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26 600 000 Arbeitslose in der EU - Quote über 10 % - D schönt Statistiken 

Jeder neunte Europäer auf Jobsuche

Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone verharrt auf hohem Niveau. Nach Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat waren im November des vergangenen Jahres 12,1 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter ohne Job.

Damit ist die Quote gegenüber Oktober unverändert. Insgesamt waren 19,2 Millionen Männer und Frauen im November in den damals noch 17 Euro-Ländern arbeitslos. In der Europäischen Union waren es 26,6 Millionen Menschen, das entspricht 10,9 Prozent.

Schlusslichter in der Arbeitslosenstatistik der Eurozone bleiben den letzten verfügbaren Zahlen zufolge Griechenland mit einer Quote von 27,4 Prozent und Spanien mit 26,7 Prozent. Die Zahlen  für Deutschland sind geschönt, weil viele Arbeitslos in der Statistik nicht mitgerechnet und erfasst werden. 

Die beiden südeuropäischen Krisenländer Spanien und Griechenland sind auch von der Jugendarbeitslosigkeit am härtesten betroffen: In Spanien sind 57,7 Prozent der unter 25-Jährigen ohne Job, in Griechenland haben 54,8 Prozent der Altersgruppe keine Arbeit.

Die anhaltend hohe Jugendarbeitslosigkeit besorgt die EU seit langem. Fast ein Viertel der jungen Menschen in Europa hat keinen Job. In der Europäischen Union entspricht das mehr als 5,6 Millionen Menschen.

Die Arbeitslosenzahlen werden in Europa politisch geschönt, auch Deutschland ist da keine Ausnahme. Der Ökonom Gerd Bosbach sagt, die Staaten verhalten sich wie schlechte Schuldner: Sie manipulieren die Zahlen, damit sie leichter an Kredite kommen. 

Ganz viele Ergebnisse die wir vorgelegt bekommen, kommen von großen Instituten, die von jemanden den Auftrag dafür bekommen und dafür auch bezahlen. Das alte Wort „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ trifft natürlich für diese Forschungsinstitute auch zu. Deshalb ist es überraschend, dass wir deren Ergebnisse als nackte Wahrheit verstehen, sagt Bosbach.

 
Man hat immer wieder die Erfassungsgrundlage für Arbeitslose verändert. Ich habe eine Liste der Agentur für Arbeit die zeigt, dass es zwischen 1986 und Januar 2009 17 Veränderungen gab, wie Arbeitslosenzahlen zu erfassen sind. Von diesen 17 Veränderungen haben 16 die Anzahl der erfassten Arbeitslosen verringert,so der Ökonom.
 
Ein Beispiel dafür sind die Ein-Euro-Jobber. Die galten früher als arbeitslos, weil sie eigentlich einen richtigen Job haben wollen. Jetzt zählen sie nicht mehr als arbeitslos.
 
Andere Veränderungen waren schon fast böswillig. Wenn man sagt, dass alle Arbeitslosen die privaten Vermittlern zugeteilt werden, nicht mehr als Arbeitslose gezählt werden, ist das beinahe Willkür pur.
 
 Im März 2012 wurden 3 Millionen Arbeitslose registriert. Es gab aber zu diesem Zeitpunkt 5,3 Millionen erwerbsfähige Empfänger von Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II. Es gab parallel dazu 5,1 Millionen Leute, die als Arbeitssuchen registriert waren. Dazu kommt noch, dass die Bundesagentur für Arbeit eine Zahl von Unterbeschäftigten herausgibt. Diese Unterbeschäftigung wurde im März 2012 mit 4,1 Millionen tituliert. Unterbeschäftigung bedeutet auch fehlende Arbeitsplätze. Also 5,1 Millionen suchen Arbeit bei der Agentur für Arbeit. Die spricht selbst von 4,1 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen. Das zeigt die Dimension der versteckten Arbeitslosigkeit.
 
Es geht aber nicht nur um die geschönten Statistiken sondern auch um grundsätzliche Analysefehler der Massenarbeitslosigkeit in Europa, die die schwache Massenkaufkraft als Problematik ausblenden. 
 

Der Anfang Januar erschienene Bericht „Employment and Social Developments in Europe 2012“ analysiert auf fast 500 Seiten Arbeitsmarkt und soziale Lage in der EU. Er kommt zu dem Schluss, dass ein Nachfrageschock die eigentliche Ursache für die prekäre Lage (11,8% Arbeitslosigkeit – sieheEurozone: Bodenbildung?) von Millionen Arbeitslosen und (nicht mehr) Arbeitssuchenden in Europa ist. Alles andere sei wenig relevant.

Damit widerspricht er letztlich Draghi und dem Brüsseler Glaubensbekenntnis, eine Strukturreform der Arbeitsmärkte in den Krisenländern sei erforderlich, um eine wirtschaftliche Erholung zu bewirken.

Wie lässt sich „strukturelle“ Arbeitslosigkeit statistisch erfassen? „Strukturell“ hat verschiedene Facetten, letztlich läuft es darauf hinaus, dass sie im Unterschied zu „konjunkturell“ zeitlich überdauernd und überdurchschnittlich hoch ist.

