Thüringer Beamtensumpf - Wieder eine mögliche Vertuschung rechtsradikaler Gewalt  durch Behörden entlarvt 

 

Thüringer Behördensumpf

VON ANDREA RÖPKE
 
27.01.2014 - 

Der Thüringer Verfassungsschutz hat möglicherweise eine rechtsextreme Straftat vom Mai 2007 unter den Tisch gekehrt – der V-Mann-Führer eines ehemaligen Spitzels belastet den Geheimdienst in seiner Vernehmung vor dem NSU-Untersuchungsausschuss.

Am 1. Mai 2007 schlugen Neonazis einen Photografen der „Thüringer Landeszeitung“ am Rande einer NPD-Demonstration am Hauptbahnhof Erfurt zusammen. Bei dem Überfall im Bahnhofsgebäude wurde die Kamera entwendet. Für den brutalen Überfall wurden zwei Rechtsextremisten verurteilt. Beide stritten jedoch ab, mit dem Raub zu tun zu haben. Die Photos tauchten an ungewöhnlicher Stelle wieder auf: In den Akten des Trinkaus-Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtages.

Am 16. Dezember vergangenen Jahres wurde dem 2. Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages klar, dass der Geheimdienst mehr über den Vorfall von mehr als sechseinhalb Jahren gewusst haben könnte. Zuvor hatten Ausschuss-Mitglieder bei der Durchsicht von Unterlagen bereits die gestohlenen Photos des Journalisten in den Akten des Verfassungsschutzes entdeckt. Nun belastete der ehemalige V-Mann-Führer des Ex-NPD-Funktionärs Kai-Uwe Trinkaus die Behörde in seiner Vernehmung.

Den eigenen Beamten einen Maulkorb verpasst?

Der Beamte berichtete, bereits kurz nach der NPD-Demonstration am 1. Mai 2007 von Trinkaus informiert worden zu sein, dass der Neonazi Dominik W. den Fotografen durch die Glastür geworfen und die Kamera gestohlen habe. Ahnungslos übergab W. dem spitzelnden Kameraden die CD mit den entwendeten Photos, der reichte sie sofort an ihn weiter, so der Zeuge. Seinen Angaben zufolge war der Inlandsgeheimdienst also schnell über Vorgang und Täter informiert, verpasste aber den eigenen Beamten einen Maulkorb. Die Polizei sei nicht informiert worden.

Der ehemalige V-Mann-Betreuer G. belastet in seiner Aussage vor allem den damaligen Vorgesetzten Gerd Lang. Der war damals stellvertretender Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, stammte aber aus den Reihen der Polizei und ist heute Leiter des Bildungszentrums der Thüringer Polizei. Sein ehemaliger Untergebener behauptet, bereits am 2. Mai 2007 habe in Langs Dienstzimmer eine Unterrichtung über den Vorfall stattgefunden. Den Datenträger habe er zuvor nicht selber gesichtet, sondern gleich bei einem zweiten Treffen an den Vorgesetzten weitergereicht. Daraufhin habe er als V-Mann-Führer die dienstliche Weisung erhalten, keine Quellenkenntnisse über den Angriff in einem Arbeitsdeckblatt niederzuschreiben und die Quelle „Ares“ alias Trinkaus nicht mehr mit einer weiteren Informationsbeschaffung über den Vorfall zu beauftragen. Die Polizei sei nicht zu informieren. Lang widerspricht den Aussagen und muss sich erneut vor dem Untersuchungsgremium verantworten. An der Glaubwürdigkeit des leitenden Beamten rüttelt nun auch der Datenschutzbeauftragte des Landes Thüringen. In anderer Sache wirft er ihm vor, falsche Angaben gemacht zu haben.

