Die Linke sieht sich in der Antikriegstradition der KPD und USPD

"Mit ihrem Erfurter Programm von 2011 hat sich die Partei DIE LINKE in der Tradition derer, die in Opposition zum Ersten Weltkrieg standen und am internationalistischen und antimilitaristischen Erbe der sozialistischen Bewegung festhielten, verortet. DIE LINKE bezieht sich damit positiv auf den Spartakusbund, die USPD und die frühe KPD als plurale Organisationen einer radikalen Linken. Dementsprechend hält DIE LINKE heute in einer Welt zunehmender Kriegsgefahren an der prinzipiellen Ablehnung von Kriegseinsätzen, Rüstungsexporten und Militärbündnissen fest. Gleichzeitig stellt sie sich die Aufgabe, den Kampf für konkrete Verbesserungen innerhalb des Bestehenden mit einer über den Kapitalismus hinausweisenden demokratisch-sozialistischen Perspektive zu verbinden. Das "Nein!" zu jedem Krieg ist und bleibt die wichtigste Lehre des 4. August 1914."

Die ganze Erklärung der Linkspartei im Wortlaut: 

 

Nein zum Krieg ist und bleibt die wichtigste Lehre

Erklärung zum 100. Jahrestag der Zustimmung zu den Kriegskrediten im Deutschen Reichstag

Der Beginn des Ersten Weltkrieges leitete die "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts ein. In ihm entfesselten sich mit aller Gewalt die Destruktionspotenziale des Kapitalismus. Der Erste Weltkrieg resultierte aus den imperialistischen Rivalitäten der europäischen Großmächte, wobei das kaiserliche Deutschland aufgrund seiner die anderen Staaten herausfordernden Weltpolitik die Hauptverantwortung für dessen Ausbruch trug. Im Ersten Weltkrieg standen sich erstmals in der Geschichte industriell hochgerüstete Massenheere gegenüber, die jeweils gegeneinander auch Massenvernichtungsmittel einsetzten. Fast zehn Millionen Soldaten aus allen beteiligten Ländern fielen diesem weltumspannenden Krieg zum Opfer, doppelt so viele wurden verletzt. Weitere zehn Millionen Zivilisten starben abseits der Fronten an Hunger und entbehrungsbedingten Krankheiten.

Im Ersten Weltkrieg ging die europäische bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts unter. "Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend" (Rosa Luxemburg), präsentierte sie sich in diesem Krieg. Teil dieser weltgeschichtlichen Katastrophe war die Kapitulation der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung. Indem sich ihre führenden Parteien jeweils mit ihren Regierungen verbündeten und deren Kriegspolitik unterstützten, handelten sie im Gegensatz zu ihren internationalistischen und antimilitaristischen Positionen, die sie in den vorangegangenen Kongressen der II. Internationale mehrfach beschworen hatten. Auf diesen Moment des Verrates ihrer Prinzipien geht eine bis heute wirkende Spaltungslinie der Arbeiterbewegung zurück. Die Partei DIE LINKE sieht sich dabei in der Tradition derer, die an der Gegnerschaft zum Krieg und an einer sozialistischen Zielstellung festhielten.

Der 4. August 1914

Auch die deutsche Sozialdemokratie verwarf ihre jahrelang proklamierte internationalistische Haltung, die SPD-Reichstagsfraktion stimmte am 4. August 1914 geschlossen für die Kriegskredite. Die der Partei nahestehenden Gewerkschaften hatten bereits zwei Tage zuvor erklärt, für die Dauer des Krieges auf Streiks zu verzichten.

Dies war eine folgenschwere Zäsur. Mit ihrer Politik des "Burgfriedens" gab die SPD ihre bisherige oppositionelle Rolle in der Gesellschaft auf. Den Zeitgenossen erschien diese scheinbar so plötzliche Wandlung der Partei geradezu unglaublich. Der bürgerlichen Öffentlichkeit galt sie als "größte aller Wunder", dass der "Zauberkünstler und Wundertäter Krieg" vollbracht habe. Lenin hielt die Nachricht von der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten zuerst für eine gezielte Falschmeldung, so unvorstellbar schien sie ihm. Noch kurz zuvor hatte die SPD versucht, der sich nach dem Attentat von Sarajewo am 28. Juni 1914 immer deutlicher abzeichnenden Kriegsgefahr durch eine massive und von ihrer Basis breit getragene antimilitaristische Mobilisierung zu begegnen. Die Möglichkeit, daraus eine nachhaltige Massenbewegung gegen den Krieg zu entwickeln und der wachsenden Kriegsbegeisterung in Teilen der Gesellschaft entgegenzutreten, ließ die SPD-Führung jedoch ungenutzt. Auch auf einen Generalstreik gegen den drohenden Krieg drängte sie nicht. Stattdessen gelangte der Parteivorstand am 2. August zu der Überzeugung, den Kriegskrediten müsse zugestimmt werden. Die innerhalb der Reichstagsfraktion existierende Minderheit, die die Zustimmung zu den Kriegskrediten ablehnte, beugte sich der jahrzehntelang eingeübten Fraktionsdisziplin. So votierte die Fraktion geschlossen für die Kredite.