Ein Kriterium ist somit die Langzeitarbeitslosigkeit. Das immer wieder als leuchtendes Beispiel für Krisenbewältigung angeführte Irland (IE) liegt mit fast 8,5% in der Spitzengruppe, das EU-Mittel (EU-27) liegt bei 4% der „aktiven Bevölkerung“.

Eine weitere Möglichkeit, den strukturellen Anteil an der Arbeitslosigkeit zu messen, ist die Zahl derer zu erfassen, die zwar bereit und in der Lage sind, zu arbeiten, aber die Suche nach einem Job aufgegeben haben – sei es, weil sie schwarz arbeiten, sei es, weil die Arbeitssuche lange Zeit erfolglos war. Hier führt Italien (IT) die Statistik mit nahezu 12% der aktiven Bevölkerung an. Das EU-Mittel (EU-27) liegt bei 3,8% der „aktiven Bevölkerung“.

Beide Statistiken geben jeweils nur einen Teil der Wahrheit wider. Spanien (ES), Lettland (LV), Ungarn (HU), Estland (EE) und Bulgarien (BG) zeigen nach beiden Ansätzen Werte über dem EU-Durchschnitt. Griechenland (EL) ist nur hinsichtlich Langzeit-Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich. Ich vermute, beim zweiten Kriterium schlägt die Unfähigkeit der staatlichen Verwaltung (und/oder der hohe Anteil der Schattenwirtschaft) zu.

Ein dritter Ansatz ist die „Material deprivation“. Die “materielle Entbehrung” bezieht sich auf einen Zustand anhaltender individueller materieller Probleme. Die Definition können Sie hier nachlesen.

Auch hier liegen wie bei den vorigen beiden Ansätzen Bulgarien, Lettland, Ungarn, Estland über dem Mittelwert der EU-27 (~8% der Gesamtbevölkerung). Griechenland taucht ebenfalls auf, auch die Slowakei (SK). Zu beachten ist, dass die Zahlen aus 2011 stammen, als die Eurokrise in Spanien, Italien und Portugal noch nicht voll ausgebrochen war. Mit 2012er Zahlen dürften alle drei in die Spitzengruppe der Kriterien aufrücken und spätestens damit dürfte ihre Arbeitsmarktsituation ebenfalls als „strukturell“ problematisch gelten.

Umgekehrt fällt auf, dass Länder mit besser entwickelten Sozialsystemen (alles ist relativ…) und gleichzeitig flexiblen Arbeitsmärkten zuletzt besser gefahren sind. Der Bericht nennt Deutschland, die nordischen Länder und bis zu einem gewissen Grade auch Großbritannien. Diese Länder liegen allesamt nach den obigen drei Kriterien jeweils im unteren Drittel.

Der Bericht stellt insbesondere die Segmentierung der Arbeitsmärkte in den südlichen Ländern als Problem heraus. Das bezieht sich auf erleichterte Kündigungsmöglichkeiten kürzer Beschäftigter, das Herausnehmen kleinerer Firmen aus bestimmten Vorschriften usw. Das wird auch als entscheidende Ursache für die hohe Jugendarbeitslosigkeit gesehen.

Der Bericht hebt letztlich auf einen Nachfrageschock als Grund für die Arbeitsmarktprobleme in der EU ab. Ich glaube aber, dass wir es mit gewaltigen strukturellen Problemen zu tun haben. Wie sollte das auch anders sein, in einem Staatengebilde, dessen Grundlagen in einer Missachtung einfachster wirtschaftlicher Regeln bestehen (siehe “Eurozone: Von Anfang an daneben“)?

Die strukturellen Reformen, die der EU-Kommission vorschweben, zielen darauf ab, das Lohnniveau in den Krisenländern allgemein zu senken. Dabei dürfte den Verantwortlichen das deutsche Vorbild im Kopf herumspuken, das mit „Hartz-4“ einen Niedriglohnsektor ermöglichte. Das war aber zu einer anderen Zeit, im Umfeld einer aufstrebenden Weltkonjunktur und in einer nationalen Wirtschaft, die traditionell stark exportorientiert ist. Unter den heutigen Umständen führt eine solche Politik dazu, dass sich die soziale Situation breiter Bevölkerungsschichten nachhaltig weiter verschlechtert.

Bezeichnenderweise sind gerade unter den Schlusslichtern hinsichtlich Arbeitsmarkt und persönlicher Wohlstandssituation einige Länder, die von der EU-Kommission gerne als Erfolgsgeschichte herausgestellt werden.

Aus Sicht des o.a. Berichts ist es nur folgerichtig, wenn statt Brüsseler Lohndrückerei dafür gesorgt würde, die Nachfrage zu steigern. Dazu gibt es ja gerade in den zurückliegenden Tagen zahlreiche Vorschläge, die im Kern immer darauf hinauslaufen, dass die Kernländer der Eurozone inflationär gesteigerte Nachfrage erzeugen sollen, damit die südliche Peripherie innerhalb des Währungsraums konkurrenzfähiger wird.

Quelle:http://www.timepatternanalysis.de/Blog/2013/01/17/eu-arbeitsmarkt/

 
 

Prof. Dr. Gerd Bosbach vom Rhein-Ahr-Campus in Remagen ist Mitherausgeber des Buches „Lügen mit Zahlen“ und lehrt Mathematik, Statistik sowie Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung.