Aktionärstreffen: »In jeder Hauptversammlung trifft man auf die gleichen Gesichter, von denen man weiß, daß sie sich gegenseitig zu Amt und Würden verhelfen.«7 Streubesitz ist nicht »Aktionärsdemokratie«, sondern hat die Oligarchisierung von Konzernkontrolle zur Folge. Faktoren, die dies bewirken, sind die Passivität und Unkoordiniertheit der Kleinaktionäre, die die Führung der Firma »Experten« überlassen. Dies ermöglicht es Banken und anderen Sammelstellen, Stimmrechte in ihren Händen zu bündeln. (…)

Je nach dem Zersplitterungsgrad der Anteile, treten Eigentum und Kontrolle in unterschiedlichem Maß auseinander und bewirken verschiedene Typen von Kontrolle, die oft in Mischformen existieren. So unterscheidet Pross zwischen Managerkontrolle und »bedingter Managerkontrolle«. Letztere liegt vor, wenn ein großer Minderheitsaktionär über eine Vetomacht verfügt, die das Management zwingt, diesen bei wichtigen Entscheidungen zu konsultieren. Eine andere Mischform ist die »Kontrolle durch mehrere Minderheiten«, worunter Pross u.a. die großen Genossenschaften erfaßt.

In ihrer Untersuchung der 100 größten Konzerne des Jahres 1958 kommt Pross zu dem Fazit: »Nicht die Vorherrschaft oder gar Alleinherrschaft von Privateigentümern, von Privatmanagern oder von Beauftragten der öffentlichen Verwaltung, sondern das Nebeneinander dieser drei ist das für die gegenwärtigen Kontrollverhältnisse repräsentative Phänomen.«8

Von der »inneren Gliederung der Bourgeoisie« in »fungierende Eigentümerkapitalisten, Manager und Kapitalisten im Staatsapparat« geht in den 1970er Jahren auch die Klassenanalyse des Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) aus. Sie betont zugleich, daß die »für den heutigen monopolistischen Kapitalismus wesentliche innere Gliederung der Bourgeoisie … die zwischen monopolistischer … und nichtmonopolistischer Bourgeoisie« ist.9 Das Verhältnis beider zueinander hat Jung charakterisiert: »Wie das Kapital die Grundlage des Monopol- und Finanzkapitals, so ist die Bourgeoisie die soziale Rekrutierungsbasis der Schicht der Monopolkapitalisten und der herrschenden Gruppe der Finanzoligarchie. Wie das Monopolkapital die Herrschaft über das Gesamtkapital antritt, seine Interessen durchsetzt und den nichtmonopolistischen Kapitalen Funktion und Einfluß zuweist, so erlangt die Schicht der Monopolbourgeoisie bzw. die Gruppe der Finanzoligarchie die Herrschaft über die Gesamtbourgeoisie.«10

Die Zentralisierung des Kapitals zugunsten der größten Konzerne nahm nach 1945 kontinuierlich zu. Zugleich kam es zu einer deutlichen Verschiebung zwischen den drei Gruppen der Bourgeoisie. Diese Verschiebung legt es nahe, von zwei Phasen zu sprechen, die mit entsprechenden Phasen der Regulierung des SMK korrespondieren:

In der Phase 1945–1975, der Zeit der Systemkonkurrenz oder des »Fordismus«, wuchs die Rolle des Staates bei der Regulierung ökonomischer Prozesse. Der SMK setzte sich auf breiter Front durch. Die Staatsquote erreichte ein Vielfaches des Werts des Jahrhundertbeginns. Entsprechend wuchs in der Aktionärsstruktur, bei den Eigentümern und fungierenden Kapitalisten bis in die 1980er Jahre der Einfluß staatlicher und privater Manager, während die Unternehmerdynastien vor allem in und mit der Schwerindustrie auszusterben schienen. Erkennbar ist eine Verschiebung zu »mehr Staat und weniger privat«.

Neoliberale Verschiebung

In Phase zwei, den 30 Jahren Neoliberalismus, gab es dagegen eine Verschiebung zu »mehr privat und weniger Staat«. Der Umsatzanteil clankontrollierter Unternehmen unter den 100 größten Konzernen in Handel und Gewerbe verdoppelte sich bis 2007 im Vergleich zu 1985 von 17 auf 36 Prozent. Er liegt sogar deutlich höher als 1958 (22 Prozent). Dagegen sank der Staatsanteil etwa auf das Niveau von 1958, nämlich auf 14 Prozent gegenüber 23 Prozent im Jahr 1985. Der Umsatzanteil von Konzernen in Streubesitz und unter Managerkontrolle unterlag hingegen nur kleineren Schwankungen von 27 (1958) über 31 (1985) auf 22 Prozent im Jahr 2007.