Ursachen

Verschiedene Gründe trugen zum Gesinnungswandel der SPD-Führung in der Kriegsfrage bei: Zum einen befürchtete sie, eine Ablehnung der Kredite könne ein Verbot von Partei und Gewerkschaften nach sich ziehen und damit die Zerstörung der so mühevoll aufgebauten Organisationen der Arbeiterbewegung. Hier spielte die Angst vor einer Marginalisierung der SPD eine große Rolle. Zum anderen argumentierte die Reichsleitung, der Krieg diene der "Landesverteidigung". Hier konnte sie an einem in Teilen der Partei vorhandenen Patriotismus anknüpfen. Zudem gelang es ihr, berechtigte sozialdemokratische Vorbehalte gegenüber dem russischen Zarismus zu instrumentalisieren. Nicht zuletzt spielten die Nachrichten aus Frankreich eine große Rolle: Dort befürworteten die Sozialisten ihrerseits die "Vaterlandsverteidigung". Außerdem bestand die trügerische Hoffnung, die Herrschenden würden die Unterstützung ihrer Kriegspolitik mit Zugeständnissen an die Arbeiterbewegung honorieren.

In den Jahrzehnten vor Beginn des Ersten Weltkrieges war die SPD die stärkste und am besten organisierte Partei der II. Internationale und somit deren Vorbild. Mit ihrem Erfurter Programm hatte sie sich im Jahr 1891 eine marxistische und revolutionäre Programmatik gegeben, die mit einem Katalog aktueller Forderungen nach mehr Demokratie und sozialer Gerechtigkeit verbunden war. Es gelang ihr aber nur teilweise, eine damit korrespondierende politische Praxis zu entwickeln. Einerseits entwickelte die deutsche Sozialdemokratie mit ihrer emanzipatorischen praktischen Bildungs- und Kulturarbeit einen wirkungsmächtigen gesellschaftlichen Gegenentwurf zum kaiserlichen Obrigkeitsstaat. Andererseits verkrustete sie infolge ihrer hauptsächlich am stetigen Auf- und Ausbau der Organisationen und an Wahlkämpfen orientierten politischen Arbeit. Insbesondere der wachsendende Partei- und Gewerkschaftsapparat sorgte für eine zunehmende Erstarrung.

Vor dem Hintergrund eines langen Wirtschaftsbooms konnten die Gewerkschaften steigende Löhne und bessere Arbeitsbedingungen erkämpfen. Trotz ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung durch den kaiserlichen Obrigkeitsstaat war die SPD durch ihre Wahlerfolge zu einem politischen Faktor geworden. Das nährte innerhalb der Arbeiterbewegung jene Vorstellungen, wonach eine allmähliche Reform des Kapitalismus möglich sei. Trotz ihres Wachstums von jeder gesellschaftlichen Mitgestaltung ausgeschlossen, befand sich die SPD in einer strategischen Sackgasse. Versuche der "Revisionisten" in der Partei, die Programmatik an die reformistische Praxis anzupassen, verliefen aufgrund der revolutionären Orientierung des Erfurter Programms jedoch ebenso im Sande, wie die Versuche der Linksradikalen, in den Massenstreikdebatten eben jene Orientierung neu mit Leben zu füllen und Wege zu einer der Programmatik entsprechenden revolutionäre Praxis zu finden.