Mutmaßlicher Täter für die Tat nie belangt

Am 6. Januar 2014 bestätigte Trinkaus in seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss, eine CD mit den Photos aus dem gestohlenen Apparat des Photografen an seinen V-Mann-Führer übergeben zu haben. Der Erfurter Neonazi behauptet, den Datenträger im Briefkasten gefunden zu haben. Vor über einem Jahr hatte er gegenüber dem „MDR Thüringen“ angegeben, unter dem Decknamen „Ares“ mehrere Jahre lang Informationen aus der rechten Szene geliefert zu haben. 2010 sei er vom Landesamt für Verfassungsschutz abgeschaltet worden. Die Behörde dagegen spricht nur von einer kürzeren Zusammenarbeit bis 2007. An dem Überfall von 2007 will sich der damals führende Neonazi nicht beteiligt haben. Auch als „Verräter“ möchte Trinkaus, der die organisierten braunen Strukturen zwar verlassen hat, aber noch den Blog „npde.speicher18.de“ betreibt, nicht gelten. Denn vor dem Ausschuss stritt er ab, damals den Namen des Angreifers oder Angaben zum Verkauf der erbeuteten Kamera weitergegeben zu haben. Der mutmaßliche Täter Dominik W. wurde für die Tat nie belangt.

Es ist das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass Thüringer Sicherheitsbeamte Ex-Vorgesetzte schwer belasten. So hatte ein ehemaliger LKA-Mann im NSU-Ausschusses des Landtages zu Protokoll gegeben, vom damaligen Vize-Präsidenten des Landeskriminalamtes Werner Jakstat 2003 die Anweisung erhalten zu haben, einem Tipp zum Aufenthalt des flüchtigen Bombenbastlers und späteren Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt nur zum Schein nachzugehen. Der Beamte spricht von einer Order, „in der Sache nichts weiter herauszubekommen“. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Jakstat widerspricht den Anschuldigungen.

http://www.bnr.de/artikel/hintergrund/thueringer-behoerdensumpf

Die Enttarnung von Trinkaus hatte der Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow schon vorher kritisch thematisiert. 

"Das schlägt dem Fass den Boden aus", so Bodo Ramelow zu Informationen im Zusammenhang mit der Selbstenttarnung von Kai-Uwe Trinkaus als ehemaligen Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes.

Der Fraktionsvorsitzende der LINKEN spricht von einem "unglaublichen Vorgang, der auch personelle Konsequenzen haben muss, wenn sich auch nur Teile der Informationen bestätigen" und hat sich bereits an die Ministerpräsidentin gewandt. Dabei stehe gerade Staatssekretär Rieder als einer der damals Verantwortlichen im Blickpunkt. Während er noch in der November-Landtagssitzung gesagt hatte, dass die LINKE kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes sei, "wird nun offenkundig, dass sich das Amt einzelner Neonazis bedient oder sie wissentlich geduldet hat, um Abgeordnete und Funktionäre der LINKEN nicht nur zu bespitzeln, sondern auch zu diskreditieren".

Trinkaus habe insbesondere vor der Landtagswahl im Jahr 2009 intensiv versucht, an Kontakte und Informationen aus der Fraktion DIE LINKE zu gelangen. So wollte er im privaten Bereich mit dem Landesvorsitzenden der LINKEN Kontakt aufnehmen. Die Abgeordnete der Fraktion Susanne Hennig bedrängte er derartig, dass sie sich juristisch zur Wehr setzen musste. "Dass auch die Einschleusung eines Neonazis aus dem direkten Umfeld von Trinkaus in das Mentoring-Programm der Landtagsfraktion, also in den Kernbereich der parlamentarischen Arbeit, in Verantwortung eines bezahlten VS-Zuträgers lag und mit Wissen des Verfassungsschutzes erfolgte, straft den Staatssekretär lügen", so Ramelow, der darauf verweist, dass Rieder von 2003 bis 2010 im Innenministerium die Fachaufsicht über den Verfassungsschutz hatte. "Personelle Konsequenzen zu prüfen, ist nun Sache der Ministerpräsidentin. Mit Entschuldigungen und Beschwichtigungen lassen wir uns nicht mehr abspeisen", betont der Fraktionsvorsitzende.

"Dass Trinkhaus während seiner VS-Spitzeltätigkeit zu den agilsten Thüringer Neonazis gehörte, belegt einmal mehr, dass viele neonazistische Strukturen nicht ohne Zutun des Geheimdienstes entstanden sind", sagt Ramelow. So war Trinkaus Gründer zahlreicher Vereine und sammelte militante Neonazis in zunächst scheinbar harmlos klingenden Zusammenschlüssen. "Der Verfassungsschutz liefert täglich neue Gründe für dessen sofortige Auflösung", so der Fraktionschef abschließend.