Der Anteil ausländisch kontrollierter Unternehmen an den Umsätzen der 100 größten blieb in beiden Phasen nahezu konstant unter 20 Prozent. Die 14 Töchter ausländischer Muttergesellschaften, die 2007 zusammen gut 18 Prozent der Umsätze tätigten, kamen aus den USA, Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, Schweden und der Schweiz. Die Monopolkommission gab den Umsatzanteil ausländischer Unternehmen am Gesamtumsatz aller Unternehmen in Deutschland (inklusive Finanzkonzerne) mit 19 Prozent an.11 Eine andere Analyse der Anteile bei 947603 Unternehmen, d.h. bei fast allen Kapitalgesellschaften, ergab für 2008, daß die 35422 auslandskontrollierten Unternehmen einen Anteil von gut 20 Prozent an Umsatz und Bilanzsumme und von 13 Prozent an den Beschäftigten hielten.12

Mit dem Wiedererstarken großer Privateigentümer in den Konzernen korreliert die Explosion des Reichtums an der Spitze der Gesellschaft: Mindestens ein Prozent der Deutschen, d.h. mehr als 800000 Menschen, sind Millionäre. 2008 waren unter ihnen 122, 2013 sogar 132 Milliardäre. Über die Vermögensquellen schreibt der Soziologe Christian Rickens: »Lediglich knapp acht Prozent nannten abhängige Erwerbstätigkeit als wichtigste Quelle ihres Reichtums. Der angestellte Topmanager, Chefarzt oder Investmentbanker bildet also unter Deutschlands Millionären eher die Ausnahme.« Laut Rickens haben von den 100 reichsten Deutschen, die das Manager Magazin jährlich auflistet, 34 ihren Reichtum durch die Gründung eines eigenen Unternehmens verdient. »Die übrigen zwei Drittel sind vor allem deshalb so reich, weil sie ein Familienunternehmen oder Anteile daran geerbt haben.«13

Berühmte Erben sind Porsche/Piëch, Quandt, Oetker oder Henkel. Zu den bekannten Aufsteigern gehören Götz Werner, die Aldi-Brüder und die SAP-Gründer. Eigene Recherchen für das Jahr 2008 ergaben, daß 82 der 122 Milliardäre dieses Jahres ihr Vermögen als Großaktionäre oder Mehrheitseigner mindestens eines der 500 größten Konzerne der BRD bezogen, 15 weitere aus kleineren Konzernen, acht aus Großeigentum an ausländischen Konzernen, sieben aus Abfindungen oder Unternehmensverkäufen mit anschließender Finanzanlage. Die Milliardärs- und Millionärsclans halten ihre Aktienpakete mittels Beteiligungsgesellschaften, Stiftungen und Erbengemeinschaften.

Gibt es große private Mehrheitsaktionäre, wie bei VW, BMW, Beiersdorf oder Merck, teilen sich die Spitzenmanager die Macht mit den Vertretern der Milliardärsclans. Bei überwiegendem Streubesitz, wie bei Daimler, Siemens, Deutsche Bank, Allianz, sind Manager unter sich. Wechselseitige Personalunion in den Aufsichtsräten ist bei managerkontrollierten Unternehmen ebenso normal wie bei Konzernen unter Clankontrolle bzw. unter Kontrolle der Hochfinanz. Allein der Aufsichtsratschef der Deutschen Bank und Exvorstand der Allianz Paul Achleitner saß 2013 zusammen mit seiner Frau Ann-Kristin Achleitner in den Aufsichtsräten von sieben der 30 DAX-Konzerne.

Im Aufsichtsrat (AR) von BMW saßen 2013 – neben Vertretern der Eigentümerfamilie Quandt – Wolfgang Mayrhuber (AR-Vorsitzender der Lufthansa-AG), Henning Kagermann (Mitbegründer von SAP, AR-Mitglied u.a. bei Deutsche Bank, Deutsche Post, MunichRe, Nokia), Franz M. Haniel (AR-­Vorsitz der Haniel & Cie. GmbH, AR-Mitglied der Metro AG), Karl-Ludwig Kley (Vorstandsvorsitzender der Merck KGaA, AR-Mitglied der Bertelsmann AG, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie). Ähnliche Verflechtungen sind bei jedem anderen Konzern zu finden.

Die Mehrzahl der Großkonzerne wird durch Muttergesellschaften kontrolliert, mit denen es meist einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag gibt. In managerkontrollierten Konzernen sind arabische Staatsfonds und russische Oligarchen als »Ankeraktionäre« erwünscht, um vor feindlichen Übernahmen zu schützen. Das setzt voraus, daß sie sich in die deutsche Finanz­oligarchie einbinden lassen und nicht selbst die Kontrolle anstreben.