Der Beginn des Krieges bot aus revisionistischer Sicht die Möglichkeit, endlich aus der Paria-Stellung innerhalb des Kaiserreichs auszubrechen. Die Unterstützung des Krieges schien ein Vehikel, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Der Preis dafür war jedoch hoch: Die SPD übernahm die politische Mitverantwortung für millionenfachen Tod und millionenfaches Elend, sie verzichtete für die Kriegsdauer auf eine eigenständige Politik und akzeptierte so die sich immer weiter ausbreitende Militärdiktatur. Auf diese Weise trugen die SPD und viele andere sozialistische Parteien die II. Internationale und mit ihr eine ganze Epoche der Arbeiterbewegung zu Grabe.

Geburt einer neuen Linken

Der 4. August 1914 steht aber nicht nur für das Ende der klassischen, in fester Opposition zu Staat und bürgerlicher Gesellschaft stehenden Sozialdemokratie, er war zugleich die Geburtsstunde einer neuen Linken. Noch am Abend des 4. August trafen sich in der Wohnung Rosa Luxemburgs ihre engsten Freunde und Mitstreiter entsetzt und niedergeschlagen zu einer ersten Beratung.

Das Treffen offenbarte zunächst mit aller Deutlichkeit die Schwäche der sozialdemokratischen Linken: Weder waren sie auf die - von ihnen von Anfang an als "Verrat" empfundene - Zustimmung zu den Kriegskrediten vorbereitet, noch besaßen sie auch nur in Ansätzen eine organisatorische Struktur, um darauf reagieren zu können. Diese aufzubauen war die zentrale Herausforderung, vor der sie in den nächsten Jahren standen. Dennoch war das Treffen in Luxemburgs Wohnung von historischer Bedeutung. Hier formierte sich unter der Wucht der Ereignisse der Kern, der eine neue politische Organisations- und Traditionslinie begründen sollte, die bis heute fortbesteht.

Mit dem "Nein!" Karl Liebknechts zu den Kriegskrediten am 2. Dezember 1914 wurde zum einen die Existenz der innerparteilichen Antikriegsopposition sichtbar. Zum anderen begründete er an diesem Tag die antimilitaristische Tradition der deutschen Linken neu. Innerhalb von SPD und Gewerkschaften begann sich die Opposition gegen den Krieg und die Burgfriedenspolitik der SPD-Führung zu formieren. Sie speiste sich aus der sozialdemokratischen Vorkriegslinken, deren Mehrheit nun als Gruppe Internationale und später als Spartakusgruppe den Widerstand gegen den Krieg vorantrieb. Außerdem gehörten dieser Opposition viele Sozialdemokraten an, die vor Kriegsausbruch zum Zentrum oder zum revisionistischen Flügel der Partei zählten, sowie eine neue antimilitaristische Opposition in den Gewerkschaften, die "Revolutionären Obleute". Trotz massiver polizeilicher Repressionen gingen von dieser Opposition zunehmend Proteste und Streiks gegen den Krieg aus. Infolge ihres Ausschlusses aus der SPD gründete sie im April 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Nachdem die Novemberrevolution des Jahres 1918 den Kaiser gestürzt und den Krieg beendet hatte, ging zum Jahreswechsel 1918/19 aus der Spartakusgruppe und weiteren linken Oppositionsgruppen die Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) hervor.

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Mit ihrem Erfurter Programm von 2011 hat sich die Partei DIE LINKE in der Tradition derer, die in Opposition zum Ersten Weltkrieg standen und am internationalistischen und antimilitaristischen Erbe der sozialistischen Bewegung festhielten, verortet. DIE LINKE bezieht sich damit positiv auf den Spartakusbund, die USPD und die frühe KPD als plurale Organisationen einer radikalen Linken. Dementsprechend hält DIE LINKE heute in einer Welt zunehmender Kriegsgefahren an der prinzipiellen Ablehnung von Kriegseinsätzen, Rüstungsexporten und Militärbündnissen fest. Gleichzeitig stellt sie sich die Aufgabe, den Kampf für konkrete Verbesserungen innerhalb des Bestehenden mit einer über den Kapitalismus hinausweisenden demokratisch-sozialistischen Perspektive zu verbinden. Das "Nein!" zu jedem Krieg ist und bleibt die wichtigste Lehre des 4. August 1914.

 

Die Erklärung wurde von Florian Wilde erarbeitet, in der Historischen Kommission am 7. Juni 2014 beraten und vom Sprecherrat am 22. Juli 2014 verabschiedet.

http://www.die-linke.de/partei/weitere-strukturen/berufene-gremien/historische-kommission/erklaerungen-und-stellungnahmen/nein-zum-krieg-ist-und-bleibt-die-wichtigste-lehre/