In der BRD vervielfachte sich tatsächlich die Zahl der Publikums- und Spezialfonds von Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften. Diese sind aber oft keine strategischen Investoren, sondern kaufen nur, um relativ bald wieder mit Gewinn zu verkaufen. Die Aktienpakete der Publikumsfonds liegen meist unterhalb der Meldeschwellen. Größter US-Investor bei DAX-Konzernen ist Blackrock, der jeweils meldepflichtige Anteile um fünf Prozent hält. Daraus ergibt sich Einfluß, aber keine Kontrollmacht. Blackrock ist erklärtermaßen kein strategischer Investor. (…)

Monopolmacht bedeutet zwar Beherrschung bestimmter gesellschaftlicher Reproduktionszusammenhänge, aber keinesfalls die Aufhebung der Spontaneität und Anarchie des Weltmarkts. Der Widerspruch zwischen der Planung im einzelnen Unternehmen und der Anarchie des Marktes wirkt weiterhin und umso mehr, je größer die Volumina sind, die auf dem Spiel stehen. Dieser Widerspruch läßt sich im Kapitalismus nicht aufheben. Auch der reichste und mächtigste Konzern oder Fonds ist nicht in der Lage, den Weltmarkt planmäßig zu steuern. Das birgt einerseits große Destabilisierungspotentiale, andererseits sollte es Verschwörungstheorien den Boden entziehen.

Mit dem Staat verflochten

Vom Staat beauftragte Manager sind heute bei Bahn und Post, bei Staatsbanken wie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), im schrumpfenden Sektor der Landesbanken sowie im Sparkassensektor zu finden. Im früher staatlichen Energiesektor, der in den 1970er und 80er Jahren privatisiert wurde, kam es in jüngster Zeit zu teilweisen Rekommunalisierungen. Die Krise erzwang Verstaatlichungen bei Banken und die Bildung von »Rettungsfonds«, wie den Unternehmensrettungsfonds, den Bankenfonds SoFFin und die Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

Staatsmonopolistische Regulierung erfolgt hauptsächlich über staatliche Umverteilungspolitik, Notenbanken, Aufsichts- und Wettbewerbsbehörden, über Förderprogramme, Steuerpolitik und Subventionen. Folglich gehören zur staatlichen Fraktion der Bourgeoisie neben vom Staat beauftragten Managern von Staatsbetrieben auch die von der Regierung eingesetzten Spitzen von Regulierungsinstitutionen wie Bundesbank, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin), Bankenrettungsfonds (SoFFin), Bundeskartellamt sowie der Gremien der internationalen Regulierung wie Europäische Zentralbank (EZB), EU-Kommission, Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM), Internationaler Währungsfonds (IWF), Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) oder Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ).

Die Bestückung der internationalen Regulierungsgremien erfolgt, wie der Soziologe Michael Hartmann gezeigt hat, nach wie vor entlang nationaler Karriereleitern. Oft sind die Mitglieder aus Regierungen oder den nationalen Regulierungsgremien rekrutiert. Das spricht gegen die Annahme, in diesen Gremien bilde sich eine »transnationale Bourgeoisie« heraus. Die dorthin Aufgestiegenen fühlen sich vielmehr den Netzwerken ihrer Herkunftsländer verpflichtet, denen sie ihre Karriere verdanken.14 Nicht viel anders verhält es sich mit der von manchen vermuteten »transnationalen Managerklasse«. Auf der einen Seite wirkt die Tendenz zur Internationalisierung, sind Auslandserfahrungen für die Karriere förderlich. Andererseits ist auch der »Stallgeruch« eine Tugend, um für Großeigentümer vertrauenswürdig zu sein.

Die ökonomische und politische Herrschaft von Monopolbourgeoisie und Finanzoligarchie setzt sich über ein dichtes Geflecht von offiziellen und inoffiziellen Konsultations- und Entscheidungsgremien um. Parteien, Wirtschaftsverbände, zweckgebundene gemeinsame Ausschüsse, Stiftungen, Forschungsinstitute, die gemeinsame Beraterbranche, gemeinsame Schirmherrschaften und Ehrenämter in Kultur und Sport, Personalunion und Karrieredrehtüren sorgen für das häufige Zusammensein des immer gleichen Personenkreises. Die Spitzen der großen Unternehmerverbände Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) sind durchweg mit Monopolvertretern besetzt. Auf deren jährlichen Verbandstagen erläutert die Bundeskanzlerin regelmäßig ihre politischen Vorhaben.

Daneben gibt es viele Orte der Konsultation und Kooperation bis hin zur Erarbeitung von Gesetzesvorlagen durch Unternehmerverbände. Eine wichtige Rolle spielt seit Jahrzehnten der Wirtschaftsrat der CDU/CSU, dem allein mehr als 10000 Unternehmer angehören und dessen »Wirtschaftstag« das Handelsblatt als »Jahreshauptversammlung der deutschen Wirtschaft« bezeichnet. Zentrale Netzwerke und Thinktanks wie die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) oder die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) inspirieren Meinungsbildung und strategischen Diskurs der Bourgeoisie. (…)

Den Monopolen und ihren Parteien muß in wechselnden Situationen eine Massenbasis erhalten werden. Zwang und Konformitätsdruck gehören dazu, reichen aber nicht. Nötig ist politische, ideologische und kulturelle Hegemonie. Dazu gehören materielle Zugeständnisse. So ist die eingespielte »Sozialpartnerschaft« ein wichtiger Wettbewerbsvorteil des SMK der Bundesrepublik. Konnte man sie in der ersten Phase 1945–75 noch als Klassenkompromiß auf der Basis eines Kräfteverhältnisses sehen, das der Arbeiterklasse die Durchsetzung von sozialen und Mitbestimmungsrechten ermöglichte, so entwickelte sie sich im Zuge des neoliberalen Umbaus vor allem in den Exportindustrien zum Wettbewerbskorporatismus, der die Interessen der Beschäftigten der Konkurrenzfähigkeit der »eigenen« Konzerne unterordnet.15

Diese Kräfteverschiebung folgte auf Strukturveränderungen, die den industriellen Kern der Arbeiterklasse verkleinert und sie in einst kämpferischen Sektoren wie Stahl und Bergbau dezimiert hatten. Hinzu kam die Spaltung in Stammbelegschaften, Prekarisierte und Erwerbslose. Politisch besiegelt wurde die Niederlage mit dem Übergang von SPD und Grünen zum Neoliberalismus und mit dem Unvermögen der Gewerkschaften, die Agenda 2010 durch Mobilisierung ihrer Mitglieder zu verhindern.

Anmerkungen

1 Wenn nicht anders vermerkt, basieren die Zahlenangaben dieses Abschnitts auf eigenen Recherchen und Berechnungen, die online einsehbar sind unter: belafix.wordpress.com/tabellen

2 Jung, Heinz/Schleifstein, Josef: Die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus und ihre Kritiker in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/Main 1979, S. 70

3 ebd., S. 142

4 Vgl. Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn,www.ifm-bonn.org

5 Handelsblatt online, 3.11.2012

6 Pross, Helge: Manager und Aktionäre in Deutschland. Untersuchungen zum Verhältnis von Eigentum und Verfügungsmacht, Frankfurt/Main 1965, S. 18

7 Kurt Fiebig zitiert nach Wikipedia, Stichwort Deutsche Bank, abgerufen 25.5.2014

8 Pross, a.a.O., S. 115

9 Leisewitz, André: Klassen in der Bundesrepublik Deutschland heute, Frankfurt/Main 1977, S. 139ff.

10 Jung, Heinz u.a.: Klassenstruktur und Klassentheorie – Theoretische Grundlagen und Diskussionen, in: Klassen- und Sozialstruktur der BRD 1950–1970; Teil I. (Hrsg. IMSF) Frankfurt/Main 1973, S. 128

11 Monopolkommission: Weniger Staat, mehr Wettbewerb, Siebzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2006/2007, Bonn 2008, S. 97

12 Simmler, Martin/Rudelle, Bérengère: Deutsch-französische Unternehmensbesteuerung: keine überzeugenden Fortschritte, in: DIW-Wochenbericht 8-2013, S. 13ff.

13 Rickens, Christian: Ganz oben. Wie Deutschlands Millionäre wirklich leben, Köln 2012, S. 56, 131

14 Hartmann, Michael: Eliten und Macht in Europa. Ein internationaler Vergleich, Frankfurt/Main 2007, S. 197ff.

15 Deppe, Frank: Vom Klassenkampf zum Wettbewerbskorporatismus. Die große Transformation der Gewerkschaften, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2-2013, S. 100

Linus, Gretchen/Landefeld, Beate/Wehr, Andreas: Staatsmonopolistischer Kapitalismus. Basiswissen Politik/Geschichte/Gesellschaft/Ökonomie. PapyRossa Verlag Köln, 2014, 120 Seiten, 9,90 Euro

Bereits am 1.12.2011 beschäftigte sich Beate Landefeld unter dem Titel »Eigentum und Macht« in der JW mit der Frage nach der Struktur der herrschenden Klasse.

http://www.jungewelt.de/2014/08-11/011.php